I Only Rest in the Storm

O Riso e a Faca

BR/FR/P/RO 2025 · 211 min.
Regie: Pedro Pinho
Drehbuch: , ,
Kamera: Ivo Lopes Araújo
Schnitt: Rita M. Pestana, Karen Akerman, Cláudia Oliveira, Pedro Pinho
Darsteller: Sérgio Coragem, Cleo Diára, Jonathan Guilherme u.a.
I Only Rest in the Storm
Prall-reife Sensualität, fast eine verbotene Frucht
(Foto: Filmfest München | Pedro Pinho)

Kaleidoskopische Leere

In monumentalen 211 Minuten erzählt Pedro Pinho von der Kolonialgeschichte Guinea-Bissaus, vom Straßenbau, von Cashew-Wein, vom Verlorengehen unter der Sonne

Der Portu­giese Sérgio erreicht Guinea-Bissau mit einem klapp­rigen Auto, wird an der Grenze von einem Poli­zisten ange­halten. Kurz sprechen sie, Sérgio will weiter, doch eine letzte Bitte hat der Beamte: Ein Buch möchte er haben, wohl gegen die Lange­weile. Ein merk­wür­diger Anfang für diesen wunder­baren, ausla­denden Film, zu dem man gedank­lich immer wieder zurück­kehrt. Viel­leicht wäre das ja wirklich das beste für Sérgio gewesen: Lesend an der Grenze verweilen, dieses Land der Wider­sprüche gar nicht erst betreten. Er macht es doch, und die Kamera folgt ihm.

Als Ingenieur wurde er ange­stellt, ein Straßen­pro­jekt zur besseren Erreich­bar­keit rand­stän­diger Dörfer zu evalu­ieren. Immer wieder löst sich der Film jedoch von dieser Grund­hand­lung, einen richtigen Plot gibt es hier nicht. Schlaf­wand­le­risch, verträumt, dabei stets ungläubig und seltsam apathisch durch­streift Sérgio fortan das Land, die analoge Hand­ka­mera folgt ihm, beob­achtet. Unmöglich zu sagen, was die erzählte Zeit ist, wie viele Wochen oder Monate vergehen. Immer verdich­teter wird die Erzählung, immer undurch­sich­tiger die poli­ti­sche und ökono­mi­sche Situation dieses Landes, die dennoch alles bestimmt: Freund­schaften, die Liebe, den Sex.

Die Arbeit

Dabei beginnt es noch recht über­sicht­lich, einem Statio­nen­drama gleich wird man in den Film einge­führt. Umge­bungen charak­te­ri­sieren die auftre­tenden Figuren, wir sehen Szenen im Club, auf Garten­partys, bei der Arbeit. Schlep­pend geht das voran, die nah an den Figuren operie­rende, hand­ge­führte Kamera wirkt zweck­mäßig, man wähnt sich trotz des langsamen Anfangs sofort verloren, weiß nichts anzu­fangen mit dieser doku­men­ta­ri­schen, ruhigen, neben­säch­li­chen Insze­nie­rung. Und dann kommt der Kipppunkt.

Diesen szenisch fest­zu­legen ist sinnlos, für jeden Zuseher wird er an anderer Stelle eintreten, wird die beiläu­fige Betrach­tung in einen kalei­do­sko­pi­schen Reigen verwan­deln. Spätes­tens hier drängt sich der Vergleich mit Albert Serras großem Paci­fic­tion auf, beginnt die Abwärts­spi­rale in Abgründe, die – anders als bei Serra – nichts Apoka­lyp­ti­sches besitzen, selbst neben­säch­lich bleiben, kurze Spitzen bilden in diesem von der Historie verra­tenen Land. Da wären die europäi­schen Inge­nieure, die den afri­ka­ni­schen Arbeitern kein Wasser geben »dürfen«, die chole­ri­sche Ausbrüche bei Unge­reimt­heiten haben, nie aber nach­tra­gend sind, sich nach Mord­dro­hungen gemeinsam betrinken, in den Puff gehen.

Der Sex

Das ist dann das nächste große Thema: der Sex. Omni­prä­sent und explizit gefilmt, ein Zwischen­zu­stand, ein Konglo­merat aus Ausbruchs­mo­menten und unter­schwel­ligen Macht­struk­turen. O Riso e a Faca ist ein explizit queerer Film, Männer in Kleidern und Perücken sind zentrale Motive, durch­streifen dieses korrum­pierte Land wie geis­ter­hafte Erschei­nungen. Die Freiheit wird ausge­stellt, völlig natürlich behandelt, fügt sich ein in Club­szenen, in denen ein Tanz­schritt zu einem Kopftritt werden kann, in Verhand­lungs­ge­spräche über hunderte Tausend Euro, die auf dem Laufband geführt werden, in Scherze über den Wert von Ziegen, die man kaufen möchte, damit sie nicht geschlachtet werden.

Pinho stellt keine Motive gegenüber, spielt sie nicht gegen­ein­ander aus, er durch­schreitet dieses Land mit einer großen Sorgfalt, mit einem so ausge­stellten Desin­ter­esse an jeglicher klarer Drama­turgie, dass gerade dieses Sich-treiben-Lassen einen wahn­sin­nigen Sog entwi­ckelt. Ein lite­ra­ri­scher Film entsteht, eine Medi­ta­tion über die Leere, über das Nichts, das selbst aber nie erreicht wird, selbst dorthin, an diesen absoluten Nullpunkt kann man nicht gelangen. Zu omni­prä­sent sind die gesell­schaft­li­chen Fragen, zu groß auch ist dieses Land, mit Middle-Class-Hotel­pools und abge­schie­denen Dörfern, Cashew-Wein trin­kender Bour­geoisie und Kindern in selbst­ge­malten Fußball-Trikots, weil sie sich die offi­zi­ellen nicht leisten können.

Unmöglich all das aufzu­lösen, aufzu­heben, auch zu negieren, zu affir­mieren, erst recht zu verstehen oder zu einem Ende zu bringen.

Doch wir haben es leicht. Wir können Sérgio einfach beistehen auf seiner traurigen Odyssey, können uns verlieren in den wunder­schönen Bildern, in den Land­schaften, im Flirren der Hitze auf dem Sand, wir können auch die Unter­titel lesen, wenn im lauten Techno-Club politisch disku­tiert wird. Wir stehen nur daneben, wir sind der Lesende an der Grenze, doch was uns erzählt wird, ist unver­än­dert exis­ten­ziell. Nicht etwa weil wir es verstehen können, sondern weil am Ende nichts davon bleibt: Nur versprengte Szenen; traurige, schöne, lustige und entsetz­liche, alle zusam­men­ge­halten von diesem meis­ter­haften Film, der so viel verbindet, letzt­end­lich aber völlig bei sich bleibt. Es gibt kein Ende, wie es auch für Guinea-Bissau keinen Abschluss gibt.

Die Sonne brennt gnadenlos weiter, die Ausge­las­senen feiern, die Einsamen sind einsam, und alle zusammen steuern sie aufs große Nichts zu, das selbst nie erreicht wird, weil sich doch immer etwas dazwi­schen schiebt.