BR/FR/P/RO 2025 · 211 min. Regie: Pedro Pinho Drehbuch: Pedro Pinho, Miguel Seabra Lopes, José Filipe Costa Kamera: Ivo Lopes Araújo Schnitt: Rita M. Pestana, Karen Akerman, Cláudia Oliveira, Pedro Pinho Darsteller: Sérgio Coragem, Cleo Diára, Jonathan Guilherme u.a. |
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Prall-reife Sensualität, fast eine verbotene Frucht | ||
(Foto: Filmfest München | Pedro Pinho) |
Der Portugiese Sérgio erreicht Guinea-Bissau mit einem klapprigen Auto, wird an der Grenze von einem Polizisten angehalten. Kurz sprechen sie, Sérgio will weiter, doch eine letzte Bitte hat der Beamte: Ein Buch möchte er haben, wohl gegen die Langeweile. Ein merkwürdiger Anfang für diesen wunderbaren, ausladenden Film, zu dem man gedanklich immer wieder zurückkehrt. Vielleicht wäre das ja wirklich das beste für Sérgio gewesen: Lesend an der Grenze verweilen, dieses Land der Widersprüche gar nicht erst betreten. Er macht es doch, und die Kamera folgt ihm.
Als Ingenieur wurde er angestellt, ein Straßenprojekt zur besseren Erreichbarkeit randständiger Dörfer zu evaluieren. Immer wieder löst sich der Film jedoch von dieser Grundhandlung, einen richtigen Plot gibt es hier nicht. Schlafwandlerisch, verträumt, dabei stets ungläubig und seltsam apathisch durchstreift Sérgio fortan das Land, die analoge Handkamera folgt ihm, beobachtet. Unmöglich zu sagen, was die erzählte Zeit ist, wie viele Wochen oder Monate vergehen. Immer verdichteter wird die Erzählung, immer undurchsichtiger die politische und ökonomische Situation dieses Landes, die dennoch alles bestimmt: Freundschaften, die Liebe, den Sex.
Dabei beginnt es noch recht übersichtlich, einem Stationendrama gleich wird man in den Film eingeführt. Umgebungen charakterisieren die auftretenden Figuren, wir sehen Szenen im Club, auf Gartenpartys, bei der Arbeit. Schleppend geht das voran, die nah an den Figuren operierende, handgeführte Kamera wirkt zweckmäßig, man wähnt sich trotz des langsamen Anfangs sofort verloren, weiß nichts anzufangen mit dieser dokumentarischen, ruhigen, nebensächlichen Inszenierung. Und dann kommt der Kipppunkt.
Diesen szenisch festzulegen ist sinnlos, für jeden Zuseher wird er an anderer Stelle eintreten, wird die beiläufige Betrachtung in einen kaleidoskopischen Reigen verwandeln. Spätestens hier drängt sich der Vergleich mit Albert Serras großem Pacifiction auf, beginnt die Abwärtsspirale in Abgründe, die – anders als bei Serra – nichts Apokalyptisches besitzen, selbst nebensächlich bleiben, kurze Spitzen bilden in diesem von der Historie verratenen Land. Da wären die europäischen Ingenieure, die den afrikanischen Arbeitern kein Wasser geben »dürfen«, die cholerische Ausbrüche bei Ungereimtheiten haben, nie aber nachtragend sind, sich nach Morddrohungen gemeinsam betrinken, in den Puff gehen.
Das ist dann das nächste große Thema: der Sex. Omnipräsent und explizit gefilmt, ein Zwischenzustand, ein Konglomerat aus Ausbruchsmomenten und unterschwelligen Machtstrukturen. O Riso e a Faca ist ein explizit queerer Film, Männer in Kleidern und Perücken sind zentrale Motive, durchstreifen dieses korrumpierte Land wie geisterhafte Erscheinungen. Die Freiheit wird ausgestellt, völlig natürlich behandelt, fügt sich ein in Clubszenen, in denen ein Tanzschritt zu einem Kopftritt werden kann, in Verhandlungsgespräche über hunderte Tausend Euro, die auf dem Laufband geführt werden, in Scherze über den Wert von Ziegen, die man kaufen möchte, damit sie nicht geschlachtet werden.
Pinho stellt keine Motive gegenüber, spielt sie nicht gegeneinander aus, er durchschreitet dieses Land mit einer großen Sorgfalt, mit einem so ausgestellten Desinteresse an jeglicher klarer Dramaturgie, dass gerade dieses Sich-treiben-Lassen einen wahnsinnigen Sog entwickelt. Ein literarischer Film entsteht, eine Meditation über die Leere, über das Nichts, das selbst aber nie erreicht wird, selbst dorthin, an diesen absoluten Nullpunkt kann man nicht gelangen. Zu omnipräsent sind die gesellschaftlichen Fragen, zu groß auch ist dieses Land, mit Middle-Class-Hotelpools und abgeschiedenen Dörfern, Cashew-Wein trinkender Bourgeoisie und Kindern in selbstgemalten Fußball-Trikots, weil sie sich die offiziellen nicht leisten können.
Unmöglich all das aufzulösen, aufzuheben, auch zu negieren, zu affirmieren, erst recht zu verstehen oder zu einem Ende zu bringen.
Doch wir haben es leicht. Wir können Sérgio einfach beistehen auf seiner traurigen Odyssey, können uns verlieren in den wunderschönen Bildern, in den Landschaften, im Flirren der Hitze auf dem Sand, wir können auch die Untertitel lesen, wenn im lauten Techno-Club politisch diskutiert wird. Wir stehen nur daneben, wir sind der Lesende an der Grenze, doch was uns erzählt wird, ist unverändert existenziell. Nicht etwa weil wir es verstehen können, sondern weil am Ende nichts davon bleibt: Nur versprengte Szenen; traurige, schöne, lustige und entsetzliche, alle zusammengehalten von diesem meisterhaften Film, der so viel verbindet, letztendlich aber völlig bei sich bleibt. Es gibt kein Ende, wie es auch für Guinea-Bissau keinen Abschluss gibt.
Die Sonne brennt gnadenlos weiter, die Ausgelassenen feiern, die Einsamen sind einsam, und alle zusammen steuern sie aufs große Nichts zu, das selbst nie erreicht wird, weil sich doch immer etwas dazwischen schiebt.