08.10.2008

»Ich hatte zuviel Material.«

Volker Schlöndorff am Mikrophon
Volker Schlöndorff
(Foto: JCS · CC-BY-SA-3.0)

Volker Schlöndorff über seine Filme, sein Leben und seine Autobiografie „Licht, Schatten und Bewegung“. Ein Transkript

Volker Schlön­dorff (geb. am 31. März 1939 in Wiesbaden) ist einer der führenden deutschen Film­re­gis­seure. Bereits als Jugend­li­cher ging er nach Frank­reich, besuchte dort zunächst ein liberales jesui­ti­sches Internat und dann in Paris das „Lycée Henri IV“. Einer seiner Klas­sen­ka­me­raden war der spätere Regisseur Bertrand Tavernier. Danach studierte Schlön­dorff in Paris Jura und besuchte fast täglich in die Ciné­ma­thèque française. 1959 wurde er Regie­as­sis­tent von Louis Malle bei Zazie dans le métro. Später war er auch Assistent von Jean-Pierre Melville und Alain Resnais.

Etwa zur gleichen Zeit begann Schlön­dorff selbst als Regisseur zu arbeiten, debü­tierte 1964 mit der Musil-Verfi­ol­mung Der junge Törless – dem ersten inter­na­tio­nalen Erfolg des jungen deutschen Films.

Mit seiner Verfil­mung des Günter Grass-Romans Die Blech­trommel gewann Schlön­dorff 1979 die Goldene Palme in Cannes und 1980 den ersten Oscar für einen deutschen Film.

Das Gespräch führte Josef Schnelle

Josef Schnelle: Volker Schlön­dorff, die Vorge­schichte Ihrer Auto­bio­grafie, dass Sie die gerade jetzt geschrieben haben, ist durch die Gazetten gegangen. Sie sollten erst den Film DIE PÄPSTIN machen und plötzlich sollten Sie ihn aber nicht mehr machen – nachdem Sie doch schon sieben Jahre daran gear­beitet hatten.

Volker Schlön­dorff: Das ist so ein äußerer Anlass, dass man sich plötzlich mit viel freier Zeit konfron­tiert sieht. Der innere Anlass oder der eigent­liche ist aber, dass ich immer wieder ange­spro­chen worden bin: Ich soll doch mal erzählen von meiner Arbeit früher mit Melville. Ich soll doch mal erzählen, wie ist es überhaupt zum jungen deutschen Film gekommen. Ich soll doch mal erzählen, wer ich überhaupt bin und dann plötzlich hab ich diese Zeit gehabt und gesagt zum Sieb­zigsten besteht die große Gefahr, dass ein anderer was über mich schreibt, dann will ich dem zuvor kommen.

Schnelle: Wie macht man das dann? Man holt die ganzen Schuh­kar­tons mit Fotos raus, findet Tage­bücher wieder, oder ist alles verloren und man muss es alles aus dem Kopf rausholen?

Schlön­dorff: Ich hatte zuviel Material. Genau das, was Sie sagen: die Schuh­kar­tons mit Briefen, Tage­büchern immer wieder ange­fangen und verworfen von der Schulzeit praktisch bis gestern. Es gibt aber auch mal Ansätze schon mal was zu schreiben. Ich hab mal über das ein oder andere Foto, was ich aus der Kindheit hatte, an das ich mich eigent­lich nicht erinnern konnte, versucht da drum herum zu schreiben. Wenn man so viel mit Literaten und mit Schrift­stel­lern in seinem Leben konfron­tiert war, dann juckt es einem natürlich immer in den Fingern, irgend­wann auch mal paar Sätze aufzu­schreiben und so ist das Buch dann allmäh­lich entstanden und nachdem ich paar Wochen geschrieben hatte, hab ich gesagt: Jetzt müsstest du ja eigent­lich mal `n Plan machen – also erste freie Asso­zia­tion wie beim Dreh­buch­schreiben und dann muss man sagen, jetzt muss man’s ja irgendwie struk­tu­rieren. Ja und so hat sich da Fach für Fach gefüllt zu meiner großen Über­ra­schung, weil erstens dachte ich, ich würde niemals mehr als hundert Seiten zusammen kriegen und auf einmal hatte ich über 600 und musste kürzen.

Schnelle: Der Unter­titel ist ja „Mein Leben und meine Filme“. Es ist also kein reines Film-Buch, es ist auch ein Buch, indem Sie sehr persön­liche Geschichten aus Ihrem Leben erzählen.

Schlön­dorff: Über die Filme hab ich ja nun oft geredet. Nach jedem Film muss man ja doch Inter­views machen und das vierzig Jahre lang. Da habe ich eigent­lich das Gefühl gehabt, das müsste doch alles gesagt gewesen sein. Was mich ja selbst inter­es­siert hatte war mal nach­zu­gehen, der berühmten Frage „Wer bist du eigent­lich?“ und allem, was ich ein bisschen, wo ich mich immer in meinen Filmen hinter den Personen und den Büchern versteckt hab, dass nun mal raus­zu­holen. Mir war das nicht ganz unbekannt unter uns gesagt, also ich hab mich eben tage­buch­mäßig damit befasst und das, das wurde dann immer, immer persön­li­cher und immer intimer und manchmal auch zu intim, dann musst ich das wieder zurück nehmen und insofern könnte ich eigent­lich nur über das Leben, das ich gelebt habe, also das, was außer den Filmen noch war, ohne Weiteres ein Buch schreiben. Die Filme sind das Produkt, aber das Leben, das steht für sich.

Schnelle: Nun lebt man als Film­re­gis­seur ja ein völlig anderes Leben. Man ist sehr, sehr viel unterwegs, es gibt immer diese Ebene von großen Galas, Premieren... So stellt man sich das jeden­falls vor. Ist ein Film­re­gis­seur ein ganz beson­derer Wanderer durch die Welt?

Schlön­dorff: Ich hab immer es verstanden, die Galas und die roten Teppiche und die offi­zi­ellen Anlässe ein bisschen so aus meinem Leben auszu­klam­mern, das absolvier` ich pflicht­schul­digst aber da bin ich im Grunde auf dem auto­ma­ti­schen Pilot und bin gar nicht wirklich anwesend. Und das eigent­liche Leben, das ist eben zwischen den Filmen, das ist auch bei den Filmen, aber in den Bezie­hungen mit den Schau­spie­lern und mit den Tech­ni­kern, mit denen man zusammen ist, mit den Mitar­bei­tern: Alles was nachher nicht auf der Leinwand zu sehen ist, wo aber hinter den Kulissen sehr, sehr viel Emotion [dabei ist], mehr Emotion als vor der Kamera noch. Das lebe ich sehr, sehr intensiv, das ist mein eigent­li­ches Leben und das wollte ich beschreiben und auch zeigen: Warum hast du zu dem Zeitpunkt dieses Buch und nicht ein anderes gelesen, und warum ist dir dieser Film miss­lungen, und warum ist dir ein anderer gelungen? Und das hat immer sehr viel mit einem selbst zu tun, mit dem Zustand, in dem man gerade war: War man verzwei­felt oder war man über­heb­lich oder war man mit einer Sache noch nicht fertig oder hatte man gerade einen neuen Freund oder einer neue Frau getroffen oder eine Ausein­an­der­set­zung mit seinem Vater gehabt. Und das ist sozusagen der Hinter­grund der Filme, das ist die Substanz, aus der [sich] die Filme sich gespeist haben.

Schnelle: Man erlebt ja noch so allerhand bei Dreh­ar­beiten, am Set oder bei der Entwick­lung der Filme, das ist ja auch ein Großteil der Arbeit eines Film­re­gis­seurs...

Schlön­dorff: Und die vielen Filme, die nicht gemacht werden! Das ist ja nicht nur bei „Die Päpstin“ so gewesen, sondern es gibt ja einen Friedhof an Projekten, an denen man oft genauso intensiv gear­beitet hat wie an den Filmen, die dann zustande gekommen sind. So kurz vorher abge­bro­chen, wo man eigent­lich nur noch hätte drehen müssen, wie man so sagt. Wo man aber sehr viel inves­tiert hat. Ich hab in den Rocky Mountains mit der Witwe eines Mormonen, Poli­ga­misten sehr, sehr intensiv zwei Jahre lang an einer Geschichte gear­beitet über die , „Was ist das- eine Polygamie?“ Ein religiös bedingtes Pionier-Leben in den Bergen, eigent­lich so diese self-reliance der ersten ameri­ka­ni­schen Pioniere, ein Film, der nicht zustande gekommen ist. Und das andere war ein Projekt, wo also Billy Wilder mich beraten hat, eine Komödie mit Steve Martin über eine Abrüs­tungs­kon­fe­renz, an der ich auch sehr lange gear­beitet habe, wo ich also zu echten Abrüs­tungs­kon­fe­renzen gefahren bin, das erste Treffen zwischen Reagan und Gorbat­schow in Genf miterlebt hab', solche Sachen, und ja irgendwie will man ja nicht, dass das ganz verloren ist, das waren oft sehr spannende Erfah­rungen und das hat mir richtig gut getan, das auch noch mal zu erzählen.

Schnelle : Sie gelten als Spezia­list für Lite­ra­tur­ver­fil­mungen. Das ist eigent­lich eine Ehre, manchmal wird’s auch gegen Sie verwendet. Sie haben sich oft mit Literatur beschäf­tigt und Literatur in Filme verwan­delt. Wie geht man da eigent­lich vor?

Schlön­dorff: Ich kann nur sagen: die Literatur war gut zu mir. Das heißt, tatsäch­lich hab ich meine besten Filme nach Büchern gemacht. Das heißt nicht, dass ich nicht auch sehr, sehr oft an sehr großen Büchern geschei­tert bin, also bis heute sitzt mir im Nacken „Michael Kohlhaas“ von Heinrich von Kleist. Ich würde den Film heute sehr, sehr gerne noch mal drehen. Ich bin daran geschei­tert. Es kann sehr, sehr schwer sein, einen Roman zu verfilmen, den man sehr liebt und es ist eine Geschichte und es sind Personen, die man unbedingt erzählen möchte, und es gelingt einem trotzdem nicht, die auf der Leinwand zum Leben zu erwecken. Man muss ja sehr viel von sich selbst zurück nehmen. Man muss sich ja irgendwie in den Dienst des Autors stellen, man muss dem Buch nach­spüren: warum und wieso hat er das gemacht und das ist wie so eine Explo­ra­tion, eine Entde­ckungs­reise, oft hat man dann beim Schreiben des Drehbuchs, aber auch ganz besonders beim Proben mit den Schau­spie­lern magische Momente, wo bei allen plötzlich sich die Härchen aufstellen und Gänsehaut auftritt, weil eine Sache ganz besonders intensiv plötzlich vibriert. Und oft sind das dann Szenen, die den Autor des Romans ursprüng­lich überhaupt dazu gebracht haben, das Buch zu schreiben. Also da gibt es ganz, ganz magische Kräfte. Ich bin kein Esote­riker, aber ich hab das oft erlebt, weil ich auch die Gele­gen­heit hatte, ob das jetzt Arthur Miller war oder mit Heinrich Böll, mit Max Frisch, mit Grass, mit vielen Autoren darüber zu sprechen über diese merk­wür­digen Wege in der Krea­ti­vität. Ich meine Geschichten gibt es immer wieder dieselben. Arthur Miller hat mir mal gesagt: »Alle Geschichten sind im alten Testament aufge­schrieben und das waren profes­sio­nelle Rabbis, da musste [man] nichts dran verbes­sern, die muss man nur jedes Mal wieder anders erzählen. Dieses „anders erzählen“, die immer selbe Erfah­rungen, die Menschen immer wieder machen, die neu so zu erzählen als wär es zum ersten Mal zu beleben, das ist Lite­ra­tur­ver­fil­mung. Und ich kann mir vorstellen, nichts anderes ist auch die Verfil­mung von einem Origi­nal­stoff.«

Schnelle: Jetzt ist aber dann doch manchmal der Schrift­steller im Weg. Der ist dann wirklich da. Sie haben ja mit den beiden großen deutschen Schrift­stel­lern Heinrich Böll und Günter Grass zusammen gear­beitet. Wie ist das denn dann so: Mit denen muss man ja auch arbeiten an ihrem Stoff. Ist das nicht dann doch etwas schwierig, weil man an ihren Babys rumdok­tert?

Schlön­dorff: Also mir ist immer leichter gefallen mit den lebenden Schrift­stel­lern auszu­kommen als mit den toten. Musil, sagen wir mal: Das ist gerade noch so gut gegangen, mit wie gesagt, Proust und Kleist würde ich sagen, bin ich weit­ge­hend geschei­tert. Nein, wenn man einem lebenden Schrift­steller gegenüber sitzt und der auch anerkennt, dass ein Film etwas anderes ist als ein Buch und dass der Film ja nicht das Buch ersetzen soll, sondern dass das eben in einem anderen Medium neu erzählt wird. Dann sind die Schrift­steller meistens sehr offen zu einer Zusam­men­ar­beit, also sehr offen auch, Sachen zu ändern, im Gegenteil: Die wollen immer viel zu viel ändern! Die möchten im Grunde ihr Buch neu schreiben und umschreiben. Sie sind aber auch sehr auskunfts­willig, also man kann sie fragen, zum Beispiel bei Max Frisch, das war sehr, sehr spannend heraus­zu­be­kommen: Wie war das denn bei dem Homo Faber? Kurz vor dem Ausbruch des Krieges, diese Frau, die Sie da geliebt haben? Gab’s die denn in Ihrem Leben? Oder warum spielt das denn in Süda­me­rika? Und dann sagt er: »Naja, ich hatte gerade eine Süda­me­rika-Reise gemacht und wollte erzählen, was ich erlebt hab bei denen zu Hause.« – »Ach so einfach ist das. Ja wo kommt denn dann die Tochter her, die Sabet plötzlich?« Sagt er: »Ja der Pfer­de­schwanz von Frauke Wirrkopf ist plötzlich auf dem Schiffs­deck aufge­taucht und da hab ich gedacht, jetzt ist das Buch verbatzt, weil das läuft auf einen Inzest hinaus und den kann ich nicht erzählen.« Also da hab ich auf einmal gemerkt, der hat beim Schreiben seines Buches dieselben Probleme wie wir beim Schreiben eines Dreh­bu­ches haben. Also immer wieder über­rascht werden von dem eigenen Personal. Auf der Ebene ist es sehr, sehr hilfreich mit den Schrift­stel­lern zu sprechen. Am Extremsten war das mit Arthur Miller. Nun gut, der ist Dramaturg und der kam auch immer zu den Proben und zu den Dreh­ar­beiten und stand hinter mir und ich hab mich oft zu ihm umgedreht und gefragt: „Arthur, wie ist das? Wie sieht das aus?“, weil ich die Angst über­wunden hatte. Die Angst, die ich bei Günter Grass noch hatte. Der kam ein einziges Mal an einen Drehort von der Blech­trommel und ich war so einge­schüch­tert, dass der mir über die Schulter schaute, dass ich den ganzen Drehtag versaut hab und musste nachdem er abgereist war – eine Woche später – den Tag noch mal wieder nach­drehen. Also es gibt da viele Bezie­hungen, es ist jeden­falls immer sehr, sehr spannend.

Schnelle: Wieso ist es eigent­lich nicht zu dem geplanten zweiten Teil der Blech­trommel gekommen? Die Blech­trommel, das ist ja der Film, mit dem Sie bei den meisten Menschen immer noch immer wieder verbunden werden, war auch ein großer Erfolg mit der goldenen Palme und dann dem Oscar und dann würde man so als Laie doch sagen: »Naja, dann machen die doch bestimmt schnell Teil Zwei«.

Schlön­dorff: Der zweite Teil war auch nicht nur geplant, sondern war ein festes Verspre­chen, was ich Günter Grass gegeben hab, weil er glaubt nicht an die Theorie von der Stunde Null, das heißt 1945 hat nicht eine deutsche Welt aufgehört und eine andere ange­fangen, sondern es waren die selben Menschen, die weiter gelebt haben in der gleichen Gesell­schaft und deshalb musste ich ihm verspre­chen, der Teil von 1945 bis dann im Grunde zum Wirt­schafts­wunder und noch so weiter, den werden wir eines Tages machen und zwar dann, wenn unser Haupt­dar­steller David Bennent ungefähr dreißig Jahre alt ist. Fünfzehn Jahre nachdem wir den ersten Teil gemacht hatten wär es dann soweit gewesen eigent­lich die Fort­set­zung mit dem gleichen Darsteller zu erzählen. Und wir haben auch viele Dreh­bücher geschrieben und immer kam etwas dazwi­schen: Einmal gab es dafür keine Finan­zie­rung, weil der zweite Teil galt eben als nicht so gut wie der erste Teil, dann wollte der David Bennent partout diese Rolle nicht mehr spielen. Der wollte sich frei machen von diesem Gnom, der wollte jetzt nicht nach dem Krieg das bucklige Männlein spielen und auf einmal war die Zeit vorbei. Das passiert auch. Ich denke sogar heute noch dran, warum nicht eigent­lich das Fort­schreiben bis sagen wir mal, bis zum Fall der Mauer?

Schnelle: Mit Böll haben Sie ja Die verlorene Ehre der Katharina Blum gemacht. Das war ja so eine Zeit, wo Sie sich sehr, sehr politisch einge­mischt haben, wie eigent­lich die ganze Szene der deutschen Filme­ma­cher.

Schlön­dorff: Es wäre auch sonst nie zu dem Film gekommen. Ich hab Heinrich Böll kennen­ge­lernt, weil wir wollten, also Margarita von Trotta und ich das „Grup­pen­bild mit Dame“ machen, also im Grunde die Zeit, auf die ich gerade ange­spielt hab auch von dem zweiten Teil der Blech­trommel, nämlich die Zeit, die ich bewusst erlebt habe. Meine erste Erin­ne­rung ist 1945 so ungefähr diese Nach­kriegs­zeit und der Wieder­aufbau und das wäre mit „Grup­pen­bild“ wunderbar gewesen, wir hatten eine Option und wir haben nie das Geld dafür zusammen bekommen. Es gab leider in Deutsch­land überhaupt kein Interesse daran und dann hat Böll mich, mir eines Tages die Fahnen zu „Katharina Blum“ geschickt, zu einer Zeit als er sehr ange­griffen wurde als der angeblich geistige Vater der Bader-Meinhof-Bande, geistige Vater der Gewalt und das Buch hat ja auch den Unter­titel „Wie Gewalt entsteht und wohin sie führen kann“. Das war also seine Antwort, seine sehr pole­mi­sche Antwort und wir waren, ich war damals auch sehr engagiert über die Rote Hilfe, über die Haft­be­din­gungen der inzwi­schen ja fest­ge­nom­menen RAF-Leute, Baader-Meinhof-Leute und dass es ne völlig natür­liche Arbeit war, die es auch irgendwie, weiß gar nicht wie, wie in Trance so ganz schnell hinge­dreht, gedreht, zustande gekommen ist. Das war als ob man nur ein Medium ist und eigent­lich diktiert einem die Gesell­schaft drum herum den Film, den man zu machen hat und so wurde er einem dann auch vom Publikum aus der Hand gerissen. Das lag einfach damals in der Luft, das war so etwas, was in dem Moment sein musste.

Schnelle: Und Sie haben ja noch quasi noch mal einmal, auf diese ganze Stoff­gruppe zurück­ge­griffen in dem Film Die Stille nach dem Schuss, den Sie mit Wolfgang Kohlhaase, dem DEFA-Drama­turgen und Dreh­buch­autor geschrieben haben. Das war so etwas wie eine Abrundung dieser Geschichten?

Schlön­dorff: Ich bin aus New York zurück­ge­kommen nach dem Fall der Mauer, weil ich dachte, jetzt werden in Berlin die Stoffe auf der Straße liegen, wenn hier die zwei Gesell­schafts­sys­teme aufein­ander knallen. Und hab sehr schnell den Wolfgang Kohlhaase kennen­ge­lernt, der für Konrad Wolf und viele andere, Solo Sunny, die Dreh­bücher geschrieben hat und wir haben gemeinsam gesagt, machen wir doch einen Ost-West-Film. Die erste Geschichte, auf die wir gestoßen sind, das waren eben diese elf Terro­risten aus dem Westen, die in der DDR Unter­schlupf gefunden hatten und das war natürlich für mich noch mal die „Katharina Blum“ zwanzig Jahre später: Was aus ihr geworden ist und eigent­lich ein Abgesang auf diese Utopie.

Schnelle: Mich hat in dem Buch sehr beein­druckt, wie ehrlich Sie zu sich selber sind, also eine Passage werd ich vorlesen: »Gnadenlos die Kritik mäßigt der Besuch am schlimmsten der Trost, der Freunde.« Es handelt sich dabei um Eine Liebe von Swann. Wie ist das im Leben eines Filme­ma­chers? Wenn er das Gefühl hat: Dieser Film war ein Miss­erfolg. Traut man sich dann erstmal eine ganze Weile nichts zu?

Schlön­dorff: Erstmal muss man sich vorstellen, man wäre Architekt und man baut ein Haus und es stürzt ein. Oder man ist Arzt und macht eine Operation – Exitus, der Patient stirbt. Man hat doch eine enorme Verant­wor­tung einer­seits für das Geld, das ausge­geben wird und ande­rer­seits auch als Künstler dem Werk gegenüber. Da im letzten Fall, also Proust, Marcel Proust immerhin, Eine Liebe von Swann. Und dann geht man mit sich ins Gericht aber vor allen Dingen versucht man auch zu analy­sieren, auch im Gespräch mit anderen: Was ist schief gegangen? Wo haben wir den Fehler gemacht? Lag es an der Statik oder war nicht genug Mörtel zwischen den Steinen? Oder waren es die Personen oder hast du überhaupt gar nicht begriffen, worum’s da ging? Hat dir die Erfahrung aus dem eigenen Leben gefehlt um das richtig zu erzählen? Zum Beispiel mein großer Freund Billy Wilder, der hat noch Jahr­zehnte, nachdem er Filme wie „Kiss me stupid“ oder „Reporter des Satans“ gemacht hatte, die Pleiten waren, mit mir Abende disku­tiert, wo wohl der Fehler lag. Wir sind ja da alle immer wieder neugierig und es ist nicht alles zu erklären. Man kann weder alle Erfolge erklären, noch kann man alle Nieder­lagen erklären. Oft liegt’s auch gar nicht am Film, sondern an den Zeit­um­s­tänden, weshalb der eine Film plötzlich ein Erfolg ist und der andere ein Miss­erfolg.

Schnelle: Das ändert sich auch im Laufe der Zeit. Also die beiden Filme...

Schlön­dorff: Ja rück­bli­ckend gibt es, kann man plötzlich, wird ein Film wieder gerecht­fer­tigt.

Schnelle: Ja mir gefällt zum Beispiel Eine Liebe von Swann auch und die beiden....

Schlön­dorff: Ich hab ihn vorges­tern wieder gesehen, weil ich für die DVD die Licht­be­stim­mungen anschauen musste, also die Farb- und Licht­ge­stal­tung und hab mich immer wieder gekniffen, hab immer gedacht, ja ist doch gar nicht so schlecht, ist sogar richtig gut!

Schnelle: Ja und die beiden Billy Wilder-Filme, die sie nannten, die gelten als Meis­ter­werke.

Schlön­dorff: Ja es sind auch absolute Meis­ter­werke. Aber es gibt eben eine perma­nente Beschäf­ti­gung, die man damit hat- immer wieder, es reißt nicht ab. Und es ist eben auch in dem Buch. Ich wollte nun nicht nur unun­ter­bro­chen die Filme analy­sieren, das langweilt ja auch, das ist für mich selbst wichtig. Aber ich wollte immer wieder die Beziehung zum eigenen Leben herstellen und das ist eigent­lich sagen wir mal das Neue! Die Filme sind ja bekannt, aber die Bezie­hungen, die sich da ergeben und die eigent­lich dann auch erst die Antwort geben können ob ein Film gelungen oder miss­lungen ist.

Schnelle: Sie kommen ja eigent­lich aus einer unge­wöhn­li­chen Richtung, Sie kamen nämlich aus Frank­reich und haben da das Handwerk gelernt, haben da auch Ihre Schulzeit verbracht in einem Internat. Sie waren ja auch viel erfah­rener als die anderen Filme­ma­cher des „Jungen deutschen Films“ die sich noch alles selber beibrachten und Sie hatten ja schon mit großen Regis­seuren gear­beitet, mit Louis Malle und Jean-Pierre Melville zum Beispiel.

Schlön­dorff: Im Gegensatz zu heute, das kann man sich gar nicht mehr vorstellen so Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre gab’s ja in Deutsch­land weder Film­schulen noch überhaupt Film­pro­du­zenten oder Regis­seure, die sich um Nachwuchs gekümmert hätten. Das waren eben Routine-Produk­tionen „Papas Kino“ und das war’s und davor war ich ja nach Frank­reich geflohen schon mit der geheimen Absicht, viel­leicht schaffst du’s ja irgendwie zum Film zu kommen. Nachdem ich mich genügend umtriebig verhalten hab, bin ich also tatsäch­lich mit Regis­seuren zusammen gekommen, mal mit Mèlville und mal mit Malle vor allen Dingen. Habe viele Filme als Regie-Assistent gemacht, war zum Schluss ein richtiger Profi als Regie-Assistent und als ich dann meinen ersten Film machen wollte, haben die gesagt: Ne, ne, ne! Nicht hier in Frank­reich! Geh du mal schön zurück nach Deutsch­land. Wir haben genug eigene Regis­seure, wir wollen jetzt mal, dass du uns deine Geschichten, also deutsche Geschichten erzählst. Und mit diesem Ansatz kam ich nach München mitten­rein in eine Szene, die gerade im Entstehen war mit Alexander Kluge, Peter und Ulrich Schamoni, mit Werner Herzog, Straub war schon da, mit Danièle Huillet und plötzlich bin ich zwar von außen gekommen, aber wir hatten alle den gleichen Ansatz: Wir wollten Filme machen, die deutsche Geschichten in unserer deutschen Wirk­lich­keit und Gesell­schaft erzählen und als genügend kritische Masse beisammen war, ist dann der Funke geflogen und es plötzlich gab es den „Jungen deutschen Film“.

Schnelle: Meine Lieb­lings­figur in ihrem Buch ist ja ein Pater, der „Pater Picasso“, bei dem Sie im Internat, im Jesuiten-Internat waren und der ist so eine Figur, die so richtig lebendig ist und die Sie doch auch eigent­lich so ein bisschen in diese Richtung geschubst hat.

Schlön­dorff: Wenn Sie das jetzt sagen, dann bedaure ich sehr, dass ich nicht doch eine Zeichnung im Buch hab, ich hab ja viele Fotos drin, es gibt zum Beispiel eine wunder­bare Karikatur von Kalder diesen Pater Picasso, der war tatsäch­lich ein sehr, sehr kunst­sin­niger und aber auch sehr poli­ti­scher Jesuit, der in der Résis­tance war, wovon er nie gespro­chen hatte, aber der gleich nach dem Krieg sich um Flücht­lings­lager in Deutsch­land gekümmert hat, der dadurch deutsch sprach. Und als ich nun als Deutscher dann auf das Internat kam, wurde ich ihm zugeteilt. Eine glück­liche Fügung, denn er war auch Leiter unseres Film- und Thea­ter­klubs und dann hat er mich erstmal in die Thea­ter­gruppe gesteckt. Ich konnte kein Wort fran­zö­sisch, hat mit eine kleine Rolle in irgend­einem Stück gegeben. Da musste ich halt diese zehn Sätze aus diesem Stück auswendig lernen, die hab ich dann wie bei Ionesco überall wo ich konnte ange­bracht. Dann hab ich zum ersten Mal einen Stummfilm gesehen, da auf seinem 16mm-Projektor und das war die Jeanne d’Arc von Dreyer, die unglaub­li­chen Groß­auf­nahmen von Falco­netti, wie ihr die Haare geschoren werden und wer noch ergrif­fener war als ich, das war dieser Pater Picasso, wie wir ihn nannten, dem also buchs­täb­lich bei jedem Mal wieder die Tränen übers Gesicht liefen und da hab ich auf einmal gemerkt: Kunst, das ist ja nicht nur die Oper in Wiesbaden war so verschrie­bener Kultur­ge­nuss, sondern das ist ja etwas, was einen wirklich an Bauch und an die Nieren gehen kann. Und der hat dann als er meine eigene Begeis­te­rung für Film spürte, mir praktisch gesagt »Ja dann musst du auch Film machen, dann darfst du jetzt nicht Medizin oder Jura studieren, du musst das ernst nehmen, was du da in dir spürst«. Einen solchen Rat hätte mir bestimmt kein Lehrer auf unserem Gymnasium in Wiesbaden gegeben und dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Schnelle: Es gibt noch eine bewegende Geschichte, in der Sie sehr ehrlich davon berichten, wie Sie so eine Art Doppel­leben auf zwei Konti­nenten geführt haben, was schließ­lich zur schmerz­li­chen Trennung von Marga­rethe von Trotta führte. Also ich möchte Ihnen dazu gratu­lieren, da es wie Max Frisch also mit solchen Verir­rungen, Wirrungen des Lebens so umgeht. Das hat mir sehr gut gefallen. Das fand ich richtig spannend und es ist auch irgendwie auch ein Film.

Schlön­dorff: Der Hinweis auf Max Frisch ist sehr richtig. Ich glaub ich hätte das nicht bewäl­tigen können, also nicht aufschreiben können, wenn ich nicht mit Max Frisch so intensiv an dem Homo Faber gear­beitet hätte. Ich hab ihm zwar also meine eigene, mein 47. Lebens­jahr, in dem so alles drüber und drunter ging, nicht erzählt. Übrigens war das zwar eine schmerz­hafte Trennung, aber aufgrund einer großen Liebe, also das war ja auch etwas sehr, sehr Schönes und da hab ich natürlich kaum je mit jemandem drüber gespro­chen. Und wie gesagt in New York hatte ich ein Leben, in München hatte ich ein anderes und irgend­wann hatte ich dann gar keins mehr. Das war für mich auch übrigens einer der Gründe, warum ich das Buch geschrieben habe. Ich wollte damit irgendwie fertig werden und ich hab diese Kapitel auch viele, viel Male wieder neu geschrieben. Das ist nicht leicht in den Griff zu bekommen, das wirkt entweder weiner­lich oder anklä­ge­risch. Es betrifft ja auch lebende Menschen, auf die man Rücksicht nehmen muss. Also danach hab ich mich nach dem nächsten Film gesehnt, aber bitte nicht über meine eigene Geschichte.

Schnelle: Jetzt sind Sie ja, wie Sie so schön beschreiben, in einem märki­schen Sand gelandet, da gab’s noch ein Inter­mezzo, auf das ich kurz eingehen möchte, nämlich als Manager in Babels­berg. War das für Sie – strich-drunter-ziehend – ein Erfolg oder eine Belastung?

Schlön­dorff: Die Jahre als Manager, das war mir ja nicht an der Wiege gesungen worden. Das war ein furcht­bares Joch, ein furcht­bare Belastung. Ich hab es jahrelang auch als einen großen Irrtum betrachtet und erst heute, fünfzehn Jahre später, wo ich sehe, dass das Studio lebt und blüht und zwar nur aufgrund des Einsatzes, den wir damals geleistet haben, finde ich mich nach­träg­lich gerecht­fer­tigt, aber natürlich ein Film­re­gis­seur sollte Filme machen und sollte nicht Manager und Geschäfts­mann werden.

Unter dem Titel „Licht, Schatten und Bewegung“ veröf­fent­lichte Volker Schlön­dorff jetzt seine Memoiren – recht­zeitig vor seinem 70. Geburtstag im kommenden Jahr.