11.06.2015

»The Working Class Can Kiss My Ass«

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Worst Case Scenario (2001–2003 | 8 min | digital)

UNDERDOX geht im 10. Jahr seines Bestehens in den nächsten zwei Tagen wieder in die Halbzeit. Sein Artist-in-Focus-Programm widmet es traditionell einem herausragenden Künstler der Avantgarde-Szene, letztes Jahr war es der Begründer des strukturellen Films, Michael Snow, vor zwei Jahren hielt der Experimentalfilm-Meister Peter Kubelka eine Lecture mit seinen Filmen. Dieses Jahr zeigt UNDERDOX zu seiner Halbzeit Filme des britischen Avantgarde-Künstlers John Smith

Von Dunja Bialas

Auch dieses Jahr steht wieder eine Lecture auf dem Programm. Zu Gast ist der 1952 in East London geborene britische Künstler John Smith.
Smith ist einer der bedeu­tendsten Vertreter der zeit­genös­si­schen Filma­vant­garde und gilt als exzen­tri­scher und humor­voller Filme­ma­cher. Seine expe­ri­men­tellen Filme sind voller Bild- und Sprach­witz, dabei rätsel­haft, scharf­sinnig und ironisch verspielt. Der 1976 entstan­dene Genie­streich The Girl Chewing Gum erlangte Kult­status und steht am Anfang eines viel­sei­tigen Film­schaf­fens, das glei­cher­maßen im Kontext von Kino und Museum gezeigt wird.
Seine Arbeiten sind oftmals filmische Vexier­bilder, in denen sich das Verhältnis von Filmbild und Regie, Fakt und Fiktion verkehrt. Unge­wöhn­lich für einen Expe­ri­men­tal­filmer verleiht John Smith seinen Film­mi­nia­turen auch eine poli­ti­sche Dimension. In der über mehrere Jahre hinweg gedrehten Hotel­zimmer-Serie kommen­tiert er, ausgehend von persön­li­chen Erleb­nissen, das tages­po­li­ti­sche Welt­ge­schehen – mit briti­scher Zurück­hal­tung, schwarzem Humor und einer guten Portion Selbst­ironie. John Smith ist Preis­träger des Paul Hamlyn Foun­da­tion Award for Artists und des Film London Jarman Award 2013.

Hier wurde John Smith geboren und lebt heute noch: Im Stadtteil East London. In der ersten Lecture der UNDERDOX Halbzeit sind Filme zu sehen, die John Smith in seiner Heimat reali­siert hat. East London war in den 1970er und 80er Jahren ein reges Arbeiter- und Künst­ler­viertel, mit der Galerie ACME als Epizen­trum der Avant­garde. Heute ist East London, wie alle pulsie­renden Orte, von der Gentri­fi­zie­rung heim­ge­sucht. Umso wert­voller, dass viele der Kurzfilme von John Smith in East London spielen. (East London Spectres, Donnerstag, 11.06., 19 Uhr, Film­mu­seum München)

Die zweite Lecture zur UNDERDOX Halbzeit steht unter dem Titel The Working Class Can Kiss My Ass. Er verdankt sich einem Lied, das der Vater von John Smith immer pfiff, während er malte, und steht in program­ma­ti­scher Weise für die poli­ti­schen Filme John Smiths, die er auf seinen Reisen machte und die mit seinem briti­schen Humor pikant gewürzt sind. Seine berühmten Tage­buch­filme Hotel Diaries entstanden während seiner Reisen und Aufent­halten bei Festivals und Ausstel­lungen. John Smith wagt den Blick aus dem Fenster und wendet sich dem Welt­ge­schehen zu. Seine selbst­ge­spro­chenen Kommen­tare reflek­tieren die Komplex­heit, aber auch die seltsame Einfach­heit des Lebens. (The Working Class Can Kiss My Ass, Freitag, 11.06., 18.30 Uhr, Film­mu­seum München)

Die Autorin Dunja Bialas ist Mitbe­grün­derin und Co-Leiterin des UNDERDOX Festivals.