27.11.2014

Ernst & Politik

Two at the Border
Bestimmte den Tenor des Festivals: Two at the Border

Vom 16. – 22. November fand in München das »Internationale Filmfest der Filmhochschulen« statt. Und wie jedes Jahr gab es auch diesmal eine eindeutige Tendenz: der filmische Nachwuchs widmet sich zunehmend ernsten und politischen Themen. Krieg, Flucht, Migration und Illegalität spielen in vielen der rund 50 gezeigten Filme eine große Rolle.

Von Anna Steinbauer

Eigent­lich wollten die zwei HFF-Studenten einen Film über Flücht­linge an der Grenze nach Europa machen. Heraus­ge­kommen ist ein berüh­render Doku­men­tar­film über einen Syrer und einen Paläs­ti­nenser, die zwischen der Türkei und Grie­chen­land illegal Menschen schleusen. Two at the Border heißt der Beitrag von Tuna Kaptan und Felicitas Sonvilla, der das dies­jäh­rige Filmfest der Film­hoch­schulen eröffnete. Die eindrucks­vollen Bilder von Grenz­zäunen, Patrouillen und Wärme­bil­dern schwanken abwech­selnd zwischen Hoffnung und Frus­tra­tion – ganz wie ihre Prot­ago­nisten. Dazwi­schen das trostlose Hotel­zimmer, in dem die beiden Männer oft tagelang warten. Auf den Einbruch der Nacht, auf Nachricht von drüben, auf Verän­de­rung. Ein raffi­nierter Perspek­ti­ven­wechsel zeigt die beiden Schleuser, die eigent­lich selbst Flücht­linge sind.

Das Werk der beiden Nach­wuchs­re­gis­seure bestimmt den Tenor des Festivals: Der filmische Nachwuchs widmet sich zunehmend ernsten und poli­ti­schen Themen. Krieg, Flucht, Migration und Ille­ga­lität spielen in vielen der rund 50 gezeigten Filme eine große Rolle. Das betrifft das Welt­ge­schehen mit seinen unter­schied­li­chen Krisen­herden wie Israel und Syrien, aber auch die Kämpfe und Probleme im Mikro­kosmos Familie. Unter dem eher nichts­sa­genden Motto »Expect the unex­pected« stellten junge inter­na­tio­nale Filme­ma­cher von 37 Hoch­schulen aus 22 Ländern ihre Beiträge vor, die vom 16.-22. November wie jedes Jahr im Münchner Film­mu­seum zu sehen waren. Zusammen mit ihren Schöpfern, die von überall her anreisten, um sich nach dem jewei­ligen Screening kurz über ihr Werk befragen zu lassen. Ein paar Beson­der­heiten gab es auch diesmal: ein Film­bei­trag aus Monte­negro, das als Land zum ersten Mal seit seiner Unab­hän­gig­keit 2006 auf dem Festival vertreten war. Und die Verfil­mung einer Kurz­ge­schichte von Stephen King, ein „0ne-Dollar-Baby“ des ameri­ka­ni­schen Horror­au­tors. Für einen Dollar erwarb Johanna Thalmann die Rechte für die Geschichte, auf der ihr gruse­liger Roadmovie Mute basiert.

Grausame Schick­sale und die schreck­li­chen Folgen von Krieg und Ausnah­me­zu­stand standen im Vorder­grund vieler Filme. Children of God, ein Spielfilm von Ahmed Yassin von der London Film School, zeigt den Alltag des Kriegs­krüp­pel­kindes Amir, der während des Irak­krieges seine Beine verloren hat und nun im Rollstuhl sitzt. Der etwas linkische Junge lässt sich trotz seiner Behin­de­rung nicht davon abhalten, um die Aufmerk­sam­keit von Mariam zu kämpfen, die in seine Klasse geht. Der Film wurde im Irak gedreht und thema­ti­siert sensibel den absurden Kampf um Norma­lität in einer vom Krieg gezeich­neten Gegend. Auch in vier der fünf israe­li­schen Festi­val­bei­träge domi­nieren die Themen Krieg und Armee. The Arrest von Yair Agmon spielt mit der Umkehr der Besatzer-Perspek­tive: Der Film handelt von einem paläs­ti­nen­si­schen Regisseur, der einen Film dreht, um sein Kriegs­trauma zu verar­beiten. In dieser fiktiven Realität tritt die paläs­ti­nen­si­sche Armee als Besatzer auf. In zwei weiteren Filmen aus Israel, Deserted und Poison, geht es bemer­kens­wer­ter­weise um zwei junge Solda­tinnen, die ihre Gewehre verlieren. Beide Werke beleuchten die weibliche Perspek­tive auf die Armee, in der auch die israe­li­schen Frauen dienen müssen. In Deserted, der auch mit dem Prix Inter­cul­turel für Verdienste um den inter­kul­tu­rellen Dialog ausge­zeichnet wurde, vergisst die Haupt­figur bei einem Orien­tie­rungs­marsch durch die Wüste ihr Gewehr am Rastplatz. Getrieben von dem wahn­sin­nigen Druck, die Aufgabe in der vorge­ge­benen Zeit zu erfüllen, nimmt sie die Hilfe eines Beduinen in Anspruch, der auf grausame Weise ihrem Ehrgeiz zum Opfer fällt. Auch in Poisin, der junge Solda­tinnen während ihrer Offi­ziers­aus­bil­dung zeigt, legt die 18-jährige Chen in einer Schlüs­sel­szene ihre Waffe für einen kurzen Moment aus der Hand, um etwas zu essen. Fata­ler­weise erwischt sie in dieser Situation ihr Ausbilder – es gehört zu den Grund­pflichten, das Gewehr stets bei sich zu tragen. Der Konflikt entpuppt sich in beiden Filmen über eine fehlende Iden­ti­fi­ka­tion mit der Waffe, mit der das Land vertei­digt und der Feind erschossen werden soll. Die israe­li­sche Film­wis­sen­schaft­lerin Noa Regev, dies­jäh­riges Jury­mit­glied des Filmfests, sieht das verlorene Gewehr als Symbol für die Hoffnung der jungen israe­li­schen Filme­ma­cher: »Viel­leicht ist das ein Ausdruck dessen, was die junge Gene­ra­tion möchte: Die Waffen ablegen. Ich kann nicht für die Filme­ma­cher sprechen, aber viel­leicht spricht daraus auch ein Wunsch. In vielen israe­li­schen Filmen geht es um Krieg. Man muss beachten, dass nicht wenige der jungen Regis­seure direkt aus der Armee kommen. Manche sind stark trau­ma­ti­siert.«

Der Wunsch nach Verän­de­rung treibt auch Pablo, die Haupt­figur aus dem dies­jäh­rigen Gewinner-Film Burund­anga an, der seine Heimat verlassen will, weil er dort keine Zukunfts­per­spek­tive sieht. Der fran­zö­si­sche Kurzfilm von Anais Ruales spielt in einer südame­ri­ka­ni­schen Klein­stadt, in der Verbre­chen und Überfälle mithilfe der Droge Burund­anga geschehen, die die Leute beim geringsten Kontakt mit dem weißen Pulver gefügig macht. Doch auch familiäre Struk­turen, Gene­ra­tio­nen­pro­bleme und schwie­rige Paar­be­zie­hungen spielten in vielen Film­bei­trägen wie Sunday Dinner with the Morgans oder Sunny im Fokus. Sunny erzählt von dem jungen arbeits­losen Hajo, der sich mit Vater­rolle und Verant­wor­tung nicht recht arran­gieren kann und sein Leben neu struk­tu­rieren muss. Der Festi­val­bei­trag der Film­aka­demie Baden-Würt­tem­berg wurde mit zwei Preisen ausge­zeichnet: Regis­seurin und Dreh­buch­au­torin Barbara Ott erhielt den Luggi-Wald­leitner-Preis für das beste Drehbuch und Kame­ra­mann Falko Lachmund den Student Camera Award. Das Filmfest der Film­hoch­schulen ist für die Nach­wuchs­re­gis­seure eine gute Gele­gen­heit, sich zu vernetzen und sich gegen­seitig über die doch sehr unter­schied­li­chen Filme auszu­tau­schen. »Ein Studen­ten­film ist so etwas wie eine Visi­ten­karte.«, sagt Jury­mit­glied Regev. »Aber es ist auch eine Chance für junge Künstler, sich auszu­pro­bieren und das zu machen, was sie wollen.«