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29.06.2008
 
 
     

26. Filmfest München 2008
BEAUTIFUL COUNTRY (BIUTIFUL CAUNTRI)
Das langsame Töten
Informationen zum Film

 
Recycling auf Italienisch:
Aus diesen Dosen wird mal Mozzarella
 
 
 
 
 

Wir befinden uns auf einem Fabrikgelände im Süden Italiens. Die über Jahre geduldete Verschmutzung durch die unsachgemäße Entsorgung und Lagerung des Giftmülls hat ihre Spuren hinterlassen. Mit toxischen Flüssigkeiten gefüllte Metallfässer stehen einfach so auf dem Fabrikhof herum. Seit Jahren sind sie Wind und Wetter ausgesetzt. Sie rosten vor sich hin, manche sind undicht geworden, setzen giftige Dämpfe frei, Flüssigkeiten sickern in den Boden. Undurchsichtige schwarze Gifttümpel sind entstanden, aus denen die gefährlichen Substanzen in das Grundwasser gelangen.

Ist das normal? Ist dies die alltägliche Giftmüllentsorgung in dem Land Berlusconis geworden? - Diesen Fragen geht der italienische Dokumentarfilm BIÙTIFUL CAUNTRI nach. Begleitet wird der Umweltschützer Rafaele del Giudice, der zahllose illegale Mülldeponien aufgedeckt hat und nun versucht, die Politiker zum Handeln zu bewegen. Die Verantwortlichen aber, die jahrelang das Problem nicht sehen wollten und dies auch nicht sollten, und positive Gesundheitszeugnisse ausgestellt haben, äußern sich nicht.

BIÙTIFUL CAUNTRI wurde im Dezember auf dem Festival in Turin vorgestellt und nun auch in München auf dem Filmfest gezeigt. Seit der Aufführung in Turin reißen sich die ausländischen Fernsehsender um die Rechte an dem Film, unter anderen auch die ARD. Das italienische Fernsehen hingegen ignoriert ihn. Die Aufdeckung der Giftgrube wird als eine Beleidigung mehr empfunden, denen Italien sich ausgesetzt sieht. Eine davon ist auch die Müllkrise, die Anfang des Jahres eskalierte und die Italien eine unrühmliche Berichterstattung in den internationalen Medien über die Tonnen an Müll, die sich in den Straßen von Neapel und Umgebung angesammelt hatten, verschaffte.

Wie uns der Film enthüllt, ist dies allerdings kein plötzlicher Notstand, das Problem existiert seit 15 Jahren und sowohl Politik, Wirtschaft, und die öffentliche Gesundheit sind davon betroffen. Aus dem Müllskandal ist mittlerweile eine regelrechte Umweltkatastrophe geworden. Selbst die EU rügte Italiens Regierung: 4866 illegale Müllhalden wurden registriert, über die wahre Ziffer lassen sich nur Vermutungen anstellen. Am schlimmsten betroffen ist die Region Campania. Früher galt sie als der grüne Gürtel Italiens, aufgrund ihrer Artenvielfalt und den Naturreservaten, in denen die Wasserbüffel leben, die die Milch zum wichtigen Mozzarella liefern. Die Anwohner lebten hauptsächlich von Landwirtschaft und Viehzucht.
Heute ist die Region eine einzige große Müllhalde. Eine Firma wurde mit der Lösung des Müllproblems beauftragt. Sie wickelte die Abfälle in Folie, verpackte sie zu sogenannten Ökoballen, die angeblich leichter zu verbrennen sind. Seit 2003 sind die großen Verbrennungsanlagen in Bau, eine Fertigstellung ist nicht in Sicht, und die fertigen Müllpacken stapeln sich auf vielen tausend Quadratmetern ungeschützt im Freien.

Fälle wie diese gibt es viele. Da wurden in einem Krisenjahr schon mal 15 Millionen Lire täglich für ein Grundstück gezahlt, um dort Müll zu lagern. Das waren fast noch die besseren Zeiten. Heute wird schon lange kein Geld mehr gezahlt, dafür wachsen immer mehr illegale Mülldeponien aus dem Boden. Man sieht Lkws, die im freien Feld große Ladungen an Müll abladen, mehrmals täglich. Es ist Problemmüll, Giftmüll aus den Fabriken im Norden Italiens, die viel Geld für die Entsorgung bezahlen. Dieser Müll wird direkt neben Obstplantagen, Erdbeer- oder Tomatenfeldern abgeladen, die von dem verschmutzten Grundwasser gespeist werden. Die Folgen für die Gesundheit spielen in Italien keine Rolle. Das Geschäft mit dem Müll ist vielmehr äußerst lukrativ. Es ist ein schmutziges Geschäft auf Kosten der Volksgesundheit, an dem vor allem die Camorra verdient, aber auch Polizei, Militär und Regierung sind wohl daran beteiligt, denn sie unternehmen nichts. Die Feuerwehr kommt nicht, wenn wieder einmal dunkle Rauchwolken in den Himmel ziehen, die von den Autoreifen künden, die Nacht für Nacht an den Rändern der Felder verbrannt werden. Ironisch prangt uns am Straßenrand das Schild entgegen, das das Abladen von Müll verbietet.

Der Film deckt auch Einzelschicksale auf, wie der Fall einer Familie, die von der Schafzucht lebt. Nun sollen die Schafe geschlachtet werden, da eine zu hohe Dosis Dioxin in ihrer Milch festgestellt wurde. Die Tiere sind abgemagert, können sich kaum auf den Beinen halten, die Lämmer sterben an der verseuchten Muttermilch, noch ehe sie groß geworden sind. Bis das Dioxin in der Schafsmilch durch die regionale Untersuchungsbehörde festgestellt wurde, war ein Dreivierteljahr vergangen, in dem die Familie Milch, Käse und das vergiftete Fleisch zum Markt gebracht hat.

Campania weist mittlerweile die höchste Rate an Krebserkrankungen in ganz Italien auf. Doch die Bewohner werden sich selbst überlassen. Das Geschäft mit dem Müll bringt viel Geld, warum sollte man stattdessen teuer in die Sanierung des Bodens investieren? Tausende von vergifteten Schafen müssen zwangsgeschlachtet werden, und der Verdacht drängt sich durch die schockierenden Enthüllungen von Umweltschützer Rafaele del Giudice auf, dass in ähnlich bedenkenloser Weise hier auch mit den Menschen verfahren wird. Ein stilles und langsames Töten hat begonnen, bei dem der Mensch einfach geopfert wird.

Carola Heinrich

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