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26.06.2008
 
 
     

26. Filmfest München 2008
FRIEDLICHE ZEITEN

Der Krieg im Wohnzimmer

Informationen zum Film

 
Waffenruhe auf Zeit?
 
 
 
 
 

Die Nacht ist stockdunkel, Regen pladdert auf die Windschutzscheibe, auf der die hektischen kleinen Scheibenwischer nur für Sekundenbruchteile den Blick freischaufeln. Das Steuer umklammert eine hübsche Frau mit Außenwelle im blonden Haar, neben und hinter ihr hocken drei verstörte Kinder. „Ich halt' das nicht mehr aus, ich fahr jetzt in die Donau“. Und mit einem Blick auf die Tochter neben ihr sagt sie zärtlich: „Keine Angst, ich nehm' Euch mit.“

Die Szene, so schrecklich, so wahrhaftig, so komisch, stammt von Birgit Vanderbeke, sicher eine der grandiosesten deutschsprachigen Erzählerinnen. Mit gekonnt geführtem Skalpell seziert sie liebevoll die Gefühlswelten iherer Charaktere, kriecht unter die Haut von Männern und Frauen, Kindern und Erwachsenen und allen, die dazwischen sind. Neele Vollmar hat aus dem Roman einen Film gemacht: „Friedliche Zeiten“, ein ähnlich irreführendes Etikett wie „Prager Frühling“, vielleicht.

Die Mutter, Irene, so bekommt man schnell mit, hat einen veritablen Hau. Seit ihr Jugendfreund von den einmarschierenden Rotgardisten erschossen wurde -ironischerweise der Sohn des einzigen überzeugten Kommunisten im Dorf - wird sie von Ängsten und Zwängen geplagt. Und nun scheint ihre düsterste Prophezeiung wahr zu werden: Die Russen marschieren mit Panzern in Prag ein, mähen den Frühling nieder. Es ist 1968, und für Irene steht fest: Der Krieg ist zurückgekehrt.

„Doch dann“, sagt Ute, die jüngere Tochter, „brach der Krieg tatsächlich aus“ – und zwar mitten im heimischen Wohnzimmer. Aus dem Perspektive der Kinder, der hübschen blond gelockten Wasa, der etwas jüngern und unscheinbareren Ute und Flori, dem Nesthäkchen, erzählt der Film, was passiert, wenn eine Ehekrise die ganze Familie überrollt.

Vater Dieter, der seine neurotische Frau von Herzen liebt, hat nichtsdestotrotz offenbar eine Affäre. „Die Zweitfrau“ nennen die Kinder die dralle Blondine aus der Buchhaltung. Irgendwann verfestigt sich bei den Mädchen der Gedanke, dass eine Scheidung die Patentlösung wäre – weil Mama denn nicht immer sorgenvoll auf Papa warten muss. Und mit Papa, so haben sie durch die einzigen und somit exotischen Scheidungskinder der Nachbarschaft eruiert, geht man dann sonntags in den Wienerwald. Und so betreiben die herzklopfenden Verschwörer mit kindlicher Logik und perfiden Strategie die weitere Entfremdung der Eltern und hoffen auf eine Trennung, die dem Elend ein Ende setzen möge…

Erstmal mag das überraschen. Spielt die Geschichte doch in den 60ern als eine Scheidung dem gesellschaftlichen Ruin höchst nahe kam. Ute und Wasa aber haben nichts zu verlieren, als Flüchtlinge aus der DDR, zudem noch mit einer heißgeliebten aber durchgeknallten Mutter geschlagen, sind sie ohnehin misstrauisch beäugte Außenseiter – da kommt es nicht mehr so drauf an.

Überhaupt ist dies ein Film vom Anderssein. Das Anderssein als Außenseiter, aber auch von der Verschiedenheit von Menschen generell. Und die Tatsache, dass man die Kluft von einem zum andern überbrücken kann. Anders sind wir alle - lieben kann man sich trotzdem – oder gerade weil. „Gibt's überhaupt eine Sache, in der wir uns ähnlich sind?“, fragt Irene, die zwar einen psychischen Knacks hat aber nicht blöd ist. „Ich hab Heimweh und du hast Sehnsucht dach Amerika. Du gehst gern weg, und ich hab's am liebsten, wenn alle drinnen sind und die Kette vor.“

Die Kette an der Haustür, die sich wie ein trauriger running gag durch den Film zieht, wenn die Mutter wieder einmal von unten zu den daheim bleibenden Kindern am Fenster heraufgestikuliert: „Macht die Kette vor“. Am Schluss, im neuen Eigenheim, Reihenhaus mit blassblauen Badezimmerfliesen, ist die Kette dann plötzlich irgendwie vergessen. Jeden Tag warten die Kinder auf die Montage der Ohnmacht. Jeden Tag, der verstreicht, ohne dass die Mutter zur Tat schreitet, ist ein Versprechen auf Freiheit von der Angst – und auf so was wie Glück.

Nani Fux

FRIEDLICHE ZEITEN
Donnerstag, 26.06., 21:30 Uhr, MaxX 4


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