KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
14.02.2008
 
 
     
Berlinale 2008
Brutale Spiele -
Jugendgewalt in Filmen auf der Berlinale
 
Die Gang als Familie: TRIBU
 
 
 
 
 

Umerziehungslager mit militärischem Drill nach im amerikanischem Vorbild und eine Herabsetzung der Altersgrenze für straffällig gewordene Jugendliche spielten erst letzthin wieder eine so prominente wie populistische Rolle im hessischen Wahlkampf. Mit neuen Skandalen taucht die Ursache der Diskussion zyklisch in den Schlagzeilen auf, von Gewalt an der Rütli-Schule bis zu brutalen Übergriffen in der Münchner U-Bahn. Und Deutschland stellt dann immer wieder überrascht fest: Auch bei uns gibt es Ghettos. Im Programm der Berlinale beschäftigen sich einige Filme mit jugendlicher Gewaltbereitschaft. In den Elendsvierteln der Welt wird diese als Überlebensprogramm praktisch schon in die Wiege gelegt.

Eindrucksvoll zeigt das etwa der aus der Perspektive eines Jungen erzählte philippinische Forums-Beitrag TRIBU. Ganz selbstverständlich wird der Zehnjährige in die Rituale, Rivalitäten einer Gang in Manila und schließlich in einen blutigen Bandenkrieg mit einbezogen. Die Gang ist seine Familie. Um seine Mutter kümmert er sich – nicht sie sich um ihn. Die Gleichgültigkeit oder Abwesenheit der Eltern haben alle Filme, die sich um Jugendgewalt drehen, gemein. Sie ist allerdings nie Thema: Da zumeist auf die Welt der Jugendlichen beschränkt, sind die Erwachsenen dementsprechend einfach nicht besonders wichtig, kommen allenfalls am Rande vor.

So auch in REGARDE-MOI aus Frankreich, der in einer Vorstadtsiedlung, einer Banlieu spielt: Julies Vater ist Alkoholiker, Jos Eltern sind fast nie da. Die Regisseurin Audrey Estrougo, selbst teilweise in der Banlieu aufgewachsen, erzählt einen Tag aus zwei unterschiedlichen Perspektiven: der männlichen und der weiblichen, in der Vorstadt ebenso strikt getrennt wie schwarz und weiß. Und während der erste Teil des Films aus dem Blickwinkel der Jungs mit fast komödiantischer Leichtigkeit inszeniert ist, geht es in der Mädchenclique um einiges gewalttätiger und härter zu. Sie haben auch weniger Chancen, aus der Banlieu heraus zu kommen. Jo geht zur Jugendmannschaft von Arsenal London, als er Julie mitnehmen will, entladen sich Neid und Eifersucht der anderen Mädchen.

Doch auch in Deutschland gibt es Vorstadt-Ghettos. Zum Beispiel in Hamburg, die Hochhausbatterien mit immer gleichen Balkonen und abblätternder Farbe unterscheiden sich nur geringfügig von denjenigen in Paris. Der Gangsterfilm CHICO des deutsch-türkischen Regisseurs Özgür Yildirim läuft als Panorama-Special, er beginnt als nette Kumpelkomödie mit viel Jargon: „Digger, Aldder“. Der Jargon bleibt, der Hip-Hop auch. Aber die Unbeschwertheit verschwindet, viel zu schnell wird aus den kindischen Albernheiten der Freunde Chiko und Tibet erwachsener Ernst, sie dealen und schlittern in eine Spirale der Gewalt. Die Versuche, sich daraus zu befreien, führen zu immer neuen Exzessen.

Der Regisseur jongliert in seinem vorstädtischen Sittengemälde unbeschwert und gekonnt mit großen Vorbildern, den großen Mafiafilmen, HEXENKESSEL (MAIN STREETS) und GOOD FELLAS. Die Gang, die Cliqu,e ist auch im 60-minütigen Genre-Stück TEENAGE ANGST Familienersatz. Dass die Eskalation jugendlicher Aggression nicht zwangsläufig auf sozial schwache Milieus beschränkt sein muss, zeigt der Beitrag in der „Perspektive deutsches Kino.“ Vier spät pubertierende Söhne reicher Eltern im antiautoritär geführten Elite-Internat entwickeln in dieser bösen, hässlichen, gemeinen Übergangsphase vom Jungen zum Mann Herrenmenschenfantasien. Darwinistischer Gruppendynamik folgend wird das schwächste Glied der Kette zum Opfer. Der sensible von Leibnitz lässt die Folterungen mit sich geschehen, um die Gruppe nicht zu gefährden: „Irgendwann hören sie schon auf. “


Julia Teichmann

 

 

 

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]