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15.02.2008
 
 
     
Berlinale 2008

 
Doris Dörrie und die Nippon-Connection
 
 
 
 
 


Doris Dörrie über filmische Trauerarbeit, die Faszination Japan und eine Zärtlichkeit im Umgang

1955 in Hannover geboren, lebt Doris Dörrie seit ihrer Studienzeit in München und ist einer der wichtigsten deutschen Filmemacherinnen. 27 Filme hat sie bisher für Kino und Fernsehen gedreht, ihr erfolgreichster ist nach wie vor MÄNNER von 1985. Seit diesem Film ist ihr Name auch verbunden mit jener Generation, die sich in den 80ern vom "Neuen Deutschen Film" verabschiedet haben und dem Boom der "Beziehungskomödien" in den 80er- und 90er-Jahren. Auf der Berlinale hatte jetzt im Wettbewerb KIRSCHBLÜTEN - HANAMI Premiere, ein sensibles Familienportrait, ein Stück filmische Trauerarbeit und nach "Erleuchtung garantiert" ein weiterer Schritt in Dörries konstanter Auseinandersetzung mit Japan.

artechock: In KIRSCHBLÜTEN erzählen Sie eine spirituelle Geschichte, eine Reise nach Japan aus der deutschen Perspektive, in der Hauptfigur Elmar Wepper, erzählt …

 

Dörrie: Ja, hier ging es schon darum, sich die beiden Hauptklischees aus europäischer Sicht vorzuknöpfen: der Fujijama-Berg und die Kirschblüten.

Wie kamen Sie zu der Besetzung Elmar Wepper? Den kennen wir ja eher aus dem Fernsehen…

 

Dörrie: Ich fand seine Offenheit, seinen Mut und seine Neugier sehr bestechend. Der Film ist wirklich durch ihn das geworden, was ich machen wollte, durch seine Nonchalance und Eleganz.

Was ist das eigentlich für eine Beziehung, die Sie zu Japan haben, wie hat sie sich entwickelt?

 

Dörrie: Das hat sich über Jahre entwickelt. Ich war mit meinem allerersten Film in Tokio eingeladen. Seitdem bin ich während der letzten 20 Jahre immer wieder hingefahren. Ich bin durch Japan getrampt und wollte gar nicht mehr nach Hause. Ich habe dort Filme gedreht, war privat da, mit meiner Tochter - und ich habe dabei immer wieder ein ganz anderes Japan kennen gelernt.

Sie fahren oft nach Japan. Wir erleben Japan als ein verschlossenes Land. Wie schwer oder wie einfach ist es, sich dieser Kultur anzunähern?

 

Dörrie: Ich habe es als mir gegenüber sehr offen erlebt. Ich bin auf sehr große Herzlichkeit und Offenheit gestoßen, und auch auf eine Zärtlichkeit im Umgang miteinander, die mich immer fasziniert hat.

Gibt es bestimmte Verhaltensregeln?

 

Dörrie: Es hat mit einer grundsätzlich anderen Sicht zu tun. Die Japaner gehen erst einmal vom Anderen aus. Was kann ich tun, damit es dem Anderen besser geht? Das ist natürlich eine ganz andere Art als unsere. Wir prägen den Anderen aus unserer Sicht. Sich in der Welt zu finden, ist etwas ganz anderes, als die Welt als Ausdruck von uns zu begreifen. Das ist sehr ungewohnt. Das findet man aber sehr stark in japanischen Filmen.

Gilt das denn auch für die Filmemacherin Doris Dörrie? Dass Sie, wenn Sie Japan filmen, versuchen, sich auch ein Art japanischen Blick anzueignen, den europäischen loszuwerden?

 

Dörrie: Nein, es hat eigentlich eher damit zu tun, hier so zu schauen. In Japan ist der asiatische Blick einfach. Aber hier - das hat sehr viel mit meinen Erfahrungen im Kloster zu tun.

Ist Japan für Europäer auch eine Art Heilmittel? Kuriert das die Leiden unserer Zivilisation? Eine Bereichung...

 

Dörrie: Ich glaube, dass man das auch bei uns finden kann, wenn man sich anstrengt. Wir haben in unserer Geschichte auch andere Sichtweisen auf die Welt gehabt. Im Mittelalter etwa, bei Meister Eckhardt oder Theresa von Avila. Es kostet aber mehr Anstrengung als der exotische Umweg. Der war für mich natürlich visuell sehr verführerisch - weil Japan uns immer noch durch seine wunderbare japanische Ästhetik besticht. Denken Sie einfach schon an Kleinigkeiten: Papierschmuck, Plastikkirschblütenzweige auf besondere Art in eine Vase gesteckt - das macht einfach viel mehr her.

Zumal es ja die Eroberung dieses Terrains durch unser Kino gibt: Wenn man an Ihre Filme denkt, an einen Film wie LOST IN TRANSLATION von Sofia Coppola…

 

Dörrie: Na da hab ich eine ganz andere Meinung…

Ok, dann erklären Sie…

 

Dörrie: LOST IN TRANSLATION ist in sich sicherlich ein interessanter Film. Aber von Japan aus betrachtet ein extrem imperialistischer Film. Weil sich hier niemand die Mühe macht, aus dem Hotelzimmer zu gehen und Kontakt zu diesem Land aufzunehmen. Alle Japaner sind irgendwie verrückt. Es gibt überhaupt keinen Versuch, irgendetwas von diesem Land zu begreifen. Diese Japaner sitzen da vollkommen isoliert in ihrem Hotel - was als Beschreibung der amerikanischen Art, die Welt zu sehen, vielleicht auch gar nicht schlecht ist. Wo hingegen jemand wie meine Hauptfigur Rudi sich wirklich öffnet und Kontakt aufnimmt. Das ist etwas sehr anderes.

Es gibt eine visuelle, popkulturelle Faszination des Westens für Japan. Da ist die Gefahr groß, in Klischees zu fallen. Das Gleiche gilt fürs Spirituelle des Fernen Ostens. Unsere Manager praktizieren heute Buddhismus, um noch bessere Manager zu werden...

 

Dörrie: Das ist dieselbe Gefahr. Die Gefahr, das in ein Konzept zu verwandeln und daran festzuhalten. Aber der Buddhismus selbst ist hier das beste Gegenmittel, weil er ja fordert, jedes Konzept auch wieder zu zertrümmern. Das habe ich auch versucht, aufs Filmemachen selbst anzuwenden. Also mit einem Drehbuch loszufahren, aber immer bereit zu sein, es auch wieder aufzugeben. Wo die Realität eindringt, die Tür offen zu halten. Was ja das Gegenteil des üblichen Filmemachens ist: Man will nicht durch die ealität gestört werden. Hier haben wir die Realität als Chance begriffen, noch präziser zu erzählen.

Wenn man am Konzept festhält, wird es auch schnell sehr langweilig. Es war hier der Versuch viel Luft reinzulassen für Inspiration. Das Wort kommt schließlich von "inspirare - einatmen".

Der Film benutzt das Asiatische nicht als Pose…

 

Dörrie: Ja, Posing ist ein gutes Stichwort. Weil Posing auch eine sichere Angelegenheit ist.

Wenn man in Berlin lebt, wirkt München wie ein Ort, in dem Posing besonders stark ist…

 

Dörrie: Damit hab ich ja aber glücklicherweise wenig zu tun…

Naja, aber Sie kennen Leute, die so sind…

 

Dörrie: Nicht so wirklich. Ich meine auch weniger Schickeria-Posing, als den Zwang, ein Bild von sich herzustellen. Ich denke eher an "Facebook" und solche Dinge. Diesen Zwang sehe ich gerade bei meiner Tochter. Das ist aus meiner Sicht sehr gefährlich. Weil man da ständig ein Konzept von sich verkaufen muss, dem man selber hinterherrennen muss.

Weil man auf sein Selbstdesign festgelegt ist…

 

Dörrie: Genau. Aber das geht einem an die Gurgel.

Jetzt liegt die Frage nahe: Sie geben mir ein Interview, treten also in die Öffentlichkeit. Da müssen Sie sich doch bis zu einem bestimmten Grad auch designen. Wie kommt man darum herum, im Wettbewerb der Berlinale, auch zu posen, ein Image kreieren zu wollen?

 

Dörrie: Mir ist das vollkommen wurscht. Mir geht es darum, Kontakt aufzunehmen. Natürlich ist das auch ein Marketing, der Film muss beworben und verkauft werden. Aber ich kann das nur über einen persönlichen Kontakt ertragen.

Aber seit MÄNNER hat sich ja auch viel verändert: Marketing hat stark zugenommen…

 

Dörrie: Aber das habe ich schon früh gelernt zu durchbrechen. Sich unkalkuliert zu verhalten, ist da das beste Mittel.

Eine Frage noch: Haben Sie als Filmemacherin stilistische Vorbilder?

 

Dörrie: Ja. Das speist sich aus vielen Quellen. Es ist eine wilde Mischung aus Ozu und Billy Wilder. Aus Strenge und Tempo.

Mir Dorries Dörrie sprach Rüdiger Suchsland


Rüdiger Suchsland


 

 

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