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28.06.2007
 
 
     
Filmfest München 2007
97 Prozent schwimmen einfach oben

 
Tiefgründig: THE BIG BAD SWIM
 
 
 
 
 

Dieses Münchener Filmfest begann mit einem Fragezeichen: Der erste Film, den ich in einer Pressevorführung zu Gesicht bekam, war der spanischen Produktion YO - Ich. Eine Art Psychothriller. Wie gesagt: eine Art. Der Plot ist schnell umrissen. Der Deutsche Hans (großartig mit Schnauzer und sächselndem Einschlag: Alex Brendmühl) kommt in ein Dorf auf Mallorca, um Arbeit zu finden. Einen Job hat er auch schon: Bei einem erfolgreichen Landsmann, soll er als eine Art Bursche für alles fungieren. Dieser macht ihm seine Stellung schnell klar, indem er ihm einen Kescher zum reinigen des Swimmingpools in die Hand drückt, bevor Hans überhaupt seine bescheidende Reisetasche abstellen kann.

In dem Haus, das Hans bezieht scheint das beste Zimmer noch vor seinem Vorgänger belegt. Der heißt ausgerechnet ebenfalls Hans, und scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Hans 2 übernimmt nicht nur seinen Job, er verliebt sich auch in dessen Geliebte, eine Bedienung aus der örtlichen Bar, obschon er mit deren Kollegin schläft. Und er „erbt“ einen alten Mann, einen demenzkranken Dorfbewohner, der der offenbar zu Hans 1 ein inniges Verhältnis pflegte und allnächtlich vor der Tür steht – überrascht ob des Unbekannten, den er antrifft.

Die Anzeichen häufen sich, dass es bei dem verschwinden von Hans 1 nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Und schließlich legen rostfarbenes Wasser und ein Unterwasserantlitz in der Zisterne nahe, dass er sogar ermordet wurde. Doch von wem? Oder ist all das nur eine düster Ausgeburt der Phantasie, und Hans 2 verliert allmählich den Verstand. Dubiose Reinkarnationshinweise liefert überdies der Alte, und irgendwann steht Hans 2 im Film auf und spricht in Zungen – in mallorquinischen versteht sich. Von Ferne winkt diskret David Lynch.

Verwirrt verlasse ich das Filmmuseum. Neben mir runzelt ein Paar synchron die Stirn: Also war Hans jetzt eine Art Reinkarnation - oder wie? Fragt die Frau. Ihr Begleiter weiß es nicht - und ich ebenso wenig. Fazit: Tolle Schauspieler, tolle Atmosphäre, spannend außerdem. Aber wer auf einen Plot mit Lösung hofft, möge sich das Genze getrost ersparen.

Der Hauptdarsteller begegnet mir wenige Tage später erneut in einer weiteren spanischen Produktion 53 WINTER DAYS. In der Ausgangszene begegnen sich drei Menschen im nächtlich winterlichen Barcelona, die Zeuge werden, als ein äußerst herzloser Mensch, seinen Hund aussetzt. Wachtmann Celso, gespielt von Alex Brendmühl, jetzt mit Vollbart statt Schnauzer, nimmt ihn mit heim. Die anderen zwei sind eine Dozentin, die nach einem Eklat mit aufmüpfigen Schülern an die Schule zurückkehrt und sogleich erneut Probleme hat, sowie eine junge Cellistin, die eine Affäre mit ihrem weitus älteren un verheirateten Dirigenten hat. Gleichzeitig muss sie sich um ihre depressive Mutter kümmern, die ihr Mann delikaterweise ebenfalls für eine jüngere Geliebte verlassen hat. Das Leben der drei gerät aus der Bahn, bis sie auf die ein oder andere Weise wieder die Kurve kriegen. Das freut einen für die sympathischen und authentisch gespielten Protagonisten, und tatsächlich sind die Probleme, mit denen sie sich herumschlagen, auch nicht banal - aber wirklich bewegt hat es nicht. Mich zumindest.

Ganz anders DEAR MR. WALDMAN, das Regiedebüt des israelischen Drehbuchautoren Hanan Peled, der hier seine eigene Lebensgeschichte verarbeiten - und diese ungern in die Hände eines anderen Regisseurs legen wollte. Er erzählt die Geschichte eines Jungen im Israel der 60er Jahre, dessen Eltern beide Holocaustüberlebende sind. Doch während die Mutter bereits Auschwitz in der Gaskammer stand – und durch glückliche Fügung mit dem Leben davon kam, überlebte ihr Mann Moische, weil er für die Deutschen als Buchbinder arbeitete, während seine erste Frau nebst Sohn erschossen wurden. Moische fühlt sich seither schuldig – eine Empfindung, die er mit vielen Holocaustüberlebenden teilt. Und dann entdeckt er in einer Zeitung an der Seite des Präsidenten Kennedy einen Mann, der Walsmann heißt, wie er, und sein auf geheimnisvolle Weise überlebender Sohn sein könnte. Moische schreibt einen Brief nach Amerika. Die Geschichte, die sich aus dieser fixen Idee entspinnt, ist ebenso abenteuerlich wie komisch. Vor allem aber eines: anrührend.

Mien persönlicher Favorit des Festivals – so far - ist jedoch der Film THE BIG BAD SWIM aus der Reihe American Independents. Eine Gruppe erwachsener Nichtschwimmer findet sich zu einem Schwimmkurs zusammen. Ihre Gründe für ihr bisheriges Dasein als Nichtschwimmer sind vielfältig. Die eine wollte sich ungern im Badeanzug zeigen, die nächste hat einen Cousin, der als Kind ertrunken ist und ein anderer findet Wasser „fuckin’ petrifying, man“.

Jeder von ihnen hat sein Päckchen zu tragen – auch der Schwimmlehrer Noah, den, so erfährt man im Verlauf des Films, eine Knieverletzung die Karriere als Olympiateilnehmer gekostet hat. Die Lehrerin, die in der Scheidung steckt und neben ihrem Mann auch noch ihren Job verliert. Die glücklich wirkende Ehefrau, die dem Konzept Ehe nach 23 Jahren nur einen fingerhutgroßen Vorteil gegenüber dem Singleleben einräumt. Am wenigsten schein zumindest das Mädchen an der Backe zu haben, das als Stripperin arbeitet. Sie nervt eigentlich nur ihr kleiner Bruder – im Übrigen ein Schüler der anwesenden Lehrerin aus dem Kurs - der unbedingt ein Video für die Schule über sie drehen will.

„97 Prozent aller menschlichen Körper sind so gebaut, dass sie von ganz allein über Wasser bleiben“, versucht Noah seine ängstlichen Eleven zu beruhigen. Und das gilt vermutlich auch für das Leben an sich. Und die übrigen? Müssen tief Luft holen. Das Vertrauen darauf, dass das Wasser, das Leben, einen schon tragen wird, ist der Schlüssel dafür, nicht unter zu gehen. Und so endet die Halbzeit des Festivals für mich zumindest statt mit einem Fragezeichen mit einer Antwort: Auf die universelle Frage danach, wie man Schwierigkeiten meistert: tief Luft holen und darauf vertrauen, dass man irgendwie oben bleibt.

Nani Fux

 

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