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01.03.2007
 
 
     

Berlinale 2007
Boulevard Berlin

 
Der ungesehene Siegerfilm:
TUYA'S MARRIAGE
 
 
 
 
 

Die dritten und letzten Worte zur Berlinale 2007

Die Berlinale hat einen Gewinner! Hurrah!!
Hurr-ah-ha!!...
Hallo??
Hurr-ah-HA!?
Irgendwer???
Hmmm, will keiner so recht mitjubeln.
Warum wohl...
Na ja, ist kein großes Geheimnis: Nach einem Wettbewerbsprogramm, das schlecht zu nennen eine Auszeichnung, weil zumindest eine heftige emotionale Reaktion implizierend wäre, sondern das wohl am treffendsten als erschreckend belanglos charakterisiert werden kann, nach einem solch belanglosen Wettbewerb also war der Goldene Bär für TUYA'S MARRIAGE (TU YA DE HUN SHI) nur der konsequente Abschluss.

Nichts gegen den Film - weil der ja zumindest eine der absoluten Grundvoraussetzungen eines Berlinale-Gewinners erfüllt: Ich habe ihn mal wieder nicht gesehen. Aber ich habe auch niemanden gesprochen, den er besonders bewegt hätte, weder Richtung Begeisterung, noch Richtung Ärger. (Bezeichnend: Ein bekannter Kollege, Chef-Filmredakteur einer großen Tageszeitung, hatte sich wacker durch den ganzen zähen Wettbewerb gekämpft und nur zwei (!) Filme verpasst. Darunter natürlich prompt TUYA'S MARRIAGE - den er am Tag nach der ersten Pressevorführung nachgeholt hätte, hätten ihm nicht alle Befragten einstimmig versichert, dass der Film zwar schon okay sei, aber nicht weiter relevant und bestimmt kein Preiskandidat. Das Schicksal kann echt grausam sein...)

Mehr aber: Nicht nur spricht nichts dafür, dass sich in einem halben Jahr (oder Monat) irgendwer groß an diesen Siegerfilm erinnern wird. Dass er Nachhall finden würde über ein paar weitere Festivals, einen bescheidenen Kunstkino-Auswertungszyklus hinaus.
Diese Wahl hat noch nicht mal ein bisschen Überraschungs- oder Symbolwert. (Oder letzteren dann allerhöchstens ex negativo, als Verweigerung einer "politischen" Entscheidung. Was ja prinzipiell löblich wäre. Aber in diesem Fall ja auch nicht besonders nachdrücklich oder eindeutig wahrnehmbar ist.)

Kann man's der Jury zum Vorwurf machen? Kaum - denn was hätte zur Auswahl gestanden, das WIRKLICH ein Ausrufezeichen gesetzt hätte? Denn nein, auch die zweite Berlinalehälfte hatte gegenüber der von mir im ersten Bericht schon belamentierten keinen merklichen Aufschwung genommen. Die Leute waren dieses Jahr ja schon über Gebühr froh um einen Film wie IRINA PALM, die Geschichte einer britischen Großmutter (Marianne Faithful - bei aller sonstigen Verehrung für sie: leider keine Idealbesetzung), die sich als Handarbeiterin im Sexbusiness verdingt, um ihrem Enkel eine Operation zahlen zu können. Ein Film, der als ZDF-"Kleines Fernsehspiel" im unteren Mittelmaß nicht weiter aufgefallen wäre. Aber hier von vielen mit ungeheurem Aufatmen begrüßt wurde - nur, weil's mal ein halbwegs NETTER Film war.

Ja, klar, ein bisschen real- wie filmpolitischer wäre es beim Bepreisen noch gegangen. Sagen wir: Ein Bärli als Mahnmal gegen die Zensur für den anderen chinesischen Beitrag, PING GUO, den die Aufischtsbehörden seines Heimatlandes nur mit extremen Schnittauflagen antreten ließen, und der dann in Berlin, hoppla, aus "Zeitgründen" (die Änderungen habe man nicht fertig bekommen) doch in der ungekürzten Fassung gezeigt werden "musste". Oder für THE GOOD SHEPHERD, um mal zu beweisen, dass man keine prinzipiellen Resentiments gegen US-Kino hegt. Oder halt für irgendeinen der vielen "engagierten" Filme mit "Botschaft", um deren causa zu unterstützen. Oder Rivette, oder Menzel, quasi lebenswerkbelohnend.
Was auch immer.
Aber einen großen Unterschied, das Gefühl eines wahrhaft verdienten Siegers? Nein, den hätte nichts davon gemacht, gebracht. Ein bisschen mehr, ein bisschen lauteres Getuschel bei der journalistischen Nachlese höchstens. Aber Berlinale-Geschichte war mit diesem Jahrgang beim besten Willen nicht zu schreiben.

Außer - und das wurde zunehmend zu meinem Wunschtraum - die Jury hätte sich hingestellt und verkündet: Sorry, tut uns leid, aber dieses Jahr gibt's keinen Goldenen Bären, weil uns nichts dessen hinreichend würdig erschien.
Das wär's gewesen. Das hätte gesessen.
Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Juroren davon nicht irgendwann, ganz heimlich, im tiefsten Herzen, zumindest mal kurz fantasiert hätten.
Denn Jury-Dienst hatte, bei dieser Filmauswahl, doch was von einer besonders perfiden, weil als Ehre getarnten, Strafbatallions-Maßnahme für renommierte internationale Filmschaffende.
Ich hatte jedenfalls immer das Bild vor Augen, wie Jurypräsident Paul Schrader, Willem Dafoe und Gael Garcia Bernal heimkehren wie diese Filmcrew am Ende der Simpsons-Episode, wo in Springfield der "Radioactive Man"-Film gedreht werden soll und alles den Bach runtergeht. Wie sie völlig verstört und traumatisiert nach Hollywood heimkehren und dort von ihren verständnisvollen Kollegen empfangen, in die Arme genommen und getröstet werden, während sie stammeln: "Es war so schrecklich! Und es..., es..., es... hörte nicht AUF!"

Um nicht ungerecht zu sein: Diese Berlinale war, mal den Blick vom Wettbewerb abgewendet, weit davon entfernt, ein Totalaus- und -reinfall zu sein. Es gab genug Gutes zu entdecken - auch über die im letzten Bericht verhandelten Glanzlichter hinaus.
Da war im Forum die Okamoto Kihachi-Reihe - ein im Westen bisher völlig vernachlässigter Meister des japanischen Unterhaltungsfilms der '50er, '60er. So ein bisserl vielleicht der Alfred Vohrer des Nippon-Kinos. Der jedoch, leider, in fast jedem Film nach einer Anfangsviertelstunde, die einen schier vom Hocker reißt und glauben macht, grade einen Film für die Allzeit-Besten-Liste zu erleben, dann irgendwann zu viel und zu verschnörkelt und zu wortreich und ausbuchstabiert zu erzählen beginnt. Der aber, wann immer seine Filme den Mund halten, und narrativ auf einen schön geradlinigen Streckenabschnitt kommen, SOWAS von großartig werden kann. Und der auch sonst zumindest keine Einstellung fabrizierte, die nicht knallig und mit Willen zur Größe wäre.
Er hätte immer daran gedacht, dass viele arme Leute nur die Wahl hätten zwischen einer Nudelsuppe ODER einem Kinobesuch, und stets versucht, sie die Investition in letzteren nicht bereuen zu lassen, erzählte seine Witwe. (Die mit der größten Entourage von ALLEN Berlinale-Gästen, Hollywood-Größen inklusive, angereist war, und die vor jeder Vorstellung unheimlich gerührt dem Publikum für sein Interesse dankte.)
Ein Arbeits- und Ästhetik-Ethos, der manch anderem auf dem Festival vertretenen Regisseur gut getan hätte...

Na ja, und dann war da selbstverständlich DER cineastische Rettungsanker schlechthin dieses Jahr, nämlich die Arthur Penn-Hommage (der zur veritablen Retro keine Handvoll Filme fehlte). Ich muss zugeben, dass ich vorher peinlich wenige Penn-Filme kannte - und die Berlinale als großer Fan verlassen habe. MISSOURI BREAKS, THE CHASE, THE LEFT-HANDED GUN, MICKEY ONE, NIGHT MOVES - hallelujah, was für tolle, oft tolldreiste, ganz verschieden-, aber durchweg großartige Filme!
Und auch die offizielle Retro "City Girls", zum Frauenbild im Stummfilm, war nicht zu verachten. Mit den Einschränkungen, dass: 1. Solche Themen-Retros, im Gegensatz z.B. zu personenorientierten Werkschauen, meist stimmigere Begleitpublikationen abgeben als Filmreihen. Weil die Vorgabe zu kopfig ist; man beim Filmegucken selbst viel zu viel anderes entdeckt und interessant findet, als dass man sich wirklich durch die Vorgabe den Blick einschränken lassen möchte. Also - gerade bei einem derart weit gefassten Thema wie diesem - immer die Gefahr des Aufkommens eines Eindrucks der Beliebigkeit besteht.
Und 2. Diese Reihe speziell doch mehr Altbekanntes und -vertrautes aufwies, als die Ankündigung zunächst vermuten, hoffen ließ.
Aber freilich gab's dennoch Neues unter der Sonne zu sehen, wie etwa SOMETHING NEW - der bis zur Obsession von der Erkenntnis berauscht ist, dass ein Auto sich auch durch unwegsames Gelände pflügen kann und eine Westernlandschaft ähnlich gut erobern wie ein Pferd. (Wir reden hier von 1919, und das Auto ist ein ganz normaler damaliger Personenwagen.) Und das ist auch wirklich eine Schau, wie da ein (aus unserer Sicht) "Oldtimer" über Stock und Stein und Felsabhang holpert und poltert und rattert und ächzt. Nur dass der Film dann tatsächlich mindestens zur Hälfte (und das ist keine rhetorische Übertreibung!) aus Einstellungen besteht, die eben das zeigen. Wieder. Und wieder. Noch. Und noch. Und dann einmal mehr. Und weil's so schön war: Eine oben drauf. Oder zwei.
Ein ebenso obskures wie verrücktes Teil - das IRGENDWEM sehr speziell autofixierten auf diesem Planeten bestimmt zum ultimativen Fetisch-Porno gereicht.
(Mit dem Thema der Retro hatte das übrigens zu tun, weil zum einen die Rahmenhandlung die ganze Geschichte als von einer AutorIN ersonnene Fantasie inszenierte, zum anderen weil mit dem Auto zunächst eine Frau aus der Hand von Banditen erettet werden muss - und diese Frau dann nachher, als ihr Retter angeschossen wird, selbst das Steuer übernimmt.)

Freilich gab's zudem Filme, die vielleicht nicht besonders memorabel waren, die aber zumindest einen Festivaltag aufhellen konnten und einem mit einem Lächeln und gesteigerter Motivation in das nächste Gutmenschen-Melodram entließen. Wie die quietschebunte, gutgelaunte koreanische Manga-Verfilmung DASEPO NAUGHTY GIRLS (DASEPO SONYEO) - letztlich eher eine Aneinanderreihung fünfminütiger Sketche rund ums (genderverbiegende) Intimleben einiger Highschool-Mädels. Aber immerhin eine Aneinanderreihung LUSTIGER fünfminütiger Sketche. Und außerdem mit einer Schweizer Jodelszene gesegnet, die der in I'M A CYBORG, BUT THAT'S OKAY durchaus Konkurrenz machen konnte.
(Jawoll, Schweizer Jodelszenen. In koreanischen Filmen. Nicht in einem, nein in zwei. Nein, ich habe auch keine Ahnung, was da los ist. Beantrage aber fürs nächste Jahr eine Retro: "Schweizer Jodelszenen im koreanischen Kino". Dann wäre die Berlinale für mich schon vorab gerettet...)
Und wenn das ästhetische Wagnis schon nicht das Ding der meisten Berlinale-Filme war, so gab's dann wenigstens hin und wieder Filme ÜBER Leute zu sehen, die ästhetische Wagnisse eingehen. Wie die Doku SCOTT WALKER - 30TH CENTURY MAN. Die ihrem Genre filmisch gewiss keine neuen Bahnen ebnete. (Und die an der um sich greifenden Unsitte angloamerikanischer Dokus krankte, so viel prominente Interviewpartner reinzustopfen, wie man nur irgend auftreiben kann, auch wenn von jedem dann nur noch zwei meist eher belanglose Sätze im fertigen Film unterzubringen sind.)
Die aber doch angenehm fokusiert auf Walkers Kunst (und nicht irgendwelche Privatgeschichten) war. Und die - was eine kleine Sensation ist - Scott Walker als sehr auskunftsfreudigen und unprätentiösen Gesprächspartner vor die Linse bekommen hat. Und ihn sogar für die Aufnahmen zu "The Drift" ins Tonstudio begleiten durfte!
Ein Film, der freilich zur Folge hatte, dass man den Rest des Berlinale-Tages sich wieder fragte, warum man sich eigentlich ins Kino hockte und weltunbewegende Werke über sich hinwegrieseln ließ - anstatt daheim vor dem CD-Player zu sitzen und mit der langsamen Annäherung an "The Drift" weiterzukommen, auf dass sie mal vom Stadium der fassunglosen Faszination für dieses dunkle Wahnsinns-Opus fortschreiten möge zu einem gereifteren Verständnis zumindest in Ansätzen. Was definitv gewinnbringender gewesen wäre.
Die SCOTT WALKER-Doku beobachtet Brian Eno mal dabei, wie er sich eins von Walkers Werken aus den '80ern nach langen Jahren zum ersten Mal wieder anhört. Eno ist danach ganz deprimiert - weil er findet, dass die Musik seither keinen Deut weitergekommen sei, sie in vielen Dingen eher einen Rückschritt gemacht habe.
Es war ziemlich exakt das Gefühl, das mich nach jedem Arthur Penn-Film beschlich.

Doch zurück von den einzelnen Erfolgserlebnissen zum großen Ganzen, zurück auch von den Nebenreihen zum Wettbewerb.
Wo man wunderbar mosern konnte dieses Jahr - was diesmal auch in seltener Einhelligkeit geschah.
Und doch: Anders gesehen, war die Berlinale ein voller Erfolg. Denn das Mosern, das blieb ja denen vorbehalten, die sich die gezeigten Filme wirklich mehr oder minder freiwillig anschauten.
Es herrscht in den letzten Jahren aber ein zunehmendes, und diesmal einen vorläufigen Höhepunkt erreichendes, Missverhältnis zwischen der Wirkungs- und Belanglosigkeit des präsentierten Kinos - und der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Festival.
4000 Journalisten waren dieses Jahr am Start, die Berichterstattung wird immer flächendeckender, das Interesse der "fachfremden" Medien immer größer, die Schlangen vor den Vorverkaufskassen immer länger.
Die Berlinale ist das geworden, was man heute "Event" nennt. Und es gehört nunmal zum Charakter des "Events", dass dessen Bedeutung sich weitgehend vom Inhalt abgekoppelt hat. Man interessiert sich dafür, weil alle sich dafür interessieren. Man schaut hin, geht hin, weil alle hinschauen, hingehen.
Die vor Ort, in den Kinos, müssen sich wohl langsam damit abfinden, dass sie zur immer unbedeutenderen Minderheit werden. In gewisser Weise wird ein Festival wie die Berlinale nicht mehr wirklich für sie gemacht.

Freilich ist es nicht schön, wenn da im Wettbewerb ein Film offensichtlich aus dem einzigen Grund läuft, dass Sharon Stone mitspielt und bereit ist, nach Berlin zu kommen und über den roten Teppich zu laufen. Nicht schön für die, die den Film dann gucken müssen und ernstnehmen sollen. Aber die Berlinale hat ja andererseits - wie sich wieder gezeigt hat - vollkommen recht, dass so ein Sharon Stonesches Erscheinen in der Mainstream-Presse und speziell im Boulevard viel mehr Echo findet als es die Aufführung eines Films, der bloß geniales, bahnbrechendes Kino wäre. (Auf perfide Weise ist die Berlinale ja sogar darauf angewiesen, dass gewisse Filme mit Hollywood-Starbesetzung nicht viel taugen, oder zumindest in den USA keine überwältigende Resonanz finden - denn je mehr so ein Film die werbende Unterstützung des leibhaftigen Starauftritts nötig hat, umso eher bequemen sich die Damen und Herren auch dazu.)

Und es ist nunmal so, dass die, denen innovatives und begeisterndes Kino am Herzen liegt, ein paar Tausend sind - und die, die sich dafür interessieren, was für ein Kleid (die an sich durchaus schätzenswerte, aber das ist nicht der Punkt...) Sharon Stone über die purpurne Auslegeware spazierenträgt, Millionen.
Die Berlinale ist ein Geschäft, ist ein Markt von, für, um Aufmerksamkeit. Für sich selbst als Festival, für die Filme, die dort laufen und verkauft werden sollen.
Ich habe in meinem ersten Bericht die Berlinale 2007 als eine Hülse beschrieben, quasi als eine Ansammlung von Containern mit bestimmten Rollenzuweisungen, bei denen es auf die Qualität der Befüllung nicht so sehr ankommt.
Da ist es dann ungleich wichtiger, was für ein "Thema" ein Film behandelt, als dass er was taugt. Mit dem Ergebnis, dass sie oft ergreifend und rührend sind und überwältigend mit ihrer guten Absicht - die Pressekonferenzen zu den Filmen. Während die Streifen selbst halb aus dem Saal gelacht werden. (So etwa geschehen bei BORDERTOWN.)

Dass manch Versuch, wenigstens ein bisschen Skandal zu inszenieren, selbst dann scheitert, wenn das lokale Revolverblatt "B.Z." bereitwillig ein Werk vorab zum "Film, der die Berlinale schockt" hochzuschreiben versucht - nämlich das Armenier-Völkermords-Drama DAS HAUS DER LERCHEN (LA MASSERIA DELLE ALLODOLE) -, wenn das also scheitert, weil neue Werke der Gebrüder Taviani auf einem Filmfestival schlicht außerhalb des Wahrnehmungshorizonts liegen jener tumben türkischen Ultra-Nationalisten, auf deren Stunk man wohl insgeheim spekuliert hatte... Tja, das beweist ja letztlich nur, wie wenig Kino an sich noch zählt.
Und gibt damit einer Festivalpolitik recht, die das Qualitätsurteil von Cineasten und Kritikern als vergleichsweise vernachlässigbaren Faktor betrachtet. Der es mehr drum geht, den Mainstream-Medien Bilder und "Aufhänger", "Geschichten" zu liefern. Siehe Sharon Stone, siehe auch nochmal die Tavianis - selbst wenn der Skandal ausblieb, sich nicht EIN Ultranationalist zum Protest einfand: Immerhin hatte der Film zwei große Vorab-Artikel in der "B.Z.", war dem SPIEGEL einige dumm und scheinheilig besorgte Absätze wert, hatte einen Platz in den "tagesthemen". Auch wenn sich nachher ziemlich alle einig waren, die ihn gesehen hatten (ich habe ihn mir gleich erspart), dass er eine reichlich inadäquate, peinliche Darstellung seines Stoffes sei: Etwas massenwirksame Aufmerksamkeit für die Berlinale hat er erzeugt, allein durch sein Thema. Etwas, das ein bloß großgenialer Film in den genannten Medien nie geschafft hätte.
Die Filme im Berlinale-Wettbewerb 2007 waren großenteils belanglos? Je nun, so paradox es klingt: KINO im engeren Sinn, das, was letzlich konkret über die Festival-Leinwände flackert, wird immer belangloser in dieser gigantischen Maschine zur Aufmerksamkeitserzeugung. Die Mechanismen, mit denen diese Maschinerie funktioniert, laufen inzwischen weitgehend auf anderen Ebenen ab.

Man braucht wohl nicht mehr darauf warten, dass die Filme selbst nochmal viel bewegen werden auf der Berlinale, wie zu seligen THE DEER HUNTER-Zeiten. Als Kino noch viel mehr ein Medium in der gesellschaftlichen Mitte war.
Kino ist, wie so vieles andere auch, ein Ding geworden hauptsächlich für Spezialisten, ist abgeschottet, abgedichtet, strahlt nicht mehr so aus - die Filme, die überraschen, überwältigen, herausfordern, eine Weltsicht umkrempeln können, erreichen nur noch ganz, ganz selten die Unvorbereiteten, Uneingeweihten.
Die Sicht auf die Welt wird für den Mainstream nicht mehr auf der Kinoleinwand verhandelt. Sondern vor allem im Boulevard.
Die Berlinale 2007 mag die Cineasten enttäuscht haben. Aber sie hat, für die Massen an Beobachtern aus zweiter Hand, funktioniert.
So gesehen hat sie doch (fast) alles richtig gemacht.
Oder anders gesagt: Jede Gesellschaft hat die Filmfestivals, die sie verdient.

Thomas Willmann

 

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