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13.02.2007
 
 
     
Berlinale 2007
Fernweh und Verzweiflung
 
Clever und witzig:
HOTEL VERY WELCOME von Sonja Heiss
 
 
 
 
 

Die "Perspektive Deutsches Kino" fühlt der deutschen Gegenwart den Puls.

"Du, wir wollten doch ein bisserl Abstand zueinander…" sagt Marion am Telefon zum daheimgebliebenen Lover. Dann stürzt sich die junge Frau im blutroten Kleid wieder in die andere Welt, die ihr Entspannung verspricht, Begegnung mit einer fremden Spiritualität, Loslassen in ein Nirwana aus Meditation und lautem Global-Dance-Sound. Heilung der Wunden, Glück sucht man in Poona, und Marion ist eine von ihnen. Aber dann redet sie doch wieder nur von sich und ihren Gedanken, die sich nicht abschütteln lassen, telefoniert mit dem Freund zuhause, und als der ihr schließlich per E-Mail den Laufpass gibt, ist es auch mit dem künstlichen Esoterikparadies schnell vorbei.

Touristen im Ausland - das ist, zwischen MANILA und WEISSE MASSAI schon ein eigenen Genre auch im jüngeren deutschen Kino, und Sonja Heiss hat ihm in ihrem Spielfilmdebüt HOTEL VERY WELCOME einen bemerkenswerten, ebenso cleveren wie witzigen Film hinzugefügt: Ein abgründiges, dabei überaus komisches Mosaik aus Fernweh und Verzweiflung, Sehnsucht und Langeweile. Gefilmt in lakonischen, oft quasi dokumentarischen, neugierigen Bildern, flaniert der Film in den Spuren von fünf Touristen in Indien und Thailand. Eine von ihnen ist Marion, die von Eva Löbau in der Tradition ihrer phänomenalen Hauptrolle in DER WALD VOR LAUTER BÄUMEN gespielt wird, eine andere ist Svenja (Svenja Steinfelder), die ihren Flug verpasst, ihr Hotel eigentlich nicht verlässt, und nur mit dem Mitarbeiter eines Reisebüros wegen eines neuen Flugs verhandelt - eine Ansammlung ständiger Missverständnisse im besten Film der "Perspektive Deutsches Kino" auf der Berlinale.

Auch wer nicht verreist, will oft aus seiner Heimat weg - Fluchtbewegungen, das zumeist uneingestandene Leiden an Freiheit und Einsamkeit prägen viele Filme der diesjährigen "Perspektive". Seit ihrer Gründung vor sechs Jahren ist sie die Sektion, in der gerade in ihrer Vielfalt, auch dem unterschiedlichen Niveau der einzelnen Beiträge, der Puls der deutschen Gegenwart am besten zu fühlen ist, ein Seismograph, der präzise Momentaufnahmen liefert. Nächstes Jahr kann dann schon alles wieder anders sein.

In diesem Jahr fallen drei Entwicklungen auf: Der Hang zum Dokumentarischen, auch in den Spielfilmen wie eben in HOTEL VERY WELCOME. Ein ebenfalls herausragender Film ist PRINZESSINNENBAD von Bettina Blümner über drei frühreife, charmante 15-jährige aus Kreuzberg. Ihr Paradies ist das "Prinzenbad", aber auch hier holt sie die Wirklichkeit ihres Lebens immer wieder ein. Frauen sind unter den Regisseuren diesmal besonders stark vertreten: ASCHERMITTWOCH von Ileana Cosmovici ähnelt Heiss' Film darin, dass auch diese Regisseurin in einer vermeintlich vergnüglichen Sache, dem Fasching, das Unangenehme und in diesem Fall Morbide findet. Ein ganzer Spielfilm und viele kleine gute Einfälle stecken kondensiert in diesem 20-Minüter, der sich trotz aller Konzentration die Zeit für verträumte, offene Momente gönnt. Das gilt auch für MEMORY EFFEKT, ebenfalls ein Kurzfilm, ebenfalls mit Claudia Lehmann von einer Frau. Die immer wieder auffällige, leider immer etwas unterschätzte Julia Bendler spielt eine von Alpträumen gepeinigte junge Frau, die sich selbst ein Rätsel ist. Die Frage des Films, ob der Körper Erinnerungen hat, ist nicht neu, doch im Gegensatz zu 21 GRAMMS lässt Lehmann kein esoterisches Wohlgefühl aufkommen. MEMORY EFFEKT ist ein blaugrauer, kühl verschachtelter Psychothriller, der durch beeindruckende Tempiwechsel und eine überzeugende Kamera glänzt.

Gegenüber diesen Regisseurinnen wirkten die Filme der Männer allesamt konventioneller. Auch AUTOPILOTEN vom dffb-Absolventen Bastian Günther handelt von vier einsamen, innerlich verzweifelten Männern. Der Film glänzt durch seine Darsteller, allen voran der nicht nur in seiner Vielfalt große Walter Kreye und Manfred Zapatka. Doch das Drehbuch mündet in Weinerlichkeit, als ob Günther Scheu hätte vor dem kühlen, unverklärenden Blick seiner Kolleginnen.

Die Koffer voller Geld, die Fahrten eines Paares in den Sonnenmorgen sind endgültig verschwunden aus deutschen Filmen. Mehr denn je ist die "Perspektive" im Jahr 2007 eine Reihe der Hochschulfilme, der ganz jungen Unerfahrenen. Das kann, wenn es einmalig bleibt, ein Vorteil sein. Zur Regel sollte es aber nicht werden, will die "Perspektive" nicht untergehen in einem Festival, das auch in anderen Sektionen viele deutsche Filme zeigt. Eine weitere Dokumentation führt den jungen Filmemachern vor, dass immerhin auch Große klein angefangen haben: Marcel Wehns kluger VON EINEM, DER AUSZOG – WIM WENDERS' FRÜHE JAHRE schildert, was der Titel verspricht und bietet im Gespräch mit dem Regisseur und vielen Weggefährten eine gute Mischung aus Klatsch und Analyse. Da zielt dann die Sehnsucht nicht mehr in die Ferne, sondern in der Vergangenheit.

Rüdiger Suchsland

 

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