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02.11.2006
 
 
     

Viennale 2006
Geschichten aus dem Viennale-Dschungel

  Albert Serras Don-Quijote-Verfilmung HONOR DEL CAVALLERIA  
 
 
 
 
An den Rändern des Kinos und der Wirklichkeit

Hans Hurch, der Leiter der Viennale, hängt in der ersten Viennale-Woche spät in der Nacht eigenhändig Plakate in der Party- und Begegnungszentrale der Viennale, im Dachgeschoß der Urania, auf, zwei Plakate mit jeweils einem Zitat von Friedrich Hölderlin und von Karl Marx, die im Gedenken an die vor kurzem verstorbene Danièle Huillet, die Lebens- und Schaffensgefährtin von Jean-Marie Straub, ausgewählt sind. Die Viennale hat die Pavese-Verfilmungen der beiden im Programm: „Dalla nube alla resistenza“ (1978) und ihren jüngsten und nun tatsächlich letzten gemeinsamen Film „Quei loro incontro“ – wehmütige, ja sehnsüchtige Dialoge antiker Götter der griechischen Mythologie über die Menschen und deren Eigenschaft der Sterblichkeit, um die sie sie beneiden, auch wenn die Menschen, wie die Götter leise zürnen, nicht richtig damit umzugehen verstehen. Die Viennale war immer eine Heimstätte für das Kino der Straubs, vor zwei Jahren galt ihnen die begleitende Werkschau, ergänzt durch eine Auswahl aus dem Schaffen John Fords, die Straub/Huillet trafen, unter dem Motto „Die Früchte des Zorns und der Zärtlichkeit“. Die solidarische Unterstützung derer, die ihr etwas bedeuten, das Zu-ihnen-Halten und das Einen-Zusammenhalt-Schaffen, das ist eine der größten Tugenden der Viennale. In diesem Geiste war die diesjährige Werkschau – geradezu in einem tragisch-ironischen Sinne – Agnès Varda und Jacques Demy gewidmet, ebenfalls einem außergewöhnlichen Paar von Filmschaffenden, das durch den Tod Jacques Demys bereits im Jahr 1990 auseinandergerissen wurde. Die nun eingetretene Koinzidenz durch Danièle Huillets Tod verlieh dieser Werkschau eine zusätzlich schmerzliche Note. In der wunderbaren Hommage Vardas an ihren Mann, „Jacquot de Nantes“, 1990, im Jahr seines Todes, gedreht, bekommt die Trauer jedoch jene tröstliche Gefaßtheit, die genau den Halt und das „Zusammennehmen“ gibt, die Hölderlin in seinem Gedicht „Mnemosyne“ dem Fehlgehen der Trauer „ins Ungebundene“ entgegensetzt. Hurch hängte von diesem Gedicht die erste Strophe auf.

Für einen anderen der großen Versprengten eines Kinos von den Rändern, für den Portugiesen Pedro Costa und seine erratisch-verstörenden Filme, ist die Viennale mittlerweile ebenfalls Heimat. Letztes Jahr mit einer Spezialreihe bedacht, konnte er dieses Jahr seinen neuesten Film „Juventud em marcha“ (Colossal Youth) vorstellen, eine Art Fortsetzung seines letzten großen, halbdokumentarischen Filmes „No quarto da Vanda“ (In Vandas Zimmer). Dieser spielte im Viertel der kapverdischen Einwanderer in Lissabon, Fontainhas, während es von der Stadtverwaltung zu Sanierungszwecken abgerissen wird. Vanda, die zentrale Figur aus „No quarto da Vanda“, ist nun, in „Juventude em marcha“, in ein Neubauviertel umgesiedelt worden, sie hat geheiratet, hat ein Kind und macht eine Methadon-Therapie, um von vom Heroin loszukommen. Ventura, ein älterer Mann aus dem Fontainhas-Viertel, besucht Vanda in ihrer Neubauwohnung, er besucht sie als seine Tochter, sie spricht ihn auch als ihren Vater an, aber man weiß nie so genau, ob er das auch tatsächlich ist. Ventura, ein von seiner Frau Verstoßener, tritt nämlich als eine Art Seelenführer auf in diesem Film der verlorenen Gestalten, er wandert beständig zwischen dem düsteren, bereits halb abgerissenen Slum und dem Neubauviertel mit seinen blendend weißen Mauern hin- und her und macht seine Besuche bei seinen „Kindern“. Er fungiert gewissermaßen als Alter ego Pedro Costas in dem Reich zwischen Leben und Tod, das dieser Film mit seinen starren, lang und geduldig hinschauenden Kadrierungen auslotet. Ventura sitzt einfach bei Vanda im Zimmer und hört ihren Monologen zu, wie das Costa mit seiner digitalen Kamera Tag für Tag für seinen Film „No quarto da Vanda“ machte. Gegenüber diesem weist „Juventude em marcha“ deutlich mehr Inszenierungselemente auf. Costa hebt den dokumentarischen Ansatz seines Filmens zu einer denkmalhaften, monumenthaften Geste auf, mit der er seinen Figuren in den düster geheimnisvollen Tableaus Raum schenkt, den man ihnen in der Wirklichkeit nicht zugesteht. Und das hat nichts mit der wohlmeinenden Vereinnahmung für eine „gerechte Sache“ zu tun, mit der sich der herkömmliche sozialkritische und engagierte Film den „Unterschichten“ zuzuwenden pflegt. Costa sucht keine Einfühlung, kein Verstehen im hermeneutischen Sinne, er spürt keinen Innerlichkeiten und Befindlichkeiten nach, die Motive und Gründe liefern würden. Er bleibt so radikal außen und dabei so nah dran, daß die damit genau bezeichnete Trennlinie und Scheidewand umso schmerzhafter bewusst wird.

Eine ganze Reihe anderer Filme auf der Viennale führten den Zuschauer ähnlich wie Costas Film an die Randzonen, in ein seltsam magisches Zwischenreich, das eine Wirklichkeit jenseits konventioneller Realismen erstehen lässt, die gleichwohl materiell beglaubigt bleibt und nicht in mythisches Raunen abdriftet. Mit dem Protagonisten aus „El Amarillo“ des Argentiniers Sergio Mazza etwa lässt man sich über einen Fluss übersetzen und kommt dann in einem entlegenen Provinznest an, wo abends in dem Lokal „El Amarillo“ von einer faszinierend-rätselhaften Frau namens Amanda zur Gitarre abgrundtief traurige Lieder gesungen werden. In denen ist von den „einsamen, kalten Gipfeln des Lebens“ die Rede, von einem „unmöglichen“, ja „übermenschlichen Leben“, nach dem sie suchte. Schon könnte man meinen, das Boot hätte einen über den Fluss in die Unterwelt, den Hades versetzt. Aber das Pathos dieser Liedtexte, jede Andeutung existentieller Symbolik wird in diesem Film von der Banalität und der staubigen, ereignislosen Provinzalltäglichkeit konsequent hintertrieben; die Kamera heftet sich an den Protagonisten, der im Lokal „El Amarillo“ irgendeine Art von Unter- und Auskommen sucht, und verfolgt ihn bei seinen unspektakulären Tätigkeiten, bei seinen kläglichen Versuchen, mit den maulfaulen Dorfbewohnern ins Gespräch zu kommen, bis es wieder Abend wird und alle sich aufs neue im „El Amarillo“ einfinden, das auch als Bordell fungiert. Wieder erklingen die traurigen Lieder, gesungen und gespielt von Amanda, deren Darstellerin Gabriela Moyano die Lieder auch komponiert und geschrieben hat. Mazzas Film ist eine grandiose Übung in Understatement, und es gelingt ihm, die klischeehafte argentinische Traurigkeit und Melancholie zitathaft anzuführen und auf Distanz zu rücken und dabei doch in glaubwürdiger Form selbst zu verkörpern.

In ähnlicher Form zitiert der Spanier Albert Serra in seiner Don-Quijote-Verfilmung „Honor de Cavalleria“ den Heroismus des Ritters von der traurigen Gestalt und verleiht ihm eine neue Ernsthaftigkeit, indem er ihn gewissermaßen auf die Buchstäblichkeit seiner fahrenden Ritterschaft reduziert und Don Quijote und seinen Knappen Sancho Pansa in rudimentären Rüstungen einsam durch nichts als Landschaft ziehen läßt. Handlung und Abenteuer ergeben sich höchstens als Andeutung, wenn man einmal die in Ketten gehenden Sträflinge und ihre Bewacher am gegenüberliegenden Berghang entlangziehen sieht. Im Roman von Cervantes kommt es zu einer der vielen lebhaft ausagierten und wortreich ausdiskutierten Episoden, wenn Don Quijote die Sträflinge befreit. Bei Serra bleibt davon nur ein Lichtreflex im späten Dämmerlicht über den Berghängen, die eigentlichen Geschehnisse stellen hier die vom Wind bewegten Bäume dar und das Rauschen, das dabei entsteht, das Spiel des Lichtscheins in den Blättern, das Zirpen der Grillen. Aber es erfolgt dabei nie eine Auflösung ins bloß Atmosphärische oder beliebig Impressionistische, der Kamerablick hat immer eine Dringlichkeit und Konzentration, die den Zuschauer unwillkürlich in den Bann zieht. Es ist, als praktizierte Serra das von Jacques Rivette in seinem Manifest „Wir sind nicht mehr unschuldig“ von 1950 geforderte „Kino des Protokollierens direkt aufs Filmmaterial“ mit einer bislang nie gekannten Konsequenz und Reinheit. Seit der Parkszene in Antonionis „Blow up“ hat man den Wind gewiss niemals so rauschen sehen wie in diesem Film, und Don Quijote steht diesem Rauschen und Brausen mit erhobenem Schwert und einer Aufmerksamkeit, ja Wachsamkeit und Gespanntheit gegenüber, die sich auf den Zuschauer überträgt. Man kann das fast als emblematische Szene kinematographischen Sehens begreifen, und in gewisser Weise sind die Viennale-Kinogeher alle solche Don Quijotes.

Wolfgang Lasinger

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