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Berlinale 2006 17.02.2006
 
 

Die Last und Lust der vielen Filme

WHERE THE TRUTH LIES

Bärenkandidat? A PRARIE HOME COMPANION von Altmeister Robert Altman

 
 
 
 

Rätselraten um die Goldenen Bären: Unsicherheit vor der Vergabe der Preise bei der 56. Berlinale.

Wer bekommt den Goldenen Bären? Auch am letzten Tag eines durchweg interessanten, wenn auch künstlerisch nicht übermäßig inspirierten Wettbewerbs hat sich unter mehreren guten Kandidaten noch kein klarer Favorit für die begehrte Trophäe herausgeschält. Kaum überraschend wird Michael Winterbottoms engagiertes Politdrama ROAD TO GUANTANAMO hoch gehandelt: Ein Film, der haargenau in die Zeit passt, der dem von Berlinale-Chef Dieter Kosslick behaupteten Festivaltrend - "Die Rückkehr des Politischen" - entspricht, und der auch filmisch zum zwingendsten gehört, das man in den letzten acht Tagen sah. Aber wird der stilistische Moralist Winterbottom nur drei Jahre nach seinem Berlinale-Gewinn mit IN THIS WORLD - kurz vor Beginn von Bushs Irak-Abenteuer auch dies ein politischer Film - schon wieder triumphieren?

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Auch Robert Altman hat Chancen. A PRARIE HOME COMPANION über das Ensemble einer altmodischen Live-Radioshow bei ihrem letzten Auftritt, ist ein ausgezeichneter Film, stilistisch perfekt, ungemein souverän im Selbstbewusstsein, mit dem der Regisseur hier ein weiteres Mal seine Themen durchspielt, und herzzerreißend als versteckter Abschiedsgruß eines der besten Filmemacher der letzten Jahrzehnte. Altman wird am Sonntag 81, und wenn man ihm den Sieg auch als Geburtstagsgeschenk gönnt, so vermutet man doch, dass die internationale Jury eher auf die Zukunft des Weltkinos achtet, als ein Lebenswerk ehrt.

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Kaum jünger ist der 75-jährige Claude Chabrol. L'IVRESSE DU POUVOIR ist ein weiterer Abstieg in die Niederungen der französischen Bourgeoisie, für die Chabrol berühmt ist. Im Zentrum des Politthrillers steht eine prominente Staatsanwältin, die mit politischen Ermittlungen in der Männerwelt Karriere macht. Ihr neuester Fall führt sie auf schwarze Geschäfte eines öffentlichen Betriebs - und bringt sie in Lebensgefahr. Genüsslich seziert Chabrol den Machttrieb eines Milieus, die Eitelkeiten und Verführungen der Macht, von denen sich auch die Ermittlerin in Versuchung führen lässt, derweil ihre Ehe scheitert. Das Herz des Films ist Isabelle Huppert in der Hauptrolle - wie immer ein Genuss. Ihren Rollen bei Chabrol, Haneke und zuletzt Chereau fügt Chabrol allerdings auch nichts wirklich Neues hinzu. Chabrol gelingt eine überaus vergnügliche von Süffisanz triefende Innenansicht der Macht, die aller Ehren wert ist - aber kein Goldener Bär.

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So bleiben die Deutschen: Während Oskar Roehlers dekoffeinierter Houellebecq-Aufguss ELEMENTARTEILCHEN bereits eine knappe Woche nach seiner Premiere wieder vergessen ist, bleibt Matthias Glasners Vergewaltiger-Drama DER FREIE WILLE ebenso im Gedächtnis, wie das beachtliche Debüt der Berliner Filmhochschülerin Valeska Griesebach: SEHNSUCHT ist eine mit Laien inszenierte große Tragödie aus der Brandenburger Provinz. Entscheidend ist nicht die Geschichte - ein Bauer geht fremd, kann sich zwischen zwei Frauen nicht entscheiden und scheitert bei einem Selbstmordversuch -, sondern die Inszenierung: ein kühler, konzentrierter Seiltanz zwischen Naturalismus und Künstlichkeit - und der künstlerisch konsequenteste Film im Wettbewerb. Ein Preis dürfte beiden Filmen sicher sein, der für den "besten Film" wäre aber eine Überraschung.

Bleibt Hans-Christian Schmids REQUIEM der als letzter Film lief. Die Hauptfigur ist ein junges Mädchen, das in den frühen 70ern von der schwäbischen Alp heruntersteigt und in Tübingen ein Pädagogik-Studium beginnt. Ihre Eltern und sie selbst sind streng katholisch, Epileptikerin ist sie auch noch, und irgendwann im ersten Semester beginnen die Probleme: Sie hat Anfälle, arbeitet ununterbrochen, wird zunehmend etwas wunderlich im Verhalten, und schließlich bekommt sie auch noch religiöse Visionen. Mal meint sie "ein Dämon" sei in sie gefahren, dann wieder identifiziert sie sich mit einer Heiligen; von Außen glaubt man eher, die verständnislose Mutter sei schuld oder ihre eigene Bigotterie, und vielleicht gehört Michaela einfach in eine Klinik. Immer weiter spitzt sich das Drama zu, bis irgendwann ein Teufelsaustreiber geholt wird… Das ist ein atemberaubend spannend, dicht und sehr gegenwärtig - denn außer um den Stellenwert der Religion geht es auch um Freiheitsdrang und Selbstbehauptung des Einzelnen. Stilistisch erinnert der Film an eine Mischung aus BREAKING THE WAVES und den späten Kieslowski.

Wenn hier die Last und Lust der vielen Filme nicht den Blick des Berichterstatters trübt, und die Jury nicht die politische Message noch über künstlerische Intensität stellen will, wäre REQUIEM am Samstag eigentlich der perfekte Berlinale-Sieger.

Rüdiger Suchsland

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