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Berlinale 2006 16.02.2006
 
 

"Wir haben den Sinn für das verloren, was dort geschieht!"
Kafkas Alptraum: Michael Winterbottom zu seinem Berlinale-Film THE ROAD TO GUANTANAMO.

WHERE THE TRUTH LIES

Perverses System:
Szene aus THE ROAD TO GUANTANAMO

 
 
 
 

"Vor fünf Jahren hätte man Guantanamo nicht für möglich gehalten." betonte Michael Winterbottom, "Allein das Faktum seiner Existenz ist weiterhin schockierend. Aber wir alle gewöhnen uns daran, obwohl dort weiterhin über 500 Menschen inhaftiert sind, ohne Anklage, ohne Anwälte, ohne auch nur die Möglichkeit, ihre Unschuld zu beweisen." Um das zu ändern, hat der Brite seinen neuen Film THE ROAD TO GUANTANAMO gedreht, der gestern im Berlinale-Wettbewerb gefeiert wurde.

In einer Mischung aus Spielfilm und Dokumentation erzählt er die Geschichte von Asif, Ruhel und Shafiq. Sie erlebten Kafkas Alptraum. Sämtlich in London lebende britische Staatsbürger pakistanischer Abstammung, gerieten die drei, die eigentlich im Oktober 2001 nur in Pakistan waren, um Asifs Hochzeit zu planen, durch Pech, Leichtsinn und dumme Zufälle im Zuge der US-Invasion in Afghanistan in die Fänge der amerikanischen Truppen. Von diesem Moment an wurden sie von den Amerikanern über zwei Jahre im Konzentrationslager Guantanamo unter menschenrechtswidrigen Bedingungen gefangen gehalten und gefoltert, bevor man sie auf Druck der britischen Behörden endlich entließ. Man behauptete, sie für Terroristen zu halten, und auch ihre britische Staatsangehörigkeit konnte ihnen noch nicht einmal einen Anwalt verschaffen.

"Stellen Sie sich vor, sie wären in dieser Situation", appellierte Winterbottom nach dem Film an sein Publikum: "Unabhängig davon, ob sie schuldig sind, sollte man nicht foltern, und zumindest einen fairen Prozeß garantieren. Aber in Guantanamo dehumanisiert man die Menschen, hält sie in Käfigen, foltert sie - es ist ein unglaublich perverses System. Aber wir haben den Sinn für das verloren, was dort geschieht!"
"Wir hatten keine Vorstellung, worum es überhaupt ging." versuchte Asif Iqbal seine Erfahrung als Gefangener der USA zu beschreiben. "Es ist einfach passsiert. Im Gegensatz zu vielen unserer Mitgefangenen konnten wir immerhin noch mit unseren Wärtern kommunizieren."

In einem durchweg starken Berlinale-Wettbewerb hat Winterbottom nach dem gestrigen Triumph nun durchaus Chancen auf seinen zweiten "Goldenen Bär" nachdem 2003 IN THIS WORLD gewann. THE ROAD TO GUANTANAMO ist engagiertes Politkino, aber auch in seiner Form mitreißendes Kino, eine Gratwanderung zwischen nüchterner Bestandsaufnahme und leidenschaftlichem Apell an die Öffentliche Meinung, die die Gefahr des billigen Moralismus vermeidet. Ein Film, der nicht nur "wichtig" ist, sondern auch gut.

Rüdiger Suchsland

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