"Vor fünf Jahren hätte man Guantanamo nicht
für möglich gehalten." betonte Michael Winterbottom,
"Allein das Faktum seiner Existenz ist weiterhin schockierend.
Aber wir alle gewöhnen uns daran, obwohl dort weiterhin
über 500 Menschen inhaftiert sind, ohne Anklage, ohne
Anwälte, ohne auch nur die Möglichkeit, ihre Unschuld
zu beweisen." Um das zu ändern, hat der Brite seinen
neuen Film THE ROAD TO GUANTANAMO gedreht, der gestern im
Berlinale-Wettbewerb gefeiert wurde.
In einer Mischung aus Spielfilm und Dokumentation erzählt
er die Geschichte von Asif, Ruhel und Shafiq. Sie erlebten
Kafkas Alptraum. Sämtlich in London lebende britische
Staatsbürger pakistanischer Abstammung, gerieten die
drei, die eigentlich im Oktober 2001 nur in Pakistan waren,
um Asifs Hochzeit zu planen, durch Pech, Leichtsinn und dumme
Zufälle im Zuge der US-Invasion in Afghanistan in die
Fänge der amerikanischen Truppen. Von diesem Moment an
wurden sie von den Amerikanern über zwei Jahre im Konzentrationslager
Guantanamo unter menschenrechtswidrigen Bedingungen gefangen
gehalten und gefoltert, bevor man sie auf Druck der britischen
Behörden endlich entließ. Man behauptete, sie für
Terroristen zu halten, und auch ihre britische Staatsangehörigkeit
konnte ihnen noch nicht einmal einen Anwalt verschaffen.
"Stellen Sie sich vor, sie wären in dieser Situation",
appellierte Winterbottom nach dem Film an sein Publikum: "Unabhängig
davon, ob sie schuldig sind, sollte man nicht foltern, und
zumindest einen fairen Prozeß garantieren. Aber in Guantanamo
dehumanisiert man die Menschen, hält sie in Käfigen,
foltert sie - es ist ein unglaublich perverses System. Aber
wir haben den Sinn für das verloren, was dort geschieht!"
"Wir hatten keine Vorstellung, worum es überhaupt
ging." versuchte Asif Iqbal seine Erfahrung als Gefangener
der USA zu beschreiben. "Es ist einfach passsiert. Im
Gegensatz zu vielen unserer Mitgefangenen konnten wir immerhin
noch mit unseren Wärtern kommunizieren."
In einem durchweg starken Berlinale-Wettbewerb hat Winterbottom
nach dem gestrigen Triumph nun durchaus Chancen auf seinen
zweiten "Goldenen Bär" nachdem 2003 IN THIS
WORLD gewann. THE ROAD TO GUANTANAMO ist engagiertes Politkino,
aber auch in seiner Form mitreißendes Kino, eine Gratwanderung
zwischen nüchterner Bestandsaufnahme und leidenschaftlichem
Apell an die Öffentliche Meinung, die die Gefahr des
billigen Moralismus vermeidet. Ein Film, der nicht nur "wichtig"
ist, sondern auch gut.
Rüdiger Suchsland
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