Mit NACH 5 IM URWALD wurde der 1965 in Altötting geborene
Hans Christian Schmid 1996 bekannt. Zuvor hatte er in der
Dokumentarfilmklasse der Münchner Filmhochschule studiert.
Es folgten "23" (1997) und CRAZY (2000). Mit dem
Episodenfilm LICHTER (2002) war Schmid erstmals im Berlinale-Wettbewerb
vertreten. Dort hat nun auch sein neuer Film REQUIEM Premiere:
Die Geschichte eines jungen Mädchens aus streng katholischer
Familie, das von religiösen Visionen heimgesucht wird:
Mal meint sie "ein Dämon" sei in sie gefahren,
dann wieder identifiziert sie sich mit einer Heiligen - bis
irgendwann ein Teufelsaustreiber geholt wird
Vorbild
war der reale Fall eines Mädchens, das 1976 nach einem
Exorzismus starb.
artechock: REQUIEM verbindet Leitmotive aller Deiner
früheren Filme: In Deinen frühen Dokumentationen
HIMMEL UND HÖLLE und DIE MECHANIK DES WUNDERS geht
es um Religion. In NACH 5 IM URWALD und CRAZY in heiterer
Form um Eltern-Kind-Beziehungen und ums Erwachsenwerden,
in "23" um einen Menschen, der zunehmend den Halt
verliert, und in seiner eigenen Welt lebt. Welcher Aspekt
ist aus Deiner Sicht zentral?
Schmid: Mir ist der Bezug zu Figuren früherer
Filme wie Karl Koch aus "23" wichtiger, als der
zum Thema Religion in den Dokus. Ich habe auch keine missionarischen
Gedanken. Schon vor langer Zeit, ca. 1998, kam mir eine Geschichte
des realen Exorzismus, der sich in den 70ern in Unterfranken
ereignet hatte, in die Hände. Ich fand das sehr extrem,
noch schwerer zu zeigen als "23", weil es da gar
keine Feinde gab im Leben der Betroffenen - außer, was
aus ihr selbst kam. Sie ging studieren, und irgendwann sagt
sie: Ich glaub' ich bin besessen. Wir haben das dann wieder
zur Seite gelegt - aber es hat mich nicht mehr losgelassen.
Das Interesse für diese Frau blieb bestehen, für
eine Mutter-Tochter-Geschichte, die schon etwas weniger versöhnlich,
deutlich härter ist, als die Familiengeschichte in NACH
5 IM URWALD. Das ist vielleicht auch eine persönliche
Entwicklung.
Religiosität in der hier gezeigten Form - auch die
der Familie - ist ja für einen heutigen Durchschnittsmenschen
eher befremdlich. Was hat Dich daran überhaupt fasziniert?
Schmid: Das Hauptinteresse war das an der Kraft, die
sich der Hauptfigur bemächtigt, und es niemandem ermöglicht,
zu ihr durchzudringen. Das war es, was mich fasziniert hat.
Man könnte ja anders mit dem Thema umgehen. Der Film
spielt ungefähr Anfang der 70er, da haben in Westdeutschland
viele Jugendliche rebelliert
Schmid: Das ist ja ganz harmlos, was diese Michaela
erlebt. Sie geht studieren und will überhaupt nichts,
außer ein bisschen Liebe erfahren und ihr kleines privates
Glück finden. Trotzdem gehört die Geschichte klar
in die 70er: Weil es diese Elterngeneration war - ich kenne
diese Härte und diese Freundlosigkeit und diese Demut
und den ganzen Quatsch von der Generation meiner Großeltern
- gegen die die 68er rebellierten. Michaela macht das auf
ihre Art auch. Eine Rebellion kann man es wohl nicht nennen,
eher ein Kämpfen um Abnabelung. Aber durch das Studium
wird sie auf die beengten Familienverhältnisse zuhause
erst recht zurückgeworfen.
Hattest Du eigentlich zu der Familie Michel, in der sich
der Exorzißmus 1976 ereignete, Kontakt?
Schmid: Ich habe sogar weiterhin zu der Schwester
von Anneliese Michel Kontakt. Die knabbert immer noch an den
Ereignissen - eigentlich klar... Die war mir gegenüber
sehr entgegenkommend. Die sind sich bewusst, dass dieses Geschehen
nicht mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein herauszulöschen
ist.
Man könnte den Film auch als Kommentar zum Gebrauch
von Religion verstehen. Hat der Stoff aus Deiner Sicht auch
eine solche allgemeinere aktuelle Bedeutung? Interessiert
Dich dies überhaupt?
Schmid: Doch. Weil ich natürlich auch überlege:
Was soll das jetzt heute sein? Aber ich mache den Film, weil
mich die Geschichte interessiert. Die Geschichte der Michaela
verweist auf viele verschiedene Ebenen. Welche Werte gab es
damals, gegen die man sich auflehnen wollte? ... Mir ist jemand
wie Holger Meins eingefallen. Man kann Zusammenhänge
herstellen zu Magersüchtigen.
Ich finde dagegen nicht, dass man sagen muss: Auch heute wird
noch exorziert. Manche glauben, das sei ein Phänomen
de Mittelalters. Aber die Kirche hat sich davon nie distanziert
- im Gegenteil: Exorzisten werden verstärkt ausgebildet;
die Nachfrage ist da.
Spannend ist der Bezug zum Fundamentalismus. Man kann darüber
nachdenken: Warum sind heute Menschen bereit, für einen
Glauben zu sterben? Das finde ich tragisch und völlig
verkehrt. Wie hat sich das möglicherweise bei Michaela
manifestiert? Sie deutet sich selbst als Märtyrerin,
es kommt von ihr. Aber sie war krank. Wenn man auf heutige
Märtyrer blickt, dann sind das gesunde Menschen, die
so geblendet sind von ihren Glaubensgrundsätzen, dass
sie rationale Wertmaßstäbe aufgeben und sich opfern.
Was macht Menschen zu Fundamentalisten?
Wie ist Dein persönliches Verhältnis zu Religion?
Schmid: Ich glaube, dass es eine sehr feste Stütze
sein kann, wenn man religiös ist. Ich bin das nicht.
Ich bin vor 15 Jahren aus der Kirche ausgetreten und kaum
religiös. Ich habe so einen Privatglauben, wie ihn viele
haben.
LICHTER war aus meiner Sicht für Dich als Regisseur
eine deutliche Weiterentwicklung. REQUIEM ist das auch wieder.
Erkennst Du selber eine Entwicklung, willst Du als Regisseur
irgendwohin? Oder denkst Du von Film zu Film?
Schmid: Ich merke eher verstärkt, was ich nicht
machen möchte. Ich versuche, eine bestimmte Neugier nicht
zu verlieren und mich nicht mit einfachen Lösungen zufrieden
zu geben. Man macht es immer so gut, wie man kann. Es ist
für mich gut, mit den gleichen Leuten wieder zusammen
zu arbeiten. Wir verständigen uns darüber, wie wir
glauben, dass Filme erzählen sollten. Aber es ist nicht
so, dass man sich gezielt weiterentwickeln würde. Man
versucht eigentlich, zu jedem Stoff die adäquate Umsetzung
zu finden. Vieles ist da auch intuitiv.
Ich sehe eine Gefahr: Man hat einmal seine Nische gefunden,
und macht immer das Gleiche - weil es geht. Zum Beispiel Ken
Loach. Ich gucke mir jeden Film an. Aber Soderbergh ist spannender.
Da weiß man nie, was als nächstes kommt. Aber es
wird wahrscheinlichganz gut sein.
Bist Du mit Deinen Möglichkeiten als Regisseur hier
in Deutschland zufrieden?
Schmid: Darüber denke ich viel nach. Ich schätze
die Möglichkeiten gut ein, auch wenn die Budgets limitiert
bleiben werden. Weil die Freiheit, mir Stoffe suchen und verfilmen
zu können, für mich im Moment groß ist.
Du bist jetzt ja auch erstmals Dein eigener Produzent
geworden. Warum? Gibt einem das mehr Möglichkeiten?
Verdient man mehr Geld?
Schmid: [Lacht] Geldverdienen ist die ganz falsche
Idee. Weil man als Produzent erstmal die Gage zurückstellt.
Ich wollte mehr Verantwortung, die Rechte meiner Filme behalten
und noch mehr Identifikation mit dem Produkt. Ganz stark ist
auch der emotionale Beweggrund: Ohne Produktionsfirma hat
mir die Verankerung gefehlt. Ich habe versucht, mir diese
Situation wiederherzustellen: Ein Büro, in das man fahren
kann, wo ein paar Leute sitzen, mit denen man etwas gemeinsam
machen kann. Und ich wolle auch, das was ich gelernt habe,
weitergeben, mich für jemanden einsetzen, der am Anfang
steht.
Eine Gefahr zumindest liegt ja nahe: Du kannst Dich weniger
auf Regie konzentrieren...
Schmid: In den letzten Monaten, ja. Weil man die Firma
positionieren muss. Während des Drehs hatte ich für
alles gute Leute. Ich habe mich gut aufgehoben gefühlt.
Vor zehn Jahren kam NACH 5 IM URWALD heraus. Seitdem hast
Du fünf Filme gemacht. Das ist einerseits viel, andererseits
liegt trotzdem sehr viel Gewicht auf dem einzelnen Film
- wenn ich es mal mit meinem Beruf vergleiche, wo man quasi
jeden Tag etwas schreibt: Schätzt Du das, oder empfindest
Du dieses Belastung?
Schmid: Ich hätte gern mehr Filme gemacht. Die
Energie war da, aber die Stoffe nicht. Vielleicht kann ich
das mit der Firma ändern. Weil ich leichter auf Autoren
zugehen kann. Aber durch diese Dauer entsteht auch das Gewicht.
Das war ein Teil der Motivation, CRAZY zu machen. Weil da
auf einmal da und möglich war. Ich würde mir mehr
Abwechslung wünschen, mal eine kleine schnelle unaufwendige
Geschichte, dann wieder was Größeres.
Wenn Du jetzt "nur" als Produzent einen Film
machst - ist dann die Identifikation gleiche?
Schmid: Nein. So wie ich die Rolle des Produzenten
verstehe, ist es immer der Film des Regisseurs, und man hilft,
ihn möglichst optimal entstehen zu lassen. Der Produzent
ist nur dann von mehr Bedeutung, wenn er das Paket zusammenstellt.
Hast Du manchmal das Gefühl, viel mehr Geschichten
erzählen zu wollen, als Du kannst?
Schmid: Das hatte ich nicht, weil die Geschichten
nicht da waren. Man hat ständig Ideen, aber legt sie
auch wieder weg. Wenn ich aber wirklich an dem Punkt war,
daraus einen Film machen zu wollen, habe ich den auch gemacht.
Das war dann halt nicht so oft.
Tut das den Stoffen gut, dass es so lange dauert?
Schmid: Das ist von Person zu Person verschieden.
Mich belastet das Gewicht nicht. Als Regisseur muss man sich
immer mit jedem Film beweisen. Es kann mit jedem Film passieren,
dass er nicht gelingt, oder nicht verstanden wird.
Was ist für Dich eigentlich der Reiz daran, Regisseur
zu sein, worin liegt der Thrill?
Schmid: Jetzt möchte ich dann gerne auch mal
wissen, worin der Thrill an Deinem Beruf ist? [Lacht] Was
mir an der praktischen Arbeit gefällt, ist der Wechsel
von alleine sitzen und schreiben und dann im großen
Team sitzen und reden. Jede Phase dieser Arbeit bedeutet für
mich viel, ich sehne mich dann jeweils danach, wenn es soweit
ist. Das ist für mich schon ein großer Vorteil
gegenüber anderen Berufen: Es ist nicht jeden Tag das
Gleiche. Jeder, der schreibt oder malt oder komponiert, findet
wahrscheinlich seine Bestätigung in der Anerkennung.
Er möchte, dass Menschen von dem, was da ist, bewegt
werden. Und ich finde es ein großes Privileg, das machen
zu können. Faszinierend finde ich, dass man so ein starkes
Gruppenerlebnis hat. Ich weiß nicht, wo es das in der
Kunst sonst noch so gibt. Ansonsten ist es ja höchst
albern, einem Filmtram bei der Arbeit zuzugucken.
Deine Hauptdarstellerin Sandra Hüller hat noch nie
zuvor in einem Film gespielt. Ist das Dich ein doppeltes
Risiko? Wie bist Du auf sie gekommen? Sie selbst erzählt,
es sei ein Vorschlag von der Casterin gewesen
Schmid: So einfach ist das manchmal. Interessant ist,
dass man denkt, das sei ein doppeltes Risiko. Das denke ich
seit Franka Potente oder August Diehl nicht mehr. Man wird
nicht besser, wenn man einmal so einen Film gedreht hat. Das
glaube ich nicht. Ich glaube, es gibt Leute, die sind begabt
und passen für die Rolle, und es gibt Leute, die sind
nicht so begabt, oder passen nicht.
Die Angst müsste ja sein: Trägt die das? Hält
die das durch? Da kannst Du aber davon ausgehen, dass jemand,
der die Ernst-Busch-Schule absolviert hat, einiges erträgt.
[Lacht] Dass es keine Frage ist, ob die das durchhält.
Ob sie es trägt, das musst Du vorher entscheiden. Und
das siehst Du hoffentlich, wenn Du das Casting machst: Ist
es interessant genug, der so lange zuzuschauen? Wiederholen
sich die Gesten oder die Mimik? Hat die Ideen zu einer Szene?
Gibt es immer wieder Momente, wo man der nicht glaubt?
Das Finden ist dann wirklich ziemlich unspektakulär:
Meine Casterin Simone Bär macht einen Vorschlag; und
sie war der erste Vorschlag. Und ich sagte dann "Jetzt
machen wir es uns mal nicht so einfach, wir haben ja noch
vier Wochen Zeit. Dann gucken wir dann noch." Ich bin
da vorsichtig.
Aber wenn man dann in den ersten Szenen zwei, drei Leute gesehen
hat, und dann merkt: Das ist nicht mehr so gut, dann kommt
man schon zu dem Punkt, wo man es einschätzen kann.
Es gab auch bei ihr so ein erstes Mal: Da sollte sie das Lied
hören, zu dem sie im Film tanzt, und dazu tanzen - und
da stand sie dann zwei Minuten, stakste so im Studio rum,
und hat sich dann gleich so reingesteigert, dass ihr die Tränen
über die Wangen gekullert sind. Irgendwie merkt man dann,
dass das sehr intensiv ist. Das konnte sie einfach so.
Was ist das Besondere an ihr, das sie unterscheidet von
anderen, sie auch gut sind?
Schmid: Sie hat überhaupt keine Angst, dass es
hässlich ist, oder unbequem, was sie tut, hat keine Angst,
sich auf etwas einzulassen. Ich komm' da sehr schnell an einen
Punkt, wo ich ein Talent nicht erklären kann. Wo ich
nur sagen kann: Die Wörter, die da im Drehbuch stehen,
kommen so aus ihrem Mund und sie bewegt sich so dazu, dass
ich alles überzeugend finde. Das muss wahrscheinlich
eine sehr besondere Phantasiebegabung sein. Oder ein Ausscheiden
einer Kontrollebene, und das ist überzeugend. Wenn ein
Schauspieler das nicht kann, kann ich es auch nur ganz selten
noch herstellen. Je länger man dann redet, um so verkopfter
wird es.
Wie wird REQUIEM starten?
Schmid: Angemessen, mit ca. 90 Kopien.
Ist der Zuschauerzuspruch fuer Dich ein Kriterium für
Erfolg
Schmid: Ja. Aber 160.000 Zuschauer für Lichter
genau so ein Erfolg wie die eineinhalb Millionen für
"Crazy". Jeder Film hat ein zu erwartendes Publikum.
Wie wird es für Dich weitergehen als Produzent, als
Regisseur?
Schmid: Ich werde den neuen Film von Robert Thalheim,
dem Regisseur von NETTO produzieren. Ich habe auch etwas Eigenes
in Vorbereitung, ganz grob gesagt eine Art Politthriller,
aber mehr ist dazu noch nicht zu sagen. Und ich versuche,
noch mehr für meine Firma zu tun, sie in Schwung zu bringen.
Das ist doch viel, oder?
Jetzt bist Du bereits zum zweiten Mal im Berlinale-Wettbewerb
vertreten. Im Gegensatz zu anderen Kollegen weisst Du bereits,
wie das ist. Freust Du sich drauf?
Schmid: Erstmal guckt man selber die Filme. Und denkt:
Oh, wie vergleiche ich die jetzt miteinander? Was ich mir
ein bisschen abgewöhnt habe, ist, Juryentscheidungen
ergründen zu wollen. Das ist eine Auszeichnung für
den Film, dass er in diesem Umfeld sein darf. Alles, was dann
kommt, muss sich zeigen. Das ist das, was daran fasziniert
und was auch beängstigend ist: Das ist so eine Megaplattform.
Der Film läuft morgens in der Pressevorführung und
danach ist er positioniert. Das ist der beste Moment glaube
ich, dass man da nach einem Prozeß, der zwei Jahre dauert,
sitzt im Saal, und dass das Licht ausgeht: So! [Lacht]
Mit Christian Schmid sprach Rüdiger
Suchsland.
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