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Regisseur Dominik Graf über seinen neuen Film
DER ROTE KAKADU, die DDR des Jahres 1961, die Wurzelzwergsprache
Sächsisch und das Erzählen der Vergangenheit im
Kino.
Seit über 20 Jahren gilt der 1952 geborene Dominik Graf
als einer der besten deutschen Regisseure. Filmisch war er
seiner Zeit oft voraus. Schauspieler, die einmal mit ihm zusammengearbeitet
haben, berichten nur Gutes, manchen Produzenten hingegen gilt
Graf, der akribisch, auch in den scheinbar unwesentlichsten
Dingen kompromisslos um Qualität bemüht ist, als
zu teuer. Graf hat viele Preise gewonnen und dreht jährlich
mindestens einen Film, zumeist fürs Fernsehen. Doch auch
noch das scheinbar konventionellste Format, Folgen von Krimi-Reihen
wie "Tatort", "Sperling" oder "Polizeiruf"
führt er zu ungeahnten Höhen - und macht aus ihnen
immer typische Dominik-Graf-Filme. Jetzt läuft sein neuer
Kinofilm "Der Rote Kakadu" im Berlinale-Panorama.
artechock: Es ist ja bekannt, dass Michael Klier
hatte ein Drehbuch geschrieben hatte und das jetzt selber
verfilmenwollte. Wie kommt es jetzt dazu, dass Du DER ROTE
KAKADU verfilmst? Was interessiert Dich an dem Thema?
Graf: Ich habe das Drehbuch in einer Phase angeboten
bekommen, als ich gerade ein anderes Projekt vorbereitete.
Ich hatte vom ersten Moment an das Gefühl: Dies ist eine
Chance, die man in Deutschland nicht oft bekommt.
Alle historischen Filme, die mir zuvor angeboten wurden -
keinen von ihnen habe ich gemacht - hatten alle das gleiche
Problem: Ein Leiden an einer Übergewalt von Historie,
und an Dramatik. Die Macher denken sich, die Zuschauer wollten
das, um "dranzubleiben".
Hier aber war nun ein Historienfilm, der erzählte in
diesem Sinn - nichts! Der erzählte eine Dreiecksgeschichte,
eine Liebesgeschichte, die nicht einmal eine richtige Liebesgeschichte
ist, sondern eher eine Bewunderungsgeschichte; der erzählt
Atmosphären und Stimmungen und am Ende kommt die große
Weltgeschichte und walzt alles platt. Aber erst am Ende, in
den letzten 20 Minuten - da kommt das System als das DDR-System,
als das wir es heute so kennen. Bis dahin wirkt alles fast
wie ein Internat, in dem die Schüler sich über die
Lehrer lustig machen. Und selbst, wenn die mit Gummiknüppeln
schlagen, wirkt es lächerlich - eigentlich hat man eher
so seine privaten Sorgen. Und dann irgendwann wird es plötzlich
ernst. Das fand ich von Klier extrem gewagt. Das hatte ich
so über die DDR noch nie gelesen, auch mit den ganzen
Details: Von den Meissner-Porzellanfiguren, die da über
die Grenze geschmuggelt und verkauft wurden, bis zu
Lauter so liebevolle kleine Dinge; es war wie ein Museum der
Gegenstände, das der Klier da aufgebaut hatte. Man musste
sich eigentlich nur dadurchhangeln - War das wirklich so?
Waren die Figuren so beliebt? Wurden sie so hoch gehandelt?
Es war tatsächlich so - um sich ein ganz eigenes und
völlig anderes Bild der DDR aufzubauen. Wenn man dann
versucht, das abzubilden, dann ist das gar nicht so weit weg
von der eigenen Jugend.
Trotzdem hatte ich irgendwann das Gefühl: Es ist ein
fremdes Land, über das ich erzähle - für mich
wirklich auch Ausland
Aber es ist auch ein Stück
so, wie man sich eigentlich die DDR immer gewünscht hat;
man macht als Wessi dann den Film auch mit einem gewissen
Schimmer - der jetzt kein Schimmer der Nostalgie ist. Sondern
das Gefühl: Es hätte eine andere Chance gehabt.
Der liegt natürlich vor allem über der Frau.
Ich habe im Kino auch an die DDR-Schriftstellerin Brigitte
Reimann gedacht. Natürlich: Das ist eine DDR, die damals
noch existiert hat, das glaubt man, und die dann untergründig
vermutlich noch viel länger existiert hat. War es für
Dich als Regisseur sehr schwierig und eine Umstellung, überhaupt
einen Kostümfilm, Historienfilm zu drehen - das ja
ist tatsächlich für Dich der erste Film, der in
der Vergangenheit spielt.
Graf: Jaja, ich hab noch nie alte Autos durch einen
Film fahren lassen - das alleine ist schon ein Problem. [Lacht]
Das ganze Angebot kam in dem Fall relativ kurzfristig: Anfang
2004, und ab Juni musste gedreht werden. Das heißt,
ich hatte gar nicht so viel Zeit, mich in die DDR 1961 einzuarbeiten.
Sondern es reichte, an dem, was Michael Klier da vorgegeben
hatte, sich in die DDR-Geschichte einzuarbeiten, und dann
mit meinem Drehbuchautor Günter Schütter noch eine
Schicht darüber zu legen.
Was habt Ihr da gemacht?
Graf: Wir haben uns eine Liste mit Dingen gemacht,
die wir als Wessis gerne in einem DDR-Film sehen würden.
Ich sag jetzt nicht alles, was da drauf stand, [Lacht], das
meiste davon ist auch im Film. Also durchaus mit einem Blick
von außen: Als würde ein Franzose mit einem gewissen
utopischen Blick auf die Kolonialzeit zurückgucken. Es
ist wahrscheinlich an bestimmten Stellen auch sehr ignorant
- aber ich hoffe, dass es im Endergebnis nicht so rüberkommt.
Ich glaube, dass es aber jedenfalls sehr wichtig war, mit
dem Grundgefühl da ran zu gehen, dass es in den Sechziger
Jahren in der DDR nicht so verklemmt zuging wie bei uns. Da
fühle ich mich dann schon als Zeitgenosse - das habe
ich selbst erlebt und weiß, was hier los war: Was für
eine dumpfe Republik das war. Und nach allem was man über
die DDR hört, scheint sich dies, vor allem was das Selbstbewusstsein
der Frauen anbetraf, doch stark von unseren Zuständen
zu unterscheiden.
Darum war es möglich, eine Figur wie die Louise, wie
sie von Michael vorgegeben war, und wie wir sie dann weiterentwickelt
haben, zum emotionalen Zentrum des Films zu machen. Dass man
sie auch als Westler nicht als Figur aus der Vergangenheit
empfindet, sondern sich vollkommen mit ihr identifizieren
kann und in die man sich auch heute noch verknallen würde.
Genau! DER ROTE KAKADU ist ja ein Film über Jugend.
Da trifft er schon viel von dem, was Du in anderen Filmen
auch gemacht hast. Da sehe ich auch die Nähe zu Deinen
anderen Filmen.
Würdest Du sagen, dass die DDR - jedenfalls die etwas
unschuldigere, privatere DDR - für das heutige Deutschland
jetzt zu einer Sehnsuchtslandschaft geworden ist? Mit GOOD
BYE LENIN fing das an, aber auch SOMMER VORM BALKON, der
zwar in der Gegenwart spielt, aber so einen DDR-Ton, defa-Ton
bewahrt hat.
Graf: Ja, ich glaube schon. Einerseits ist dieser
Sommer 1961 genau der Zeitraum, in dem die DDR ihren Garten
der Unschuld verlässt. Und es ist dabei überhaupt
eine ganz andere Frage, ob die DDR als Staatsmacht diesen
Garten freiwillig oder unfreiwillig verlassen hat. Der Druck
von Außen, von Ost wie West, war jedenfalls gewaltig
- auch was das angeht, muss man wahrscheinlich irgendwann
historisch noch mal etwas präziser werden, als immer
nur Leidensgeschichten aus West und Ost zu sammeln
Das
stimmt alles so nicht .
Mit dieser ganzen "Zeitzeugenhistorie" kommt man
letzten Endes nicht weit. Womit man aber schon weit kommt,
ist Alltagsgeschichte. Und da ist dann so eine Erinnerung
interessant, die sich an solchen Winzigkeiten, auch an ungewöhnlichen
Winzigkeiten festhält: Ich wusste nicht, dass in der
DDR ältere Damen Seancen veranstaltet haben. War aber
trotzdem so.
Und plötzlich wird der Blick immer größer.
Da weitet sich dieses kleine Land, dieses defa-Land. Und mir
ging es darum, dass man das aufnimmt, diese Direktheit der
Sprache, die Direktheit der Temperamente aus den defa-Filmen,
die wir so bewundert haben - wo war denn das eigentlich hier
in unseren Filmen bitteschön? Wo sind denn solche Figuren
wie Maria Morzek DAS KANINCHEN BIN ICH in unserem Kino? -
dass man das nimmt, und auch versucht auch die geheime DDR,
die untergründige DDR mit hinein zu bringen: Was war
denn los im "Roten Kakadu", was passierte denn,
wenn die dann nachts in die Hotelzimmer verschwunden sind?
Wie hat sich denn die Stasi amüsiert und war der Laden
denn wirklich so widerständlerisch, oder war er eigentlich
nur ein Tummelbecken von lauter Staatssicherheitsleuten, die
sich gegenseitig beobachtet haben? All das kann man in so
einem Film unterbringen. Weil der Film einem von der Struktur
her nicht ständig unter Plotpunktdruck setzt. Und das
war es eigentlich, was ich mit den historischen Projekten,
die ich mal begonnen hatte, immer versucht habe, aber immer
auch auf Widerstand gestoßen bin - weil man das halt
mit historischen Filmen identifiziert: Die Leute reden darin
dauernd über das politische Tagesgeschäft. So als
würden wir beide jetzt auch sofort darüber reden:
Wie ist denn jetzt Merkel, was ist den mit dem BND im Irak?
Das macht diese Filme so unwirklich. Und hier war die Chance,
plötzlich einen Film zu machen, der einem ganz nahe sein
kann. Der einem gleichzeitig zeigt, wie fern das alles ist.
Um diese Spannung zwischen beidem geht es.
Bevor Du diesen Film gemacht hast: Was hat da Dein DDR-Bild
geprägt, von den TV-Nachrichten mal abgesehen? Oder
hattest Du kaum eines?
Graf: Doch, doch. Ich war ja schon den 70er Jahren
lange Zeit in Berlin, und war auch oft dort drüben. Dann
habe ich schon zwei TV-Filme gemacht, die in der DDR spielen.
Das eine war ein "Morlock" mit Götz George
der in Leipzig spielte, als dort die ganzen Kombinate abgeräumt
wurden - das kam auch in dem Film vor. Und dann der in Weimar
gedrehte REISE NACH WEIMAR. Also die DDR hat mich grundsätzlich
immer interessiert. Aber ich hatte auch immer das Gefühl:
Das Bild ist nicht komplett. Sowohl in den 90ern, als immer
nur Stasi-Dramen im Vordergrund standen, als auch jetzt, wo
man die DDR als Operettenstaat entdeckt. Aber ich wäre
nicht auf den Gedanken gekommen, mich der Sache so zu nähern.
Alltagsgeschichte eben. Möglichst präzise, mit einem
Schimmer Wessi-Idealismus. Außer Jessica Schwarz kommen
auch alle Darsteller aus dem Osten. Das war mir wichtig, weil
ich das Gefühl hatte, die nehmen das noch mit in den
Film, auch wenn sie selber die DDR kaum erlebt haben.
Und sprechen Sächsisch
Graf: Mit Dialekten tarnen sich auch Gemütslagen.
Wir haben uns um so ein Hoch-Sächsisch bemüht. Es
gab ja auch zu DDR-Zeiten schon sehr viele Witze über
das Sächsische. Und man hatte von außen immer den
Eindruck: Das ist so eine Art geheime Hochsprache der DDR.
Diese Sprache hat so eine Heimtücke. Die ist wie so eine
Wurzelzwergsprache, klein und alles verkleinernd. Dahinter
kann sich aber eine Bösartigkeit verbergen - gerade weil
sie sich hinter so einem Verkleinerungsvorgang tarnt, wird
sie um so unangenehmer.
Könntest Du beschreiben, was das Spezielle an Dresden
ist? Das ist ja etwas anderes als München.
Graf: Dresden war aber wie München auch immer
eine Stadt, die den jeweiligen Systemen nicht abgeneigt war.
Natürlich keine "Hauptstadt der Bewegung",
aber ein reicher Ort der Herrscher, eine Residenz, vor dem
2. Weltkrieg noch strahlend schön, kein Widerstandsnest.
Und sie war 1961 noch fast völlig zerstört. Hätte
man damals von der "Blauen Wunder"-Brücke einmal
mit der Kamera nach links geschwenkt, hätte man immer
noch nur Trümmer gesehen. Das habe ich mir gespart, nicht
nur aus Geldgründen. Ich wollte keinerlei Digitalisierung
in diesem Film, das hätte ihm die Direktheit der Bilder
genommen. Mir gefiel die Vorstellung, dass einem die Ruinen
nicht dauernd vorgeführt werden, und dass dieser Club
im edlen Stadtteil "Weißer Hirsch" eigentlich
von außen so aussieht, als stünde er in Wiesbaden.
Der Bombenangriff kommt nur indirekt vor: In den Brandwunden
in der Haut von Frau Männchen, in zwei, drei Spuren im
Hintergrund
in der Karte "Wir bauen das neue Dresden".
Die ist historisch, nehme ich an?
Graf: Nein - das haben wir uns ausgedacht. Das sind
die Erfahrungen aus meinen Film MÜNCHEN. Wie bildet man
Topographien ab? Ansonsten ist es schwer, in Dresden überhaupt
noch Original-DDR-Räume zu finden. Die Stadt wird ja
in einer Weise herausgeputzt, und die DDR wird als historischer
Ort plattgemacht, dass es einen wirklich graust. Das ist diese
typische Form deutschen Verdrängertums - jetzt wollen
alle wieder ihre kleinen schnuckeligen Knusperhäuschen.
Gut - jetzt könnte ich mir vorstellen, dass manche
auf diese Argumentation antworten: Jetzt kommt da dieser
Wessi, und romantisiert mit seinem Sehnsuchtsblick die DDR;
dabei war das alles ganz furchtbar, und die Stasi war ganz
böse - und gerade jetzt gibt es auch wieder Filme,
die die schlimme Stasi in den Mittelpunkt stellen - die
es ja auch tatsächlich gab. Wie würdest Du dieser
Kritik antworten? Ist es eine Romantisierung diesen letzten
schönen Sommer der DDR darzustellen, den letzten Moment
der Unschuld?
Graf: Ich glaube, ich habe versucht, dass so zu schildern,
wie junge Menschen das damals empfunden haben. Man weiß,
dass es auch die schlimmen Seiten gibt, man akzeptiert sie,
man denkt so, wie Louise das am Anfang einmal sagt: "Du,
ich glaube an den Staat, ich glaube, das ist das bessere Deutschland.
Ich finde nur, dass die Alten, die oben dran sind, alle weg
müssen. Da müssen wir ran, und dann wird das alles
anders." Und solange man nur daran interessiert ist,
wann man mit wem ins Bett geht und welche Schuhe man anhat
und wie hip man aussieht, nimmt man den Rest nicht so war.
Die echte Drohung, die über dem Film liegt, ist die Zeitangabe.
[Da schaltet sich unser retrospektives Wissen ein, wir wissen:
Es dauert noch vier Monate bis zum Mauerbau, die Zeit wird
knapp; wir wissen, was danach kam. Aber für die Zeitgenossen
ist die Zukunft offen.]
Und die Stasi wird zunehmend gefährlich, das ist besser,
als sie von Anfang an so aussehen zu lassen. Am Anfang wirken
die Stasileute wie Polizisten im Stummfilm, denen die Jungen
auf dem Kopf herum tanzen, und sie bringen der Jugend "Staatssicherheitstänze"
bei - aber dann ist plötzlich Schluss mit lustig. Das
war die dramaturgische Idee dahinter.
Hast Du Lust, jetzt mehr Geschichten aus der Vergangenheit
zu erzählen? Als nächstes drehst Du in Leipzig
Graf: Das spielt in der Gegenwart, ist ein Thriller,
der allerdings mit den Altlasten zu tun hat. Vergangenheit
an sich hat mich jetzt schon sehr gepackt. Das ist nochmal
ein anderer Spiegel der Wirklichkeit: Verkleinernd einerseits,
als würde man das Fernrohr umdrehen, und schärfer,
genauer sehen, aber eben kleiner - aber man kann mit der richtigen
Geschichte ja auch vieles mit der Vergangenheit machen, was
dann zugleich ganz gegenwärtig und modern wirkt.
Ähnliches sagt Ang Lee. Dass BROKEBACK MOUNTAIN in
der Vergangenheit spielt, begründet er damit, dass
sich die Leute auf Vergangenheit eher einlassen, weil sie
sich sicherer fühlen.
Graf: Ja, es fällt einem ja auch erst im zweiten
Moment ein, dass ICESTORM ein Kostümfilm war. Hier ist
das ein bisschen offensichtlicher. Ein weiteres Projekt von
mir - fürs kommende Jahr wahrscheinlich - spielt aber
tatsächlich auch in der Vergangenheit: Ein TV-Zweiteiler,
aus dem aber vielleicht auch ein Kinofilm werden kann: über
Lotte Lenya. Wie wir uns die 20er Jahre vorstellen.
Noch eine Frage in Bezug auf historische Filme: Es ist ja
gerade Mode, die Vergangenheit auf die Leinwand und ins
Fernsehen zu bringen: Es gibt schon länger die Welle
mit Filmen über die NS-Zeit, dann neuerdings die Filme
über die DDR, zu denen auch DER ROTE KAKADU gehört,
daneben auch verstärkt Filme, die sich mit den 50er-Jahren
befassen.
Eine schlichte Erklärung für diese Mode lautet:
Das ist Exkapismus; Macher und Zuschauer fliehen vor der
Gegenwart, die kompliziert und nicht so schön ist,
von Krisen gezeichnet, in der man unbequeme Positionen beziehen
muss, in eine Vergangenheit, in der die Positionen klar
sind, die ein bisschen idyllisch ist, selbst dort, wo sie
auch noch einen Schrecken hat, in der man es sich gemütlich
einrichten kann.
Graf: Ich habe versucht, das alles nicht zu machen.
Andererseits lag so etwas wie GOOD BYE LENIN schon sehr nahe,
denn die DDR hatte eine fast tragische unfreiwillige Komik.
Was man alles noch mit einer Spreewaldgurke machen kann, das
kann man ja noch erzählen. Aber man muss versuchen, mit
der gewohnten Einheitsform, wie man Geschichte sehen und zeigen
kann, zu brechen, wieder zu forschen, hinzugucken; man muss
- wie die französischen Annales-Historiker in den 50er,
60er Jahren - neue Quellen entdecken und ansehen.
Wir haben zur Zeit einen imperial-kapitalistischen Verwertungsblick
auf die Geschichte: Emotion, Drama und massentaugliche Spannung
zählen, sonst nichts. Die `History`-Kultur schlachtet
unsere Geschichte aus wie einen alten Luxusliner. Nicht ein
Funken Dialektik findet sich mehr darin. Das wird sich rächen,
weil wir als Gesellschaft daran verblöden. Und wenn man
die `Wirklichkeit` der Vergangenheit erzählen will, dann
darf man nicht immer nur Rentner vor die Kamera zerren und
deren lückenhafte Erinnerungen stets für bare Münze
nehmen. Man muss auch im Kino Erinnerungswissenschaft betreiben,
und zwar detailliert und psychologisch. Sonst hinterlassen
wir unseren Kindern verfälschte, heroisierte Geschichtsbilder.
Ganz so, wie es die deutschen Polit-Systeme des 2o. Jahrhunderts
vor uns getan haben.
Man muss von dieser "imperialen" Sicht, die wir
heute in Geschichtsfilmen pflegen, wieder deutlich runter
kommen. Meine Position ist da: Es gibt nicht nur Geschichte
von oben gesehen. Fast kommt es mir so vor, als würde
der Historikerstreit neu im Kino ausbrechen.
Mit Domink Graf sprach Rüdiger
Suchsland.
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