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"Die Berlinale und der deutsche Film. Das war noch nie
eine Musterehe. Es ist viel passiert. Und es hat sich nicht
viel getan. Wir sind rein quantitativ wieder auf dem Stand
von 1981. Ein einziger Film 'reitet für Deutschland'."
Genau vor zehn Jahren, 1996, schrieb Alfred Holighaus diese
Sätze in einer Berliner Tageszeitung. Ein paar Monate
zuvor war der langjährige Film- und Chefredakteur des
Berliner Stadtmagazins "TIP" auf die andere Seite
gewechselt, und kümmerte sich bei der "Senator Film" um den Filmeinkauf und die Entwicklung eigener deutscher Projekte
- die New Economy setzte gerade zum Boom an.
In seinem auch heute noch lesenswerten Artikel ließ
Holighaus die wichtigsten Szenen einer permanenten Ehekrise
zwischen Berlinale und deutschem Kino Revue passieren, zum
Beispiel der Skandal um Michael Verhoevens US-kritischen Wettbewerbsbeitrag
"O.K.", der zur Gründung des "Internationalen
Forums" führte, das öffentliche Gemotze der
Regisseurin Margarethe von Trotta über die Einladungspolitik
des Festivals und ihre Forderung, man solle die Berlinale
boykottieren - 1995 war sie dann selbst wieder dabei -, die
Goldenen Bären für Fassbinder und Hauff, die die
Lage auch nicht besser machten, die Kette von tatsächlichen,
oft nur vermeintlichen Kränkungen - überhaupt den
Ärger der Filmemacher über das Festival, der Medien
über die Filmemacher, und des Festivals über die
Medien. Es schien insgesamt eine unrettbar zerrüttete
Beziehung, nur konnte man sich leider nicht scheiden lassen.
"Es ist vielleicht ein bisschen wie Heiraten,"
sagt Holighaus heute, um den immer wichtigeren Event-Charakter
eines Festivals zu beschreiben. Zehn Jahre nach seinem Artikel
feiert man nun am Potsdamer Platz einen zweiten Honeymoon.
Vier deutsche Filme laufen im Berlinale-Wettbewerb, über
50 in den übrigen offiziellen Festival-Reihen, Regisseure
halten ihre Filme für das Festival zurück oder stellen
sie unter Hochdruck gerade eben noch für es fertig; und
überall in der Filmszene, die sich selbst gern "Branche"
nennt, begegnen einem nur strahlende Gesichter - als wäre
die Berlinale immer schon der Lieblingsort der deutschen Filmemacher
gewesen. Und Alfred Holighaus sitzt, mit Spezialzuständigkeit
fürs deutsche Kino, im Auswahlgremium von Festivalchef
Dieter Kosslick und hat darüber hinaus eine von ihm kuratierte
eigene Reihe, die "Perspektive Deutsches Kino",
die in diesem Jahr, Kosslicks fünfter Berlinale, mit
dem fünfjährigen Bestehen ihr erstes kleines Jubiläum
feiert.
"Von Anfang an war unser Anspruch: Wir wollten auf der
Berlinale den deutschen Film mehr etablieren", so Holighaus
im Rückblick, "Wir wollten ihn stärker integrieren,
ihm den Stellenwert auch nach Außen geben, den er unserer
Meinung nach hat." Im Wettbewerb war das noch vergleichsweise
leicht: Da musste man einfach die Zeiten beenden, in denen
dort jedes Jahr ausschließlich der neueste Film von
Herbert Achternbusch zu sehen war, und einfach mehr deutsche
Filme einladen. Aber was sollte man mit dem Nachwuchs tun?
Das eine oder andere lief seit jeher - wie heute auch weiterhin
- im "Internationalen Forum". Aber nicht jeder deutsche
Film hält dem internationalen Vergleich stand, schon
gar nicht in einer Reihe mit einer derart dezidierten Arthouse-Tradition,
wie sie das Forum nun mal hat. Und längst nicht alles
passt überhaupt ins Profil dieser strengsten unter allen
Berlinale-Sektionen. Als man sich unter dem damals neuen Leiter
Kosslick entschied, aus dieser Situation die Konsequenzen
zu ziehen, war dies die Geburtsstunde der "Perspektive".
"Wir wollten einen Raum der geschützter ist",
erläutert Holighaus, "der dazu genutzt werden kann,
erste Erfahrungen zu machen, und wo man, wenn es nötig
ist, dem deutschen Film auch helfen kann, Qualität zu
entwickeln." Klingt fast ein bisschen wie ein Brutkasten...
Man kann sich nun mit gutem Recht fragen, ob Filme, die den
internationalen Vergleich nur schwer aushalten, überhaupt
auf einem Festival laufen müssen, das seinen Stellenwert
gerade aus dieser Internationalität schöpft? Und
ob eine Filmbetrachtung in nationalen Kategorien denn überhaupt
noch zeitgemäß ist, wo doch das Kino immer internationaler
wird, sich immer stärker für fremde Filmstile und
Erzählweisen öffnen müsste? Aber manch anderer
wird hier erwidern, das sei nun wieder mal eine typisch deutsche
Überlegung, Franzosen und Italiener hätten solche
Skrupel noch nie gehabt, darum könne man bei den beiden
anderen A-Festivals in Cannes und Venedig auch viel mehr Filme
dieser Länder sehen, nicht alle perfekt, aber viele zumindest
interessant. Und außerdem sind Filmfestivals immer deutlicher
zu Marketingplattformen mutiert. Wenn hier der Gastgeber seine
Chance nicht nutzt, vernachlässigt er seine Aufgabe.
Insofern war die Überlegung, dem Nachwuchs des deutschen
Kinos eine zusätzliche, ergänzende Plattform zu
schaffen, nicht nur in sich stimmig, sondern auch zeitgemäß.
Schließlich war Kosslick unter anderem auch gerade als
Nachfolger des ewigen Berlinale-Leiters Moritz de Hadeln nach
Berlin geholt worden, um dem deutschen Film mehr Aufmerksamkeit
zu verschaffen.
Zwischen Konvention und Anspruch stimmt die Mischung
Seit ihrem Gründungsjahr hat sich die Sektion gut entwickelt:
Sie ist jung, aufmerksam, manchmal mutig, und auch wo sie
das nicht ist, spiegelt sie zumindest recht präzis den
Stand der Dinge - und gerade das unterscheidet sie vom Forum,
in der eher einige spezifische Ausnahmen zu sehen sind. Im
Vergleich ist die "Perspektive", Holighaus räumt
das ein, "etwas offener und etwas populärer - wenn
wir das nicht als Schimpfwort nehmen." An zehn Abenden
laufen hier erste oder zweite Regiearbeiten junger Regisseure.
Manche kommen von Film- und Kunst-Hochschulen, andere sind
Autodidakten und Quereinsteiger. Diese Offenheit ist der Vorteil.
Die Mischung aus Spielfilm und Dokumentation, Konventionellem
und Anspruch stimmt, und man ist für Experimente kaum
weniger offen als das Forum. Und auch im Nachhinein hält
die aufmerksame Auswahl der schnellen Vergänglichkeit
stand - in der "Perspektive" waren zweifellos einige
der besten deutschen Filme der letzten Jahre zu sehen. So
zeigte man Franz Müllers ebenso originelles wie vergnügliches
Weltverlust-Drama "Science Fiction", eine clever-absurde
Mischung aus Realität und Fiktion. Auch Stefan Krohmers
erster Kinofilm "Sie haben Knut", ein post-68er-Hüttenkammerspiel,
das weitaus subtiler, abgründiger und weniger pubertär
ist, als Weingartners "Die fetten Jahre sind vorbei",
hatte hier Premiere, ebenso die deutsche Antibranchenkompilation
"99 Euro-Films", und Martin Gypkens' herausragender
episodischer Coming-Of-Age-Film "Wir". Zuletzt reichte
die Spannbreite von dem Leipziger Neo-Noirthriller "Katze
im Sack" bis zum Ostberliner Neo-Realismus von Robert
Thalheims "Netto".
Gerade diese letztgenannte Stilrichtung setzt sich auch bei
der heute beginnenden Berlinale fort: Der Anschluss an die
Traditionen und den realitätshungrigen Blick des britischen
Sozialrealismus, der allerdings - siehe auch Andreas Dresens
SOMMER VOM BALKON oder IM SCHWITZKASTEN von Eoin Moore, die
derzeit bzw. in vier Wochen im Kino laufen - seinen, in deutschen
Filmen ungewohnten Humor damit erkauft, dass vieles im letzten
Moment doch in die Harmonie oder eine gewisse Vagheit zurückzuckt.
SCHÖNER LEBEN ist so ein Beispiel. Das sehr interessante
Debüt von Markus Herling, der zuvor viel als Regieassistent,
unter anderem für Dominik Graf, gearbeitet hat, stellt
ganz bewusst die neue Armut ins Zentrum. Herling schildert
Zufallsbegegnungen an einem Weihnachtsabend und zeigt, wie
seine Figuren nicht nur innerlich, sondern auch materiell
Not leiden, etwa schlicht daran verzweifeln, dass sie ihren
Kindern nichts schenken können. Besonders wird der episodisch
erzählte Film, durch ein originelles Konzept und seine
offene Dramaturgie, dadurch, dass er sehr viel den Schauspielern
überlässt. Aber auch "Schöner leben"
will zum Happy End und verrät damit zu guter Letzt fast
ein wenig sein Sujet - wenn er auch vielleicht sein Publikum
gerade auf diese Weise zufrieden stellt. "Für die
Zuschauer ist das Happy End wichtig", weiß Holighaus.
Mit zwei anderen Filmen, "Hochhaus" und "Vier
Fenster", die sich ebenfalls auf der Matrix soziale Verwerfungen
und des neuen "Hartz IV-Kinos" bewegen, macht er
es seinem Publikum aber trotzdem bewusst etwas schwerer.
HOCHHAUS vom Ludwigsburger Filmstudent Nikias Chryssos erzählt
von zwei Kindern; die ohne Erwachsene in irgendeinem Häuserblock
einer anonymen Peripherie aufwachsen, auf die Hügel der
Umgebung blicken und in den Tag hinein leben. Dabei hängen
sie ihren Tagträumen nach und spielen sich und den Nachbarn
kleinere und größere Streiche. Mit viel Stilwillen,
ohne Ken Loachschen Realismusanspruch, wird die Alternative
zur alltäglichen Depression nicht so sehr im Humor angeboten,
sondern in den Fluchten der Fantasie.
VIER FENSTER von Christian Morris Müller gehört
zu den stilistisch interessantesten Filmen der diesjährigen
Auswahl. Auch hier ein Hochhausleben. In vier Abschnitten
stellt der Film einen vierköpfigen Haushalt vor. In Varianten
des alten Spiels Vater, Mutter, Kind offenbart sich die Familie
(und mit ihr die Gesellschaft) "als Terrorzusammenhang"
(Alexander Kluge) und trotz aller Risse nicht zu retten. Story,
starre Struktur und ein - vielleicht - unnötig offenes
Ende sind noch das Schwächste an diesem rundum gelungenen
Film, den man sich auch in anderen Berlinale-Reihen leicht
vorstellen könnte. Hochinteressant besetzt, hervorragend
und intensiv gespielt, lakonisch und präzis inszeniert
lebt der Film von seiner sehr geschlossenen Form, von auffallend
guter Ausstattung und einer ausgezeichneten Kamera. Allein
schon die sehr schöne letzte Einstellung, nicht die erste
lange in diesem Film, ist den Besuch wert.
Vergleichsweise wenig geglückt ist dagegen Jules Herrmanns
AUSZEIT. Formal stimmig funktioniert er Film deshalb nicht
weil die Story abseits von überkomplexem Aufbau und Erzählweise
einfach nicht interessant genug ist.
Schließlich wirft auch DER LEBENSVERSICHERER des dffb-Studenten
Bülent Akinci ein besonders präzises, um Wahrhaftigkeit
bemühtes Schlaglicht auf die Gegenwart. Gleichfalls mit
großem Stilwillen geht es hier um einen Versicherungsvertreter
(dem aus dem Theater bekannte Jens Harzer, der auch in Hans
Christian Schmids Wettbewerbsbeitrag "Requiem" mitspielt,
scheint dieser Auftritt auf den Leib geschrieben), der tagaus
tagein über die Autobahnen zieht, und mit den Versicherungen
den Menschen auch Träume verkauft - falls sie seinem
routiniert-vorgestanzten, ihn selbst am meisten langweilenden
Gequatsche denn überhaupt zuhören. Ähnlich
wie der Fliegende Holländer kann er nicht mehr nach Hause
zurückkehren, und der Zuschauer begleitet ihn zwischen
Einsamkeit und unerfüllter Sehnsucht - die New Economy
wird mythologisch grundiert. Eine starke Geschichte, mit fantastischen
Elementen - irgendwann beginnt der Vertreter zu singen -,
und mit großem Stilwillen erzählt.
Was verbindet alle diese Geschichten, von einem gewissen
sozialen Engagement und einem frischen Gespür für
die Brüche im Alltäglichen einmal abgesehen? Während
man einige Zeit den Eindruck haben musste, Debütfilme
handeln naturnotwendig von nichts als vom Abschied von den
Eltern, von den Schwierigkeiten erwachsen und entjungfert
zu werden und vom Wunsch, Teil einer Jugendbewegung zu sein,
hat die Nabelschau nun ein Ende, gehen Regisseure gelassener
und distanzierter mit sich selber um, und sagen weniger penetrant
als früher "Ich". Ebenso geht es auch stilistisch
weitaus ruhiger zu. Das muss aber nicht notwendig in lange
Kameraeinstellungen münden, wie bei VIER FENSTER oder
in Dietrich Brüggemanns NEUN SZENEN. Dieses hochinteressante
Experiment erzählt in nur neun Einstellungen von seinen
Figuren und von Generationskonflikten. Der Film lebt mehr
als von seinem etwas angestrengten Formkonzept von sehr guten
Dialogen, einer Menge Witz.
Auch experimentell, aber im Vergleich vor allem die bessere
Publikumserziehung ist NICHTS WEITER ALS. Gleich mehrere Regisseure
verfilmen exakt das gleiche Drehbuch - ein Film, den man eigentlich
nur auf einem Festival zeigen kann, der viel davon verrät,
was ein Film ist, wie wichtig die Phantasie der Machers ist.
Nach wie vor ist das Interesse an Formexperimenten stark,
zugleich richtet sich der Focus dabei deutlicher auf das Alltägliche.
So auch in WHOLETRAIN, einem Drama über vier Kids aus
der Graffitti-Sprayer-Szene. Mit viel Herz taucht der Erstlingsfilm
von Quereinsteiger Florian Gaag mit seinen Figuren gemeinsam
in die Nacht, die ihnen ihr Leben bedeutet - in der dann aber
auch, wie das im Kino so ist, unverhoffte Nachtseiten zum
Vorschein kommen.
Eröffnet wird mit ESPERANZA von Zsolt Bács, einem
Film, der mit am wenigsten repräsentativ für das
Programm der Perspektive ist, aber auch Beispiel für
stilistische Vielfalt. Ein Film, der unbedingt an die Liebe
glauben will, dominiert von alteuropäischem Charme, wie
er einem heute fast nur noch im osteuropäischen Kino
begegnet, und von einem wildgewordenen Erzähler. Aber
überaus gern sieht man Anna Thalbach, Frank Giering,
Mavie Hörbiger und den DDR-Winnetou Gojko Mitic dabei,
wie sie so richtig auf die Tube drücken dürfen -
bis an die Grenze zur Rampensau. As Eröffnungsfilm ist
ESPERANZA eine gute Wahl, wegen seinem Optimismus, seiner
Besetzung und der dominanten guten Laune - die Hoffnung stirbt
nicht nur zuletzt, es fängt mit ihr an.
Einen weitaus interessanteren Anfang verspricht DER DIE TOLLKIRSCHE
AUSGRÄBT. Hierbei handelt es sich um das Regiedebüt
von der Schauspielerin Franka Potente: Ein Stummfilm in Schwarzweiß,
eine Liebesgeschichte, die sich nicht darum herum drückt,
das eigene Sujet zu reflektieren. Holighaus: "Einerseits
eine Verbeugung vor der Filmgeschichte, andererseits ein ironisches
Spiel damit."
Zwei sehr unterschiedliche Farben bringen die beiden Dokumentationen
in die Sektion: "KATHARINA BULLIN - UND ICH DACHT ICH
WÄR' DIE GRÖSSTE von Marcus Welsch lebt von seiner
in aller Gebrochenheit starken Hauptfigur. Bullin gewann als
Mitglied der DDR-Volleyball-Olympiaauswahl Silber, war eine
Vorzeige-Sportlerin - doch die Zeit hat sie fürs Leben
gezeichnet. Den Film trägt auch die Sinnlichkeit des
alten Archiv-Materials aus der DDR. WARUM HALB VIER von Lars
und Axel Pape ist der Fußballfilm der im Programm in
diesem WM-Jahr wohl nicht fehlen darf. Ein intensives Soziogramm
des Sports, der in strenger Form nicht zeigt, was auf dem
Spielfeld passiert, dafür aber vieles vom Drumherum.
Unter anderem begegnet man dem Schauspieler Joachim Król,
der als Fußballphilosoph im leeren Stadion darüber
räsoniert, was Fußball wirklich für ihn und
für die Menschheit bedeutet.
Auffällig ist, dass die diesjährigen Perspektive-Filme
von zum Teil namhaften Produzenten verantwortet werden. zwei
von ihnen wetteifern Anfang Mai gar um den Auslandsoscar:
WHOLETRAIN stammt von Sven Burgemeister und Christoph Mueller,
den Münchner Produzenten von "Sophie Scholl",
der im letzten Jahr im Wettbewerb zweifach ausgezeichnet wurde.
Dort gewann auch PARADISE NOW" einen Preis, dessen Berliner
Produzenten Gerhard Meixner und Roman Paul nun DER LEBENSVERSICHERER
verantworten.
Das gewisse Irgendwie
Sie alle sind für Holighaus Parade-Beispiel jener Generation
der 30 bis 40-jährigen Macher, die das jüngere deutsche
Kino dominieren und im Augenblick beginnen, das Zepter in
die Hand zu nehmen. "Diese 30-Jährigen sind überall,
nicht nur auf der 'Perspektive', präsent", so Holighaus.
Aber kann man diese Generation auch charakterisieren, kann
man einen gemeinsamen Stil, gemeinsame Interessen, auch für
filmhistorische Traditionen benennen? Man kann es kaum. "Weg
vom Autorenfilm" allein ist noch nicht einmal ein negatives
Kriterium, das wollte schließlich auch schon Doris Dörrie
vor 20 Jahren. Heute schwärmen ein paar für Frankreich,
andere wieder wollen "amerikanisch" sein; Asien
beeindruckt viele und der eine oder andere will als Filmemacher
spezifisch nach "deutscher Identität" und Traditionen
suchen.
Auch Holighaus, der bei den Filmemachern deutlich "ein
gestiegenes Selbstbewusstsein" konstatiert, bleibt seltsam
ratlos, wenn man ihn nach eingrenzbaren Tendenzen, stilistischen
Haltungen, nach Traditionsbildungen, die über persönliche
Freundschaften oder gemeinsamen Filmhochschulbesuch hinausgehen,
fragt. "Das ist nicht eindeutig. Die Grundtendenz, die
ich in den letzten fünf Jahren festgestellt habe, ist
die thematische und stilistische Vielfalt." Zumindest
ein identifikatorischer Effekt, den auch Holighaus gern hätte,
ist von der "Perspektive" noch nicht ausgegangen.
"Vielleicht kommt der noch. Aber vielleicht gibt es den
auch gar nicht."
So liegt trotz allem ein gewisses Irgendwie, ein Mehltau
der Haltungslosigkeit und Beliebigkeit über den meisten
jüngeren deutschen Filmen - das ist gar nicht Schuld
der "Perspektive", aber es spiegelt sich auch in
den hier gezeigten Arbeiten. Jeder macht für sich etwas
vor sich hin; vieles ist besser, nicht nur professioneller,
als vor fünf oder zehn Jahren, aber eine Richtung ist
noch nicht erkennbar. Es gibt nicht mehr und noch keine Personen,
an denen man sich ausrichtet, oder abarbeitet. Wim Wenders
ist das schon länger nicht mehr, Doris Dörrie war
es nie, Christian Petzold ist es nur für wenige, Hans
Christian Schmid oder Oskar Roehler sind es immer noch nicht.
Auch in dieser Hinsicht spiegelt das Programm wieder, wohin
sich der deutsche Film in den letzten Jahren hin entwickelt
hat - und wohin nicht. Hier laufen Filme, die neugierig machen,
die mitunter von einem besonderen, unverwechselbaren Ton geprägt
sind, und in den besten Fällen ein Geheimnis bewahren.
Die "Perspektive" hat sich etabliert. Sie ist tatsächlich
so etwas wie der Brutkasten für jüngere Filmemacher
geworden, Schutzraum und zugleich Ort der Vorbereitung für
größere Aufgaben. Wollte man darüber hinaus
auch Haltungen bilden, nicht nur abbilden, wollte man das
Publikum auch erziehen, nicht nur neugierig machen, müsste
die Reihe aber mehr Streit riskieren, provozieren und manchmal
ihre Gutgelauntheit abstreifen. Holighaus ist das, bei aller
persönlichen Gemütlichkeit, durchaus zuzutrauen.
Den einen oder anderen Film, dem das schon hätte gelingen
können, hat er aber zum eigenen Verdruss nicht bekommen
- im Vorjahr etwa das umstrittene Neonazi-Drama "Kombat
16". Genau solche Filme, die etwas mehr riskieren, das
sichere Terrain verlassen, sind aber in Zukunft noch nötig,
damit die "Perspektive" ihre Möglichkeiten
wirklich ausreizt.
Rüdiger Suchsland
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