Venedig, die Stadt, die auf Pfählen steht, welche ständig
vor sich hin faulen, und die in ihrer stinkenden Lagune so
etwas wie der steingewordene Untergang des Abendlandes ist
- aber gleichzeitig auch seine steingewordene Vermeidung -
liebt die Apokalypse.
Zu jedem Jahr der Filmfestspiele gehört daher auch das
apokalyptische Gerücht. Irgendwann nach den ersten Tagen
hört man vom drohenden Untergang, jedenfalls der völligen
Veränderung des Festivals, einem neuen, hybriden Projekt,
das "ganz schnell" schon im nächsten Jahr verwirklicht
werden würde und nach dem das Festival nicht mehr das
Gleiche sein werde. Vor ein paar Jahren war es der Eingriff
von Berlusconis Kettenhund Urbani, inzwischen Kulturminister
geworden, ins Festival-Programm, das "populärer"
und "italienischer" werden sollte. Vor zwei Jahren
hieß es, die Mostra werde unter Moritz de Hadeln vom
Lido in das neue Messegelände in der Stadt Venedig selbst
umziehen. Im letzten Jahr hieß es, der neue Leiter Marco
Müller werde die Mostra "an die Amerikaner verkaufen."
In diesem Jahr nun steht im Zentrum der Gerüchteküche
"der neue Festivalpalast", der den alten, noch unter
Mussolini errichteten Palast ersetzen solle. Die Pläne
für ein Kino mit 2700 Plätzen und das hübsche
Modell eines hypermodernen Glaskastens kann man besichtigen,
und in Interviews träumt Marco Müller von einem
Film-Markt und "viel mehr Platz."
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Jede Wette, dass Müller längst nicht mehr im Amt
ist, sollte tatsächlich je ein neuer Festivalpalast gebaut
werden. Denn ganz schnell passiert hier aller Erfahrung nach
sowieso nichts. Und schon vor Beginn der Mostra meldete sich
der gerade wieder neu ins Amt gewählte Ex-Bürgermeister
Massimo Cacciari, nicht nur Philosoph, sondern auch Architekturkritiker,
zu Wort, und meinte, die Pläne seien "verrückt
und zu teuer", er jedenfalls sei dagegen. "Überstehen
ist alles", schrieb Rilke. Auch so ein Venedig-Liebhaber.
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Vor der Apokalypse kommt erst mal das Gewitter. Am Samstag
war es diesmal soweit - der Wolkenbruch, der zu diesem Festival
gehört wie der Schneematsch zur Berlinale pladderte hernieder
und überraschte alle, die gerade aus dem Kino kamen,
in das sie noch bei Sonnenschein eingetreten waren. Im Nu
war die Schwüle verjagt, die sich an den Tagen vorher
breit gemacht hatte, frische Luft zog durch die Straßen,
und frisch schienen auch die Filme zu sein.
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Zu Venedig passt auch Casanova. Lasse Hallström hat
die neueste Version des Lebens des Venezianer Lebemanns verfilmt.
Zur Erinnerung, dass es eigentlich schon genug Verfilmungen
dieser Figur gibt, zeigte man gleich noch mal den grandiosen
IL CASANOVA DI FEDERICO FELLINI, mit dem noch viel grandioseren
Donald Sutherland in der Hauptrolle Um den Unterschied zwischen
beiden Filmen zu markieren, muss man gar nicht CHOCOLAT und
andere unfreiwillige Horrorfilme des Schweden erinnern - "Seit
CHOCOLAT bekommt mich keiner mehr in einen Hallström-Film",
lästerte ein Kollege. Es genügt die Vorstellung,
wie undenkbar es wäre, dass der Film LASSE HALLSTRÖMS
CASANOVA heißen könnte. Kurz und gut also: Kitsch
für die Dümmeren unter den Amerikanern und den schnellen
Ramsch an der DVD-Kasse.
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Die Hauptrolle spielt immerhin Heath Ledger, und auch Hallström
gelingt es nicht, den guten Eindruck, den dieser in BROKEBACK
MOUNTAIN hinterließ zu zerstören. Überhaupt
ist Ledger so etwas wie der "Man of this Year's Festival"
- in drei Wettbewerbsfilmen spielt er Hauptrollen und war
auf der gestrigen Pressekonferenz schon ganz heiser.
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Vielleicht waren wir gestern gar zu streng - oder gar zu
homophob - mit Ang Lees schwulem Western umgegangen. Nein,
besser ist der Eindruck eigentlich nicht geworden, nur muss
man zugeben, dass der erste Teil schon ganz schön und
interessant ist. Und noch interessanter ist die Beobachtung,
dass der Film eigentlich allen Frauen, mit denen man spricht,
gefällt, nur vielen Männern nicht. Das ist Grund
genug, um Verdacht zu schöpfen, dass es in diesen Urteilen
nicht nur um den Film geht, sondern um heimliche Ängste
der Männer - und um heimliche Sehnsüchte der Damenwelt.
Denn natürlich sind die Hauptdarsteller Heath Ledger
und Jake Gyllenhall zwei höchst attraktive junge Männer
- und wir finden ja auch alle Filme irgendwie gut, in denen
Julie Delpy, Sophie Marceau, Maggie Cheung und Zhang Ziyi
mitspielen.
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Empfang zu Ehren von Takeshi Kitano. Keine Einlasskontrolle,
wer's weiß und Zeit hat, geht eben hin. Kitano, der
leider im Verhältnis zum Besuch vor zwei Jahren ziemlich
gealtert aussieht, redet zehn Minuten. Auf Japanisch, ohne
Übersetzung. Alle Japaner lachen, alle Westler gucken
freundlich. Nur unsere geschätzte Kollegin Anke Westphal
von der Berliner Zeitung - die zu ihrem größten
Bedauern das Büffet kaum genießen konnte, da sie
schon eine Abend-Lasagne verdrückt hatte, bevor sie die
Einladung erhielt - lacht auch bei jedem Witz. "Verstehst
Du denn Japanisch?" frage ich. "Kein Wort, aber
ich liebe Kitano einfach, und finde alles toll und witzig,
was er macht. Da bin ich ganz parteiisch." In Zukunft
lachen wir auch.
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TAKESHI'S, Kitanos Film wirkt auch nach drei Tagen nach,
als einer der besten und schönsten des bisherigen Festivals.
Das oft sarkastische, manchmal bittere Portrait seines Lebens
scheint der Realität zu entsprechen. Eine japanische
Kollegin, die Kitano persönlich kennt, erzählt,
dass er hauptsächlich im Hotel wohnt, oder bei seinen
wechselnden, ca. 20-Jährigen Freundinnen. "Würden
wir doch auch machen, an seiner Stelle", sind Anke und
ich uns einig. "Klar, ich hätte gern so eine kleine
Farm voller Jake Gyllenhalls. Aber ein, zwei Heath Ledgers
wären auch dabei", träumt sie.
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Und Orlando Bloom sei auch toll. Na gut, das können
wir jetzt nicht ganz nachvollziehen, aber Kirsten Dunst und
Cameron Crowe sind Grund genug uns auf ELIZABETHTOWN zu freuen.
Und wie wollten wir diesen Film gut finden! Leider, leider
klappt es nicht, trotz wunderbarer Szenen, einer wunderbaren
Kirsten Dunst und einem geradezu genialen Soundtrack. Aber
diesmal fügen sie sich nicht zu einem Ganzen, will sich
der Sog und die geschlossene Atmosphäre nicht einstellen,
die nötig sind, um sich im Kino zu verlieren. Und Crowe
war schon immer ein Regisseur der Emotionalität, nach
der Story sollte man lieber nicht fragen. Trotzdem ist ELIZABETHTOWN
immer noch der beste unter den bisherigen US-Mainstrem-Filmen,
die hier außer Konkurrenz laufen.
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Der beste Film bisher kommt wieder einmal aus Asien: SYMPATHY
FOR LADY VENGEANCE, der Abschluss von Park Chan-wooks Rachetrilogie.
Ein großer Film, beeindruckend und leider aber zugleich
eine Enttäuschung angesichts von Parks vorherigen Filmen
SYMPATHY FOR MR VENGEANCE und OLD BOY. Warum und wieso? Dazu
demnächst mehr - jetzt geht's erst mal ins Kino.
Rüdiger Suchsland
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