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Fillmfest München 2005 30.06.2005
 
 
Philemon und Baucis - oder die Magie von Festivals
Bildtitel
CONFITUUR (SWEET JAM)
 
 
 
 

Irgendwann passiert es immer wieder, auf jedem Festival. In der zelluloidschen Flut findet man ihn, den Film, an den man sein Herz verliert. Und meist ist es einer, der schlechte Karten hat, hierzulande auf die Leinwand zu kommen. Schönes, Bewegendes und Bizarres gab es bislang zu sehen: HAZAN, der wunderschöne Film über einen der auszog, die Kunst in der Töpferscheibe zu suchen, STAGE BEAUTY – Kino pur in deftigen Bildern (vergesst SHAKESPEARE IN LOVE).

Und dann kommt da so eine belgische Produktion ganz unspektakulär daher und steckt sie alle in die Tasche. CONFITUUR (SWEET JAM) heißt das Werk von Lieven Debrauwer.

Emma und Tuur sind ein altes Ehepaar. Sie schmeißt den Haushalt und pflegt seine von Kindheit an bettlägerige - aber vor allem despotische – Schwester Gerda. Er hat einen Schusterladen mit Schlüsseldienst. Reden tut man eher wenig, die eingespielte Eheroutine vieler Jahre macht das überflüssig. Philemon und Baucis stellt man sich sicher anders vor.

Doch dann kommt jener schicksalhafte Tag, an dem das Paar Hochzeitsjubiläum hat. Das Dorf feiert mit, Emma genießt den Rummel. Nur Tuur schaut mürrisch umher. Und während Emma noch trotzig und allein den Ententanz auf der Jubiläumsfeier zelebriert, schlachtet Tuur grimmig die Dekoballons hin, die die anteilnehmende Nachbarschaft über seiner Haustür angebracht hatte. Und dann verschwindet er. In einen Nachtclub. Wer ihm jetzt außereheliche Umtriebe unterstellt, liegt falsch: Die Besitzerin ist seine Schwester – das schwarze Schaaf der Familie, mit passender Frisur.

Die brave Emma hingegen tut als ob nichts wär’. Schmeißt den Laden, indem sie heimlich die Schuhe zur Konkurrenz trägt. Kocht ihre berühmte Confitüre. Und landet damit einen geschäftlichen Treffer: Die Schuhe schwinden in den Regalen, stattdessen sprießt überall Birnegelee und Erdbeer-Rhabarber.

Die ist, der Leser ahnt es schon, kein Film mit Pauken und Trompeten – obwohl auch der Radetzkymarsch eine Rolle spielt. Dies ist ein Film der kleinen Gesten, wenn Emma Tuurs Teller vom Tisch verbannt, und Gerda wütend protestiert. Wenn Tuur nach langer Abwesenheit zum Geschirrtuch greift.

Dies ist ein Film über die schmerzliche Sehnsucht danach, dass das doch noch nicht alles gewesen sein kann. Über den störrischen Glauben, dass es das doch noch irgendwo gibt, für jeden, ein Stück vom Glück. Über Integrität und die plötzliche Entdeckung der eigenen Identität. „Ich bin zwar alt, aber ich kann immer noch neu anfangen“ sagt Emma, und Recht hat sie.

Dies ist aber auch ein Film über die Liebe: Zum Schluss schleicht sich Tuur die Treppe hinunter, schnappt sich ein Glas Konfitüre und löffelt drauf los. Und oben am Treppenabsatz taucht Emma auf und lächelt still in sich hinein. Irgendwann treffen sich die Blicke, und die beiden Alten brechen in Gelächter aus. Philemon und Baucis. Also doch.

Nani Fux

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