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Fillmfest München 2005 30.06.2005
 
 
Strahlende Sonne
Die japanischen Filme auf dem Filmfest
Bildtitel
NIJUSHI NO HITOMI (TWENTY FOUR EYES)
 
 
 
 

Beim Blick in das Programm des 23. Münchner Filmfests fallen sofort die vielen japanischen Filme auf. Die Retrospektive ist zwei Regisseuren aus dem Land der aufgehenden Sonne gewidmet. Kinoshita Keisuke, ein Meister des Melodrams aus der Nachkriegszeit, ist im Westen wesentlich unbekannter als die etwas älteren Ozu und Mizoguchi oder gar sein Zeitgenosse Kurosawa Akira. In Japan ist das anders. Dort ist sein Name untrennbar mit NIJUSHI NO HITOMI (»24 Augen«) aus dem Jahr 1954 verbunden. Sein Film gilt vielen Japanern als der Nachkriegsfilm schlechthin. Die rührende Geschichte einer jungen Lehrerin, die an eine kleine, entlegene Dorfschule versetzt wird und dort erst auf Ablehnung stößt, aber schnell die Herzen ihrer 12 Schüler gewinnt, wird bei den meisten Japanern nostalgische Gefühle wecken. Das Schulhaus, in dem der Film spielt und gedreht wurde, ist inzwischen Museum und Touristenattraktion, und dass es noch nicht vollends in ein Disneyland verwandelt wurde, liegt wohl nur daran, dass es wirklich sehr abgelegen ist.

Daneben hat er 1951 mit KARUMEN KOKYO NI KAERU (»Carmen kehrt heim«) den ersten japanischen Farbfilm überhaupt gedreht. Es ist die Geschichte einer verlorenen Tochter, die nach Tokyo abgehauen ist, dort Karriere als Tänzerin gemacht hat und nun nach Jahren wieder in ihr Heimatdorf zurückkommt. Dort wirft ihr großstädtisches Auftreten die Daheimgebliebenen in ein Wechselbad der Gefühle zwischen Abscheu und Bewunderung für eine, die es in Tokyo geschafft hat. Im Westen am bekanntesten dürfte NARAYAMA BUSHIKO (»Die Ballade von Narayama«) aus dem Jahre 1958 sein, die Geschichte eines Dorfes, in der alle, die 70 Jahre werden zum Sterben auf einem Berg ausgesetzt werden.

Der zweite Teil der Retrospektive ist Kurosawa Kiyoshi gewidmet, der nächsten Monat 50 Jahre alt wird. Er gilt als Spezialist für ruhigen, subtilen Horror. Ich persönlich mag andere zeitgenössische japanische Regisseure von vergleichbarem Bekanntheitsgrad lieber, etwa Kore-eda Hirokazu, dem Werkstattkino und Filmmuseum kürzlich kleine Reihen gewidmet haben. Kurosawas Filme sind mir zu kühl. Es fehlt das entscheidende Etwas, das mich emotional packt und trotz der teilweise sehr ruhigen Erzählweise an den Film fesselt. Anderen ergeht es anders. So gibt es durchaus Stimmen, die Kurosawa für einen der besten Regisseur des aktuellen japanischen Films halten. Bilden Sie sich also am besten selbst eine Meinung. Das Filmfest bietet die Gelegenheit dazu.

Ergänzt wird die Doppel-Retrospektive durch ein Japan-Special mit 18 Filmen. Solch ein Länderschwerpunkt ist neu und sicher eine gute Idee. Mit einer bunten Mischung aus ganz aktuellen und ein paar Jahre alten Filmen soll ein Panorama des japanischen Films der Gegenwart geboten werden. Leider wirkt die Filmauswahl willkürlich und läßt kein klares Konzept erkennen. Für eine crashkursartige Einführung in das japanische Gegenwartskino fehlen die Schlüsselfilme, die man einfach gesehen haben "muss". Für eine Entdeckungsreise durch das unbekannte japanische Kino abseits der Festivalfavoriten sind wiederum zu viele altbekannte Filme dabei. So bleibt die Frage, wieso ein Film wie UZUMAKI in der Reihe läuft. Er hat einen deutschen Verleih und ist hier schon mehrfach regulär im Kino gelaufen. Der Film ist zweifellos sehenswert, aber nicht so herausragend, dass man nicht ebenbürtigen Ersatz hätte finden können, der hier noch nicht zu sehen war.

Immerhin kann man das Bemühen erkennen, die wichtigsten Genre und Strömungen abzudecken. So sind pinku-eiga durch TOKYO X EROTICA, Monsterfilme durch ULTRAMAN: THE NEXT, der moderne Yakuza-Film durch SONATINE und der Kriminalfilm durch REIKUSAIDO MADA KESO (»The Lakeside Murder Case«) vertreten. Letzterer ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie japanische Regisseure sich dem Genrekino zuwenden und es als Vehikel für ihre eigentlichen Themen verwenden. Denn im Hintergrund geht es um die "Prüfungshölle", der japanische Schüler und ihre Eltern auf dem Weg zu renommierten Schulen und weiter zu einer angesehenen Universität ausgesetzt werden. Damit liefert Aoyama Shinji ein Gegenstück zu seinem bislang berühmtesten Film EUREKA über drei Drop-outs aus dem System, der 2000 auf dem Münchner Filmfest lief.

Einige Filme wie HAZAN und MUSUMEDOJOJI sind offenbar nicht nur wegen ihrer filmischen Meriten in Programm genommen worden, sondern weil sie auch einen anderen Aspekt der japanischen Kultur behandeln. Bei MUSUMEDOJOJI funktioniert dies wunderbar. Er liefert einen faszinierenden Einblick in die Welt der (männlichen) Frauendarsteller im traditionellen Kabuki-Theater (und seinen modernen Pop-Ablegern) und beschäftigt sich gleichzeitig mit der Frage, wieviel Leben man opfern muss oder kann, um die Kunst zu vervollkommnen. HAZAN über einen Mann, der Anfang des 20. Jahrhunderts seine bisherige Existenz aufgibt um als Töpfer neuartige Keramik zu entwickeln, kann dagegen kein Interesse für die Töpferkunst wecken. Dies mag daran liegen, dass der Reiz einer Keramikglasur schwerer auf Film zu bannen ist, als eine Theaterszene. Hauptproblem ist aber die betuliche Erzählweise im Stil eines Fernseh-Biopics. Punkt für Punkt werden die wichtigsten Stationen im Leben von Hazan Itaya abgehakt, ohne dass ein lebendiges Ganzes entstehen würde.

Daneben sind aber auch einige wahre Perlen zu entdecken. Etwa ITSUKA DOKUSHO SURUHI (»The Milkwoman«), ein ruhiger, liebevoll erzählter Film über die Liebe eines Lebens. Im Mittelpunkt steht eine alleinstehende 50jährige Supermarktkassiererin, die ihre Erfüllung darin findet, jeden Morgen die Milch auszutragen. Oder UNMEIJA NAI HITO (»A Stranger of Mine«), der wie ein Film über die Kontakt- und Bindungsprobleme von Singles in der modernen Gesellschaft beginnt und endet, sich dazwischen aber als rasante Gangsterkomödie entpuppt.

Keinesfalls verpassen darf man auch Yamada Yojis modernen Samurai-Film KAKUSHI-KEN: ONI NO TSUME (»The Hidden Blade«), der schon auf der diesjährigen Berlinale begeisterte. Der internationale Titel ist hier irreführend. Es geht weniger um Schwertkampf als um eine Liebesgeschichte, die an den engen Konventionen der Gesellschaft zu ersticken droht. Aber es ist Ende des 19. Jahrhunderts, die Meiji-Restauration hat begonnen. Die Samuraizeit geht unaufhaltsam dem Ende entgegen, westliche Kriegstechniken dringen auch in die japanische Provinz vor und mit ihr gesellschaftliche Veränderungen, die die Samurai überflüssig machen und der Liebe eine neue Chance eröffnen.

Ein im japanischen Kino extrem wichtiges Genre fehlt allerdings im Japan-Special: Anime. Sie laufen versteckt im Rahmen des Jugendfilmfest, wo eine kleine Reihe mit etwas älteren, dafür exquisiten Animes untergeschlüpft ist. Gezeigt werden mit MONONOKE HIME (Prinzessin Mononoke) und SEN TO CHIHIRO (Chihiros Reise) immerhin zwei Filme von Miyazaki Hayao, dessen Filme in Japan garantierte Blockbuster sind, und - erstmals in München - TOKYO GODFATHERS, eine ins moderne Tokyo verlegte Zeichentrickversion von John Fords 3 GODFATHERS mit John Wayne aus dem Jahr 1948. Er war letztes Jahr für den Oscar als bester Animationsfilm nominiert. Leider fehlen ansonsten aktuellere Animes, wie der allerneuste Miyazaki, der letztes Jahr in Cannes lief.

Man mag es als typisch deutsches Defizit ansehen, dass die Animes nicht im "Erwachsenenprogramm" laufen. In Japan würde niemand Animes als "Kinderkram" abtun, wie dies hierzulande noch oft der Fall ist. Andererseits hat die Plazierung auch ihre Vorteile. Die ausgewählten Animes sind allesamt auch für Kinder und Jugendliche interessant, denen der Besuch der Japan-Special-Reihe verwehrt ist. So bleiben uns Szenen wie auf der Berlinale vor drei Jahren erspart, als vielen Miyazaki-Fans der Besuch von SEN TO CHIHIRO trotz Eintrittskarte verwehrt wurde, weil sie noch unter 18 waren und deshalb nicht in die Wettbewerbsfilme durften. Trotzdem wäre es sicherlich sinnvoll gewesen, das Japan-Panorama durch 1-2 Animes für Erwachsen abzurunden.

Wer sich jetzt aber gefreut hat, die Animes endlich mit Originalton sehen zu dürfen, wird beim genauen Blick ins Programm bitter enttäuscht: Sie sind mit Ausnahme von HOTARU NO HAKA (»Die letzten Glühwürmchen«), von dem es wohl nur eine OmU-Kopie gibt, ausnahmslos synchronisiert. Das ist eines Filmfestivals schlicht unwürdig. So muss der Anime-Fan noch einen Monat warten. Dann läuft auf dem Fantasy-Filmfest INOSENSU: KÔKAKU KIDÔTAI (»Ghost In The Shell 2«) - natürlich mit Originalton.

Claus Schotten

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