Über die Angst vor der Bratpfanne,
die Begegnung mit einem Jaguarhai und Filme, die es nicht
auf deutsche Leinwände geschafft haben.
(Vorbemerkung: Einige meiner absoluten Lieblinge unter den
2005 offiziell in deutsche Kinos gekommenen Filme zählten
für mich schon zum Filmjahr 2004 - als die da wären Wong Kar-Wais
2046, Scorseses THE AVIATOR und Jeunets UN LONG DIMANCHE DE
FIANÇAILLES (dt. MATHILDE - EINE GROßE LIEBE), sowie (knapp
unterhalb der Topfavoriten) DE-LOVELY.)
SCHÖNSTE MOMENTE
Die Begegnung mit dem Jaguarhai in Wes Andersons unendlich
schöner Tauchexpedition zur verlorenen Zeit THE LIFE
AQUATIC WITH STEVE ZISSOU (unsäglicher deutscher Titel:
DIE TIEFSEETAUCHER): Der Moment, in dem Steve Zissou (Bill
Murray) begreift, dass er loslassen muss, dass er all seinen
Hass und seine Sehnsucht nach der Vergangenheit fahren lassen
muss. Und - Wes Andersons großes Thema überhaupt
- in dem er merkt, dass kein Mensch je allein ist, egal wie
einsam er sich fühlt. Dass er (so nervenaufreibend und
kompliziert und fernab aller institutionalisierter Vorstellungen
das auch ist) Teil einer sehr eigenartigen Art von "Familie"
ist.
"Die Bratpfanne, vor der hat er Angst!" Oder doch
"Sag mal, wessen Lieblingsfarben waren eigentlich Grau
und Rosa"? Oder nicht eigentlich "Ich komm dann
mal besser mit"? Oder überhaupt die wunderbaren
wortlosen Momente? Egal, Hauptsache DIE QUEREINSTEIGERINNEN
waren mal wieder ein rundum glücklichmachender deutscher
Film.
"Ja oder nein, ja oder nein," vollkommen in Rage
die großartige Valeria Bruni Tedeschi: "Warum nicht
BEIDES?!" Von manchen wurde CRUSTACÉS ET COQUILLAGE
(dt. MEERESFRÜCHTE) vorgeworfen, er sei zu leichtgewichtig.
Aber das war doch genau der Punkt! Zu zeigen, dass eben NICHT
immer alles ein PROBLEM sein muss, sondern dass man bei allen
Geschlechter- und Beziehungswirrungen auch mal beschließen
kann, die Dinge zu nehmen, wie sie sind, und nach Lust und
Laune und bestem Gewissen ohne den Erwartungsdruck der Gesellschaft
das Schönste draus zu machen. MIT Musicaleinlagen. Bravo!
Jawoll.
Das Asia-Filmfest, das dieses Jahr zum zweiten Mal im Mathäser
stattfand und leider noch nicht den Zuschauerzustrom verbuchen
konnte, der ihm zustände: Hatte dieses Jahr für
mich von allen Festivals, die ich besucht habe, mit Abstand
die höchste Dichte an cineastischen Glücksmomenten.
Allein mit den Filmen KAMIKAZE GIRLS, VITAL, BORN TO FIGHT,
KEKEXILI - MOUNTAIN PATROL, BLACK und, allen voran, CITIZEN
DOG hätte sich locker auch diese komplette Jahresbestenliste
bestreiten lassen.
Nicht die schönsten, aber einige der heftigsten und
nachhaltigsen Momente hatte THE DEVIL'S REJECTS. War der nicht
minder brillante Vorgänger HOUSE OF 1000 CORPSES noch
eine muntere, bizarr-karnevaleske Geisterbahnfahrt durch 100
Jahre amerikanisches Entertainment, war hier weitgehend Schluss
mit lustig, war das mehr THE LAST HOUSE ON THE LEFT statt
THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE. DEVIL'S REJECTS fuhr sehr fies
und sehr bewusst Achterbahn mit den Publikumssympathien. Und
war wohl der einzige konsequent gottlose Horrorfilm inmitten
der von neuentdeckter Spiritualität heimgesuchten US-Genrelandschaft.
Überhaupt gebührte Rob Zombie der Titel des wichtigsten
gegenwärtigen US-Horrorregisseurs - wenn der nicht mangels
Kandidaten für die folgenden Plätze ziemlich sinnlos
wäre.
À propos gottlos: Wie der Brenner (Josef Hader) in
SILENTIUM buchstäblich sein Kreuz zu tragen hatte, das
war eins der vielen dunkelböse funkelnden Highlights
in diesem herrlich unheiligen Salzburg-Panorama. Das auch
noch die kongeniale Verfilmung eines eigentlich unverfilmbaren
Buchs war.
2005 war das Jahr, in dem dem Kino das Publikum in Scharen
abhandenkam. Und selbst als eingefleischter Cineast mit einem
Pensum von bis zu zwei-, dreihundert Filmen im Jahr konnte
man es ihm nicht immer verdenken - streckenweise schien das
Kino wirklich etwas von seiner Seele verloren zu haben, schien
es mehr ein "going through the motions". "Animation"
heißt wörtlich "Beseelung" - und sowohl
WALLACE & GROMIT IN THE CURSE OF THE WERE-RABBIT als auch
TIM BURTON'S CORPSE BRIDE haben genau das geschafft: Beides
nicht nur in ihrem Genre Filme des Jahres - beide hatten alles
an Fantasie, Emotion, Liebe und Begeisterung für's Medium,
die einen das Kino wirklich wieder als Ort der Träume
und des Zaubers erleben ließen.
Und schließlich: Die "Artechock präsentiert"-Matineen.
Nein, das ist jetzt nicht wirklich Eigen-Schleichwerbung;
ich spreche hier ganz als Zuschauer. Und da habe ich mich
immer wieder gefreut, dass es ein paar überaus sehenswerte
Filme nach München geschafft haben, die im regulären
Verleih außen vor blieben - und habe genossen, dass
dies zudem in einer Atmosphäre von Kino als echtem Gemeinschafts-
und Diskussionserlebnis stattfand. Also ein dickes "Danke!"
an Magali - der wir die Reihe letztendlich verdanken.
ENTTÄUSCHUNGEN
Warum sich die Stimmung verderben, indem man sich noch lang
erinnert an solch im eigentlichen Sinn enttäuschende,
fast schon vorhersehbar vergeigte oder aus diversen Gründen
ärgerlichen Filme wie SIN CITY, STAR WARS: EPISODE III,
KINGDOM OF HEAVEN, CRASH, THE GRUDGE, LAND OF THE DEAD, L'ENFANT,
GESPENSTER oder THE WAYWARD CLOUD?
Nein, die Enttäuschungen, die wirklich der Aufregung
lohnen, waren mal wieder all die Filme, die NICHT zu sehen
waren.
Als halbwegs fleißiger Festivalbesucher hatte man wenigstens
kein Problem, Gus Van Sants großartige Kurt Cobain-Fantasie
LAST DAYS zu erwischen. Aber noch immer warten wir hierzulande
(und wohl endgültig vergeblich) auf Woody Allens HOLLYWOOD
ENDING, können wenig Hoffnung haben, dass John Waters'
A DIRTY SHAME uns je erreicht, und müssen voraussichtlich
auch auf Neil Jordans jüngstes Werk, die Patrick McCabe-Verfilmung
BREAKFAST ON PLUTO verzichten.
Und das ist nur eine kleine Auswahl, und nur von Regisseuren,
die in Deutschland auch durchaus einem Mainstream-Publikum
ein Begriff sind. Was es alles z.B. in Asien noch gäbe,
was dringend auf hiesige Leinwände gehörte, davon
wollen wir gar nicht erst anfangen...
Thomas Willmann
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