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Berlinale 2005 24.02.2005
 
 

Rückblicke

Wes Anderson am Ruder von THE LIFE AQUATIC
 
 
 
 

DIE RÜCKKEHR DES ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN

Es war eine insgesamt eher unspektakuläre Berlinale. Aber das ist noch lange nichts Schlechtes. Viel wurde geschimpft über die Auswahl der Filme, die Zusammensetzung der Jury, die Preisentscheidungen. Doch dabei wurde man das Gefühl nicht los, dass die Presse schon vorab beschlossen hatte, dass die Flitterwochen für Koslick jetzt vorbei sein müssten und man alles möglichst durch die schwarze Brille sehen wollte.

Einen Moment gab es, wo sich die Berlinale, wo sich Koslick tatsächlich höchst unsouverän, undiplomatisch, töricht verhalten haben: Als sie HEIGHTS nach Programmdrucklegung wieder aus dem Wettbewerb ausluden (wo er ohnehin außer Konkurrenz gelaufen wäre), weil Hauptdarstellerin Glenn Close ihr Kommen abgesagt hatte.
Aber selbst hierbei wurde doch nur offiziell, was längst kein Geheimnis mehr ist, und was tiefer an einem Problem rührt, das alle Filmfestivals, ja, dass das heutige Kino überhaupt betrifft: Es
gibt Filme, die gezeigt werden, weil sie in irgendeiner Weise für preiswürdig gehalten werden, und es gibt Filme, die nur gezeigt werden, um Stars anzulocken, weil deren Auftreten allein das Interesse einer breiten Öffentlichkeit garantiert. Und beide Kategorien werden als etwas ziemlich getrenntes voneinander betrachtet.

Es entwickelt sich in den letzten Jahren in aller Herren Länder immer mehr so etwas wie ein Genre des Festival-Films: Das sind Filme, die man kaum außerhalb von Festivals zu sehen bekommt, dort aber zuhauf und in immer ähnlicherer Gestalt. Filme, die genau einen Erwartungskatalog erfüllen, der von Jurys, Presse und Publikum offenbar an das jeweilige Herkunftsland gestellt wird. So sehr ich prinzipiell, um nur ein Beispiel zu nennen, das asiatische Kino schätze - aber ich kann langsam keine leicht impressionistischen, leicht verschrobenen, in langen Einstellungen gefilmten Filme über abhängende japanische Mittzwanziger mehr sehen.

Filme, die solche Schemata (von denen es insgesamt nicht mehr als ein Dutzend gibt) erfüllen, haben offenbar ein gewisses Midnestmaß an Festivalteilnahmen und damit Auslandsverkäufen so gut wie gebucht, dass sie für Finanziers ein relativ sicheres Geschäft sind.
Was ihnen abgeht sind Überraschungsmomente, ist künstlerische Lebendigkeit, ein Dialog, den sie mit Kinospielarten außerhalb ihrer eingefahrenen Traditionslinie oder mit der Welt selbst führten. Das Kino wird immer mehr zur Angelegenheit für Spezialisten. Wir Cineasten müssen uns langsam wohl damit abfinden, dass es als Kunstform im 21. Jahrhundert einen Weg gehen könnte wie die Oper im 20.: Vom Zentrum der Gesellschaft, vom komplettesten, relevantesten Medium für Erfassung und Verständnis seiner Zeit und Kultur hin zur Randerscheinung.

Immer weniger Filmen gelingt es, aus inhaltlichen, künstlerischen Gründen allgemeines Aufsehen zu erregen. Was die große Öffentlichkeit vom Kino mitbekommt, das steht meist in direkt proportionalem Verhältnis zum jeweiligen Werbebudget, und was sie interessiert, das ist hauptsächlich Klatsch und Tratsch um Stars. Wir leben derzeit in einer Kultur, die Ruhm als etwas von ziemlich allen anderen Faktoren losgelöstes Phänomen produziert, in der Prominenz ein arbiträrer Selbstwert und Selbstzweck ist.
Daran kann inzwischen kein Festival-Preis mehr etwas ändern, ob er nun aus Berlin kommt oder Venedig - oder inzwischen auch aus annes. Für die Rezeption durch ein großes Publikum, für eine Diskussion außerhalb des Kreises der Filmverrückten, für eine Weichenstellung in der ästhetischen Entwicklung des Kinos werden diese Auszeichnungen zunehmend bedeutungslos. Und das nicht ganz zu Unrecht.

Das Problem an einem Jury-Präsidenten Emmerich - wenn es da überhaupt eins gibt - ist nicht, dass der Mann selbst teure Filme mit Special effects-Fetisch macht. Grade davon könnte man sich ja mal eine ganz andere Perspektive erwarten. Das Problem ist, dass er ziemlich sicher nicht einfach seinem Instinkt vertraut, sondern ein Bild davon hat, welche Art Filme bei einer solchen Art Festival für Preise in Frage kommen dürfen.

Zum Goldenen Bären an U-CARMEN eKHAYELITSHA kann ich nicht viel sagen, ich habe den Film nicht gesehen. (Überhaupt ein Naturgesetz: Es gewinnt immer ein Film, den ich nicht gesehen habe.) Aber, sind wir ehrlich, soviel ist gewiss: Egal an welchen Wettbewerbs-Film der Preis gegangen wäre, gemeckert hätte die Presse auf jeden Fall. Es gab nichts im Angebot, auf das man sich einfach hätte einigen können. Und das betrifft insbesondere den einen Film, der in einer gerechten Welt haushoher Favorit hätte sein müssen, weil er der mit Abstand schönste, originellste, aufregendste Film des Festival war (und vielleicht der schönste des Kinojahres wird, obwohl da bis jetzt auch 2046 und UN LONG DIMANCHE DE FIANÇAILLES ein entscheidendes Wörtchen mitzureden haben): Wes Andersons THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU.

Aber Festivalpreise gehen ja nicht einfach nur an tolle Filme - die müssen immer ein Zeichen sein, müssen symbolisch gelesen werden können. Und paradoxerweise hat vermutlich gerade die Wahl Emmerichs zum Vorsitzenden von vornherein garantiert, dass nichts, was aus Hollywood kommt, eine Chance hatte. Weil Emmerich auf keinen Fall hätte das Bild erfüllen wollen, das viele Kritiker von ihm haben.

Solche Preisentscheidungen sind eine Angelegenheit von Proporz, wie auch die Zusammenstellung des Wettbewerbs: Da wird viel Rücksicht genommen auf Länderinteressen, auf das richtige Parteibuch, wird Bildungsanspruch großgeschrieben, aber dann auch wieder ums Massenpublikum gebuhlt. Deshalb ist es mehr als passend, dass einer der Haupt-Sponsoren und Medienpartner der Berlinale inzwischen nicht mehr ein Privatsender ist, sondern das ZDF.
Da kann man eine nicht geringe Geistesverwandschaft ausmachen - und das nicht nur im negativen Sinne. (Der eigentliche, größte Skandal der jüngeren Berlinale-Geschichte ist die Abschaffung der Mitternachtsreihe im Delphi, der einzigen Nische für Genre-, sprich das wahre Kino.) Alles ist ein bisschen weniger marktschreierisch geworden als zu Hochzeiten des New Economy-Booms. Und abseits
des Hauptprogramms (und manchmal auch dort) gab es etliche wunderbare Filme zu sehen: Viele - auch das wirkt "öffentlich-rechtlich" - starke Dokus wie INSIDE DEEP THROAT, BASED ON A TRUE STORY, PROFILS PAYSANS: LE QUOTIDIEN. Und zwar nicht revolutionäre, neue Kino-Welten eröffnende, aber auf ihre Weise doch begeisternde Werke wie THE HIDDEN BLADE, ADAM & PAUL, KEKEXILI - MOUNTAIN PATROL und (mein persönlicher Top-Favorit) CRUSTACÉS ET COQUILLAGE. (Von der exzellenten Retro inklusive der Gelegenheit, mal wieder den kompletten Kubrick im Kino zu ehen, ganz zu schweigen.)

Dass diese Filme auf dem Festival, gleich in welchen Reihen, zu ntdecken waren, das ist doch letztlich das Wichtigste. Man sollte es vielleicht mal anfangen, als Chance zu sehen, dass auch ein A-Festival heutzutage keine im eigentlichen Sinne weltbewegende Angelegenheit mehr ist. Dass der Mainstream, die Gesellschaft ziemlich unberührt bleibt von was immer dort an eigentlich filmischen Dingen stattfindet. Das ganze Heulen, Kreischen, Zähneklappern um den Wettbewerb und die Jury dreht sich ja letztlich viel weniger um Filme als um Filmpolitik. Und wenn der diesjährige Berlinale-Wettbewerb mal wieder was bewiesen hat, wann immer er Betroffenheits-Kino, Parteibuch-Filme, Leinwand-Thesenpapiere präsentierte, dann, dass nichts unwichtiger ist als mit großem Gutmenschengewissen beabsichtigte Film-Politik.

Thomas Willmann

 
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