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Berlinale 2005 13.02.2005
 
 

Tagebuchnotizen: 13.02.2005

von Thomas Willmann
und Anja Marquardt
IN GOOD COMPANY
 
 
 
 

Tischfussball in Zeiten des Bögloka

Es kommt im Kino nicht drauf an, ob etwas gelogen ist oder wahr. Es kommt nur drauf an, wie schön es gelogen ist. Das konnte man in Paul Weisz’ (AMERICAN PIE) wunderbarem IN GOOD COMPANY mal wieder bewiesen sehen. Man kann sich den Film ungefähr so vorstellen, als hätte Frank Capra sich über das Thema Globalkapitalismus hergemacht: Dennis Quaid ist der James Stewart-Ersatz, der den Triumph des einfachen, kleinen Mannes mit seinen einfachen, erprobten Werten gegen die böse neue Welt erkämpft. Der fiese Globalkapitalismus hingegen wird in einem Gastauftritt von Malcom McDowell gespielt.
Freilich könnte man den Film dekonstruieren als genau ein Produkt des Systems, das er (vergleichsweise sanft) anprangert. Freilich basiert er auf einem Fundament von Lügen: Dass es reicht, den gesunden Menschenverstand ein paar naive, also grundlegende Fragen stellen zu lassen, und schon zieht der Bögloka (wie wir im Zuge einer Schreib-Rationalisierungsmaßnahme den Bösen Globalkapitalismus jetzt nennen wollen) den Schwanz ein. Dass sich im Bögloka irgendwie schon zumindest in Nischen Gerechtigkeit und Menschlichkeit durchsetzen werden. Dass auch im Bögloka noch die guten, alten Methoden, Geschäfte zu machen, am Ende die besten bleiben werden. Und, eine besonders dreiste Lüge, dass Jungmanager im Grunde auch Menschen seien. Aber was soll’s, wenn diese Lügen – die man ja auch zu gerne glauben würde – mit solch einem Charme aufgetischt werden, und wenn dieser Charme auf so herrlich altmodischen Tugenden basiert, dass er selbst zum besten Plädoyer für „old school, old economy“-Methoden wird.

In einem kleinen Detail von IN GOOD COMPANY zeigt sich übrigens, wie fortgeschritten auch im Kino die Globalisierung schon ist: Da wird ein Tischfußballspiel zum Startschuss einer Liebe. Und schon nach wenigen Tagen Berlinale scheint sich abzuzeichnen: Tischfußball ist DER große Trend im Weltkino, weiträumig länder- und genreübergreifend. Der Kicker-Tisch wird zum Feld der Entscheidung, der Dreh an den Metallstangen führt zur Schicksals-Wendung. Manchmal ist das eher harmlos, wie in dem auch sonst wenig spektakulären französischen Film LES MAUVAIS JOUEURS, wo ein illegal in Frankreich lebender chinesischer Junge mit seinem arabischen Mentor darum spielt, ob er eine Woche lang arbeiten muss.
Aber in Wolfgang Murnbergers großartiger zweiter Wolf Haas-Verfilmung SILENTIUM ist der Einsatz höher: Da wird um Antworten auf gefährliche Fragen gespielt und damit, weil das hier das selbe ist, um Leben und Tod. Da wird Kommisar Brenner (Josef Hader) in einem Alptraum selbst zur hilflos rotierenden Kickerfigur. Und warum nachher die Bälle nicht mehr aus der dafür vorgesehenen Ball-Ausgabe-Rinne kullern wollen, das ist zu grauslig, als dass wir es hier erzählen mögen...
Wir werden auf weiteres Auftauchen von Kicker-Szenen im Weltkino unserer Zeit achten und gegebenenfalls eine Doktorarbeit zum Thema nachreichen.

Eine kleine Typologie der Pressekonferenz-Fragesteller
Folge 2: Der Second-Hand-Investigator

Diese drollige Unterart des investigativen Filmjournalisten - nicht signifikant häufiger in einer besonderen Altersgruppe oder Geschlecht anzutreffen – sucht die Kontroverse. Er oder sie scheut sich nicht, die Filmemacher auch mal hart anzugehen. Schonungslos den Finger in die Wunden ihrer Werke zu legen. Auch die ganz toughen Themen anzusprechen. Etwa so: „Finden Sie nicht, dass Ihr Film grob antisemitisch ist?“
Öha! Der Regisseur geht sicherheitshalber in die Defensive:
„Eigentlich nicht. Weshalb sollte er antisemitisch sein?“
Gleich wird knallhart nachgelegt:
„Na, die Figur des Jean-Jacques wird doch sehr unsympathisch gezeichnet – und hat eine Hakennase!“
„Äh, es ist eher eine krumme Nase.“
„Das ist das selbe!“
„Nicht wirklich. Außerdem ist Jean-Jacques ein Schwarzer, und es wird dreimal erwähnt, dass die Nase krumm ist, weil er Boxer war.“
Jetzt wird der Frager gern beharrlich:
„Trotzdem – kann man ihren Film nicht als antisemitisch sehen?“
Wenn der befragte Regisseur klug ist, versucht er jetzt, konkret zu werden:
„Finden Sie ihn denn selbst antisemitisch?“
„Das tut nichts zur Sache.“
„Doch, das finde ich schon. Ich wüsste gern, wie Sie auf diese Lesart kommen.“
„Also im Internet gibt es einige Kommentare von Leuten, die fanden den Film antisemitisch.“
„Okay, aber was ist Ihre persönliche Meinung.“
Und jetzt muss unser possierlicher Freund dann doch zugeben, dass es eine Sache gab, die er auf der Jagd nach der großen Kontroverse noch nicht Zeit hatte, zu tun:
„Ich habe den Film nicht gesehen“ – und man braucht nicht zu glauben, dass dies bei allen Vertretern dieser Gattung angemessen kleinlaut klingt.

Thomas Willmann

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Fingerflimmern

PROVINCIA MECCANICA (Stefano Mordini): Schöne Bilder, wackeliger Stil - das sieht man gerade sehr oft. Dazu noch kaum Dialog. Mann und Frau verstehen sich nicht, auf ganz typische italienische Art, weil sie eben Mann und Frau sind. Bin eingeschlafen.

Eine großartige Patricia Clarkson zwischen zwei Männern, der eine schwul, der andere bisexuell und ihr Ehemann. Speziell am Anfang schlägt THE DYING GAUL viele interessante Zirkel, und die Kapriolen am Ende wirken ein wenig hysterisch. Das erklärte sich dann, als der Regisseur Craig Lucas auf die Bühne kam: Sein Film sei eine Analogie auf amerikanische Verdrängungstaktiken, wie sie ja vom Präsident Bush etc. etc. - Schade, eigentlich.

Powerful. Eigentlich kann man HOTEL RWANDA keinen Oscar für das beste Drehbuch geben, das wäre töricht. "Geschichten wie sie nur das Leben schreiben kann." Wenn der Friedensnobelpreis eine Kategorie "Film" hätte, dann wäre klar, wo HOTEL RWANDA (Terry George) hingehört. Sachlich kann man ihm sich kaum nähern.

EROS ist Erotik durch die kulturelle, individuelle und auch stilistische Brille seiner drei Regisseure Antonioni, Soderbergh und Wong Kar Wai. Das klingt plausibel, führt aber auch dazu, dass man die jeweilige Brille schon aus früheren Filmen kennt. Das Bekannte noch mal neu elaboriert, tja. Allein bei Soderbergh eine stilistisch ganz andere Art, Motive aus SCHIZOPOLIS / SOLARIS weiterzudenken.

Nach DER GLANZ VON BERLIN wird auch Judith Keils und Antje Kruskas neuer Film DANCING WITH MYSELF in die Kinos kommen. Drei Berliner Grenzgänger, die ihr Leben mit den Zuschauern teilen. Das geht tiefer und wahrer und komischer, als der Seelenstriptease im Fernsehen. Die Regisseurinnen mit ihrem kleinen, vertrauten Team machen aus ihren Protagonisten Helden.

Anja Marquardt

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