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Berlinale 2005 12.02.2005
 
 

Tagebuchnotiz: 12.02.2005

Horst Buchholz, mein Papa
 
 
 
 

Auf der weißen Couch
Déjà-Vus im Fortsetzungskino und das wunderbare Unwiederbringliche

Schlange stehen! Heißt es auch dieses Jahr wieder auf der Berlinale, zumindest für die Unter- oder Unprivilegierten, die Forumsakkreditierten, die sich bereits frühmorgens im zugigen Sony-Center für ihre Karten anstellen, und das gemeine Fußvolk, die das riesige Erdgeschoss der Arkaden durchzieht, um sich Karten für die Filmfestspiele zu sichern. Dennoch scheint alles viel leerer, weniger hektisch zu sein. Die Pressevorführungen sind gut besucht, aber es gibt immer Plätze, anders als in den Jahren, als der riesige Berlinalepalast, der für den Wettbewerb reserviert ist, aus allen Nähten platzte.

Das verwundert, denn eigentlich müsste doch passieren, was Festivalleiter Dieter Kosslik vieldeutig im Vorfeld des Festivals angekündigt hatte: Konzentration! Mit Konzentration meinte er wohl hoffnungsvoll das Zusammenpferchen der Festivalbesucher auf weniger Filme, dahinter verbirgt sich aber natürlich nichts anderes als ein seltsamer Euphemismus für Sparmaßahmen. Und gespart werden muss hier, wie auf allen Festivals. Sat.1 hat sich als "Medienpartner", wie es in der Sprache des Marketing heißt, zurückgezogen, dafür kann der Tag jetzt beim Frühstücksfernsehen mit Berlinale-Berichten im ZDF begonnen werden. Man kann sich denken, dass sich der Partner-Tausch, das private Sat.1 gegen das öffentlich-rechtliche ZDF, finanziell nicht gelohnt hat, und vermutlich auch für das Image keinen Aufstieg bedeutet. Die Berliner aber sind schnoddrige Menschen, die durch ihre Begabung, besondere Ausdrücke zu erfinden, bekannt sind. Kosslik hat sich wohl von der Berliner Art anregen lassen, als er für die Kürzung seines Programms den Begriff "Konzentration" erdachte. Hier könnte auch die pädagogisch gemeinte, für den einen oder anderen Kollegen nicht ganz überflüssige Aufforderung mitschwingen, sich doch bitte während des Festivals auf die Filme zu konzentrieren, und sich nicht bei den zahlreichen Botschaftsempfängen und Events gratis durch die Berlin-Tage zu trinken und zu essen.

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Bei dem stürmischen und regnerischen Wetter, es sind Orkanböen für Berlin in Aussicht gestellt, ist ja auch der schönste Platz im Kinosessel. Und da kann man doch einige schöne Dinge sehen. Bis auf den Wettbewerbsbeitrag von David MacKenzie ASYLUM, eine Verfilmung des Romans von Patrick McGrath, der seine Geschichte von der Frau eines Psychiaters, die einer leidenschaftlichen Liebe zu einem Insassen der Psychiatrie verfällt, mit dem dramaturgischen Holzhammer erzählt, konnten bislang schöne Entdeckungen gemacht werden. Entdeckungen freilich, die sich durch die großen Namen schon ankündigten, wie die französischen Forumsbeiträge von Raymond Depardon und Claire Denis. Große Namen aber sind nicht unbedingt ein Garant für gutes Kino. Eine Enttäuschung war hier der neue Film von André Téchiné. Immerhin konnte LES TEMPS QUI CHANGENT mit einem schrankartigen, unglücklich verliebten, darüber sehr unbeholfenen Gérard Dépardieu aufwarten, eine Rolle, die ihm ganz und gar auf den Leib geschrieben scheint. Aber das Objekt seiner Begierde, die eigentlich wunderbare Cathérine Deneuve, streute nicht nur feministe Sprödheit in die Liebes- und Familiengeschichte, sondern wirkte auch sehr ermüdend in der bewährten Art, wie sie auf der Leinwand erscheint. Stolz durch das Setting schreitend, im kompakten Körper, mit ihrer damenhaften Frisur, zurückhaltend, so hat man sie schon zu oft gesehen.

Téchiné scheint hier zu sehr auf Altbewährtes zurückzugreifen. Seine Geschichte, die er erzählt, erscheint in gewissen Momenten wie eine Fortsetzung seiner alten Filme zu sein. Die Handlung spielt in Tanger, von der Küste aus ist Spanien zu sehen, aufgerufen ist die Festung Europa aus seinem Film LOIN. Immer wieder tauchen am Rande der Handlung schwarzafrikanische Flüchtlinge auf, die sich darauf vorbereiten, diese Festung stürmen zu wollen. Im Zentrum von LES TEMPS QUI CHANGENT aber stehen die, die sich in der nordafrikanischen Sphäre heimisch fühlen, wie der marokanische Arzt Natan, für den Cécile (Deneuve) Frankreich verlassen hat, und auch die, die zurückgekehrt sind aus dem verheißungsvollen Paris. Wie der Sohn, der aus Paris nicht nur eine arabische Frau mit gemeinsamem Kind mitgebracht hat , sondern auch einen Liebhaber aus dem Tanger, der mit ihm nach Afrika zurückgekehrt ist, eine Konstellation, die an J'EMBRASSE PAS erinnert. Téchiné ließ es sich nicht nehmen, das europäische-arabische Verhältnis als Kulturschock zu inszenieren. Immer wieder streut er in seine Handlung archaische Rituale der Einheimischen, wie die Opferung eines Lammes oder die kultische Abwehr von den bösen Geistern oder Beschwörungen in der Art des Voodoo-Zaubers. Bei all der Themenvielfalt schafft der Film es nicht, für seine Geschichte der alten Jugendliebe zu interessieren, noch weniger eine Zeit des Umbruchs wirklich spürbar zu machen.

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Beeindruckend war dagegen der deutsche Dokumentarfilm HORST BUCHHOLZ, MEIN PAPA. Der Film, von Christopher Buchholz gedreht, ist vor allem ein Film von einem Sohn über seinen Vater. Das Ergebnis ist ein intensives Portrait über den Schauspieler, sehr familiär, das sich einreiht in das Genre der "familiy matters", die eine persönliche Lebensgeschichte erzählen.

Der Film beginnt mit einer Kamerafahrt durch eine leere, weiße Wohnung. Auf dem Teppich sind in der Ecke deutliche Spuren von Staub und Abnutzung zu sehen. Es ist die Stelle, an der ein Sofa stand, als diese Wohnung noch bezogen war. Hier hatte der Schauspieler Horst Buchholz seinen Lieblingsplatz, vor seinem Tod, wo er unrasiert auf einem weißen Sofa saß, und später im Film wird man ihn sehen, den Rücken tief in ein dickes weißes Kissen gelehnt, die Füße am Couchtisch abgestützt, so dass es von der Seite fast so aussieht, als läge er auf einem Krankenbett. Immer wieder trinkt er aus einem Glas, vielleicht ist es Alkohol, vielleicht Wasser, so wie er später im Spaß sagen wird, er habe immer zu viel Wasser getrunken.

Christopher Buchholz musste ihn erst zum Reden bringen, den Vater und Schauspieler, der sich, nach seinen Jahren im Ausland nach Berlin zurückgezogen hatte, wo er aufgewachsen war. Horst Buchholz, der in seinen jungen Jahren als bester Schauspieler Deutschlands galt, später sich immer mehr zurückgezogen hatte, schließlich ganz aufhörte, Menschen zu sehen, wegen der unerträglichen Déjà-vus, die er mit anderen erlebte. Auch zu seinem Sohn sprach er nicht viel, erst die Aufmerksamkeit, die die Kamera auf alles richtete, was er sagte und tat, auf seinem Sofa, wo er immer saß, ergab für Christopher Buchholz die Möglichkeit, ein Interview mit dem Vater durchzufuehren, seine Biographie festzuhalten, die er selber nie schreiben wollte. Horst Buchholz ist im Fruehjahr 2003 gestorben, er war 69 Jahre alt. Nach dem Tod führte Christopher Buchholz das Gespraech über seinen Vater weiter mit der Mutter und seiner Schwester. Ein Film auch über das, was im Leben nicht mehr eingeholt werden kann, was versäumt wird und über das, was man zu Lebzeiten verwirklicht. Für sich selbst und für andere Menschen.

Dunja Bialas

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