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Sie bringt die Männer noch immer zum Schwitzen. Lange
beneidet man den schwedischen Filmjournalisten-Kollegen nicht,
der auserkoren war, zusammen mit Festival-Direktor Hans Hurch
das Presskonferenz-Podiumsinterview führen zu dürfen
mit dem großen Viennale-Stargast Lauren Bacall. Die
Lady hat noch immer einen messerscharfen Geist und Humor -
und wenig Geduld für auf impräziser Vorbereitung
fußende, ungenau formulierte Fragen und (sicher auch
Sprachbarrieren-bedingte) Missgriffe im Ton. Von tatteriger
Altersmilde keine Spur, obwohl die Dame jüngst ihren
80. feierte. Keine drei Minuten dauert es - nachdem die Fotografen
ihre Blitzlichter zucken ließen, Bacalls Hund Sofie,
der diese Prozedur mit über sich ergehen lassen musste,
hinausgebracht ist, und das Gespräch begonnen hat -,
da meint der schwedische Kollege genau diesen Geburtstag ganz
besonders betonen zu müssen, für alle im Raum, die
vielleicht noch nicht davon gehört hätten, und schon
fängt er sich von Bacall ein scherzhaftes, aber deshalb
bestimmt nicht weniger ins Mark treffendes "Your're fired!"
ein. ("It's bad enough that it's true," meint sie,
man müsse ihr Alter nicht noch extra herausposaunen...)
Danach bekommt der arme Mann kein Bein mehr auf den Boden,
stolpert bei jedem Versuch, seine Kompetenz doch noch zu beweisen,
auf's Neue (verwechselt z.B. Jack Benny mit Henny Youngman),
muss sehr bald von Bacall (wie einst legendär auf dem
Münchner Filmfest Robert Fischer von Roman Polanski)
den Vorschlag hinnehmen, doch mal das Plenum Fragen stellen
zu lassen, und irgendwann überlässt er die Gesprächsführung
einfach weitgehend Hans Hurch - der es auch nicht viel leichter
hat. Es ist ein Abend, von dem die beiden bestimmt lange träumen
werden, aber gewiss anders, als sie sich vorher träumen
ließen...
Sie hat ihn noch immer drauf, "The Look", ihren
Markenzeichen-Blick, diese bei leicht gesenktem Kopf unter
den charakteristischen Augenbrauen aufschauenden Augen, die
viel versprechen für jeden, der sich ihr ebenbürtig
erweisen sollte, die aber keinen Zweifel lassen, dass die
meisten an dieser Herausforderung scheitern werden und dass
diesen großen Rest der Welt nur ihren Spott zu erwarten
hat. Auch wenn die verführerische Komponente dieses Blicks
im Laufe der Jahre geschrumpft ist.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Lauren Bacall wirkt
nicht wie eine Diva, nicht zickig. "A real Joe,"
hat Bogey sie mal beschrieben; "I am one of the girls
who is one of the guys in the picture," zitiert die Viennale
Bacall als Motto für ihren Filmreihen-Tribute. Und so
trinkt sie bei der Pressekonferenz ihr Wasser auch gleich
aus der Flasche, lacht viel - und gern auch über sich
selbst. Einige der für die Podiums-Fragesteller schwierigsten
Situationen ergeben sich aus Versuchen, Bacall Komplimente
zu machen. Später, bei der Publikums-Veranstaltung im
Gartenbaukino, wo Hurch allein mit Bacall auf der großen
Bühne in zwei Sesseln sitzt und innerlich bestimmt wieder
tausend Tode stirbt, weil die Lady ihm zur Gaudi des Publikums
einfach nichts durchgehen läßt und er sich immer
wieder ins Lachen flüchten muss ("Jetzt bereut er,
dass er mich eingeladen hat," juxt Bacall), da sagt Hurch
einmal, nachdem er wieder aufgelaufen ist, auch einfach "I
was trying to make a compliment," und da antwortet sie,
dass sie tatsächlich noch nie gut drin war, Komplimente
anzunehmen. Und sie versucht Hurch immer wieder klar zu machen,
dass sie die Dinge nie ganz ernst nimmt ("Don't you realize
it's all a joke?"), auch sich selbst nicht.
Sie scheint einfach jemand zu sein, der - wie man auf Englisch
so schön sagt - "doesn't suffer fools gladly",
der keine Zeit, keine Geduld, keine Höflichkeit übrig
hat für Bullshit. Freilich schwingt da auch eine gewisse
Eitelkeit mit - ohne die treibt es keinen Menschen auf die
Bühne, vor die Kamera, und gerade die Selbstironie ist
ja oft ein Zeichen für einen heimlichen Narzissmus.
Bacall ist geplagt von einer Erkältung, die sie direkt
aus Paris importiert hat, und nach der dennoch langen Pressekonferenz
am Spätnachmittag läßt sie sich entkräftet
stützen auf dem Weg runter vom Podium. Aber wenige Stunden
später im Gartenbaukino lässt sie es sich nicht
nehmen, allein auf die und von der Bühne zu schreiten
(und da trinkt sie ihr Wasser dann auch vornehm aus dem Glas),
und man meint zu spüren, dass ihr die standing ovations
von 700 Leuten durchaus Seelenbalsam bedeuten.
Das Wort "legend" hasst sie, eine Legende sei "a
thing of the past". Sie hingegen sei noch sehr lebendig
- was man nicht bestreiten kann, zumal sie ja als Filmschauspielerin
derzeit wieder richtig gut im Geschäft ist, zuletzt in
Lars von Triers DOGVILLE, demnächst in seinem MANDERLEY;
in Amerika startet gerade BIRTH von Jonathan Glazer, und nach
Wien kam sie direkt von Dreharbeiten eingeflogen. Ihre Absicht
sei "to live as long as I can, so I can annoy everybody".
Wie meist bei solchen lebenden Legenden... - pardon: Solchen
Stars, die uns heute mythisch erscheinende Ären miterlebt,
mitgeprägt haben, geht es bei solchen Auftritten mit
Frage-Antwort-Ritual in Wirklichkeit vor allem um das Auratische,
um die Leibhaftigkeit ihrer Anwesenheit. Niemand kann ernsthaft
damit rechnen, hier noch etwas wirklich Neues zu erfahren.
Zumal bei Bacall, die in ihrer Autobiographie "By Myself"
und ihrer Weltanschauungs-Darlegung "Now" im Wesentlichen
alles gesagt hat, was ihr öffentlich über ihre Karriere,
ihr Leben, ihre Liebe zum einmaligen Mr. Bogart und ihre Meinung
zu Ruhm, Alter und dem ganzen Rest zu entlocken sein wird.
(Die 25 Jahre alte Autobiographie wird übrigens nächstes
Jahr als "By Myself... and then Some" neu erscheinen,
um rund 100 Seiten erweitert, auf den aktuellen Lebens-Stand
gebracht.)
Aber auch wenn Bacall inhaltlich wenig von ihr Unbekanntes
zu verkünden hat, haben sich die vertrauten Anekdoten
und Ansichten bei ihr anscheinend noch nicht, wie bei vielen
alten Menschen, zu Nummern verfestigt, die auf das entsprechende
Stichwort jedesmal in fast identischer Formulierung abspulen.
Sie findet für die selben Sachverhalte in ihrem Buch,
in der Pressekonferenz, bei der Publikumsgala am Abend jeweils
andere Worte.
Und davon abgesehen ist es dann halt doch auch einfach sehr
hübsch, in Wien selbst, von Lauren Bacall selbst, die
Geschichte zu hören, wie sie dort in den '60ern einst
Jason Robards heiraten wollte und dies nur deswegen nicht
gelang, weil der echt österreichische Beamte vom Wiener
Standesamt ihr ohne amtliche Sterbeurkunde nicht glauben wollte,
dass Humphrey Bogart definitv tot sei...
Bacall scheint nur zu bewusst, dass auch die Pressekonferenz
ein AUFTRITT ist viel mehr als ein Interview, dass die Presseleute
ein Publikum sind - sie leidet sichtlich drunter, als sie
das Gefühl hat, nicht auf einer Wellenlänge zu sein
mit dem Raum voller Journalisten, weil die Leute nicht oder
an den falschen Stellen lachen. "I can't connect to this
room," klagt sie, und fragt, ob denn irgendjemand wach
sei da draußen. Solche Probleme hat sie im Kino abends
nicht. Da zündet jeder Gag - nicht wenige davon wie gesagt
auf Kosten von Hans Hurch.
Auch Bacall hat den typischen "They don't make them
like they used to"-Sermon alter Filmkünstler im
Repertoire, die "Früher war alles besser"-Predigt,
die behauptet heute ginge es nur noch um Geld und Brutalität
- welche von den Stummfilmstars nicht anders zu hören
war, als Bacall noch ein junges Mädchen war. Und wie
üblich spenden einige Leute bereitwillig Beifall für
die bornierte Behauptung, die Filme von heute wären ja
ach so schrecklich.
Das Besondere bei Bacall ist nur, dass sie sich da sehr schnell
auch widerspricht - dass sie von Scorsese schwärmt und
von den jungen Regisseuren, mit denen sie gerade zusammengearbeitet
hat und davon, wie sehr diese einen dazu brächten, alles
neu zu überdenken, was man über Film zu wissen glaubt.
(Mit Woody Allen würde sie - was sich für die Ur-New
Yorkerin ja eigentlich auch mehr als anbieten würde -
zudem durchaus gerne mal arbeiten, aber der, meint sie, habe
ein Problem mit ihr. Ursprünglich wohl, weil er immer
dachte, sie müsse ihm seine Bogart-Parodie übelnehmen,
aber auch seit sie dieses Missverständnis ausgeräumt
habe, käme er irgendwie nicht klar mit ihr...)
Und nach einer Tirade, in der sie "Hollywood" als
Synonym verwendet für üble Kommerzialität,
meint sie danach gleich, sie habe "Hollywood" eben
auf eine Weise verwendet, für die sie sich nachträglich
(ich übersetze sinngemäß) in den Arsch beißen
könne.
Lauren Bacall hat noch nie mit ihrer politischen Meinung
hinter dem Berg gehalten, und da ist dann am Ende beider Gespräche
endlich die Reihe an Hans Hurch, die Oberhand zu gewinnen,
alllerdings auf subtile, um nicht zu sagen etwas perfide Weise.
Denn weil Bacall - wie wohl jeder vernünftig denkende
Mensch - eine ziemliche Antipathie gegen George W. Bush und
seine Politik hegt, und weil sie dieser Antipathie geradezu
pawlowsch auf's geringste Stichwort hin lang, breit und vehement
Ausdruck verleiht, und weil es eben in Europa derzeit sehr
beliebt ist, Leute über Bush schimpfen zu hören,
und noch beliebter, Amerikaner über Bush schimpfen zu
hören, und am allerbeliebtesten freilich, BERÜHMTE
Amerikaner über Bush schimpfen zu hören - und noch
dazu so legendäre wie Lauren Bacall -, und weil zu alledem
die Viennale ja nicht zuletzt auch den Anspruch eines keineswegs
unpolitischen Festivals hat, führte Hurch Bacalls ihm
bekannte Bereitschaft zur Anti-Bush-Hasskappenpredigt regelrecht
vor, fast wie einen Zirkustrick. Und die beiden bekamen dann
auch den zu erwartenden billigen Applaus für die Nummer.
Es geht nicht darum, dass nicht alles stimmen würde,
was Bacall da vom Stapel ließ, dass ich nicht genauso
fände, dass Bushs antiaufklärerisches, spalterisches
Regime mit das Schlimmste wäre, was den USA in den letzten
Jahren passiert ist. Aber in so einem Kontext, auf so eine
Weise hat doch eine solche Demonstration einer solchen Meinung
eines solchen Stars wohl kaum einen Zweck außer Ressentiments
zu bedienen, ein feixendes "Schau, die sagt's auch!"-Gefühl
zu wecken, und sich ein bisschen pseudo-provokante Politagitation
auf's Banner schreiben zu können. Was dann doch letztlich
unter der Würde ist, die man einem Stargast von solchem
Kaliber wie der Bacall zugestehen sollte.
Und geholfen hat es ja auch leider Gottes gar nix. Man würde
sich nur wünschen, dass George W. mal mit der Bacall
zusammen in einen Raum gesperrt würde und sich der Klinge
ihres Geistes und Spotts ausgesetzt sähe, "The Look"
standhalten müsste. Wetten, dass es dann selbst diesem
dummen Buben warm unter dem Kragen würde...
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Der zweite Teil mit den 50.000 masturbierenden Chinesen kommt
im Laufe des Donnerstags, versprochen!
Thomas Willmann
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