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Viennale '04 04.11.2004
 
 
Lauren Bacall (und 50.000 masturbierende Chinesen...)
Lauren Bacall
"The Look"
 
 
 
 

Sie bringt die Männer noch immer zum Schwitzen. Lange beneidet man den schwedischen Filmjournalisten-Kollegen nicht, der auserkoren war, zusammen mit Festival-Direktor Hans Hurch das Presskonferenz-Podiumsinterview führen zu dürfen mit dem großen Viennale-Stargast Lauren Bacall. Die Lady hat noch immer einen messerscharfen Geist und Humor - und wenig Geduld für auf impräziser Vorbereitung fußende, ungenau formulierte Fragen und (sicher auch Sprachbarrieren-bedingte) Missgriffe im Ton. Von tatteriger Altersmilde keine Spur, obwohl die Dame jüngst ihren 80. feierte. Keine drei Minuten dauert es - nachdem die Fotografen ihre Blitzlichter zucken ließen, Bacalls Hund Sofie, der diese Prozedur mit über sich ergehen lassen musste, hinausgebracht ist, und das Gespräch begonnen hat -, da meint der schwedische Kollege genau diesen Geburtstag ganz besonders betonen zu müssen, für alle im Raum, die vielleicht noch nicht davon gehört hätten, und schon fängt er sich von Bacall ein scherzhaftes, aber deshalb bestimmt nicht weniger ins Mark treffendes "Your're fired!" ein. ("It's bad enough that it's true," meint sie, man müsse ihr Alter nicht noch extra herausposaunen...) Danach bekommt der arme Mann kein Bein mehr auf den Boden, stolpert bei jedem Versuch, seine Kompetenz doch noch zu beweisen, auf's Neue (verwechselt z.B. Jack Benny mit Henny Youngman), muss sehr bald von Bacall (wie einst legendär auf dem Münchner Filmfest Robert Fischer von Roman Polanski) den Vorschlag hinnehmen, doch mal das Plenum Fragen stellen zu lassen, und irgendwann überlässt er die Gesprächsführung einfach weitgehend Hans Hurch - der es auch nicht viel leichter hat. Es ist ein Abend, von dem die beiden bestimmt lange träumen werden, aber gewiss anders, als sie sich vorher träumen ließen...

Sie hat ihn noch immer drauf, "The Look", ihren Markenzeichen-Blick, diese bei leicht gesenktem Kopf unter den charakteristischen Augenbrauen aufschauenden Augen, die viel versprechen für jeden, der sich ihr ebenbürtig erweisen sollte, die aber keinen Zweifel lassen, dass die meisten an dieser Herausforderung scheitern werden und dass diesen großen Rest der Welt nur ihren Spott zu erwarten hat. Auch wenn die verführerische Komponente dieses Blicks im Laufe der Jahre geschrumpft ist.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Lauren Bacall wirkt nicht wie eine Diva, nicht zickig. "A real Joe," hat Bogey sie mal beschrieben; "I am one of the girls who is one of the guys in the picture," zitiert die Viennale Bacall als Motto für ihren Filmreihen-Tribute. Und so trinkt sie bei der Pressekonferenz ihr Wasser auch gleich aus der Flasche, lacht viel - und gern auch über sich selbst. Einige der für die Podiums-Fragesteller schwierigsten Situationen ergeben sich aus Versuchen, Bacall Komplimente zu machen. Später, bei der Publikums-Veranstaltung im Gartenbaukino, wo Hurch allein mit Bacall auf der großen Bühne in zwei Sesseln sitzt und innerlich bestimmt wieder tausend Tode stirbt, weil die Lady ihm zur Gaudi des Publikums einfach nichts durchgehen läßt und er sich immer wieder ins Lachen flüchten muss ("Jetzt bereut er, dass er mich eingeladen hat," juxt Bacall), da sagt Hurch einmal, nachdem er wieder aufgelaufen ist, auch einfach "I was trying to make a compliment," und da antwortet sie, dass sie tatsächlich noch nie gut drin war, Komplimente anzunehmen. Und sie versucht Hurch immer wieder klar zu machen, dass sie die Dinge nie ganz ernst nimmt ("Don't you realize it's all a joke?"), auch sich selbst nicht.
Sie scheint einfach jemand zu sein, der - wie man auf Englisch so schön sagt - "doesn't suffer fools gladly", der keine Zeit, keine Geduld, keine Höflichkeit übrig hat für Bullshit. Freilich schwingt da auch eine gewisse Eitelkeit mit - ohne die treibt es keinen Menschen auf die Bühne, vor die Kamera, und gerade die Selbstironie ist ja oft ein Zeichen für einen heimlichen Narzissmus.
Bacall ist geplagt von einer Erkältung, die sie direkt aus Paris importiert hat, und nach der dennoch langen Pressekonferenz am Spätnachmittag läßt sie sich entkräftet stützen auf dem Weg runter vom Podium. Aber wenige Stunden später im Gartenbaukino lässt sie es sich nicht nehmen, allein auf die und von der Bühne zu schreiten (und da trinkt sie ihr Wasser dann auch vornehm aus dem Glas), und man meint zu spüren, dass ihr die standing ovations von 700 Leuten durchaus Seelenbalsam bedeuten.

Das Wort "legend" hasst sie, eine Legende sei "a thing of the past". Sie hingegen sei noch sehr lebendig - was man nicht bestreiten kann, zumal sie ja als Filmschauspielerin derzeit wieder richtig gut im Geschäft ist, zuletzt in Lars von Triers DOGVILLE, demnächst in seinem MANDERLEY; in Amerika startet gerade BIRTH von Jonathan Glazer, und nach Wien kam sie direkt von Dreharbeiten eingeflogen. Ihre Absicht sei "to live as long as I can, so I can annoy everybody".
Wie meist bei solchen lebenden Legenden... - pardon: Solchen Stars, die uns heute mythisch erscheinende Ären miterlebt, mitgeprägt haben, geht es bei solchen Auftritten mit Frage-Antwort-Ritual in Wirklichkeit vor allem um das Auratische, um die Leibhaftigkeit ihrer Anwesenheit. Niemand kann ernsthaft damit rechnen, hier noch etwas wirklich Neues zu erfahren. Zumal bei Bacall, die in ihrer Autobiographie "By Myself" und ihrer Weltanschauungs-Darlegung "Now" im Wesentlichen alles gesagt hat, was ihr öffentlich über ihre Karriere, ihr Leben, ihre Liebe zum einmaligen Mr. Bogart und ihre Meinung zu Ruhm, Alter und dem ganzen Rest zu entlocken sein wird. (Die 25 Jahre alte Autobiographie wird übrigens nächstes Jahr als "By Myself... and then Some" neu erscheinen, um rund 100 Seiten erweitert, auf den aktuellen Lebens-Stand gebracht.)
Aber auch wenn Bacall inhaltlich wenig von ihr Unbekanntes zu verkünden hat, haben sich die vertrauten Anekdoten und Ansichten bei ihr anscheinend noch nicht, wie bei vielen alten Menschen, zu Nummern verfestigt, die auf das entsprechende Stichwort jedesmal in fast identischer Formulierung abspulen. Sie findet für die selben Sachverhalte in ihrem Buch, in der Pressekonferenz, bei der Publikumsgala am Abend jeweils andere Worte.
Und davon abgesehen ist es dann halt doch auch einfach sehr hübsch, in Wien selbst, von Lauren Bacall selbst, die Geschichte zu hören, wie sie dort in den '60ern einst Jason Robards heiraten wollte und dies nur deswegen nicht gelang, weil der echt österreichische Beamte vom Wiener Standesamt ihr ohne amtliche Sterbeurkunde nicht glauben wollte, dass Humphrey Bogart definitv tot sei...

Bacall scheint nur zu bewusst, dass auch die Pressekonferenz ein AUFTRITT ist viel mehr als ein Interview, dass die Presseleute ein Publikum sind - sie leidet sichtlich drunter, als sie das Gefühl hat, nicht auf einer Wellenlänge zu sein mit dem Raum voller Journalisten, weil die Leute nicht oder an den falschen Stellen lachen. "I can't connect to this room," klagt sie, und fragt, ob denn irgendjemand wach sei da draußen. Solche Probleme hat sie im Kino abends nicht. Da zündet jeder Gag - nicht wenige davon wie gesagt auf Kosten von Hans Hurch.

Auch Bacall hat den typischen "They don't make them like they used to"-Sermon alter Filmkünstler im Repertoire, die "Früher war alles besser"-Predigt, die behauptet heute ginge es nur noch um Geld und Brutalität - welche von den Stummfilmstars nicht anders zu hören war, als Bacall noch ein junges Mädchen war. Und wie üblich spenden einige Leute bereitwillig Beifall für die bornierte Behauptung, die Filme von heute wären ja ach so schrecklich.
Das Besondere bei Bacall ist nur, dass sie sich da sehr schnell auch widerspricht - dass sie von Scorsese schwärmt und von den jungen Regisseuren, mit denen sie gerade zusammengearbeitet hat und davon, wie sehr diese einen dazu brächten, alles neu zu überdenken, was man über Film zu wissen glaubt. (Mit Woody Allen würde sie - was sich für die Ur-New Yorkerin ja eigentlich auch mehr als anbieten würde - zudem durchaus gerne mal arbeiten, aber der, meint sie, habe ein Problem mit ihr. Ursprünglich wohl, weil er immer dachte, sie müsse ihm seine Bogart-Parodie übelnehmen, aber auch seit sie dieses Missverständnis ausgeräumt habe, käme er irgendwie nicht klar mit ihr...)
Und nach einer Tirade, in der sie "Hollywood" als Synonym verwendet für üble Kommerzialität, meint sie danach gleich, sie habe "Hollywood" eben auf eine Weise verwendet, für die sie sich nachträglich (ich übersetze sinngemäß) in den Arsch beißen könne.

Lauren Bacall hat noch nie mit ihrer politischen Meinung hinter dem Berg gehalten, und da ist dann am Ende beider Gespräche endlich die Reihe an Hans Hurch, die Oberhand zu gewinnen, alllerdings auf subtile, um nicht zu sagen etwas perfide Weise. Denn weil Bacall - wie wohl jeder vernünftig denkende Mensch - eine ziemliche Antipathie gegen George W. Bush und seine Politik hegt, und weil sie dieser Antipathie geradezu pawlowsch auf's geringste Stichwort hin lang, breit und vehement Ausdruck verleiht, und weil es eben in Europa derzeit sehr beliebt ist, Leute über Bush schimpfen zu hören, und noch beliebter, Amerikaner über Bush schimpfen zu hören, und am allerbeliebtesten freilich, BERÜHMTE Amerikaner über Bush schimpfen zu hören - und noch dazu so legendäre wie Lauren Bacall -, und weil zu alledem die Viennale ja nicht zuletzt auch den Anspruch eines keineswegs unpolitischen Festivals hat, führte Hurch Bacalls ihm bekannte Bereitschaft zur Anti-Bush-Hasskappenpredigt regelrecht vor, fast wie einen Zirkustrick. Und die beiden bekamen dann auch den zu erwartenden billigen Applaus für die Nummer.
Es geht nicht darum, dass nicht alles stimmen würde, was Bacall da vom Stapel ließ, dass ich nicht genauso fände, dass Bushs antiaufklärerisches, spalterisches Regime mit das Schlimmste wäre, was den USA in den letzten Jahren passiert ist. Aber in so einem Kontext, auf so eine Weise hat doch eine solche Demonstration einer solchen Meinung eines solchen Stars wohl kaum einen Zweck außer Ressentiments zu bedienen, ein feixendes "Schau, die sagt's auch!"-Gefühl zu wecken, und sich ein bisschen pseudo-provokante Politagitation auf's Banner schreiben zu können. Was dann doch letztlich unter der Würde ist, die man einem Stargast von solchem Kaliber wie der Bacall zugestehen sollte.
Und geholfen hat es ja auch leider Gottes gar nix. Man würde sich nur wünschen, dass George W. mal mit der Bacall zusammen in einen Raum gesperrt würde und sich der Klinge ihres Geistes und Spotts ausgesetzt sähe, "The Look" standhalten müsste. Wetten, dass es dann selbst diesem dummen Buben warm unter dem Kragen würde...

*

Der zweite Teil mit den 50.000 masturbierenden Chinesen kommt im Laufe des Donnerstags, versprochen!


Thomas Willmann

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