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Berlinale 2004 19.02.2004
 
 

Aufregende Filme und ein Film, der aufregt - französischsprachiges Kino auf der Berlinale 2004

Cédric Kahns FEUX ROUGES
 
 
 
 

Berlin war mal eine Stadt der Orientierungslosigkeit, des Aufbruchs aus dem Geiste von Subkultur und Sperrmüllmöbeln. Jetzt hat Berlin Bauten wie das neue Bundeskanzleramt und die Ziegelgebäude des Potsdamer Platzes, an dem nichts mehr provisorisch ist und an dem man dennoch ständig die Orientierung verliert, will man sich in der Peripherie um die Shopping Mall zurechtfinden. Wo war doch gleich das Cinemaxx? Gegenüber von Tschibo. Und wie das Hyatt wiederfinden, in dem nicht nur die Stars absteigen, sondern tagtäglich die Kinokarten geholt werden? Immer dem eisigen Ostwind entlang? Orientierungspunkte setzte man auf der diesjährigen Berlinale am besten um neun Uhr morgens, dann, wenn der Postdamer Platz noch so schön ruhig war, und es für alle Filme, die auf der Wunschliste standen, noch Karten gab. (Ein schwereres Schicksal hatten da die Forumsakkreditierten: Sie standen jeden Tag ab halb acht im eisigen Innenhof des Sonygebäudes an, um ihre Karten zu ergattern.)

Orientierung zu setzen ist immer auch gefragt bei dem umfassenden Programm, das ein internationales Festival bietet. 26 Langfilme (und ungezählte Kurzfilme) im Wettbewerb, die Reihe Panorama mit über 50 und schließlich das Internationale Forum des Jungen Films mit über 70 Filmen, wie immer eigenständige Sektion der Berlinale, veranstaltet von den Freunden der Deutschen Kinemathek. Dann gab es dieses Jahr noch das Berlinale Special, eine Reihe, die neu eingeführt wurde, weil "es so viele schöne Filme gibt, die nirgendwo reinpassen", so Berlinale-Leiter Dieter Kosslik. Gleiches scheint auch für das Panorama zuzutreffen, das dieses Jahr sich sozusagen in eine A- und B-Liga unterteilte durch Filme der besonderen Auswahl, die im Panorama Special liefen, und die normalen Panorama-Filme. Dann natürliche noch die Reihe "Perspektive Deutsches Kino", in der man sich im Kinosaal um die Sitzplätze prügelte, um sich dann teilweise erstaunlich durchschnittliche TV-Ware reinzuziehen, so ein paar angenervte Kinoschaffende. Und natürlich die wunderbare Retrospektive über das New Hollywood, das in einem gesonderten Katalog dokumentiert wurde, der selbst aber nirgendwo aufzutreiben war. Das zur vorläufigen Orientierungssetzung.

Die eigene Orientierung ergab sich mit der Entscheidung, dieses Jahr einen Streifzug durch alle Reihen zu machen und dabei einen Schwerpunkt beim französischsprachigen Kino zu setzen. Mit Sicherheit eine Entscheidung, die sich ergab, da der französische Markt in Deutschland in den vergangenen Jahren mehr und mehr eingebrochen ist, und eigentlich nichts wirklich Spannendes mehr den Sprung ins Kino schaffte. Eine Probe aufs Exempel also?

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Grundsolide und ein wenig langweilig zeigte sich der Wettbewerbsbeitrag von Patrice Leconte, CONFIDENCES TROP INTIMES (INTIMSTE FREMDE), eine Verwechslungskomödie mit Starbesetzung. Anna (Sandrine Bonnaire), eine Frau mit massiven Eheproblemen, vertraut sich versehentlich einem Steuerberater anstelle eines Psychoanalytikers an, weil sie sich in der Tür irrt. Dem Steuerberater (Fabrice Luchini), frisch von seiner Frau getrennt, gefällt dies zwar (eine Frau, die sich ihm anvertraut, intimste Geheimnisse, die erfahren werden), macht sich aber Gewissensbisse wegen seiner betrügerischen Vorgehensweise, mit der er Nähe zu Anna findet. Bald klärt er die Verwechslung auf, und Anna sagt ihm, dass sie bereits weiß, sich geirrt zu haben. Und hier beginnt auch schon die Langeweile: Anstatt die Situationskomik weiter auszuloten, die Dimension von Moral, Voyeurismus und Vertrauensmissbrauch weiter komödiantisch zu befragen, schwenkt der Film zu schnell auf die Erkenntnis der Figuren ein. Der Rest spielt sich im engen Raum des "Wie und wann kriegen sie sich?" ab, das niemanden wirklich interessiert. Nur Sandrine Bonnaire ist bemerkenswert: in Momenten erscheint sie tatsächlich wie eine reife Frau, hat das Jungmädchenhafte, Freche aus ihrem Gesicht gestreift. Leconte hat in seinem neuesten Film zwar den Jahrmarkts-und Gauklerkitsch seiner letzten beiden Filmen abgelegt, LA FILLE SUR LE PONT und FELIX ET LOLA, ist aber dabei, in die Falle des Beliebigen zu tappen.

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Stilbewusst, packend und überraschend war dagegen der Wettbewerbsfilm von Cédric Kahn, FEUX ROUGES (SCHLUSSLICHTER), eine Georges Simenon-Verfilmung mit dem großartigen Jean-Pierre Darroussin, der seit einigen Jahren Frankreichs Shooting-Star im Bereich des liebenswerten Trottel ist (LE GOÛT DES AUTRES von Agnès Jaoui sei hier als Beispiel genannt). Ein Ehepaar will mit dem Auto seine Kinder aus dem Ferienlager abholen und kommt dabei nicht nur in den fankreichtypischen Urlaubsstau, sondern typischerweise auch in eine gereizte Stimmungslage, von der sich der fahrende Antoine mit diversen Zwischenstopps Erleichterung verschafft, in dem er sich "einen" genehmigt. Zunächst ein, zwei Biere, dann auch mal einen Whiskey. Er fährt zusehends aggressiver und unkontrollierter, bis seine Frau Hélène (Carole Bouquet) schließlich eigenmächtig die Fahrt mit dem Zug fortsetzt. Antoine will sie zurückholen, verpasst um Minuten den Zug. Resigniert macht er Station in einer Bar, in der er weitere Whiskeys tankt. Nimmt dann einen Tramper mit, einen Schwerverbrecher, der soeben aus dem Knast ausgebrochen ist. Antoine, der sich einen Flachmann aus der Bar mitgenommen hat und während der Fahrt ungebremst weitertrinkt, wird zunehmend fahruntüchtig, bis der Tramper ihn schließlich gewaltsam vom Steuer entfernt. In einem wunderbar gruseligen Showdown in einem abgelegenen Waldstück kämpft Antoine schließlich um sein Leben und kann, ohne es zu wissen, seine Frau rächen, die schwerverletzt in einem Krankenhaus liegt.

Großartige Thrillerspannung, die Kahn äußerst leicht zu erzeugen vermag: Entscheidend ist dabei, wie Kahn die Momente, in denen nichts passiert, inszeniert. Er belässt sie in ihrer Handlungsleere und macht diese dabei umso erfahrbarer, verzichtet auf dramatisierende Effekte wie Musikunterstützung, vertraut auf die Atmosphäre des O-Tons. Subjektive Bilder, verschwommen, chaotisch cadriert, detailversessen, zeugen von dem Wahnsinn, in den der betrunkene Antoine hineinfährt.

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Kleineres, feines Kino wurde im Panorama gezeigt. Perfektes Chaos inszenierte Chantal Akerman mit DEMAIN ON DÉMÉNAGE (MORGEN ZIEHEN WIR UM), eine Burleske um die verträumt-chaotische Schriftstellerin Charlotte (Sylvie Testud), die in schriftstellerische Not gerät, als sie nicht nur einen erotischen Auftragsroman schreiben soll, sondern nach dem Tod ihres Vaters pötzlich ihre Mutter in der Wohnung hat, die Klavierstunden gibt. Ein unablässiges Kommen und Gehen findet da statt: die Klavierschüler, die permanent klingeln, die überflüssigen Möbel, die auf die Straße gestellt werden, Charlotte, die sich eine neue Wohnung sucht, um wieder Ruhe zum Schreiben zu finden, die Anwärter auf ihre alte Wohnung, die zur Besichtigung kommen. Wie das kreative Zentrum der Erzählung lauscht Charlotte den Menschen Dialogfetzen ab, um sie in ihren Roman einzubauen, entwickelt dabei nur das Chaos eines unausgegorenen Récits, der ungewollte Komik entfaltet. Und eben dieses chaplineske Chaos macht den Film insgesamt aus, eine Suche nach den Möglichkeiten eines Zusammenlebens abseits geordneter Familienverhältnisse. Eine schnelle Komödie, die schnell ansteckend wirkt in seiner Atmosphäre, nach persönlicher Freiheit zu forschen und eine gewisse Leichtigkeit in ungewohnten Strukturen zu leben. Vielleicht ein Film, der viel über Chantal Akerman auszusagen vermag, die seit 36 Jahren Filme macht, und immer wieder nach neuen Tonalitäten sucht, um sich nicht festschreiben zu lassen, um sich in dem, was sie macht, Freiraum zu geben.

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Ein Ausloten von zwischenmenschlichen Möglichkeiten inszeniert auch L'ESQUIVE (deutsch etwa: DAS AUSWEICHEN) des in Tunesien geborenen Abdellatif Kechiche. Es ist ein Kammerspiel um "Liebe und Zufall" zwischen Jungendliche in der Pariser Banlieue, dessen Kernstück die gleichnamige Liebeskomödie von Marivaux aus dem 18. Jahrhundert bildet. Der Film spielt stark mit den Sehgewohnheiten auf die Banlieue: Sie selbst wird nahezu als vordergründig sozialer Raum ausgeblendet, tritt zurück in eine visuelle Beiläufigkeit und "Normalität", in der nicht schon Beton allein die Determinierung seiner Einwohner bedeutet - mit der sich üblicherweise anschließenden thematischen Trias Drogen, Kriminalität, Familienzerfall. Kechiche interessiert das universellere Thema Liebe, das sich aus einem sozial problematisierten Ort nahezu ausschließt. Dort, wo Kechiche die Banlieue als Ort zeigt, sind die Farben in warmen Braun, sandig, wie bei den Proben, die die Schüler nachmittags in einem kleinen Amphitheater abhalten, oder er dramatisiert die Vorstadt zum Ort eines Showdowns, in dem die Liebenden sich ihre Liebe gestehen sollen. Meist aber wird der äußere Raum an den Rand der Cadrierung gedrängt, bleibt beiläufiger Kontext, Rahmung der Geschichte. Das Visuelle geht in Close-Ups auf, immer ganz dicht an den Figuren dran und sie mit einer ruhig geführten Handkamera verfolgend. Hier wird einem inneren Raum Platz gemacht, der die Befindlichkeit der Protagonisten meint.

Nicht so sehr die äußere als mehr die innere Realität wird dabei ausgetragen, und dies in der Virtuosität eines permanenten sprachlichen Schlagabtauschs. Die Liebesbemühung des 15-jährigen Krimo, der sich an die Marivaux-versessene Lydia heranmacht, rufen seine Ex auf den Plan, die Lydia zusetzt; dies alles ausgetragen im spätestens seit LA HAINE bekannten Banlieue-Argot. Als Krimo beschließt, bei dem Theaterstück mitzuwirken, kann die Sprachlichkeit die Dimension von Ermöglichung und Unmöglichkeit sozialer Begebenheiten entfalten, ganz im Sinne des Marivaux'schen "Spiel über Liebe und Zufall". Kechiche hat in seinem Film mit Laienschauspielern aus der Banlieue gearbeitet. Vielleicht ist es die Vertrautheit, mit der seine Figuren dem Dargestellten begegnen, die Gekonntheit, mit der sie sich innerhalb des sprachlichen Raums bewegen, die die große emotionale Dichte und den Eindruck von Realitätsnähe des Films erwirkt. Und das Theaterstück bleibt bei ihm nie leeres Anschauungsmaterial oder formaler Spiegelungspunkt, sondern bringt die Intrige in Gang, integriert sich damit vollständig in das anderweitige Spiel.

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Beeindruckend zeigte sich auch FOLLE EMBELLIE (VERRÜCKTE WINDSTILLE) der Belgierin Dominique Carbreras aus der Forums-Sektion. Sie erzählt, wie zur Zeit des Einzugs der deutschen Truppen in Frankreich 1940 eine Gruppe von Irren aus einer Anstalt ausbricht. Zunächst folgen sie einem Flüchtlingszug, vereinzeln sich dann in kleinen Gruppen, schließen sich wieder zusammen, bis sie in einem verlassenen Haus eine erste Bleibe finden. Am Ende haben sich "die Irren" zu Individuen geformt, und es wird wichtig, dass Alida (Miou-Miou) ein sanftes Gegengewicht zu ihrem tyrannischen Ehemann Fernand (Jean-Pierre Léaud) herstellen kann. Nicht nur, um den eigenen Sohn vor dessen wahnwitzigen Einfällen zu retten, sondern um der Gruppe einen Weg aufzuzeigen, den Alina selbst schon bald nach dem Ausbrechen aus der Irrenanstalt erfahren konnte: den der Gesundung. Ihr Weg ist damit anders als der der Flüchtlinge, die in den Süden ziehen, ohne topographisches Ziel, ein innerer Weg, von dem die Irren noch nicht wissen können, dass er irgendwohin führt.

Die Ortlosigkeit, die ihren Raum kennzeichnet, findet sich zeichenhaft wieder in Elementen einer märchenhaften Landschaft: da ist der Wald, der Fluß, das Dickicht, das einsame Haus. Lange Zeit hat man den Eindruck, der Weg der Irren führt sie im Kreis, und als Alina nach einer Mittagsruhe sagt: "Los, wir müssen weiter", fragt man sich unwillkürlich, wohin. Die Wegstrecke als Übergang, als Passage in ein gesundes Leben hinein, ist ähnlich wie in NIGHT OF THE HUNTER von Kleintieren gesäumt: ein Frosch, eine Schnecke, eine Eule, die auffliegt. Dann die Naturgeräusche, vor allem der Wind, der durch die Landschaft streift, Aufzeigen einer ersten Erfahrung des Lebens, der freien Natur. Zugleich ist der Weg der Irren eine Erfahrung von Hunger und Tod, die Begegnung mit der Natur so immer auch eine mörderische, wo Eier roh getrunken werden, eine Kuh mit einem Hammer auf archaische Weise geschlachtet wird, das Verwechseln von Pilzsorten zum Tod eines aus der Gruppe führt. Das ist der existentielle Tod, dessen Abwenden hinführt zu dem gesundeten Leben. Und dann gibt es den historischen Tod, die Leichen von Zivilisten und Soldaten, die die Straße säumen und die von den Irren genau betrachtet werden, ohne in ihrer Schrecklichkeit erkannt zu sein. Diese Begegnung mit dem Tod ist wie die Erfahrung mit etwas Fremden, nicht wirklich integriert in das Erleben der Gruppe, aber dennoch Ermöglichungsbedingung für ihre Selbstbefreiung aus der Irrenanstalt. "Im Jahre 1940 ergriff Frankreich die Panik", heißt es ganz zu Beginn des Films. Für diesen Ausbruch von panischer Befindlichkeit kann auch allegorisch der Ausbruch der Irren stehen. Dieses Nebeneinander von einer wörtlichen und einer übertragenen Ebene, das Offenlassen darüber, welches Irresein und welche Freiheit letztlich gemeint ist, verdankt der Film auch seiner Form: Die Kamera ist dicht an den Figuren und ihren Begegnungen dran, folgt ihnen kommentarlos, nimmt sich Zeit, hinzusehen und erkennen zu lassen. Hier kann unmöglich von einem Erzählen gesprochen werden, das Eindeutigkeit verschafft, hier wird kommentarlos gezeigt, und das was gezeigt wird, erklärt sich nicht von selbst. Ein dichtes Road-Movie, das den Weg in ein selbstbestimmtes Leben erfahrbar macht, und das zumindest in Frankreich aufgrund der Besetzung mit Miou-Miou und Léaud die Chance haben könnte, ins Kino zu kommen.


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Zu wahren Massenanstürmen kam es bei Cathrine Breillats neuem Film ANATOMIE DE L'ENFER (ANATMONIE DER HÖLLE). Er wurde in einem einzigen Forum-Screening gezeigt, was zu regelrechten Tumulten bei der Eroberung der letzten freien Plätze im Saal führte. Ob die Aufregung bewusst herbeigeführt wurde, sei dahingestellt, der Film rechtfertigt sie in keiner Weise. Als Inszenierung eines abgesprochenen Sex-Experiments lässt er keinerlei Bedeutung in der Schwebe und muss letztlich als enttäuschender Thesenfilm über die Bösartigkeit der Männer verzeichnet werden.

Ganz im Geiste von ROMANCE erzählt der Film die Geschichte einer Frau (Amira Cassar mit einem Bodydouble), die ihre Sex-Phantasien in einem Pakt mit einer (schwulen) Diskobekanntschaft (Rocco Siffredi) durchinszeniert. Das Verdikt lautet: "Berühren verboten, nur Beobachten". Großaufnahmen der feuchten Vagina werden gezeigt, und der erigierte Penis von Rocco Siffredi. Denn natürlich bleibt es nicht beim Beobachten. In arrangierten Rendez-Vous in einem alleinstehenden Haus findet in vier Nächten eine sexuelle Erkundungsreise in die Tiefen der weiblichen Anatomie statt.

Was die "Anatomie der Hölle" genau sein soll, darüber kann (und soll) spekuliert werden. Ist die pseudo-sado-masochistische Versuchsanordnung gemeint, unter der der Mann Höllenqualen erleiden muss, weil er den weiblichen Körper ohne Tabus erfahren darf? Ist der weibliche Körper mithin per se infernalisch? Oder ist am Ende gar das "Höllische" des Weibes ihre Menstruation? Denn drei von den vier Zusammenkünften finden als Menstruationsblutorgie statt: der "blutende" Penis des Mannes, nachdem er mit der menstruierenden Frau Sex hatte, die blutbefleckten Laken, die Frau, die ihr eigenes Menstruationsblut, "das fruchtbare Blut der Frau", untersucht.

Zwei Höhepunkte sind in der Behauptung des Höllischen zu verzeichnen, Höhepunkte der Plattheit und der Lächerlichkeit, da sie in der Bedrohlichkeit, die sie zu inszenieren versuchen, nur unbeholfen wirken: Ein blutgetränkter Tampon wird in ein Glas Wasser gelegt, das austretende Blut soll getrunken werden. Wie Feinde, die ja bekanntlich gegenseitig ihr Blut trinken (eine alttestamentarische Anspielung), und Mann und Frau sind sich feind. Stärker visualisiert sich aber das Höllische wieder zu Seiten des Mannes, als dieser eine dreizackige Harke in die Vagina der Frau einführt, während sie schläft. Das Bild ist Symbol und Anklage pur: Die Bösartigkeit des Mannes, der vor nichts zurückschreckt, perfekte Insignie für die Vergewaltigung der Frau. Dazu die frauenfeindlichen Aussagen, die dem Mann in den Mund gelegt werden und das Niveau dummer Stammtischwitze haben: "Frauen sind wie Frösche, beide können die Beine weit spreizen".

Was will Breillat mit diesem Film, wenn nicht die klischeehafte Vernichtung des Mannes? Fraglich ist bei Breillat immer auch der Skandalverdacht, den sie sich zuzieht durch die Provokation eines (gut)bürgerlichen Publikums. Erzählte ROMANCE zumindest in seinem ersten Teil vielleicht etwas im Kino noch nie Dagewesenes, die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, mit entsprechenden Bildern ihres Lustempfindens, dann ist hier der Wille, "das Verbotene" zu zeigen, allzu plakativ. Da bleibt keinerlei Wahrhaftigkeit mehr übrig, sondern es findet ein Aufklären und Dozieren statt, das im Klischee hängen bleibt. Dass rotes Blut auf weißem Stoff den Verlust von Unschuld und Opferung bedeuten, ist klar, und wenn das Bilderlebnis immer wieder darauf zurückkommt, zeugt der Film von seiner Einfallslosigkeit. Dass der Mann ein böses, triebgesteuertes Tier ist, das die Frau physisch besitzen will und das Miterleben ihrer Sex-Phantasien zu seiner psychologischen Vernichtung führt, ist Nonsense. Der Film will mutig sein und ist doch nur feige. Da hätte man sich mehr erwartet nach Breillats überzeugenden letzten Film À MA SOEUR.

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Richtig schön war noch PEAU D'ÂNE (ESELSHAUT) von Jacques Demy, der im Berlinale Special lief. Ein Märchenfilm von 1970, eine Feier von Kostümen und Leinwandtricks à la Méliès, mit einer betörenden und unter ihrer Eselshaut verstörenden Catherine Deneuve. Bis auf den Film von Chantal Akerman sollte sich kein weiterer Film mehr trauen, das Filmische so sehr mitzuinszenieren. Vielleicht findet wirklich großes Kinoerlebnis vor allem dort statt, wo der Film sich selbst als Ermöglichung einer ganz eigenen, filmischen Realität leicht nimmt, sich feiert. Dennoch eine Berlinale, die zumindest eines präsentieren konnte: Einen rundum guten französischen Jahrgang. Bleibt nur noch zu fragen, welcher von diesen Filmen wohl den Sprung ins deutsche Kino schaffen wird…

Dunja Bialas

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