Kunst und Politik treffen sich in den Filmen des 1951 geborenen
chinesischen Regisseurs Zhang Yimou. Aufgewachsen in der Provinz,
nahe der alten Kaiserstadt Xian, geächtet als Sohn eines
Generals der im Bürgerkrieg gegen Mao unterlegenen Kuomintang-Armee,
in den Wirren der Kulturrevolution selbst ein Opfer zwangsweiser
Landverschickung. Nach Erfahrungen als Photograph und dem
Besuch der Pekinger Filmhochschule wird er bereits mit seinen
ersten Werken zum führenden Vertreter der "Fünften
Generation", der "Nouvelle Vague" des chinesischen
Films, die an europäische Traditionen, etwa die des Neorealismus
anknüpfend, das Kino im Reich der Mitte aus den starren
Formalismen der parteihörigen Pflichtübungen befreite,
und zu einer eigenen stark symbolistischen Bildsprache fand.
Der Durchbruch kam 1988 auf den Berliner Filmfestspielen,
als Zhang Yimou Debüt "Das Rote Kornfeld" prompt
den Goldenen Bär gewann, und ein herausragendes Jahrzehnt
für das chinesische Kino einleitete - er selbst wurde
mit Preisen geradezu überschüttet: Ein "Silberner
Löwe" in Venedig für "Roten Laterne"
1991, ein Goldener Löwe für "Die Geschichte
der Qiu Ju" (1992), 1994 das grandiose Epos "Leben",
für das Zhang Yimou den "Großen Preis"
der Jury von Cannes und einen Auslands-Oscar erhält,
1998 bekommt er wiederum einen "Goldenen Löwen"
in Venedig für "Keiner weniger", 1999 für
"Heimweg" wiederum den "Silbernen Bären"
in Berlin. Seine Filme handeln vom alltäglichen Leben
und politischer Gewalt, dem Einzelne und der Geschichte. Am
letzten Freitag hat Zhang Yimous neuer Film HERO auf der Berlinale
Premiere. Rüdiger Suchsland
führte mit ihm folgendes Interview:
artechock: HERO ist ein Film, den man nicht gerade
von Ihnen erwartet: Es handelt sich um einem Martial-Arts-
Film, es gibt viele Kung Fu Kämpfe... Wie passt denn
das zu ihnen?
Zhang Yimou: Ich war schon immer ein Fan von Kung-Fu-Storys,
von Comics, die in moderner Form alte chinesische Legenden
verarbeiten. Es gibt da ja bei uns eine riesige Menge an entsprechender
Literatur. Schon lange wollte ich einen solchen Film drehen,
und weiß eigentlich nicht, warum ich mich das nicht
schön früher getraut habe. Die "fünfte
Generation", also meine Filmemacher-Generation hat sich
natürlich mit so was nicht beschäftigt. Da waren
anspruchsvollere Themen gefragt. Vor fünf Jahren hab
ich mit dem Drehbuch zu HERO - mein erstes Originaldrehbuch
übrigens - begonnen und dann kam dummerweise zeitgleich
Ang Lee mit seinem so unglaublich erfolgreichen Kampfkunstfilm
"Tiger and Dragon". Wir hatten Angst, dachten, alle
würden nun über uns lachen. Es sah ja so aus, als
hätten wir keine Ideen gehabt und einfach etwas nachgemacht.
Nach einiger Zeit Pause habe ich mich dann entschieden: Ich
mache es doch. Jetzt gibt es den Film und ich stehe auch dazu.
Was fasziniert sie an Kampfkunst?
Ich mag Kung-Fu auch, weil es etwas einzigartig chinesisches
ist. Die Geschichten zeigen eine gewissermaßen archaische
Vorstellungswelt von Kriegern, in die auch einfache Leute
entfliehen können. Die Themen sind universal: Freiheit,
Liebe, Hass und all diese Emotionen.
War der Film für Sie eine neue Erfahrung?
Ja. Wir haben für diesen Film auf Kampfspezialisten
aus Hongkong zurückgegriffen. Ich habe zum Beispiel gelernt,
dass es eine ganze Menge Zeit braucht, einen guten Effekt
zu machen. Für ein paar Minuten braucht man Stunden,
was für uns das Ergebnis hatte, dass wir fünfeinhalb
Monate gedreht haben. Das war meine bisher längste Drehzeit.
Die Umstände waren ganz anders, als bei all meinen bisherigen
Filmen.
Mit Hongkong haben Sie auch anderweitig zu tun gehabt:
Die Hauptrollen in HERO spielen bekannte Hongkong-Darsteller:
Maggie Cheung, Tony Leung und Jet Li. Und sie produzierten
den neuen Film ihres Kollegen Wong Kar Wei mit dem Titel
"2046". Wachsen das chinesische Festland und die
ehemalige britische Kronkolonie auch im Filmbereich mehr
und mehr zusammen?
Es gibt mehr Austausch, ja sicher, aber es gibt auch fundamentale
kulturelle Unterschiede. Die bisherigen Filme sind einzelne
Aktionen, die wenig Aussagekraft haben. Tatsächlich passiert
dies: Die Hongkonger gehen immer mehr aufs Festland und versuchen
auch, thematisch dort ihre Filme anzusiedeln. Das ist aber
eine einseitige Bewegung zum Festland hin. Das Festland ist
die Quelle der Geschichten. Wenn ich nach Hongkong gehe, dann
will ich essen oder einkaufen.
Das chinesische Kino wird gemeinhin nach sogenannten Generationen
unterteilt. Sie gehören zur "Fünften Generation",
der chinesischen "Nouvelle Vague" der ersten Abschlussklasse
der Pekinger Filmakademie nach der Kulturrevolution. Inzwischen
gibt's eine Sechste und eine Siebte. Wie stehen Sie zu deren
Arbeit?
Es gibt sogar schon eine Achte Generation. Die chinesische
Filmlandschaft bietet ein viel komplizierteres Bild als bei
unserer Generation. Aber jede muss ihren eigenen Weg suchen.
Viele der jungen Filmemacher heute arbeiten auch im Fernsehen
und in der Werbung.
Gibt es überhaupt noch diese Einheit der Generationen?
Wo sehen Sie sich selber?
Diese ganze Einteilung ist ziemlich klischeehaft und unwissenschaftlich.
Man hat sich aber daran gewöhnt, also meinetwegen gehöre
ich zur "Fünften Generation". Aber auch die
war nur am Anfang eine homogene Gruppe. Wir hatten zusammen
studiert. Dann haben wir Filme miteinander gemacht. Bei Chen
Kai Ges "Gelbe Erde" stand ich hinter der Kamera.
Bei "Der alte Brunnen" als Schauspieler davor.
Zu Beginn gab es starke Gemeinsamkeiten. Dann hat jeder von
uns von Film zu Film eine eigene Handschrift entwickelt. Heute
haben unsere Filme nicht mehr viel miteinander zu tun. Vielleicht
sollten wir aufhören, in "Generationen" zu
denken.
Diese "Fünfte Generation" von der Sie sprechen,
ist stark von der Erfahrung der "Kulturrevolution"
zwischen 1966 und 1975 geprägt. Sie selbst haben einmal
von der "Tragödie der Kulturrevolution" gesprochen.
Sie wurden zwangsweise aufs Land verschickt. Was bedeutet
diese Erfahrung aus heutiger Sicht noch für Sie?
Da mein Vater einst General der (antikommunistischen) Kuomintang
gewesen war, hatte ich aus Sicht der Partei einen besonders
negativen familiären Hintergrund. Diese Erlebnisse wirken
sich bis heute aus. Nach wie vor gehe ich wenig aus mir heraus,
bin eher verschlossen. Man kann sagen, auf diese Weise prägt
die Kulturrevolution mein Leben und meine Arbeit bis in die
Gegenwart. Andere Regisseuren der fünften Generation
hatten es da vielleicht leichter. Die sind auch kritisiert
worden, aber schneller wieder auf die Füße gekommen.
Sie begannen mit großen epischen Geschichten wie
"Das rote Kornfeld" 1988 oder "Rote Laterne"
1991 und kleinen Landgeschichten wie "Die Geschichte
der Qui JU" 1992 oder "Keiner weniger" 1998.
Worin sehen Sie die Kontinuität Ihrer eigenen Arbeit?
Sie liegt dort, wo Sie sie sehen! Die größte
Kontinuität in meinem Werk ist der Wechsel. Ich habe
immer neue Herausforderungen gesucht. Wichtig ist für
mich, von China zu erzählen. Der auffällige Wechsel
von großen epischen Geschichten zu kleineren hat aber
hauptsächlich historische Gründe. In den 70er und
80er Jahren wollte man historische Wurzeln wiederentdecken.
Fast alle meine Filme sind ja Literaturverfilmungen und so
überträgt sich eigentlich nur eine Tendenz, die
in der Literatur herrschte, auf den Film. Inzwischen hat sich
vieles verändert. Dieses Interesse an der Geschichte
ist erloschen. Es gilt nur noch das Jetzt und der Konsum.
Mit dieser Entwicklung habe ich mich in meinen letzten drei
Filmen beschäftigt.
Sie begannen mit historischen Stoffen. Ihre Filme spielten
oft in der Vergangenheit, werden aber oft als symbolische,
versteckte Auseinandersetzung mit der Gegenwart wahrgenommen.
Inwiefern trifft das zu?
Wenn man Filme macht, hat das immer etwas mit der
Zeitgeschichte zu tun. Damals in den 80er Jahren wollten auch
wir selbst - die Filmemacher der Fünften Generation -
uns wieder in die Erfahrungen der Geschichte hineinbegeben,
darüber nachdenken und diskutieren. Das hat alle interessiert.
Als ich mit dem Filmemachen begann, war mein Weg überhaupt
nicht vorgezeichnet. Ich habe Film in erster Linie studiert,
um einen Abschluss zu machen.
Obwohl Sie sehr bekannt sind, haben Sie viel mit Zensur
zu kämpfen Wie arbeitet man unter solchen Bedingungen?
In China hat man schon immer mit der Zensur gelebt. Jeder
hat das im Kopf. Denn man will ja seine Zuschauer erreichen.
Bestimmte Stoffe werden gar nicht behandelt, trotzdem ist
es oft schwer, ein Projekt zu realisieren. Weil ich so bekannt
bin, werde ich noch schärfer kontrolliert.
In ihrem Film "Happy Times" gaukelt der Pensionär
Zao einem blinden Mädchen eine künstliche Welt
vor. Glauben sie an die positive Kraft der Lüge oder
sagen wir der Illusion?
Ja, im Zentrum steht eine liebenswerte Betrügerei.
Mir war es aber besonders wichtig, von den gesellschaftlichen
Veränderungen im heutigen China zu erzählen, die
der Kapitalismus mit sich bringt. Alles strebt nach Konsum,
nur das Geld zählt noch. Im Vergleich damit erscheinen
mir die Lügen der Hauptfigur wie eine Rückkehr zu
den traditionellen Werten.
"Happy Times" war ein Koproduktion mit einem
großen Hollywoodstudio. Verändert das neue Kapital
aus Übersee Ihre Art des Filmemachens? Was waren die
Auswirkungen?
Aber die Verwendung von ausländischen Geldmitteln zur
Finanzierung von Filmen ist eigentlich schon lange verbreitet.
Es wurde nur nie so herausgestellt. Ich habe das zum ersten
Mal bei dem Film "Judou" 1990 ausprobiert, ich bin
es gewohnt. Die Kontakte zur westlichen Filmbranche sind vielleicht
inzwischen besser. Aber im Grunde hat sich nicht viel geändert,
jedenfalls nicht für mich.
Nach "Keep Kool" 1996 ist "Happy Times"
Ihre zweite moderne Stadtgeschichte. Auch bei der Suche
nach der Hauptdarstellerin sind sie neue Wege gegangen -
übers Internet.
Wir haben einige Monate lang im Internet gesucht. Mehrere
10 000 Kandidatinnen haben sich gemeldet. Am Schluss haben
wir uns für Dong Jie entschieden. Sie ist im Film ja
blind. Das war nicht einfach für sie. Da hatten wir den
Einfall, mit ihr an eine Blindenschule zu gehen, um sie dort
zu trainieren. Sie hat dort auch eine Freundin gefunden, die
etwa das gleiche Alter hatte. Die war später auch auf
dem Set und so konnte Dong Jie immer nachfragen, wenn sie
nicht mehr weiter wusste. Es war sehr schön das zu beobachten.
Manchmal ist Ihnen zuhause vorgeworfen worden, sie betrieben
den "Ausverkauf" chinesischer Werte, würden
nur noch das schöne Elend fürs westliche Auge
inszenieren.
Diesen Vorwurf finde ich schon fast komisch. Sobald ich
einen neuen Film herausbringe, kommt zuhause in China dieser
Vorwurf, wie ein Knüppel, den man mir zwischen die Beine
werfen will. Ich kenne den Westen auch zu wenig, um "für
den Westen" Filme zu machen.
Aber ich drehe nun mal Filme, die in China spielen. Ohne diese
stimmige Atmosphäre wären meine Filme leer. Im Prinzip
mache ich Filme, die wenig mit der Kulturszene von Peking
zu tun haben. Nichts über Intellektuelle und Künstler.
Meine Werke sind vielmehr durchs Land geprägt, durch
die Erfahrung der Landschaft meiner Heimatprovinz Provinz
Zhangxi in Zentralchina. Ich kenne die dortigen Menschen und
deren Gefühlswelt.
Zu den Konstanten Ihrer Filme gehört nicht nur, dass
sich Ihre Figuren oft auf Reisen begeben, sondern auch,
dass Ihre Hauptfiguren in der Regel Frauen sind. Was ist
so interessant an weiblichen Hauptfiguren - für einen
männlichen Filmemacher?
Wenn ich Filme mache, mache ich das, was ich will.
Ich glaube, dass mich die ausländischen Kollegen gerne
in diese Schublade eines "Frauen-Regisseurs" stecken.
In China ist das wohl noch keinem so aufgefallen. Vielleicht
ist der wichtigste Grund, warum ich Frauen gerne darstelle,
der, dass ich ein Mann bin. (Lacht) Wenn ich Geschichten erzähle,
ist es natürlich interessant, einen Kampf mit dem Schicksal
darzustellen, egal ob der positiv oder negativ ausgeht. Und
Frauen sind da natürlich gut geeignet, weil sie sozusagen
den größeren Widerstand zu überwinden haben.
Alle Filme, die wir bisher von Ihnen kennen, sind Klassiker,
nicht nur des Asiatischen Kinos, sondern Welt-Klassiker.
Nun kann es für einen Regisseur auch eine Gefahr sein,
zum Klassiker zu werden. Was tun Sie dafür, nicht zu
erstarren, künstlerisch jung zu bleiben?
Ich meine nicht, dass ich ein Klassiker bin. Natürlich
gibt es eine ganze Menge Erwartungen. Je höher man im
Ansehen der Leute steigt, umso größer wird auch
der Druck. Und wenn irgendein Regisseur sagt: "Ach, ich
mach mein Zeug, mich interessiert dieser Druck nicht",
dann ist das Quatsch. Das ist ein Einfluss, dem jeder ausgesetzt
ist. Er muss mit den Erwartungen des Publikums umgehen. Und
es kann immer trotzdem sein, dass das Publikum sagt, "Also
bisher hat er so tolle Filme gemacht, das war jetzt aber nix."
Natürlich hat so ein Film wie "Rotes Kornfeld"
sehr viel mit mir zu tun, aber ich versuche, dann auch immer
wieder, etwas völlig anders zu machen. Das Wichtigste
ist, immer sich selbst treu zu bleiben. Dazu zählt auch,
dass ich es nicht ablehne, andere Künste auszuprobieren.
Ich habe Ballett gemacht und Oper. So erhält man sich
seine Qualität hoffentlich.
|