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Berlinale 2001 15.02.2001
 
 
     
 

Wahrheiten vom Band
Zum Wettbewerb der 51. Berlinale

 
 
Tommy Davidson und Damon Wayans in Spike Lees BAMBOOZLED
       
 
 
 
 

Welcome to the Machine, um's mit Pink Floyd zu sagen - willkommen in der gigantischen Maschine Berlinale. Passend, dass hier METROPOLIS so prominent im Programm ist. Manchmal, wenn man um neun Uhr früh übermüdet zur ersten Pressevorführung über den Potsdamer Platz wankt - diese unsägliche Science-Fiction-Film-Deko -, dann fühlt man sich wirklich wie einer dieser Arbeiter, die bei Fritz Lang ins Maul des Molochs marschieren. Ein riesiges Räderwerk ist's, in dem die Interessen ineinandergreifen von Festivalleitung, Filmwirtschaft, Filmemachern, Journalisten, Publikum; ein Regelkreis aus Geld, Eitelkeit, Schaulust; ein Biotop voll symbiotischer und parasitärer Beziehungen. Tief im Bauch des Ganzen - im unglamourösen Untergeschoss des Cinemaxx, im roter-Teppich-losen Haus neben dem Berlinale-Palast - sitzt der Markt, eine Art Schatten-Berlinale von dem von außen wenig zu sehen ist. (Man hört nur munkeln, dass dort dieses Jahr die besseren Filme laufen, Sachen wie BATTLE ROYALE mit Takeshi Kitano.) Das Gesicht, dass man der größten Öffentlichkeit zuwendet, ist das von (wenigen) Stars und hehrer Filmkunst.

Die Maschine produziert vieles - auch Geld ist nur einer der Outputs, ist oft auch nur Schmiermittel, Treibstoff. Ruhm und unterhaltsamer Zeitvertreib gehören dazu - dieses Jahr vor allem aber Wahrheit. Von erstaunlich vielen FilmemacherInnen wird heuer mit großem Einsatz und Bemühen gebastelt und geschraubt, um der Filmapparatur einige gerüttelt Maß an Veritas zu entlocken. Mit viel Skepsis gegenüber den althergebrachten Herstellungsmethoden: Vielen scheint ihr Thema zu groß, zu wichtig, als dass man damit wie gewohnt in Fabrikation gehen könnte. Soderberghs seltsamerweise vielgelobter TRAFFIC ist ein Beispiel: Der spielt schon noch mit Starkino und klassischem Geschichtenerzählen - aber ist eben doch kein Film, sondern ein Thesenpapier. "Politisches" Kino, das den Anspruch, selbiges zu sein, dick und breit vor sich her trägt. Das wäre auch vollkommen legitim - wenn wir es wenigstens mit einem interessanten Thesenpapier zu tun hätten. Aber TRAFFIC ist einer dieser Filme, wo wir weißen, aufgeklärten Mittelstandsmenschen reingehen, um nachher zu wissen, was wir vorher wussten. Gewisse Drogen sind verboten, aber Alkohol saufen alle, ach ja! Wo's um viel Geld geht, ist die Korruption schnell bei der Hand, oh weh! Politiker schwingen große Reden, und daheim in der Familie sieht's gar nicht so sauber aus, au Backe! Und so weiter, bla bla. Darüber, dass der US-amerikanische "War on Drugs" vor allem dem CIA dient als Deckmantel für allerlei außenpolitische Schweinereien, gibt's nix zu hören, über die Gesellschaft, die Drogenkonsum überhaupt wünschenswert macht, herzlich wenig, und kaum was über die Rassen- und Klassenbarrieren, die der illegale Drogenhandel so schön mit festzementiert. Gewiss ist's gut, dass dieser Film gerade zur Machtergreifung des ehemaligen Drogenabhängigen George Bush Jr. in die Kinos kam und allerlei Diskussionen auslöst. Insofern wohl ein wichtiger Film - aber einer, den es prinzipiell geben soll, mit dem konkret ich mich aber lieber nicht zweieinhalb Stunden langweilen möchte.

Dann noch lieber Spike Lees BAMBOOZLED - auch ein Thesenpapier, auch ein Film, der unter dem Bewußtsein seiner eigenen Bedeutung schwer ächzt. Aber komplexer in der Präsentation des Problems, weniger seiner selbst sicher, wenn es um richtig und falsch geht. Und nicht ganz so auf einer Ebene verharrend: Zwar bekommt man das Thema "Rassistische Ikonographie - ihre Bösartigkeit, Langlebigkeit und Virulenz" in allen möglichen Facetten durchexerziert, aber es geht auch im Größeren darum, dass die, die die Geschichte nicht erinnern, dazu verdammt sind, sie zu wiederholen.

Die Scheu, die diese Filme an den Tag legen vor den Methoden klassischen Erzählkinos, hat sich schon im Verlauf des Berlinale-Wettbewerbs als verfehlt entlarvt. John Boormans LeCarrée-Verfilmung THE TAILOR OF PANAMA ist auch "politisches Kino", spielt auf verwandetem Terrain von TRAFFIC. Aber er tut das im hochvergnüglichen, konzentrierten Gewand einer Agenten-Farce; ist gleichzeitig James Bond-Demontage, philosophiert nebenher ein bisschen über die Natur von Wahrheit an sich. Und ist in seinem Bild der Lage Südamerikas gegenüber den westlichen Industrienationen dann doch noch scharf- und weitsichtiger, treffender, schneidender als TRAFFIC.

Der südkoreanische Beitrag JOINT SECURITY AREA geht da in der Analyse und Aussage nicht so tief. Aber er zeigt, dass großes, sinnliches Thriller-Kino mit explizit politischem Anliegen bestens vereinbar ist; ein Film, der als Beitrag zu tagesaktueller Diskussion in seiner Heimat mindestens ebenso taugt wie TRAFFIC, der aber seine gelegentlichen Gemeinplätze ("Eigentlich sind die Menschen auf beiden Seiten der Grenze gleich") wenigstens nicht in solch staubtrockenes Sackleinen hüllt.

Das technische Medium der Wahl für all diese Wahrheitssuchen ist Digital-Video, umkopiert auf Kino-kompatiblen Film. Bei Soderbergh bekommt das am ehesten eigene ästhetische Qualität, aber auch hier zeigt sich: Es geht nicht mehr so sehr um den Reiz des Neuen oder Anderen, sondern um eher pragmatische Fragen der Produktion. Sowohl Soderbergh als auch Lee haben zunächst aus Kostengründen zu Chip statt Zelluloid gegriffen - diese Wahl allein halbiert schon mindestens die Höhe des Budgets. Das wurde ja bereits bei der "Dogma 95"-Diskussion gern übersehen: Dass Video vor allem eine Möglichkeit ist, Filme auf die Leinwand zu bringen, für die unter konventionellen Bedingungen das nötige Geld nicht aufzutreiben wäre. (Im Panorama zeigte der neue Film des sonst sehr schätzenswerten Bernard Rose, IVANSXTC, allerdings, dass HD-Video sich nicht schlicht als direkter Ersatz für 35mm Film missbrauchen lässt - das sieht dann streckenweise eher nach amerikanischem Fernseh-Softporno aus. Ein Mindestmaß an ästhetischen Konsequenzen ist zu ziehen, um dem anderen Medium gerecht zu werden.)

Überraschenderweise aber erweist sich Video auch als Möglichkeit, ganz alten, traditionellen Werten wieder zu größerem Recht zu verhelfen: Denen der Schauspielkunst. Die spontaneren Drehbedingungen (zugegebendermaßen großteils eher Konsequenz der Lichtsetzung als der verwendeten Kameras) und die vernachlässigbaren Kosten des Materials fördern Improvisation und Experimentieren, begünstigen das wiederholte Ausprobieren und Durchspielen einer Szene, meist auch am Stück statt in schnittgroßen Häppchen.

Diejenigen, die den dargebotenen Wahrheiten die Wahrhaftigkeit verleihen durften oder mussten, waren bisher auch immer eher die SchauspielerInnen als Kamera und Montage. Die wenigen Momente wahrer Freude in TRAFFIC verdankt der Film dann auch seinem hervorragenden Ensemble, insbesondere Benicio DelToro und dem stets gern gesehenen Luis Guzman. Damon Wayans, Savion Glover, Jada Pinkett-Smith, Michael Rappaport und Kollegen tun deutlich mehr, um BAMBOOZLED im Nachfühlbaren zu verankern, als Spike Lees Regie.

Viele der Highlights verdankte der Wettbewerb bisher dann auch dem kongenialen Zusammenwirken von Menschen hinter und vor der Kamera - absolutistisches Regiekino von Hitchcockscher Prägung hat hier momentan wenig Konjunktur. Der Dogma-Film ITALIENSK FOR BEGYNDERE ("ITALIENISCH FÜR ANFÄNGER") von Lone Scherfig lebt spürbar vom Gemeinschaftsgeist der Dreharbeiten, vom Input des Ensembles, dem gemeinsamen Erarbeiten der Charaktere. Eigentlich ein kleiner, eher beiläufiger Film, der die großen Themen wie Tod und Liebe nur im alltäglichen Gewand beobachtet - und sich ein bisschen von den Glücks-Träumen leistet, die so nur im Kino wahr werden. Aber bisher einer der wenigen Filme, wo man im riesigen, voll besetzten Berlinale-Palast sitzt und spürt, wie knapp zweitausend Menschen mit diesen flackernden Schatten auf der Leinwand mitfühlen, mitgehen; wo plötzlich wahres, echtes Lachen aufbrandet im ganzen Saal und man ein Stückchen wieder von dem Wunder begreift, das Kino als Gemeinschafts-Erlebnis ist.

Viel kontrollierter, viel mehr von vornherein mit Gewicht und Bedeutung beladen da Mike Nichols' WIT - aber auch der mindestens ebenso eine Leistung der Hauptdarstellerin wie des Regisseurs. Emma Thompson als Frau, die an Krebs stirbt - das klingt ganz furchtbar nach Oscar-Schnulze und ist es doch keineswegs (oder allerhöchstens ein ganz, ganz kleines bisschen). Auch WIT vertraut nicht auf die herkömmlichen Mittel des klassischen Erzählkinos, obwohl Mike (THE GRADUATE - DIE REIFEPRÜFUNG) Nichols die nun wirklich beherrscht. WIT ist großteils der in die Kamera gesprochene Monolog der Protagonistin (was mehr in seinem Ursprung als Theaterstück begründet ist als darin, dass Nichols seine Wahrheiten zu groß sind für konventionellere Methoden). Emma Thompson spielt eine Professorin für englische Literatur, Spezialgebiet die metaphysische Lyrik John Donnes, die plötzlich mit dem Tod nicht als Gegenstand geistvollen literarischen Spiels konfrontiert wird, sondern als Amoklauf eigener Körperzellen. Sie ist keine dieser üblichen schönen Weiberleichen auf Warteschleife, dieser rührenden Opfer. Sarkastisch und überlegen begegnet sie der Sache (oder versucht das zumindest, so lange es geht). Aber ihr Körper wird immer mehr zum Text für andere Wissenschaftler, sie gerät in die Mühle einer Medizin-Maschinerie. Eine Maschinerie, bei der vorgeblich nichts anderes vom Band läuft als pure, objektive, wissenschaftliche Wahrheit im Dienst der Menschheit. Und der doch genau das abgeht, was im knirschenden Getriebe des hiesigen Festival-Räderwerks - dank Filmen wie WIT - sich nicht zermahlen lässt: Die Momente der Menschlichkeit.

Thomas Willmann

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