KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
Berlinale 2000 09.02.2000
 
 

Berlin, Texas
Notizen von der Berlinale, 1.Folge

THE MILLION DOLLAR HOTEL
 
 
 
 

Ein Orkan stürmt über Berlin. Der Regen peitscht über den Potsdamer Platz, man hat keine Chance ihm zu entgehen. Nach einer Minute ist man pitschnaß, fünf weitere braucht man, um das Kino zu erreichen, ein Weg über Bauschotter und 10 Zentimeter tiefe Wasserpfützen. Berlin 2000, ein Un-Ort. Wir befinden uns im wilden Osten. Wir befinden uns auf der 50. Berlinale.

#

Eröffnet wurde sie mit THE MILLION DOLLAR HOTEL, und zum ersten Mal nimmt damit Wim Wenders am Wettbewerb seiner Heimatstadt teil. Wir erinnern uns: Mitte der 80er Jahre zeigte Wenders in "Der Himmel über Berlin" den Potsdamer Platz, als er noch ganz leer war und keiner an die Hochhäuser dachte, die jetzt in den Himmel schießen. "Ja wo ist er denn, der Potsdamer Platz?" rief damals der greise Curt Bois, ziemlich genau an der Stelle, wo Wenders heute Abend den roten Teppich betritt. Nun trifft das Amerika, von dem seine filmischen Traumlandschaften immer auch erzählen, auf das amerikanisierte Berlin des neuen Festivalgeländes.

#

Der Umzug zum Jubiläum, weg aus dem Viertel zwischen Ku'damm und Breitscheidt-Platz stellt in diesem Jahr alles andere derart in den Schatten, dass der rote Teppich vor dem Premierenkino sogar das Festivalplakat ziert.
Man hat sich Mühe gegeben. Vor dem "Berlinale-Palast", liegt der "Marlene-Dietrich-Platz" und eine "Billy-Wilder-Bar" gibt es auch  die Berlin-trifft-Amerika-Metaphern sind offensichtlich. Und ganz praktisch gesehen haben die neuen Räume viele Vorteile: Kurze Wege und modernere Technik werden vor allem den rund 4000 Journalisten aus aller Welt das Festival-Leben leichter machen.
Alles wird anders? Abwarten.

#

Obwohl der Wettbewerb diesmal von 26 auf 21 Filme reduziert wurde, nehmen drei Deutsche teil: Wenders, Schlöndorff und Thomé. Positiv könnte man sagen: Die alte Garde. Oder eben: Die alten Säcke. Als ob es nichts Neues gäbe im deutschen Film. Oder trauen sich die Regisseure nicht her?
Oskar Röhlers gespannt erwartete "Umnachtung" (Hauptrolle: Hannelore Elsner) wurde hingegen abgelehnt. Warum eigentlich? Jetzt hofft er auf Cannes. Matthias Glasners "Fandango" läuft nächste Woche in der Panorama-Reihe.
Wenders, Schlöndorff und Thomé also. In unterschiedlichster Form haben alle drei Nominierten das gleiche Thema: Deutschland. Drunter scheints hierzulande nicht zu gehen.

#

Warum ist man eigentlich hierher gezogen? Warum muss ein Festival im Zentrum liegen? Politische Gründe natürlich, eine falsche Versöhnung mit dem Osten. Befriedigung von Sponsoren. Berlin-Mythen, verlogen auf alle Fälle. Moritz de Hadeln ist nunmehr seit 20 Jahren Festivalleiter. Vor zwei Jahren nannte ihn einer den "Helmut Kohl der Berlinale", aber das kann man heute ja nicht mehr so sagen. Im Programmheft sieht er aus, wie Graf Dracula in der Endphase.
Was aber für ihn spricht, ist, dass er nicht für den Umzug war. Er hat sich, ähnlich wie sein ewiger Rivale, der Forumsleiter Ulrich Gregor, politischem Druck gebeugt.
Es wird dauern, bis man mit den geweißelten Wänden der neuen Räume und den sterilen Multiplex-Kinos auch Filmkultur verbindet. Und es scheint symptomatisch, dass die neue Berlinale ihr Domizil in einem Zentrum der Event-Kultur aufgeschlagen hat, in einem Gebäude, das während des übrigen Jahres mit Kino nichts zu tun hat.

#

Auch die Umgebung tröstet kaum. "Trabantenstadt" hätte man früher gesagt. Auch "Amerikanisierung" fällt einem ein. Der Ausdruck ist natürlich vorbelastet. Bis in die 50er Jahre hinein diente die Chiffre dazu gegen Verwestlichung und Demokratisierung Front zu machen. Das ist natürlich nicht gemeint.
Aber wer durch die "City-Halle" geht, eine pseudo-Mall mit standardisierten Geschäften der bekannten Ketten, der findet hier alles Mögliche, Urbanität sicher nicht. Brian de Palma könnte hier vielleicht einen guten Film drehen, ansonsten möchte man alles am liebsten in die Luft sprengen. Direkt gegenüber des "Berlinale-Palast" blickt man auf ein "MacDonald's". Daneben eine Musikmarktkette. Schräg drüben liegt der riesige Sony-Komplex. Die wenigen Lokale vor Ort sind steril und überteuert. Die für Berlin so typischen kleinen Kneipen, die Currywurst- und Dönerbuden sucht man ebenso vergebens wie Zeitungsstände.
Was Stadtplaner generell am Potsdamer Platz kritisieren, trifft die Berlinale erst recht: In einer kommerzialisierten Retortenlandschaft kann Großstadtatmosphäre nur schwer gedeihen. Noch fehlt genau das, was eine Metropole ausmacht: der Schmutz, die Kontraste, das ganz normale Leben.

#

Diese künstliche Welt passt immerhin hervorragend zur diesjährigen Retrospektive: "Künstliche Menschen" ist das Thema. Man zeigt "Frankstein", "Terminator", "Robocop". Dazu viele schöne alte Filme. Bald mehr dazu.

#

Überhaupt geht es hier ja um Filme, nicht um den Umzug. Jetzt, vor Beginn, kann man nur mutmaßen. Die Retro, ebenso die Hommagen zu Robert de Niro und Jeanne Moreau, können gar nicht schlecht sein. Im Forum viele japanische und chinesische Filme. Im abgespeckten Wettbewerb der neue Film von Paul Anderson ("Boogie Nights"), ebenso Neues von Oliver Stone, Claude Miller, der erste Film von Minghella seit "The English Patient".

#

Vom Himmel hoch stürzt sich die Kamera sanft hinunter. Ein Hochhausdach im Zwielicht. Der junge Mann fliegt die Häuserwand hinab. Kein Engel, soviel ist gewiß. "Erst nach meinem Tod wurde mir klar, das Leben ist wunderbar."
Ein einziger Straßenblock ist der Schauplatz von Wim Wenders neuem Film. "Ein Hotel und die vier Straßen drumherum. D'rüberhinaus galt et nich." beschreibt Wenders schnoddrig den bewußt begrenzten Raum. Ausgerechnet bei ihm, der wie kein zweiter Europäer die weiten Horizonte inszeniert hat.
Diesmal ist der Un-Ort (denn das bedeutet das griechische "Utopie" ganz wörtlich), an den Wenders sein Publikum entführt, selbst bereits ein Zeichen. Das "Million Dollar Hotel", ein mythischer Ort des US-Kinos, ist heute eine unter vielen Absteigen in Los Angeles, der Stadt der Engel. Sie wird bei Wenders zur Begegnungsstätte von Autisten: Darunter der FBI-Detektiv Skinner, der in ein Metallkorsett geschnallt ist, und nur über Apparate überlebt. Eine Metapher für Aufklärung und Action, ihre Verwandtschaft und ihre Grenzen. Ein Maschinenmensch, auch das paßt ideal zur Retro. "Man kann an Frankenstein denken, oder auch an Figuren aus 'Metropolis'" sagt der Regisseur. Berlin trifft Amerika. Diesen Skinner (dessen Name geborgt von einem berühmten Verhaltensforscher und Behaviouristen schon ein erster gelungener Witz ist), spielt ein amerikanischer Star, der gar keiner ist: Der Australier Mel Gibson, nur scheinbar der grobe Klotz, als der er in seinen Filmen von "Mad Max" bis "Braveheart" in apokalyptischen Landschaften durch Dreck und Schmutz die Fahne der Freiheit hochhält. "Ich habe noch nie bessere Schauspieler gehabt. Ich habe noch nie so lange gesucht  die optimale Besetzung. Mel Gibson ist ein großartiger Schauspieler."
Zum amerikanischen Kino hat Wim Wenders immer eine besondere Affinität gehabt. Befreiung von der Enge der deutschen Erbauungskunst fand er dort, und suchte in eigenen Filmen immer wieder die Schauplätze des US-Kinos auf, von "Hammett" bis "Paris, Texas" und jetzt eben "The Million Dollar Hotel". Unser Unterbewußtsein sei amerikanisch kolonisiert, ließ er einmal eine seiner Figuren sagen, und fast klang es wie bei Habermas. Man darf das als Credo nehmen: "Hollywood ist ganz klar heute mehr denn je der Maßstab." Das gilt wie der Satz mit der Kolonisierung offenbar nicht nur für die Filme.
"The Million Dollar Hotel" ist ein philosophischer Film-Essay über Fluchtbewegungen und die Fragwürdigkeit von Identitäten. Die Apokalypse im Kleinen, die Wenders vorführt, ist für ihn zugleich die Apokalypse einer Moderne, in der sich Wenders nicht mehr richtig heimisch zu fühlen scheint. Ein Anti-Kino, das viel Aufmerksamkeit verlangt und partiell belohnt, das zwar produktiv und transzendental ist, aber am Zeitgenössischen gemessen eben auch "Anti".

#

Die Heimkehr eines der letzten großen deutschen Filmautoren  seit Jahren wohnt Wenders, der nach bald 30 Jahren "immer noch ein paar Koffer in Berlin" hat, hauptsächlich in Los Angeles - ist ungleich weniger gefällig und modisch als im vergangenen Jahr zur Eröffnung "Aimée & Jaguar". Sie wird längst nicht allen gefallen. Fragmentiert und zögernd, in seinen vielen unbeantworteten Fragen ist der Film aber immer auf der Suche nach einem Kino, das zeitgemäß bleibt und dabei grundsätzliche Ansprüche jenseits der Unterhaltung einlösen kann. Gleich zu Beginn des Jubiläumsfestivals zeigt Wenders' sehr persönliche Ortsbestimmung der Gegenwart, was Film auch immer leisten sollte: "Die Idee von Veränderung wachzuhalten."

#

Die Berlinale wird anders. Ob sie auch urbaner wird, ob es ihr vielleicht sogar gelingt, der Baustelle Potsdamer Platz zum ersten Mal Leben einzuhauchen, muss sich noch zeigen. Aber alle diese Überlegungen sind letztlich zweitrangig: Sofern die Filme gut sind, wird  graue Wände hin, roter Teppich her - auch das Festival Erfolg haben.

Rüdiger Suchsland

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]