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Orson Welles Special Oktober 1999
 
 

 

Interview mit Jonathan Rosenbaum

 
 
 
 

Rüdiger Suchsland sprach mit dem Welles-Experten Jonathan Rosenbaum, Co-Autor von "Midnight Movies" und Editor von Bogdanovichs Interviewbuch "This is Orson Welles".

artechock: Am Ende der Orson Welles-Konferenz – was ist Ihr Fazit?

ROSENBAUM: Es war in vieler Hinsicht sehr aufregend. Zum einen war es glaube ich die internationalste Orson-Welles-Konferenz, die es je gab. Vertreter aus 8 Ländern nahmen teil. Das größte Problem – sowohl für die Restaurierung, als auch für den reinen Wissens- und Informationsaustausch- war bisher, daß jeder allein vor sich hingearbeitet hat, oft ohne einander überhaupt zu kennen. Natürlich gibt es Ausnahmen.
Die Tagung war sehr gut wegen der konkreten Dinge, die passiert sind, zwischen den Programmpunkten, man konnte sich unterhalten, Treffen verabreden... In Zukunft wird es mehr Zusammenarbeit geben.

Weg vom reinen Konkurrenzdenken zwischen den Experten und Institutionen?

Ja, man muß davon wegkommen. Zusammenarbeit ist nicht nur möglich, sondern nötig.

Für mich war das Überraschendste bei dieser Konferenz, der neue Blick, den man auf den späten Orson Welles bekommt, den der 60er und 70er Jahre.
Wie empfinden Sie das?

Natürlich kannte ich viel von dem Material bereits, in der einen oder anderen Form. Aber einiges ist das klarer geworden. Die Filme über London und Wien vor allem, und der "Moby Dick"-Komplex.
Was für mich aber brandneu war, und sehr aufregend, stammt aus den 50ern: "The Affaire Domenici". Das hatte ich noch nie gesehen. Und ebenso die Dokumentation, die davon angefertigt wurde – ein work in progres, das noch nicht fertig ist.
Das gab mir auch ein mögliches Modell zur Arbeit an anderen Welles-Stoffen. Ich denke, besonders kompliziert bei Welles ist: es gibt nicht die eine Formel für das Gesamtwerk, da ist zuviel Verschiedenheit.

Was hatte Orson Welles Ihrer Ansicht nach eigentlich für eine Vorstellung von seinem Werk als Ganzem? Wollte er –wie ein Renaissancekünstler- 'große' Werke schaffen, nur A-Filme ...

... ich denke, man kann nicht von einer Gesamtintention sprechen, nur von Intentionen für individuelle Werke und das Faktum, dass er sehr kreativ war, und energisch.
Aber ich denke nicht – er selbst pflegte zu sagen, es sei ziemlich vulgär für einen Künstler, sich um die Vergangenheit zu scheren – ich denke nicht, daß er so etwas wie ein Lebensprojekt hatte. Er hatte viele einzelne Projekte, die miteinander zusammenhingen. Aber er dachte nicht in Kategorien wie "Lebensprojekt".

Aber zweifellos tat er manches, nur um damit Geld für andere Projekte zu verdienen, die ihm am Herzen lagen.

Das ist wahr. Ja, das passierte, natürlich, wie wahrscheinlich jedem Künstler. Und er hat eine ganze Menge kommerziellen Kram gemacht, um seine Independent-Sachen zu finanzieren.

Sie sagten einmal, man sollte Welles eher als erfolgreichen Independent-Regisseur betrachten, nicht als gescheiterten Hollywood-Regisseur. Können Sie das erklären?

Ich denke, wenn die Leute sagen – und viele tun das – CITIZEN KANE sei der größte Film aller Zeiten, dann meinen sie: das ist der perfekte Hollywood-Film. Und sie sehen das als Teamarbeit, sie reden über die Bedeutung von Mankiewicz (dem Co-Autor) und Toland (Kamera). Und wer würde das leugnen?
Aber man kann ihn - scheint mir - genauso als den größten Independent-Film ansehen, der auf das Potential eines Hollywood-Studios zurückgreifen konnte. Und ich glaube, wie man spätere Projekte bewertet, hat eine Menge damit zu tun. Was für Welles das Allerwichtigste war, war seine Freiheit als Künstler zu tun, was er wollte. Auch wenn das bedeutete, auf die Studio-Mittel zu verzichten.
Es gibt ein Ungleichgewicht in der Wahrnehmung des Werks.

Und es gibt keinen Abstieg nach CITIZEN KANE?

Nein, es gibt Höhen und Tiefen einer Karriere. Ich denke, um ehrlich zu sein, es gibt ein Werk - ich sah es und jetzt wieder - das möglicherweise das vollständigste Scheitern in seiner Karriere war, das man sich vorstellen kann. Das ist "The Orson Welles-Show". Aber ein interessantes Scheitern?

Warum ist es ein Scheitern?

Weil es darin ganz auf das Publikum ankommt, und die Interaktion mit ihm. Und die Interaktion, die man hier zu sehen bekommt, ist komplett künstlich. Er testet sich selbst nicht vor echtem Publikum, das Lachen ist nicht echt. Dies alles demonstriert seine Distanz zum Massenpublikum zu dieser Periode. Die nicht notwendig etwas Schlechtes sein muß.
Wovor wir uns immer hüten sollten: Das was er tatsächlich tat, mit dem zu verwechseln oder gleichzusetzen, was er tun wollte. Ich denke, dass seine Leistungen manchmal größer waren, als seine Absichten, und Richtungen einschlugen, von denen seine Absichten gar nichts wußten. Ich denke nicht, dass Welles ein Avantgarde-Künstler sein wollte. Er war vielleicht einer gegen seine eigenen Intentionen.

Am Samstag wurde THE BIG BRASS RING gezeigt...

Oh, den hatte ich schon vorher einmal gesehen; das wollte ich nicht nochmal erleiden.

So schrecklich? Warum?

Ich habe selbst vor vielen Jahren das Drehbuch veröffentlicht. Mit der Hilfe von Oja Kodar, die die Rechte besaß. Ich denke es ist eines von Welles besten Werken – das Script!
Wenn nun jemand versucht hätte das Script zu verfilmen, und damit gescheitert wäre, wäre das eine Sache. Aber hier handelt es sich um etwas, wo fast alles aus dem Script eliminiert wurde. Es ist eigentlich nicht mehr das Script! Auch das wäre keine Affaire, wenn das Script heute noch verfügbar wäre, und das Publikum vergleichen kann. Aber wenn dieser Film der einzige Zugang zu dem Script ist, macht mich das sehr unglücklich. Weil ich fürchte, die Leute könnten Orson Welles dafür verantwortlich machen – und der Tribut, die Referenz auf Welles, die sich im Vorspann findet, ist unangemessen. Praktisch nichts davon ist von ihm. Sie haben alles geändert.

Zerstört?

Noch nicht einmal zerstört. Das Script existiert ja. Aber sie haben sehr wenige Elemente herausgenommen, und das, was sie nahmen wurde verändert.
Das Original spielt hauptsächlich in Spanien, es gibt da eine Reise nach Afrika, Sie wissen das ja, jetzt spielt es in den USA; im Script begeht einer einen Mord, das ist jetzt weggefallen; der andere stirbt am Ende des Films, im Script geschieht das nicht. Das Original spielt nach einem Präsidentschaftswahlkampf, der Film spielt vor einer Gouvaneurswahl.
So geht es weiter, in fast jeder Hinsicht. Man fragt sich: Was soll das?
Mit anderen Worten: Ich wußte nicht, dass George Hickenlooper etwas völlig anderes daraus machen wollte.
Aber ich denke, wenn man an einen kommerziellen Apparat glaubt, und glaubt, dass sich das mit Orson Welles vereinbaren läßt, dann bekommt man Probleme. Das ist der Grund, warum ich mich weigere, ihn als einen gescheiterten Hollywood-Regisseur anzusehen. Weil das die Perspektive ist, wie ihn alle sehen: In widersprüchlichen Situationen, genau wie die, dass ein Film THE BIG BRASS RING sein möchte und gleichzeitig ein kommerzieller Film, der irgendwie auch Orson-Welles ist. Ich denke Orson Welles konnte nicht kommerziell sein.
Aber es ist Teil des industriellen Prozesses von Hollywood, das er in irgendeiner Weise mit beunruhigenden Themen fertig wird. Mit allem was irgendwie stören könnte.
Und das Aufregende an THE BIG BRASS RING (dem Script) ist, dass es so voll von Beunruhigendem und Interessantem ist. Die sind im Film alle eliminiert. Da ist nicht auch nur entfernt Beunruhigendes, egal ob man den Film mag oder nicht, ob man ihn als erfolgreich oder nicht ansieht – nach seinen eigenen Maßstäben. Ich finde ihn nicht erfolgreich, aber das ist ok, es gibt unendlich viele Filme, die nicht erfolgreich sind. Aber da habe ich nichts dagegen – sie können trotzdem ehrenwert sein. Aber dass es sich THE BIG BRASS RING nennt, und fast nichts damit zu tun hat, das ist eine Art falscher Anspruch.

Wollten die Macher vom Orson-Welles-Mythos profitieren?

Das passiert jedenfalls, ja. Vielleicht gibt es da ein paar ehrenwerte, sogar gute Motive. Aber ich kann nur auf der Basis von dem Film urteilen, wissen Sie.

Stehen der Orson-Welles-Mythos und die Liebe seiner Fans der angemessenen Wahrnehmung und einem nüchternen Urteil über die Filme im Weg?

Nun, es ist nichts falsch an Liebe zu seinem Werk. Ich liebe es auch. Ich denke ein Teil des Problems ist: Was für mich einen großen Teil von Welles' Werk verbindet, ist, daß es von der Imagination der Zuschauer abhängt und sie benutzt. Das ist eine sehr gute und sehr kreative Sache. Aber ich denke - wenn man berücksichtigt, wofür er steht – die Leute projizieren ihre eigenen Phantasien auf die Figur Welles, mehr als auf die Filme. Und das wird destruktiv, wenn man das Werk verstehen will. Das ist getrennt zu behandeln. Wenn die Leute anfangen davon zu reden, daß sie seine Wünsche und sein Schicksal erfüllen wollen – sie kennen diese Wünsche nicht, sie wissen nichts von seinem Schicksal. Ich weiß davon auch nichts. Ich denke, sowas ist dummes Zeug. Es sind ihre Wünsche, ihre Träume. Darüber sollten sie ehrlich sein. Aber normalerweise sind sie's nicht. Und zwar nicht, weil sie unehrlich sind, sondern weil sie etwas durcheinander bringen. Und THE BIG BRASS RING ist ein prächtiges Beispiel für solche Verwirrung. Aber ich könnte noch viele andere nennen. Und es wird noch viel mehr geben. Ich bin sicher. Man hört ja von den Projekten, die geplant sind.

Remakes...

Remakes, Filme über ihn, ein Dokumentarfilm über das Making von CITIZEN KANE. Eine große Dummheit nach der anderen.

Diese Tagung ist eine Konferenz für Spezialisten. Worin liegt ihr Nutzen für das breite Publikum, oder sagen wir ruhig: das Mainstream-Publikum?

Nun, was wir hier versuchen, ist einige Übereinstimmungen zu treffen, über Prozeduren und Maßstäbe, nach denen man dem Publikum die Werke von Welles zugänglich macht. Wir müssen die Werke besser verstehen.
Wenn wir Erfolg gehabt haben, könnten wir in der Zukunft die Fehler vermeiden, die in der Vergangenheit gemacht wurden.
   
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