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Rüdiger Suchsland sprach
mit dem Welles-Experten Jonathan Rosenbaum, Co-Autor von "Midnight
Movies" und Editor von Bogdanovichs Interviewbuch "This
is Orson Welles".
artechock: Am Ende der Orson Welles-Konferenz
was ist Ihr Fazit?
ROSENBAUM: Es war in vieler Hinsicht sehr aufregend.
Zum einen war es glaube ich die internationalste Orson-Welles-Konferenz,
die es je gab. Vertreter aus 8 Ländern nahmen teil. Das
größte Problem sowohl für die Restaurierung,
als auch für den reinen Wissens- und Informationsaustausch-
war bisher, daß jeder allein vor sich hingearbeitet
hat, oft ohne einander überhaupt zu kennen. Natürlich
gibt es Ausnahmen.
Die Tagung war sehr gut wegen der konkreten Dinge, die passiert
sind, zwischen den Programmpunkten, man konnte sich unterhalten,
Treffen verabreden... In Zukunft wird es mehr Zusammenarbeit
geben.
Weg vom reinen Konkurrenzdenken zwischen den Experten und
Institutionen?
Ja, man muß davon wegkommen. Zusammenarbeit ist nicht
nur möglich, sondern nötig.
Für mich war das Überraschendste bei dieser Konferenz,
der neue Blick, den man auf den späten Orson Welles
bekommt, den der 60er und 70er Jahre.
Wie empfinden Sie das?
Natürlich kannte ich viel von dem Material bereits, in
der einen oder anderen Form. Aber einiges ist das klarer geworden.
Die Filme über London und Wien vor allem, und der "Moby
Dick"-Komplex.
Was für mich aber brandneu war, und sehr aufregend, stammt
aus den 50ern: "The Affaire Domenici". Das hatte ich
noch nie gesehen. Und ebenso die Dokumentation, die davon angefertigt
wurde ein work in progres, das noch nicht fertig ist.
Das gab mir auch ein mögliches Modell zur Arbeit an anderen
Welles-Stoffen. Ich denke, besonders kompliziert bei Welles
ist: es gibt nicht die eine Formel für das Gesamtwerk,
da ist zuviel Verschiedenheit.
Was hatte Orson Welles Ihrer Ansicht nach eigentlich für
eine Vorstellung von seinem Werk als Ganzem? Wollte er wie
ein Renaissancekünstler- 'große' Werke schaffen,
nur A-Filme ...
... ich denke, man kann nicht von einer Gesamtintention sprechen,
nur von Intentionen für individuelle Werke und das Faktum,
dass er sehr kreativ war, und energisch.
Aber ich denke nicht er selbst pflegte zu sagen, es sei
ziemlich vulgär für einen Künstler, sich um die
Vergangenheit zu scheren ich denke nicht, daß er
so etwas wie ein Lebensprojekt hatte. Er hatte viele einzelne
Projekte, die miteinander zusammenhingen. Aber er dachte nicht
in Kategorien wie "Lebensprojekt".
Aber zweifellos tat er manches, nur um damit Geld für
andere Projekte zu verdienen, die ihm am Herzen lagen.
Das ist wahr. Ja, das passierte, natürlich, wie wahrscheinlich
jedem Künstler. Und er hat eine ganze Menge kommerziellen
Kram gemacht, um seine Independent-Sachen zu finanzieren.
Sie sagten einmal, man sollte Welles eher als erfolgreichen
Independent-Regisseur betrachten, nicht als gescheiterten
Hollywood-Regisseur. Können Sie das erklären?
Ich denke, wenn die Leute sagen und viele tun das
CITIZEN KANE sei der größte Film aller Zeiten, dann
meinen sie: das ist der perfekte Hollywood-Film. Und sie sehen
das als Teamarbeit, sie reden über die Bedeutung von Mankiewicz
(dem Co-Autor) und Toland (Kamera). Und wer würde das leugnen?
Aber man kann ihn - scheint mir - genauso als den größten
Independent-Film ansehen, der auf das Potential eines Hollywood-Studios
zurückgreifen konnte. Und ich glaube, wie man spätere
Projekte bewertet, hat eine Menge damit zu tun. Was für
Welles das Allerwichtigste war, war seine Freiheit als Künstler
zu tun, was er wollte. Auch wenn das bedeutete, auf die Studio-Mittel
zu verzichten.
Es gibt ein Ungleichgewicht in der Wahrnehmung des Werks.
Und es gibt keinen Abstieg nach CITIZEN KANE?
Nein, es gibt Höhen und Tiefen einer Karriere. Ich denke,
um ehrlich zu sein, es gibt ein Werk - ich sah es und jetzt
wieder - das möglicherweise das vollständigste Scheitern
in seiner Karriere war, das man sich vorstellen kann. Das ist
"The Orson Welles-Show". Aber ein interessantes Scheitern?
Warum ist es ein Scheitern?
Weil es darin ganz auf das Publikum ankommt, und die Interaktion
mit ihm. Und die Interaktion, die man hier zu sehen bekommt,
ist komplett künstlich. Er testet sich selbst nicht vor
echtem Publikum, das Lachen ist nicht echt. Dies alles demonstriert
seine Distanz zum Massenpublikum zu dieser Periode. Die nicht
notwendig etwas Schlechtes sein muß.
Wovor wir uns immer hüten sollten: Das was er tatsächlich
tat, mit dem zu verwechseln oder gleichzusetzen, was er tun
wollte. Ich denke, dass seine Leistungen manchmal größer
waren, als seine Absichten, und Richtungen einschlugen, von
denen seine Absichten gar nichts wußten. Ich denke nicht,
dass Welles ein Avantgarde-Künstler sein wollte. Er war
vielleicht einer gegen seine eigenen Intentionen.
Am Samstag wurde THE BIG BRASS RING gezeigt...
Oh, den hatte ich schon vorher einmal gesehen; das wollte ich
nicht nochmal erleiden.
So schrecklich? Warum?
Ich habe selbst vor vielen Jahren das Drehbuch veröffentlicht.
Mit der Hilfe von Oja Kodar, die die Rechte besaß. Ich
denke es ist eines von Welles besten Werken das Script!
Wenn nun jemand versucht hätte das Script zu verfilmen,
und damit gescheitert wäre, wäre das eine Sache. Aber
hier handelt es sich um etwas, wo fast alles aus dem Script
eliminiert wurde. Es ist eigentlich nicht mehr das Script! Auch
das wäre keine Affaire, wenn das Script heute noch verfügbar
wäre, und das Publikum vergleichen kann. Aber wenn dieser
Film der einzige Zugang zu dem Script ist, macht mich das sehr
unglücklich. Weil ich fürchte, die Leute könnten
Orson Welles dafür verantwortlich machen und der
Tribut, die Referenz auf Welles, die sich im Vorspann findet,
ist unangemessen. Praktisch nichts davon ist von ihm. Sie haben
alles geändert.
Zerstört?
Noch nicht einmal zerstört. Das Script existiert ja. Aber
sie haben sehr wenige Elemente herausgenommen, und das, was
sie nahmen wurde verändert.
Das Original spielt hauptsächlich in Spanien, es gibt da
eine Reise nach Afrika, Sie wissen das ja, jetzt spielt es in
den USA; im Script begeht einer einen Mord, das ist jetzt weggefallen;
der andere stirbt am Ende des Films, im Script geschieht das
nicht. Das Original spielt nach einem Präsidentschaftswahlkampf,
der Film spielt vor einer Gouvaneurswahl.
So geht es weiter, in fast jeder Hinsicht. Man fragt sich: Was
soll das?
Mit anderen Worten: Ich wußte nicht, dass George Hickenlooper
etwas völlig anderes daraus machen wollte.
Aber ich denke, wenn man an einen kommerziellen Apparat glaubt,
und glaubt, dass sich das mit Orson Welles vereinbaren läßt,
dann bekommt man Probleme. Das ist der Grund, warum ich mich
weigere, ihn als einen gescheiterten Hollywood-Regisseur anzusehen.
Weil das die Perspektive ist, wie ihn alle sehen: In widersprüchlichen
Situationen, genau wie die, dass ein Film THE BIG BRASS RING
sein möchte und gleichzeitig ein kommerzieller Film, der
irgendwie auch Orson-Welles ist. Ich denke Orson Welles konnte
nicht kommerziell sein.
Aber es ist Teil des industriellen Prozesses von Hollywood,
das er in irgendeiner Weise mit beunruhigenden Themen fertig
wird. Mit allem was irgendwie stören könnte.
Und das Aufregende an THE BIG BRASS RING (dem Script) ist, dass
es so voll von Beunruhigendem und Interessantem ist. Die sind
im Film alle eliminiert. Da ist nicht auch nur entfernt Beunruhigendes,
egal ob man den Film mag oder nicht, ob man ihn als erfolgreich
oder nicht ansieht nach seinen eigenen Maßstäben.
Ich finde ihn nicht erfolgreich, aber das ist ok, es gibt unendlich
viele Filme, die nicht erfolgreich sind. Aber da habe ich nichts
dagegen sie können trotzdem ehrenwert sein. Aber
dass es sich THE BIG BRASS RING nennt, und fast nichts damit
zu tun hat, das ist eine Art falscher Anspruch.
Wollten die Macher vom Orson-Welles-Mythos profitieren?
Das passiert jedenfalls, ja. Vielleicht gibt es da ein paar
ehrenwerte, sogar gute Motive. Aber ich kann nur auf der Basis
von dem Film urteilen, wissen Sie.
Stehen der Orson-Welles-Mythos und die Liebe seiner Fans
der angemessenen Wahrnehmung und einem nüchternen Urteil
über die Filme im Weg?
Nun, es ist nichts falsch an Liebe zu seinem Werk. Ich liebe
es auch. Ich denke ein Teil des Problems ist: Was für mich
einen großen Teil von Welles' Werk verbindet, ist, daß
es von der Imagination der Zuschauer abhängt und sie benutzt.
Das ist eine sehr gute und sehr kreative Sache. Aber ich denke
- wenn man berücksichtigt, wofür er steht die
Leute projizieren ihre eigenen Phantasien auf die Figur Welles,
mehr als auf die Filme. Und das wird destruktiv, wenn man das
Werk verstehen will. Das ist getrennt zu behandeln. Wenn die
Leute anfangen davon zu reden, daß sie seine Wünsche
und sein Schicksal erfüllen wollen sie kennen diese
Wünsche nicht, sie wissen nichts von seinem Schicksal.
Ich weiß davon auch nichts. Ich denke, sowas ist dummes
Zeug. Es sind ihre Wünsche, ihre Träume. Darüber
sollten sie ehrlich sein. Aber normalerweise sind sie's nicht.
Und zwar nicht, weil sie unehrlich sind, sondern weil sie etwas
durcheinander bringen. Und THE BIG BRASS RING ist ein prächtiges
Beispiel für solche Verwirrung. Aber ich könnte noch
viele andere nennen. Und es wird noch viel mehr geben. Ich bin
sicher. Man hört ja von den Projekten, die geplant sind.
Remakes...
Remakes, Filme über ihn, ein Dokumentarfilm über das
Making von CITIZEN KANE. Eine große Dummheit nach der
anderen.
Diese Tagung ist eine Konferenz für Spezialisten. Worin
liegt ihr Nutzen für das breite Publikum, oder sagen
wir ruhig: das Mainstream-Publikum?
Nun, was wir hier versuchen, ist einige Übereinstimmungen
zu treffen, über Prozeduren und Maßstäbe, nach
denen man dem Publikum die Werke von Welles zugänglich
macht. Wir müssen die Werke besser verstehen.
Wenn wir Erfolg gehabt haben, könnten wir in der Zukunft
die Fehler vermeiden, die in der Vergangenheit gemacht wurden.
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