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Wiederaufnahme (Reprise)

 
 
F 1996 - 192 Minuten -
Regie: Hervé le Roux
Kamera: Dominique Perrier
Drehbuch: Hervé le Roux
Besetzung:
 
 
 
 

Wiederaufnahme

Am 10. Juni 1968 filmen Studenten der Pariser Filmhochschule IDHEC die Wiederaufnahme der Arbeit in der Fabrik ‘Wonder’ in Saint-Ouen. Eine junge Arbeiterin sagt, daß sie nicht in die Fabrik zurück will. Die Suche nach dieser Frau weitet sich zu einer fast besessenen Untersuchung aus. „Hervé Le Roux scheint selbst überrascht zu sein von dieser lebendigen Erinnerung, die nichts will, als sich in die Leinwand einzuschreiben und zwar auf eine Weise, die so gar nichts mit Fernsehen zu tun hat in ihrer übersprudelnden Lustigkeit und teilweisen Bitterkeit. Der Filmemacher muß das Gesicht der empörten Frau geliebt haben, und den Kerl am Ende des Films ... In diesen Bildern lebt eine tragische Dimension und ein unglaubliches Engagement, das oft überfließt vor Nostalgie und sich manchmal hinter einem eher mitleidigen als spöttischen Humor verbirgt. Was sich 1968 auf den Straßen abgespielt hat, war mehr als die Wiederaufnahme der Arbeit: es war die radikale, unumkehrbare Enteignung des Individuums von jeglicher Macht über das Soziale. Hier arbeitet das Kino in jedem Augenblick: Reprise ist ein schwieriger Film im besten Sinne des Wortes. Keine schicke, distanzierte Trauer-Arbeit für Geschichts-Ästheten, sondern ein solider und gründlicher Film, in dem Le Roux ohne jede Affektiertheit sein handwerkliches Können zeigt." Aus: Vincent Dieutre, La Lettre du Cinéma, Spécial Sadoul

Hervé Le Roux über seinen Film (Auszüge):

Ausgangspunkt des Films war tatsächlich ein Photo, das ich in einer Kinozeitschrift entdeckte. Und dann, eines Tages, habe ich den Film von’68 gesehen, der mich nie wieder losgelassen hat. Meine Gedanken kreisten um den Film, ich dachte sogar einen Moment daran, ihn in einen Spielfilm einzubauen. Schließlich habe ich mir dann gesagt, daß ich mich, statt aufs Geratewohl zu drehen, lieber direkt mit dem befassen sollte, was mir von diesem Film nicht aus dem Sinn ging, nämlich mit dieser jungen aufgebrachten Arbeiterin, und daß ich sie wiederfinden mußte, und daß das der einzige Film war, den ich machen konnte. ... Ich habe dann eine kleine Recherche gemacht, die bereits etwas von einem Polizeifilm hatte: in dem Maße, in dem ich mit der Untersuchung vorankam, mußte ich mir eingestehen, daß mein Geldgeber, Richard (Copan, Produzent), der 1968 Student an der IDHEC und einer der Initiatoren des Streiks gewesen war, darüber schon viel länger Bescheid wußte als ich ... Das war Anfang 1992 ... Zwei Jahre später erinnerten wir uns. Wir hatten beide immer noch die gleiche Lust, den Film zu machen, und mit einem kleinen Vorschuß des CNC und der Unterstützung des Arbeitsministeriums konnten wir recht bald mit dem Drehen beginnen. ... Die Dreharbeiten dauerten drei Monate, von Mai bis August 1995, mit Unterbrechungen und parallel zu den Nachforschungen. Das heißt, daß wir an einem Tag ein Interview machten, daß ich den nächsten Tag am Telefon verbrachte, um neue Spuren zu finden, die zu einer der gesuchten Personen führten, oder um eine weitere Verabredung für den nächsten oder übernächsten Tag zu ergattern. Eine Spielregel hieß, zu versuchen, die Personen nicht vor dem Drehtermin zu treffen, sie also nur mit der Kamera zu sehen, um ein Maximum an Frische und Spontaneität zu bewahren. Ich rief die Leute also an, erzählte ihnen meine kleine Geschichte - daß ich einen Film über Wonder machte, daß ich ihnen gern eine Video-Kassette zeigen würde - man verabredete sich, traf bei ihnen ein, installierte die Kamera, zeigte ihnen die Kassette, und dann wurde diskutiert. Die Interviews betreffend könnte man mir vorwerfen, daß ich sie nicht wie ein ‘Journalist’ führe, daß ich selten widerspreche, daß ich die Themen teilweise nicht weiterverfolge. Ich nehme aber für mich in Anspruch, daß ich schließlich keine Kriminellen aus dem bosnisch-serbischen Krieg interviewe. Dazu wäre ich im übrigen gar nicht in der Lage. Wenn ich eine Fiktion inszeniere, muß ich jede Figur lieben. In einem Dokumentarfilm, in dem die Person zugleich die Figuren sind, ist das viel schwieriger. Es ist unabdingbar, daß jeder seine Chance bekommt und über seine Gründe sprechen kann. Abgedruckt in 27.Internationales Forum des Jungen Films, Berlin 13/1997

BIO-FILMOGRAPHIE HERVÉ LE ROUX

Geboren 1956. Journalist und Kritiker, schreibt u.a. für die ‘Cahier du Cinéma’, wirkte 1984 und 1988 an der Programmgestaltung des ‘Festival d’Automne’ in Paris mit. Er war Regie-Assistent bei Incognito (Regie: Alain Bergala) und wirkte bei der Herstellung der beiden Kurzfilme L’Ourse bleue (1988, Regie: Marc Chevrie) und Tu m’as dit (1990, Regie: Renée Falson) mit. Er ist Drehbuchautor und Regisseur von Grand Bonheur, der 1993 die Sektion französischer Filme beim Festival in Cannes eröffnete. Daneben schrieb er 1995 zusammen mit Gilles Cornec und Patrick Leboutte ‘Cinégénie de la bicyclette’.

Filme:

1993 GRAND BONHEUR
1996 REPRISE

(Katalog des 12. internationalen Dokumentarfilmfestivals)

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