Pulp Cinema - Quentin Tarantino zwischen Kunst und Krempel
Will man den Film KILL BILL einer kritischen Betrachtung
unterziehen, stellt sich vorab die äußerst schwierige
Frage, auf welcher Ebene man diese ansetzen soll?
Sieht man den Film im großen Zusammenhang der Filmgeschichte?
Betrachtet man ihn im Bezug auf das Oeuvre Tarantinos? Wertet
man Teil 1 und 2 getrennt oder als Einheit? Legt man auf einzelne
Kapitel und Szenen mehr Augenmerk als auf den gesamten Film?
Oder 'stellen wir uns mal janz dumm' und versuchen den Film
ohne Vorgeschichte und Hintergrund ganz neutral zu sehen?
Im Sinne einer "ganzheitlichen Filmkritik" wird
man speziell bei KILL BILL jeden dieser Standpunkte kurz einnehmen
müssen. Und gerade hier liegt die Crux des Films.
Unbestreitbar ist der große Schauwert von KILL BILL,
der sich in grandiosen Kamerabildern und -fahrten, virtuosen
Kampfszenen, akribisch genauen Reminiszenzen und knalliger
Action äußert. Weitgehend mit der gewohnten Hyper-Coolness
von Tarantino inszeniert, unterlegt mit einem bunten Potpourri
"kultiger" Musik, angereichert mit zahllosen Verweisen
auf die Filmgeschichte, entsteht ein pralles Spektakel, an
dem sich Filmfreaks ebenso weiden wie Gelegenheitskinogeher,
Junge ebenso wie Alte, Horrorfans ebenso wie die Arthouse-Fraktion.
Die Kritiken bewegen sich zwischen verhalten gut bis frenetisch,
die Besucherzahlen liegen im oberen Drittel. Hat Tarantino
also den multiplen Spagat zwischen Kunst und Trash, Kommerz
und Anspruch, Genrekino und Mainstream wie bei PULP FICTION
wieder geschafft?
Die Antwort auf diese Frage heißt leider nein, da Tarantino
bei aller technischen Raffinesse und visuellen Fabulierlust
hier fünf schwere Sünden begeht. Es sind dies Zusammenhaltlosigkeit,
Uneinheitlichkeit, Offensichtlichkeit, Unmäßigkeit
und Unentschlossenheit. Machen wir uns also eine Liste wie
"die Braut" aka Beatrix aka Black Mamba aka Uma
Thurman und haken sie der Reihe nach ab.
Das Grundsatzproblem von KILL BILL ist wohl, dass Tarantino
(befeuert durch seinen Produzenten Harvey Weinstein) all das,
was er will, auch darf und schließlich auch tut.
Das hat zur Folge, dass ein sagenhaftes Sammelsurium der Stile,
Genres und Themen entsteht. Diese Vielfalt mag im ersten Moment
beeindrucken, auf den zweiten Blick fehlt dem Film aber der
Zusammenhalt. Er zerfällt in viele, mehr oder weniger
gelungene Episoden, die nichts im Inneren verbindet.
Bei PULP FICTION gelang es, diese sonderbare Mixtur in einen
verbindenden Rahmen zu setzen, zum Teil durch einzelne Personen,
zum Teil durch die räumliche Klammer der Stadt Los Angeles,
zum Teil durch inszenatorisches Geschick. In KILL BILL schafft
es nicht einmal die allgegenwärtige Hauptfigur Beatrix
einen roten Faden (der eben nicht gleichbedeutend mit einer
Blutspur ist) zu ziehen, womit wir beim zweiten Problem sind.
KILL BILL ist auf jeder Ebene uneinheitlich. Schon die beiden
Teile ergeben kein harmonisches Gesamtbild, die Abschnitte
und Kapitel fügen sich nicht ineinander, die einzelnen
Szenen wechseln äußerst abrupt ihre Stilistik und
selbst die Figuren sind kaum stringent, was am deutlichsten
eben an der von Uma Thurman gespielten Hauptperson wird. Diese
schwankt wahlweise zwischen eiskaltem Racheengel, naiv verliebtem
Teenager, großherzigem Muttertier, unverwüstlicher
Kampfmaschine, gedemütigtem Opfer, weisen Mönchen,
und, und, und.
Tarantino erliegt einem verhängnisvollen Missverständnis,
indem er glaubt, dass alles, wofür er sich begeistert,
auch außerhalb seines Kopfes zusammenpassen muss; dass
sich Kurosawa und die Shaw-Brothers, dass sich italienische
Western und japanische Trickfilme, das sich Splatter und Autorenkino
nahtlos aneinanderreihen lassen.
In PULP FICTION gab es auch manch gewagten Brückenschlag
zwischen Genres, die unvereinbar schienen, doch bestach dieser
Film gerade dadurch, dass er die unpassenden Einzelteile zu
etwas Originären verband. Bei KILL BILL dagegen regiert
das schlichte Kopieren und die Anspielung ist dem Offensichtlichen
gewichen.
Denn bei aller Drastik ist PULP FICTION doch auch ein erstaunlich
diskreter, zurückhaltender, wenn nicht gar geheimnisvoller
Film. Das gilt sowohl für den Inhalt, der vieles im Verborgenen
beläßt (ganz typisch etwa der strahlende Aktenkoffer),
als auch für die formale Umsetzung, die sich mit diskreten
Zitaten begnügt.
In KILL BILL dagegen bleiben keine Fragen offen und alle Unklarheiten,
die dem ersten Teil noch zu etwas Spannung verhalfen, werden
mit dem zweiten komplett und gnadenlos ausgemerzt. Mit einer
aufdringlichen Offenheit wird die Motivation jeder Person
erklärt, wird jede Handlung legitimiert. Unterstütz
wird diese emotionelle Peepshow durch eine alles zeigende
Kamera, die kaum eine Grausamkeit aber auch keine Belanglosigkeit
dem Zuschauer erspart bzw. seiner Phantasie überläßt.
In PULP FICTION äußerte Samuel L. Jackson seinen
weiteren Lebensweg noch mit "I'm just gonna walk the
earth....like Caine in 'Kung Fu'" und diese kleine Anspielung
genügte, um beim Zuschauer eine ganze Reihe von Assoziationen
auszulösen. In KILL BILL bleibt es nicht beim Verweis,
da holt sich Tarantino einfach den echten "Caine"
David Carradine, läßt ihn wieder Flöte spielen,
Gleichnisse erzählen und überlegen kämpfen.
Noch offensichtlicher kann man es dem Zuschauer nicht präsentieren.
Entsprechend ist auch Bruce Willis legendärer Griff zum
Samuraischwert in PULP FICTION eine mindestens genau so gelungene
Hommage an das Genre des asiatischen Kampfsportfilms wie Uma
Thurmans endlose(s) Schlachten in KILL BILL.
Spricht man von den opulenten Kampfszenen in KILL BILL, muss
man auch von Tarantinos Schwäche der Unmäßigkeit
sprechen. Schlimm genug, dass die Produzenten Tarantino nicht
in seiner überbordenden Stilvielfalt bremsten, so scheint
es sie auch nicht interessiert zu haben, dass der Film häufig
zu einer opernhaften Größe aufläuft. Diese
Opulenz zeigt sich nicht nur im Aufgebot von unzähligen,
schreienden Kämpfern, sondern auch in manch emotionellen
Schwulst.
In KILL BILL ist alles eine Nummer größer (oder
zu groß), was vielleicht dem Bezug auf Italo-Western
oder dem asiatischen Kino geschuldet sein mag, was in dieser
Konzentration dem Film aber jede Eloquenz austreibt und ihn
zu einem behäbigen Koloß werden läßt.
Vergessen die filmischen "Miniaturen" aus PULP FICTION,
wie etwa Christopher Walken und die goldene Uhr.
Vielleicht wäre manche der beschriebenen Schwächen
von KILL BILL nicht so störend, wenn Tarantino mehr Entschlossenheit
gezeigt hätte.
Dass er sich stilistisch nicht für eine oder wenige Richtungen
entscheidet ist schon problematisch. Noch schwerer aber wiegt,
dass er sich vom Grundsatz her nicht klar ist, was er für
einen Film machen will. Seinen Interviews kann man zwar entnehmen,
dass ihm eine trashige Huldigung seiner großen Vorbilder
vor allem im B-Movie Bereich vorschwebte und streckenweise
gelingt ihm dieses Vorhaben auch, wobei Szenen entstehen,
die sich auf jedem Fantasy Filmfest bestens machen.
Aber leider kommt Tarantino zu oft der eigene Kult dazwischen.
Anstatt das schlichte "just for fun" konsequent
durchzuziehen, glaubt er, seinem Ruf als Wunderkind, Cannes-Gewinner
und Kinoerneuerer gerecht werden zu müssen und packt
deshalb noch jede Menge intellektuellen Überbau hinein,
um so den Trash zu adeln. So einfach funktioniert das aber
nicht (ein Comic wird schließlich auch nicht schon deshalb
zum großen Kunstwerk, weil man ihn neben ein Bild von
Picasso hängt).
Tarantinos Filmbegeisterung ist eine schöne Sache, doch
sollte er sich entscheiden, wie er diese zum Ausdruck bringen
will. Er kann dies auf die diskret intelligente Art wie in
PULP FICTION tun oder als explizite Neuauflage (wie es momentan
mit einigen Horrorklassikern geschieht) oder als huldigende
Parodie wie sie etwa John Landis in seinen besten Zeiten gemacht
hat oder er beschreitet den selben Weg wie Martin Scorsese
und präsentiert in einem Dokumentarfilm seinen privaten
filmischen und kulturellen Kosmos.
Nur alles auf einmal zu wollen, das geht (wie im täglichen
Leben) leider nicht. Man muss sich Tarantino bei den Arbeiten
zu KILL BILL wohl wie den kleinen Junge im Süßigkeitenladen
vorstellen. Beschränkt sich dieser nicht auf einige Leckereien,
sondern probiert alles querbeet durch, wird er kurzfristig
seinen Spaß damit haben. Ein verstimmter Magen ist ihm
dann aber genau so gewiss.
Michael Haberlander
|