ARTECHOCK FILM BESPRECHUNG
 
KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
 
 

Kenwin

 
 
CH 1996 - 85 Minuten -
Regie: Véronique Goel
Kamera: Axel Branct
Drehbuch: Véronique Goel
Besetzung:
 
 
 
 

Die Villa KENWIN, 1930-31 in La Tour-de-Peilz am Genfersee von Hermann Henselmann (dem zukünftigen Stadtarchitekten von Ostberlin), im Auftrag von KENneth Macpherson und WINifred Ellerman (Bryher) erbaut, ist das Symbol einer Utopie des Modernismus: Erschaffung ex nihilo, Fremdkörper in einer Umgebung, die sie zurückweist, offener Ort. Die Villa wurde entworfen als Schauplatz neuer, schöpferischer und zwischenmenschlicher Beziehungen. Bryher und Macpherson, beides Engländer, sie Schriftstellerin, er Filmemacher, verbrachten dort einige Jahre mit ihrer gemeinsamen Freundin, der amerikanischen Lyrikerin H.D. (Hilda Doolittle-Aldington) und deren Tochter Perdita. Danach trennten sich ihre Wege, lediglich Bryher lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 1983 in der Villa KENWIN. 1987 wurde die Villa vom Architekten Giovanni Pezzoli gekauft und vollständig restauriert. Archivmaterial und heutige Bilder der Villa, veranschaulichen in einer subjektiven Annäherung einige Aspekte dieser Geschichte.

Ein Film über ein Haus, seine Erbauer und Bewohner Kenwin ist nicht einfach ein Architekturfilm, der uns - sinnfällig, wie selten in Filmen über Architektur - ein Haus darstellt. Véronique Goël evoziert uns dessen Aura, das vielfältige Umfeld der Geschichte seiner Erbauer und Bewohnerinnen und Bewohner. Die Villa Kenwin - eine Ikone der Architektur unseres Jahrhunderts, erbaut von Kenneth Macpherson und Winifred Ellerman (Bryher) in LaTour-Peilz am Genfersees, 1930/ 31 durch den Architekten Hermann Henselmann nach einem Projekt von Sandor Ferenczy (1895-1931) als Wohnhaus und als Filmstudio für künftige Projekte ... Die Bewohner - Bryher, Schriftstellerin, Erbin eines großen Vermögens, war Herausgeberin der Film-Zeitschrift Close up (1927-33), und nach 1933 engagierte Helferin für Verfolgte des Faschismus. Sie half, unter vielen anderen, Walter Benjamin. H.D. (Hilda Doolittle), bedeutende amerikanische Lyrikerin, gestorben 1961 in Zürich. Kenneth Macpherson, Künstler und Filmemacher (u.a. Borderline). Perdita, Tochter von H.D. und später adoptiert von Bryher. Kenwin liest uns ein filmisches Gedicht mit vielen Schichten - Erkundungen im Haus, Filmbilder von dessen Bau, dessen Niedergang; Bilder aus den verlorenen Filmen Macphersons, Fotos, Alben, Briefzeugnisse. Wir sehen einen Film, der uns mit dem Haus die Spur einer Geschichte und eine Epoche der Architektur und der Künste wieder aufleben läßt. Bryher war mit Macpherson und vorher mit dem Schriftsteller Robert McAlmon verheiratet, der ein Mitarbeiter von Joyce war und mit ihrer Unterstützung wichtige Werke der literarischen Avantgarde (Gertrude Stein, Djuna Barnes u.a.) verlegt hat. H.D. war mit dem Schriftsteller Richard Aldington verheiratet (Death of a Hero u.a.) und eine Jugendfreundin von Ezra Pound. In der Zeit des Baus der Villa Kenwin lebten H.D., Bryher und Macpherson in Territet, zusammen mit H.D.’s Tochter Perdita, deren Jugenderinnerungen im Film zitiert sind. Der Film zeigt die Aufnahmen, die beim Bau der Villa gedreht wurden. Macpherson, H.D. und Bryher haben 1930 mit Borderline einen bedeutenden, lange Zeit verschollenen Avantgardefilm geschaffen, der später wieder entdeckt und vielfach interpretiert worden ist. Goël zeigt die erhaltenen Fragmente der verlorenen früheren Filme. Alle waren mit den Pariser Zirkeln um Sylvia Beach und Adrienne Monnier und weltweit mit der Filmavantgarde (Pabst, Eisenstein u.a.) und mit den Exponenten der Psychoanalyse (Freud, Hanns Sachs u.a.) verbunden. DerArchitekt Hermann Henselmann (1905-1995) hatte nach dem Krieg - trotz aller Differenzen - einen prägenden Einfluß auf die Architektur der DDR.

BIO-FILMOGRAPHIE VÉRONIQUE GOËL
Geboren 1951 in Rolle am Genfersee. Ausbildung als Modellschneiderin. Arbeit zwischen Rom und Brüssel in der Haute Couture und im Prêt-à-Porter. 1972 Reise durch Nord- und Westafrika. Aufenthalte in New York und Florenz. 1977-78 Studium an der École des Beaux Arts, Lausanne ; 1979 Studium an der École supérieure d’arts visuels in Genf, Seminare mit Straub/Huillet und Johan van der Keuken. Seit 1979 Filmemacherin und Technikerin des unabhängigen Kinos. 1983-88 Aufenthalt in London, 1987 in Berlin, lebt zur Zeit in Genf.

Filme:

1978 SOLILOQUES POUR VOIX DE FEMME ET FRIGIDAIRE
1979 ALLEGRO
1981 AVANT L’ÉTÉ
UN AUTRE ÉTÉ
1982 SOLILOQUE 2 / LA BARBARIE
1984-85 PRÉCIS
1988 CAPRICES
1990-91 PERFECT LIFE
1992 SOLILOQUE 3
1996 KENWIN

(Katalog des 12. internationalen Dokumentarfilmfestivals)

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]