Die Villa KENWIN, 1930-31 in La Tour-de-Peilz am Genfersee von
Hermann Henselmann (dem zukünftigen Stadtarchitekten von
Ostberlin), im Auftrag von KENneth Macpherson und WINifred Ellerman
(Bryher) erbaut, ist das Symbol einer Utopie des Modernismus:
Erschaffung ex nihilo, Fremdkörper in einer Umgebung, die
sie zurückweist, offener Ort. Die Villa wurde entworfen
als Schauplatz neuer, schöpferischer und zwischenmenschlicher
Beziehungen. Bryher und Macpherson, beides Engländer, sie
Schriftstellerin, er Filmemacher, verbrachten dort einige Jahre
mit ihrer gemeinsamen Freundin, der amerikanischen Lyrikerin
H.D. (Hilda Doolittle-Aldington) und deren Tochter Perdita. Danach
trennten sich ihre Wege, lediglich Bryher lebte bis zu ihrem
Tod im Jahre 1983 in der Villa KENWIN. 1987 wurde die Villa vom
Architekten Giovanni Pezzoli gekauft und vollständig restauriert.
Archivmaterial und heutige Bilder der Villa, veranschaulichen
in einer subjektiven Annäherung einige Aspekte dieser Geschichte.
Ein
Film über ein Haus, seine Erbauer und Bewohner Kenwin ist
nicht einfach ein Architekturfilm, der uns - sinnfällig,
wie selten in Filmen über Architektur - ein Haus darstellt.
Véronique Goël evoziert uns dessen Aura, das vielfältige
Umfeld der Geschichte seiner Erbauer und Bewohnerinnen und Bewohner.
Die Villa Kenwin - eine Ikone der Architektur unseres Jahrhunderts,
erbaut von Kenneth Macpherson und Winifred Ellerman (Bryher)
in LaTour-Peilz am Genfersees, 1930/ 31 durch den Architekten
Hermann Henselmann nach einem Projekt von Sandor Ferenczy (1895-1931)
als Wohnhaus und als Filmstudio für künftige Projekte
... Die Bewohner - Bryher, Schriftstellerin, Erbin eines großen
Vermögens, war Herausgeberin der Film-Zeitschrift Close
up (1927-33), und nach 1933 engagierte Helferin für Verfolgte
des Faschismus. Sie half, unter vielen anderen, Walter Benjamin.
H.D. (Hilda Doolittle), bedeutende amerikanische Lyrikerin, gestorben
1961 in Zürich. Kenneth Macpherson, Künstler und Filmemacher
(u.a. Borderline). Perdita, Tochter von H.D. und später
adoptiert von Bryher. Kenwin liest uns ein filmisches Gedicht
mit vielen Schichten - Erkundungen im Haus, Filmbilder von dessen
Bau, dessen Niedergang; Bilder aus den verlorenen Filmen Macphersons,
Fotos, Alben, Briefzeugnisse. Wir sehen einen Film, der uns mit
dem Haus die Spur einer Geschichte und eine Epoche der Architektur
und der Künste wieder aufleben läßt. Bryher war
mit Macpherson und vorher mit dem Schriftsteller Robert McAlmon
verheiratet, der ein Mitarbeiter von Joyce war und mit ihrer
Unterstützung wichtige Werke der literarischen Avantgarde
(Gertrude Stein, Djuna Barnes u.a.) verlegt hat. H.D. war mit
dem Schriftsteller Richard Aldington verheiratet (Death of a
Hero u.a.) und eine Jugendfreundin von Ezra Pound. In der Zeit
des Baus der Villa Kenwin lebten H.D., Bryher und Macpherson
in Territet, zusammen mit H.D.’s Tochter Perdita, deren Jugenderinnerungen
im Film zitiert sind. Der Film zeigt die Aufnahmen, die beim
Bau der Villa gedreht wurden. Macpherson, H.D. und Bryher haben
1930 mit Borderline einen bedeutenden, lange Zeit verschollenen
Avantgardefilm geschaffen, der später wieder entdeckt und
vielfach interpretiert worden ist. Goël zeigt die erhaltenen
Fragmente der verlorenen früheren Filme. Alle waren mit
den Pariser Zirkeln um Sylvia Beach und Adrienne Monnier und
weltweit mit der Filmavantgarde (Pabst, Eisenstein u.a.) und
mit den Exponenten der Psychoanalyse (Freud, Hanns Sachs u.a.)
verbunden. DerArchitekt Hermann Henselmann (1905-1995) hatte
nach dem Krieg - trotz aller Differenzen - einen prägenden
Einfluß auf die Architektur der DDR.
BIO-FILMOGRAPHIE
VÉRONIQUE GOËL Geboren 1951 in Rolle am Genfersee. Ausbildung
als Modellschneiderin. Arbeit zwischen Rom und Brüssel in
der Haute Couture und im Prêt-à-Porter. 1972 Reise durch Nord-
und Westafrika. Aufenthalte in New York und Florenz. 1977-78
Studium an der École des Beaux Arts, Lausanne ; 1979 Studium
an der École supérieure d’arts visuels in Genf, Seminare mit
Straub/Huillet und Johan van der Keuken. Seit 1979 Filmemacherin
und Technikerin des unabhängigen Kinos. 1983-88 Aufenthalt
in London, 1987 in Berlin, lebt zur Zeit in Genf.
Filme:
1978
SOLILOQUES POUR VOIX DE FEMME ET FRIGIDAIRE 1979 ALLEGRO 1981
AVANT L’ÉTÉ UN AUTRE ÉTÉ 1982 SOLILOQUE 2 / LA BARBARIE 1984-85
PRÉCIS 1988 CAPRICES 1990-91 PERFECT LIFE 1992 SOLILOQUE
3 1996 KENWIN
(Katalog des 12.
internationalen Dokumentarfilmfestivals)
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