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Jean Painlevé Programm 2

 
 
Frankreich - 82 Minuten -
Regie: Jean Painlevé
Kamera:
Drehbuch:
Besetzung:
 
 
 
 

"Hyas et sténorinques, crustacés marins
Seespinnen und Gespenstkrabben, Schalentiere des Meeres
Hyas (spider crabs) and stenorhynchus (macropodia)
Frankreich 1929, 35 mm, s/w, 10 Minuten
Produktion und Regie: Jean Painlevé
Kamera: André Raymond
Musik: Frédéric Chopin, orchestriert von Maurice Jaubert
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, 38, Avenue des Ternes, F-75017 Paris, Tel. +33-1-4572-2775, Fax. +33-1-4572-5271

In diesem Film geht es um drei Tiere: Seespinne, Gespenstkrabbe, Borstenwurm -also um zwei Schalentiere und einen Wurm. - Die Seespinne und die Gespenstkrabbe haben gemein, daß schon von klein an auf ihren Körpern Pflanzen und Tiere siedeln, die ­ wie sie selbst ­ auf dem Meeresgrund leben: Algen, Schwämme, Polypen. Sie wählen ihren "Rock" selbst aus und machen ihn dort fest, wo sich kleine Auswüchse an ihren Beinen und ihrem Körper befinden. Da bei den Schalentieren die Maserung des Panzers immer stark symmetrisch ist, trifft dies auch für ihre Kleidung zu. Wenn die Tiere sich häuten, lassen sie ihren Panzer zurück und somit alles, was sich darauf befindet. Sie suchen sich dann, je nach Umgebung, Algenstücke oder Tierkolonien, die denen, die sie vorher besiedelten, ähneln oder auch nicht. - Der Borstenwurm kann seine Tentakelkrone spiralförmig ausfahren und wieder einholen. Er bewohnt eine Röhre, die er aus seinen eigenen Sekreten gebildet hat und die am Felsen oder im Schlamm festgemacht ist. Die Seespinne und die Gespenstkrabbe machen sich an seiner Röhre fest, wo viel Nahrung für sie anfällt. Wenn der Borstenwurm seine Tentakelkrone entfaltet und zur Schau stellt, ist das ein wahrhaftes Feuerwerk ­ eines der schönsten Spektakel der Wasserfauna. - JP

This film is about three animals: Hyas, Macropodia and great fan worms - two crustaceans and one worm. - The spider crabs and macropodia both cover themselves, from very early on, with plant or animal colonies which surround them in the sea beds they inhabit: seaweed, sponges or hydras. They choose their own "coating" and let it settle on points of their body and legs where small outgrowths can be found. In the same way as designs on shells are always highly symmetrical, the coatings also reveal specific patterns. When these animals moult, they discard their shells and whatever was growing on them, and again, cover their bodies, according to their surroundings, with pieces of seaweed or animal colonies. The new cover may or may not resemble the previous one. - The great fan worm can expel or retract its brachial plume in a spiral. It lives in a tube which it secretes and is fixed onto rocks or in the mud. The hyas and the macropodia cling to the great fan worm's tube, for its rich potential nourishment. The development of the panache and its display produce genuine fireworks and can be hailed as one of the most beautiful gestures known of aquatic fauna. - JP

Caprelles et pantopodes
Gespenstkrebschen und Asselspinnen
Skeleton shrimps and sea spiders
Frankreich 1929, 35 mm, s/w, 9 Minuten
Produktion und Regie: Jean Painlevé
Kamera: Eli Lotar
Musik: Alessandro Scarlatti, orchestriert von Maurice Jaubert
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris

Die Gespenstkrebschen ­ feingliedrig, spindeldürr, sehr lebhaft, zerbrechlich bisweilen ­ begrüßen sich gegenseitig mit äußerster Höflichkeit. Um ganz sicher zu sein, keinen Faux-pas zu begehen, grüßen sie sogar, wenn gar niemand anwesend ist. Gut unterrichtete Kreise behaupten, diese Bewegungen hätten mehr mit Atemgymnastik zu tun als mit guten Umgangsformen. Die zunehmende Last der Nachkommenschaft tut der Leichtigkeit des Weibchens auf dem fliegenden Trapez des Seetangs keinen Abbruch. Dann betritt das Männchen die Bühne. Geißensprünge, Pferderennen, ein richtiger Zirkus. Kaum geschlüpft, hangeln sich die Kleinen an Mama-Kletterstange hinauf, um ihrerseits zu grüßen. Man meint, einen Blumenstrauß zu sehen ... - Die Asselspinnen haben vier Paar Füße, so lang und dünn, daß man sich fragt, wie Organe darin Platz finden. Der Körper ist nicht mehr als der Punkt, an dem sich die Beine kreuzen. So ist bei diesen Tierchen die Redensart vom Magen, der am Boden hängt, durchaus wörtlich zu nehmen. - Sind es Schalentiere oder Spinnen? Wir wissen es ebensowenig wie sie selbst, die vom "rechten Weg" abgekommen sind ... - JP

Delicately sinuous, filiform and very agitated, sometimes bent double, skeleton shrimps greet one another in a distinguished manner. To be certain not to slight anyone, they will bow even if nobody is in sight. Well-informed specialists contend that these movements are closer to breathing exercises than to civility. The growing burden of future offspring does hardly affect the lightness of the female, who is in the habit of using the algae as a flying trapeze. And then the prince appears. Clowning around, horse races, a genuine circus. Scarcely hatched, the young slide out from between the scales, and climb up their Maypole mother, to begin their saluting. It looks like a bunch of flowers ... - The sea spiders have four pairs of legs, so long, so thin, that one cannot help wondering where they put their organs. There is no body to speak of: it is reduced to a crossroad of legs. So that "to have your heart in your boots" is perhaps not just a manner of speaking, in their case. - Are they shellfish, are they spiders? We cannot tell, and neither can they. So, they are aberrant ... - JP


Oursins
Seeigel
Sea urchins
Frankreich 1954, 35 mm, Farbe, 11 Minuten
Produktion und Regie: Jean Painlevé & Geneviève Hamon
Kamera: Claude Beausoleil
Musik: Jean Painlevé, "Le vrai Mambo"
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris

Joseph, der Laborassistent in der Zoologie an der Sorbonne ­ ein wahrer Zoologe und Praktiker, Erfinder eines Verfahrens, mit dem man Seeigel durchsichtig machen kann (wobei nach Ende des Versuchs noch alle Organe an Ort und Stelle sind), außerdem Hersteller von Lampenschirmen aus ganzen Seeigelpanzern ­ Joseph war es, der mich ein für allemal für die Zoologie gewann. - In diesem Film sieht man einen dieser durchsichtigen Seeigel, in den zuvor Gelatine gespritzt worden war, die anschließend hart wurde, seine Mundöffnung und seine Laterne des Aristoteles sowie das gesamte Wassergefäßsystem, mit dessen Hilfe die Saugfüßchen am Ende der Ambulakralkanäle weit ausgefahren werden können. - Gezeigt werden auch die Funktionen der winzigen Sinnesorgane, die Pedicellarien des Steinseeigels, sowie das Gebüsch von Flimmerhärchen, ohne die der Seeigel nicht atmen könnte (wie auch wir sterben würden, wenn die Flimmerhärchen in unseren Atem-, Verdauungs-, Nierensystemen usw. nicht mehr hin- und herschwingen würden). - Für diesen Film habe ich "organisierte Klänge" aufgezeichnet ­ als Hommage an meinen Freund Edgar Varèse ­ und, damit mich niemand ernst nimmt, einige Takte aus "Le vrai Mambo, c'est vraiment beau ..." hinzugefügt, einem Erfolgsschlager jener Zeit. - JP

It was Joseph, the Zoology laboratory assistant at the Sorbonne, who drew me into zoology for good. He was a real zoologist, a real practitioner, and had invented a technique that made sea urchins transparent, with all their organs still in place once the test was removed. He then manufactured lampshades with whole sea urchin shells. - The film shows a transparent urchin, into which gelatin, now hardened, had previously been injected, revealing to us its mouth, its Aristotle lamp and other details, like the stems ending in suckers which spread far and wide, thus enabling the urchin to move. - The film also reveals the function of tiny sensory glands, the pedicellariae, which are a characteristic of the rock urchin, as well as the forest of vibratile cilia, without which the urchin would be unable to breathe (we would die ourselves if the vibratile cilia stopped working in our breathing system, digestive system, kidneys etc.). - I recorded "organised sounds" for the film, as a tribute to my friend Edgar Varèse, and, so as not to be taken too seriously, I added a few bars from "The real Mambo is just so ...", a popular song of the day. - JP


Le Vampire
Der Vampir
The vampire
Frankreich 1939/45, 35 mm, s/w, 9 Minuten
Produktion und Regie: Jean Painlevé
Kamera: André Raymond
Musik: Duke Ellington ("Black and Tan Fantasy", "Echoes of the Jungle")
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris
Ich hatte eine ziemlich dumme Cousine, die glaubte, daß der Vampir so heißt, weil seine Flügel viel Wind produzieren [vent-pire]. (Sie glaubte auch, daß die Flüsse vom Meer zur Quelle fließen, weil im Meer mehr Wasser ist). Ich weiß noch immer nicht, warum Finnwale sich umbringen, indem sie sich an die Küste werfen. Dabei bin ich mit Hunderten von Tierarten vertraut, ganz abgesehen von den Menschen - und insbesondere den verstorbenen Freunden, die man wieder vor sich sieht, wenn der Tod näherrückt. - Es muß wohl eine Vorahnung gewesen sein, als ich 1939, unmittelbar vor dem Krieg, die Bilder vom Vampir machte. - Fledermäuse sind seit jeher ein Symbol für den Teufel und werden von den Bauern kurzerhand an die Haustür genagelt. Murnau machte, gemäß der Legende, aus dem Vampir einen Menschen, und Sie werden in diesem Film einen kleinen Ausschnitt sehen. - Ich habe die Effekte mit Musik von Duke Ellington hervorgehoben, was meine skandalöse Herangehensweise an die Wissenschaft noch unterstrich. Damals gab es in den großen Bahnhöfen Wochenschaukinos, in denen Kurzfilme gezeigt wurden; im Hauptbahnhof von Kopenhagen lief LE VAMPIRE zwei Jahre lang. Der Leiter der dänischen Kinemathek meinte, in dem Film käme mein ganzer Sadismus zum Ausdruck ... - JP

I had a rather silly cousin who believed that the vampire bat got its name from the wind made by its wings [vent-pire]. But then she also thought that rivers flowed from the sea to their source, because there is more water in the sea. I myself still do not know why rorquals kill themselves by throwing themselves ashore on the coast. And I know several hundred species of animals intimately, not to mention the human beings - and the departed friends you see again as your own death draws near. - It must have been premonition which made me film vampire bats in 1939. Just before the war. - Bats have always been a symbol of the devil, and have been nailed up stupidly on farm doors. Murnau made the vampire into a man, following the existing legend, and you will see some of his footage in this film. - As a backing I used Duke Ellington, which only underlined my scandalous approach to science. At that time, the main railway stations had newsreel cinemas where they showed short films; at the main station in Copenhagen they showed THE VAMPIRE for two years. The director of the Danish Film Library said that the film showed all my sadism ... - JP

Assassins d'eau douce
Süsswassermörder
Freshwater assassins
Frankreich 1947, 35 mm, s/w, 23 Minuten
Produktion, Kamera und Regie: Jean Painlevé & Geneviève Hamon
Musik: Duke Ellington, Louis Armstrong, Baron Lee, Gene Krupa, Cab Calloway, Jimmy Luceford ("White Heat")
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris
Preis: Bester wissenschaftlicher Film für den Schulunterricht, Festival Mondial de Bruxelles 1947

Ich erforschte die Gewässer in der Nähe von Paris und fischte so ziemlich alles heraus, was sich dort tummelte. Immer wieder wurde mir klar, daß die Beschreibungen der Spezialisten keineswegs mit dem übereinstimmten, was ich beobachtete: ein Fleischfresser stellte sich als Pflanzenfresser heraus oder umgekehrt; Schwimmkäfer etwa, große fliegende Koleoptera, galten als Vegetarier, obgleich ihre Larven Fleischfresser waren. Ich hatte einen solchen Schwimmkäfer eingefangen und nahm ihn mit nach Hause. In der folgenden Nacht träumte ich, ein Ritter zu sein, der für Jeanne d¹Arc kämpft. Ein Engländer brachte mir mit seiner Lanze einen fürchterlichen Schlag hinter dem Ohr bei. Der Schmerz weckte mich, ich führte meine Hand ans Ohr und schnappte mir den Schwimmkäfer. Er war davongeflogen und hatte mir, angezogen von der Körperwärme, seine Verdauungssäfte gespritzt ­ mit Haken ähnlich jenen der fleischliebenden Larve. Der Traum folgte unmittelbar darauf. Wochenlang bröckelten Knorpelstücke von meinem Ohr, trotz der antiseptischen Medikamente, mit denen ich es einrieb. Es war dies der Beweis, daß das fliegende erwachsene Insekt ebenso ein Fleischfresser ist wie die Larve. - Kurzum, ich kannte mich mit den Teichbewohnern gut genug aus, um ein richtiges Drehbuch zu schreiben. - JP

I explored the lakes and ponds around Paris and captured everything I could find there. Again and again I discovered that the specialist's descriptions did not coincide with what I saw: a carnivorous specimen was herbivorous or vice-versa, and the water beetles for instance, large flying beetles, were alleged to be vegetarion, whereas their larvae were carnivorous. I had captured one, which I carried home. That night, I dreamed I was a knight fighting for Joan of Arc. I received a terrible blow behind my ear from an Englishman's lance. The pain woke me, I felt my ear with my hand and caught hold of the water beetle. It had flown out of its captivity and guided by the heat, had come to inject its gastric fluids into me - through hooks akin to those of the terribly carnivorous larva. My dream had immediately followed this incident. Pieces of cartilage fell from my ear for weeks afterwards although I applied anti-acidifiant regularly. This established that the flying adult was as carnivorous as the larva. - In a word, my knowledge of the lake's inhabitants was good enough to write a scenario. - JP

Le Sang des bêtes
Das Blut der Tiere
Blood of the beasts
Frankreich 1949, 35 mm, s/w, 20 Minuten
Regie: Georges Franju
Kamera: Marcel Fradetal
Musik: Joseph Kosma, Charles Trenet
Kommentar: Jean Painlevé
Produktion: Paul Legros, Forces et Voix de France
Weltrechte: Bjorn Johansen Franju, 284, Boulevard St.-Germain, F-75007 Paris, Tel. +33-1-4550-3086, Fax. +33-1-4418-0173
Herkunft der Kopie: BFI Films, 21, Stephen Street, GB-London W1P 2LN, Tel. +44-207-957-4755, Fax. +44-207-580-5830

Dieser ungeheuerliche Film, vor dem bis zum heutigen Tage die Zuschauer zurückschrecken - vor dem "blutenden Fleisch, das aus der Leinwand herausquillt" (Godard) - beginnt mit schmerzlindernden Bildern, zieht den Zuschauer in eine Stimmung von angenehmer Vertrautheit. Man sieht eine ruhige Pariser Vorstadt, ein Stück Brachland, einen Block Mietskasernen, einen Flohmarkt unter einem grauen Himmel, einen Spielplatz für die Kinder der Armen, mit verstreuten Überresten vergangenen Reichtums. Dann führt uns der Film durch die verbotenen Tore des Schlachthofs und wir müssen uns mit weit geöffneten Augen - so wir es ertragen - anschauen, was dort geschieht. Es beginnt mit zärtlicher, mitfühlender Verzweiflung: ein weißes Pferd sinkt voller Grazie in die Knie, nachdem ihm eine Luftpistole an die Stirn gesetzt wurde. Dann überschwemmt die Routine des Schlachtens die Leinwand mit einem Meer von Blut, Eingeweiden und zuckenden verstümmelten Leichnamen. - Tom Milne
Systematische Tier- und Fleischhauerei. "Erschütternd in ihrer Koinzidenz, die mythologischen Mysterien und die düstere Großartigkeit dieser Orte, an denen das Blut fließt" (Bataille). Da wirft sich von selbst die Frage auf, wer wann wen töten darf. Was zerstört werden muß, damit anderes weiterlebt. - Frieda Grafe

This devastating film, which to this day has audiences flinching from - Godard's words - "the bleeding flesh dripping down the screen", begins with anodyne images of a Paris suburb, lulling the spectator into a sense of comfortable familiarity, as he watches a tranquil patch of wasteland, a block of flats, a fleamarket with its ware strewn beneath a grey sky, a playground of poor children, scattered with the odd debris of discarded wealth. The film then slips through the forbidding portals of a slaughterhouse and watches wide-eyed in tender despair (a white horse sliding gracefully to its knees with a pneumatic pistol held to its forehead) as the routine of butchery floods the screen with a sea of blood, guts and twitching mutilated corpses. - Tom Milne"
(16. Internationales Dokumentarfilmfestival München; Texte von Jean Painlevé © Les Documents cinématographiques, Paris, Deutsche Übersetzung © Bureau du cinéma, München (unveröffentlicht))

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