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Das Jahr nach Dayton

 
 
A 1997 - 200 Minuten -
Regie: Nikolaus Geyrhalter
Kamera:
Drehbuch:
Besetzung:
 
 
 
 

Der Film widmet sich der Beobachtung des ersten Friedensjahres in Bosnien anhand des Lebens einiger Personen sowohl in der bosnisch-kroatischen Föderation als auch in der serbischen Republik. Es geht in erster Linie um Menschenportraits vor dem Hintergrund eines noch nicht wirklich durchgestandenen Krieges; es geht um ein mögliches und in vielen Fällen auch nicht mehr mögliches Miteinanderleben und um die kleinen und großen Veränderungen, die im Jahr 1996 stattfinden. Der Film liefert keine politischen Erklärungen über Ursache und Verlauf des Krieges, sondern dokumentiert einen momentanen Zustand, der nicht selten an vergangene Kriege erinnert. Wichtig sind Schicksale Einzelner, unabhängig von ihrer Nationalität. In langen, unkommentierten Interviewpassagen und Plansequenzen bleibt dem Zuschauer Zeit, den Menschen näherzukommen: Rajko, der serbische Mechaniker, muß zum zweiten Mal mit seiner Familie das Haus verlassen, in dem er lebt, diesmal allerdings, weil das Gebiet, in das er während des Krieges geflohen ist, nach dem „Dayton Agreement“ nun wieder an die moslemisch-kroatische Föderation zurückgegeben wird; Nermin, der Schauspieler, der im Krieg beide Beine verloren hat, wird vielleicht wieder eine Rolle einstudieren; und Halid, der Schafhirte aus einem kleinen Dorf nahe Novi Travnik im moslemischen Teil des Landes möchte gerne seinen Freund im kroatischen West-Mostar wiedersehen und geht auf die für ihn nicht ganz ungefährliche Reise. Produktionsmitteilung

BIO-FILMOGRAPHIE
Nikolaus Geyrhalter
Geboren 1972 in Wien. Seit 1992 Arbeit als Fotograf und Filmemacher. 1994 Gründung der eigenen Filmproduktion.

Filme:
1992 EISENERZ
1994 ANGESCHWEMMT
1997 DAS JAHR NACH DAYTON

Aus einem Interview mit Nikolaus Geyrhalter:
Bogdan Grbic: War die Entscheidung, den Film schließlich zu drehen, auch von einer gewissen Unzufriedenheit mit der gängigen Medienberichterstattung beeinflußt?
N.G.: Ich will die Berichterstattung über den Krieg nicht generell kritisieren; wahrscheinlich kann man tagesaktuelle Nachrichten auch nicht viel anders gestalten. Es ist nur so, daß in den Nachrichten oder Zeitungsartikeln hauptsächlich Politiker oder Kommentatoren oder im besten Fall Vertreter irgendwelcher Gruppen zu Worte kamen, aber die sogenannten einfachen Leute, die am meisten unter diesem Krieg zu leiden hatten, maximal als ‘Schnittbilder’ oder als anonymes Bildmaterial verwendet wurden. Mir war es daher ein Anliegen, genau diese Menschen und nur diese Menschen zu porträtieren. Das war das Konzept des Films.
B.G.: Sie sind als Außenstehender nach Bosnien gereist - war es für Sie nicht schwierig, den Menschen nahe zu kommen?
N.G.: Das war natürlich insofern schwierig, als ich die Landessprache nicht beherrsche. Gottseidank habe ich in Sarajevo Dolmetscher gefunden, die sehr bald ein Gespür dafür entwickelten, worum es mir in den Gesprächen ging. andrerseits habe ich von meinem Team vor Ort gelernt, wieviel Zeit und Kaffee es braucht, eine Vertrauensbasis zu den Leuten vor der Kamera aufzubauen. Diese vielen Tage und Abende, an denen nicht gedreht wurde, waren für uns am Anfang ungewöhnlich - aber ich bin jetzt sehr froh, daß wir uns auf diese Arbeitsweise eingelassen haben. Weil die Gesprächsatmosphäre der Interviews wahrscheinlich genau deswegen so entspannt und vertrauensvoll war. Das ist, so hoffe ich, einer der Unterschiede zwischen meinem Film und vielen anderen Berichten zu diesem Thema. (...)
Am Anfang war mir wichtig, auf allen drei Seiten, das heißt in der serbischen Republik und in der bosnisch-kroatischen Föderation, zu drehen und nicht einen Film über nur eine dieser drei Volksgruppen zu machen, weil sich dieser neugeschaffene Staat eben aus diesen drei Gruppen zusammensetzt. Das heißt jetzt nicht, daß wir wirklich genau je ein Drittel auf je eine Gruppe verwenden wollten, sondern daß im Film ein gewisses Gleichgewicht herrschen sollte. Der Film ist jetzt nicht ganz ausgewogen in diesem mathematischen Sinn - und es liegt natürlich ein Schwerpunkt auf den Bosniern, was wohl insgesamt legitim ist. Was ich jedenfalls nicht wollte, war, mit dem Film eine Opfer-Täter-Diskussion zu führen, und wenn man sich den Film anschaut, dann sieht man, daß eigentlich alle nur verloren haben, unabhängig von ihrer Nationalität.
Aus: Katalog der Diagonale, Wien 1997.

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