Der Film widmet sich der Beobachtung des ersten Friedensjahres
in Bosnien anhand des Lebens einiger Personen sowohl in der bosnisch-kroatischen
Föderation als auch in der serbischen Republik. Es geht
in erster Linie um Menschenportraits vor dem Hintergrund eines
noch nicht wirklich durchgestandenen Krieges; es geht um ein
mögliches und in vielen Fällen auch nicht mehr mögliches
Miteinanderleben und um die kleinen und großen Veränderungen,
die im Jahr 1996 stattfinden. Der Film liefert keine politischen
Erklärungen über Ursache und Verlauf des Krieges, sondern
dokumentiert einen momentanen Zustand, der nicht selten an vergangene
Kriege erinnert. Wichtig sind Schicksale Einzelner, unabhängig
von ihrer Nationalität. In langen, unkommentierten Interviewpassagen
und Plansequenzen bleibt dem Zuschauer Zeit, den Menschen näherzukommen:
Rajko, der serbische Mechaniker, muß zum zweiten Mal mit
seiner Familie das Haus verlassen, in dem er lebt, diesmal allerdings,
weil das Gebiet, in das er während des Krieges geflohen
ist, nach dem „Dayton Agreement“ nun wieder an die moslemisch-kroatische
Föderation zurückgegeben wird; Nermin, der Schauspieler,
der im Krieg beide Beine verloren hat, wird vielleicht wieder
eine Rolle einstudieren; und Halid, der Schafhirte aus einem
kleinen Dorf nahe Novi Travnik im moslemischen Teil des Landes
möchte gerne seinen Freund im kroatischen West-Mostar wiedersehen
und geht auf die für ihn nicht ganz ungefährliche Reise.
Produktionsmitteilung
BIO-FILMOGRAPHIE Nikolaus Geyrhalter Geboren
1972 in Wien. Seit 1992 Arbeit als Fotograf und Filmemacher.
1994 Gründung der eigenen Filmproduktion.
Filme: 1992 EISENERZ 1994 ANGESCHWEMMT 1997 DAS
JAHR NACH DAYTON
Aus einem Interview mit Nikolaus Geyrhalter: Bogdan
Grbic: War die Entscheidung, den Film schließlich zu drehen,
auch von einer gewissen Unzufriedenheit mit der gängigen
Medienberichterstattung beeinflußt? N.G.: Ich will die
Berichterstattung über den Krieg nicht generell kritisieren;
wahrscheinlich kann man tagesaktuelle Nachrichten auch nicht
viel anders gestalten. Es ist nur so, daß in den Nachrichten
oder Zeitungsartikeln hauptsächlich Politiker oder Kommentatoren
oder im besten Fall Vertreter irgendwelcher Gruppen zu Worte
kamen, aber die sogenannten einfachen Leute, die am meisten unter
diesem Krieg zu leiden hatten, maximal als ‘Schnittbilder’ oder
als anonymes Bildmaterial verwendet wurden. Mir war es daher
ein Anliegen, genau diese Menschen und nur diese Menschen zu
porträtieren. Das war das Konzept des Films. B.G.: Sie
sind als Außenstehender nach Bosnien gereist - war es für
Sie nicht schwierig, den Menschen nahe zu kommen? N.G.: Das
war natürlich insofern schwierig, als ich die Landessprache
nicht beherrsche. Gottseidank habe ich in Sarajevo Dolmetscher
gefunden, die sehr bald ein Gespür dafür entwickelten,
worum es mir in den Gesprächen ging. andrerseits habe ich
von meinem Team vor Ort gelernt, wieviel Zeit und Kaffee es braucht,
eine Vertrauensbasis zu den Leuten vor der Kamera aufzubauen.
Diese vielen Tage und Abende, an denen nicht gedreht wurde, waren
für uns am Anfang ungewöhnlich - aber ich bin jetzt
sehr froh, daß wir uns auf diese Arbeitsweise eingelassen
haben. Weil die Gesprächsatmosphäre der Interviews
wahrscheinlich genau deswegen so entspannt und vertrauensvoll
war. Das ist, so hoffe ich, einer der Unterschiede zwischen meinem
Film und vielen anderen Berichten zu diesem Thema. (...) Am
Anfang war mir wichtig, auf allen drei Seiten, das heißt
in der serbischen Republik und in der bosnisch-kroatischen Föderation,
zu drehen und nicht einen Film über nur eine dieser drei
Volksgruppen zu machen, weil sich dieser neugeschaffene Staat
eben aus diesen drei Gruppen zusammensetzt. Das heißt jetzt
nicht, daß wir wirklich genau je ein Drittel auf je eine
Gruppe verwenden wollten, sondern daß im Film ein gewisses
Gleichgewicht herrschen sollte. Der Film ist jetzt nicht ganz
ausgewogen in diesem mathematischen Sinn - und es liegt natürlich
ein Schwerpunkt auf den Bosniern, was wohl insgesamt legitim
ist. Was ich jedenfalls nicht wollte, war, mit dem Film eine
Opfer-Täter-Diskussion zu führen, und wenn man sich
den Film anschaut, dann sieht man, daß eigentlich alle
nur verloren haben, unabhängig von ihrer Nationalität. Aus:
Katalog der Diagonale, Wien 1997.
|