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Eine Frau von heute: zwischen der Liebe und der Psychoanalyse,
zwischen ihrer Mutter und ihrem Sohn. Mit einer Videokamera filmt
sie beinahe ein Jahr lang. Sie filmt die Geburt der Liebe, die
Wahlen, die Depression, die Sonne, die durch das Fenster scheint,
die Ferien und und die Menschen in der Metro ... Dieses Verständnis
von Filmemachen als einer Art Therapie nach einer schrecklichen
Depression anzusehen, hat etwas zugleich bewundernswert Ambitioniertes
und Erschreckendes. Demain et encore demain ist weniger ein Tagebuch
als ein poetischer Essay, dessen Grundstoff eine in der ersten
Person erzählte persönliche Erfahrung ist, ohne daß
die Offenbarung dieser Erfahrung zum Selbstzweck würde.
Es ist aber nicht nur ein Film über den Problemfall Cabrera
(Bulimikerin, ungeschickte Mutter, Tochter mit schwieriger Beziehung
zu ihren Eltern), sondern auch ein sich entwickelndes Selbstporträt
der Regisseurin, eine spannende Reflexion über ihre künstlerischen
Fähigkeiten .... Wenn die Depression dem Gefühl gleicht,
taub und stumm zu werden und in sich selbst zu versinken, bringt
uns dieser oft leichtfüßige Film, der von einer wunderbaren
Großzügigkeit und einer großen Fähigkeit
zuzuhören zeugt, gute Neuigkeiten von seiner Autorin. Er
ist der Beweis einer wiederaufgenommenen Verbindung mit der Außenwelt
und dafür, was Film vermag.“ Jean-Marc Lalanne
BIO-FILMOGRAPHIE Dominique
Cabrera
Geboren 1957 in Relizan, Algerien. 1978 Abschluß
ihres Studiums mit einer Licence de Lettres. Ihr anschließendes
Filmstudium an der IDHEC beendete sie 1981. Im selben Jahr drehte
sie ihren ersten mittellangen Film. Außerdem hat sie zwei
Bücher herausgegeben: ‘La treuille’ (1988) und ‘Rester la-bàs’
(1992).
Filme: 1981 J’AI DROIT À LA PAROLE 1984 À TROIS
PAS, TRÉSOR CACHÉ 1985 L’AIR D’AIMER 1987 LA POLITIQUE
DU PIRE 1988 ICI LÀ-BAS 1992 RESTER LÀ-BAS 1992 CHRONIQUE
D’UNE BANLIEUE ORDINAIRE 1993 RÊVES DE VILLE 1993 RÉJANE
DE LA TOUR 1993 TRAVERSER LE JARDIN 1994 UNE POSTE À LA
COURNEUVE 1997 L’AUTRE CÔTÉ DE LA MER 1997 DEMAIN ET ENCORE
DEMAIN Aus einem Interview mit Dominique Cabrera: Frage:
Wie entstand die Idee, Ihr Tagebuch zu filmen? D.C.: Die Idee
kam mir mitten in einer Depression; es war wie eine Inspiration,
so wie wenn man ein Gedicht schreibt. Ich hatte die Vision eines
Films, den ich über einen Zeitraum von einem Jahr drehen
würde, den Bewegungen des Lebensfolgend. Einen Film über
einen längeren Zeitraum zu drehen, bedeutet die Möglichkeit
zu haben, noch andere Geschichten zu erzählen. In meinen
früheren Dokumentarfilmen gab es immer einen Moment, wo
ich aufhören mußte zu drehen, und zwar immer dann,
wenn es um Intimität ging oder um die Liebe. Ich schaltete
aus Taktgefühl vor den Hauptpersonen die Kamera ab. In diesem
Fall hatte ich das Gefühl, daß ich, wenn ich einen
Film über mein eigenes Leben machen würde, freier wäre,
weiter gehen könnte, fast wie in einem Spielfilm. Frage:
Waren Ihre ‘Schauspieler’ sofort mit ihrer Mitwirkung einverstanden? D.C.:
Die Mitglieder meiner Familie haben nach und nach ihr Einverständnis
gegeben. Ich habe sie nicht zusammengerufen, um mit ihnen zu
verhandeln. Ich hatte fast immer die Kamera in der Hand und irgendwann
haben wir sie einfach vergessen. „Manchmal hat es ziemlich genervt,
aber das war ein gewisser Fortschritt, die Neurose war sichtbar“,
hat Jean-Pierre einmal lachend gesagt, als wir darüber gesprochen
haben. Ich habe die Kamera bald auch meinem Sohn Victor gegeben.
Es war eine Art Spiel zwischen uns. Ich glaube, er interessierte
sich für das, was ich machte. Ich habe den Eindruck, daß
mein Sohn und Didier, der Mann, in den ich mich in jenem Jahr
verliebt habe, mit mir zusammen an diesem Film gearbeitet haben.
Wir haben diese eigentlich eher einsame Arbeit gemeinsam gemacht,
wie ein Geschenk, das wir uns selbst gemacht haben. Als der Film
fertig war, habe ich Victor, Didier und Jean-Pierre Sicard, den
Vater von Victor, gebeten, sich anzusehen, was ich mit ihnen
gemacht hatte. Victor wollte, daß ich eine Einstellung
‘rausschneide’. Das war alles. Frage: Haben Sie sich niemals
gefragt, ob sie taktlos sein könnten? D.C.: Nein, ich
habe mich gefragt, wie ich das machen könnte, ob es richtig
ist - das war alles. Ich befand mich in einer derartigen Depression,
daß das Risiko, mich zur Schau zu stellen, in den Hintergrund
trat. Ich fühlte mich ein bißchen wie jemand, der
einen Brief schreibt und weiß, daß er sterben muß.
Wenn man die Briefe eines Verstorbenen liest, hat man nicht das
Gefühl, indiskret zu sein, ganz das Gegenteil ist der Fall,
wenn die Person noch lebt. Wirklich wichtig war, eine Form zu
finden, die Depression und den Überfluß des Lebens
einzufangen, ihre Spuren zu fixieren. Aus: Internationales
Forum des Jungen Films, 1998/10
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