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22.04.1999
 
 
   
 

"Ich will nicht manipulieren"
Steven Zaillian über A CIVIL ACTION

 
Steven Zaillian
     
 
 
 
 

Steven Zaillian ist vor allem durch seine Drehbnücher bekanntgeworden. Der Autor von SCHINDLERS LIST und AMISTAD schrieb auch das Drehbuch zu TWISTER und war an Brian De Palmas MISSION IMPOSSIBLE beteiligt. A CIVIL ACTION, dessen Drehbuch auf einer wahren Geschichte beruht, ist nach SEARCHING FOR BOBBY FISCHER (1993) Zaillians zweite Regiearbeit. Das Interview führte Rüdiger Suchsland

Artechock: In Ihren Filmen und Drehbüchern geht es sehr oft um Geschichten, die einen realen Hintergrund haben. Wie kommt das? Sind Sie ein "Realitätsexperte"?

Zaillian: Oh, das entsteht zufällig. Ich habe es sicher nicht angestrebt. Es ist mehr so: Man hat eine Sache gut gemacht, und dann macht man noch etwas in der Art, und beim dritten Mal muß man dann langsam anfangen aufzupassen. Ich denke sehr bewußt darüber nach, beim nächsten Mal in jedem Fall etwas ganz fiktionales zu machen. Für Schauspieler ist das Problem des auf-etwas-fixiert-seins noch viel schlimmer.

>>Was mögen Sie denn an "wahren Geschichten"?

Sicher nicht, das sie wahr sind. Das macht den Film ja kein bißchen besser.

>>Und was macht eine Story zu einer guten? Vielleicht das sie offen ist? Es scheint mir, daß viele Ihrer Geschichten bewußt offen gehalten sind: A CIVIL ACTION nicht weniger als MISSION IMPOSSIBLE.

Was meinen Sie genau mit "offen"?

>>Nun, ich habe den Eindruck, daß Sie in Ihrem neuen Film ganz bewußt dafür sorgen, das man nicht weiß, was wirklich passiert. Man weiß, wer der "good guy" ist, klar, aber man weiß nie ob er am Ende gewinnt oder verliert. Und so ist es dann auch: In gewisser Weise verliert er, in gewisser Weise steht er als Sieger da.

Ja, diese Art Storys mag ich. Und gerade hier haben wir einen Typ, der scheinbar alles verloren hat, aber tatsächlich gewinnt. Als Mensch. Das war für mich sicher als ich anfing der allerwichtigste Bestandteil der Story. Alles andere war austauschbar: Es hätte über einen anderen Fall sein können, der Held hätte einen anderen Beruf haben können.

>>Wirklich?

Ja ! Aber ich denke, daß die Grundidee entscheidend ist - daß ein Mann sich zuerst durch das definiert, was er hat, was er besitzt, anzieht, darstellt, und am Ende nichts mehr von alldem hat, aber allen ins Gesicht sagt: Es war es wert.

>>Ich hatte an den Preminger-Film ANATOMY OF A MURDER gedacht. Dort wird in ähnlicher Weise jene Gerechtigkeit in Frage gestellt, die vor Gericht entsteht.

Oh wirklich? Ich habe den Film nie gesehen. Ich habe davon natürlich gehört. Aber ich habe viele Court-Room-Dramas nicht gesehen - der einzige, an den ich mich erinern kann, ist THE VERDICT. Aber RAINMAKER habe ich nicht gesehen, und die anderen Grisham-Filme auch nicht.

>>Es hat Sie also nicht interessiert, einen Court-Room-Movie zu drehen?

Nein, überhaupt nicht. Ich meine: Ein paar Details schon. Wie man einen Fall angeht. Was Anwälte wirklich tun, im Vergleich zu dem, was sie zu tun vorgeben. Ich mag die Tatsache, daß das, was wirklich zählt, das ist, was außerhalb der Verhandlung passiert: Die Zeugengespräche, die Untersuchungen.
Das Gericht ist nur wie die Bühne, auf der man seinen Auftritt hat. Es geht nicht darum, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen. Man präsentiert nur seine Version der Wahrheit, und hofft, daß sie für andere zwingend ist.

>>Vielleicht liegt es daran, daß sie nicht viele Court-Room-Dramas gesehen haben, daß sich bei Ihnen so viel außerhalb des Gerichts ereignet. Wie haben Sie die Buchvorlage zu Ihrem Film bearbeitet? Haben Sie sie gekürzt und einen Großteil der Gerichtsszenen weggelassen oder ...

Ja, der Prozeß nimmt schätzungsweise ein Drittel des Buches in Anspruch. Aber daß ich das wegließ, lag daran, daß ich immer am Abend dachte: Eigentlich ist überhaupt nichts passiert. Man liest das, und glaubt: Mann, da geht eine ganze Menge ab. Und dann überlegt man, blickt zurück und realisiert: Nichts ist passiert, was man nicht schon vorher wußte.
Und als ich das merkte, dachte ich: Wenn ich den Schwerpunkt auf den Prozeß lege, wird es ganz schön langweilig. Abgesehen davon, wenn die Anwälte ihren großen Auftritt vor der Jury haben. Das ist natürlich interessant.
Das meiste habe ich allerdings herausgeschnitten, nachdem wir gedreht haben.

>>Glauben sie eigentlich daran, daß vor Gericht so etwas wie Wahrheit gefunden wird?

Es ist schwer, daran zu glauben, sehr schwer. Wir Amerikaner haben ein ziemlich klares Bild davon bekommen, wie es zugeht, als der O.J.Simpson-Prozeß stattfand. Fragen Sie irgendwenn auf der Straße, ob er es getan hat - jeder wird sagen: Klar hat er's gemacht. Aber die Jury hat gesagt: Nein. Wir wissen zwar alle, daß die Jury eigentlich nicht sagen wollte: Er war's oder er war's nicht, sondern: Es gibt noch wichtigeres als diese Frage. Ich glaube nicht daß irgendjemand ernsthaft meint, O.J. wäre unschuldig.

>>Glauben Sie in das US-Justizsystem?

Nicht, wenn es so läuft. Manchmal funktioniert's, manchmal nicht. Ich hätte aber jedenfalls ziemlich viel Angst, meine Zukunft in die Hände von 12 Leuten zu legen, die ich nicht kenne. In einem System, in dem technische Fragen ein enorm große Rolle spielen - Ich weiß nicht. Schwer zu sagen. Ich glaube, daß ich die Grundidee richtig finde. Aber wir haben zu oft erlebt, daß es falsch läuft. Aber ich kenne keine Alternative. Ich weiß nicht, ob es ein besseres System gibt.

>>Mögen Sie Anwälte?

Als Gruppe? Ich mag bestimmte Anwälte. Und ich kann auch nicht sagen, daß ich etwas gegen sie habe, als Klasse. Aber ich kann mir nicht vorstellen, selber einer zu sein. Dieses ganze Ding: jemanden verteidigen, von dem man weiß, daß er schuldig ist, das kann ich mir nicht vorstellen.

>>Als Regisseur sind Sie ja auch so eine Art Anwalt. Sie verteidigen Ihre Helden, Sie klagen an, plädieren, erzählen Ihre Version dessen, was Wahrheit ist...

Ja. Das stimmt. Ich weiß allerdings nicht, ob meine Helden Verbrechen begangen haben. Aber wenn wir von Anwälten reden: Die haben normalerweise schon irgendwelche moralischen Dinge auf dem Kerbholz: eben jemanden zu verteidigen, um dessen Schuld man weiß. Die wirklich schwere Verbrechen begangen haben.
Aber in gewissem Sinn haben Sie recht - ich habe daran noch nie gedacht.

>>Hier haben Sie also Ihren Helden Schlichtmann/Travolta verteidigt. So wie in SCHINDLERS LIST den Schindler.

Ja - ich mag die Vorstellung, daß sie verteidige, aber ich denke, daß ich es auf faire Art tue. Ich versuche keine Spielchen zu spielen, nicht zu manipulieren, nicht zu viele Tricks zu benutzen, wie sie einem Drehbuchautor zur Verfügung stehen. Ich versuche, beide Seiten zu zeigen, die gute und die schlechte, und die Leute zu akzeptieren für das, was sie sind. Es liegt oft nicht an Ihrer Stärke, daß sie zu Helden werden, es ist mehr eine Art Schwäche, irgendetwas das über sie kommt.
Und manchmal wissen sie es gar nicht, bis sie merken was sie getan haben. Dann blicken sie zurück und denken: Ja stimmt, das habe ich gemacht. Einmal habe ich etwas Gutes gemacht. Ich glaube in dem Moment an dem man es tut, weiß man gar nicht, ob etwas gut oder schlecht ist.

>>Das heißt: Man sollte schwach genug sein, das Gute zu tun?

Ja - Nein. Was ich sagen will: Niemand ist ganz und gar gut oder schlecht. Man trägt beides in sich. Hoffentlich hat man am Ende seines Lebens mehr Gutes als Schlechtes gemacht. Ich glaube nicht, daß Jan Schlichtmann nachts aufgewacht ist und ernsthaft darüber nachgedacht hat, was er machen soll. Anscheinend hat er aber das Richtige gemacht.
Das Richtige in diesem Fall war, sich faktisch selbst zu opfern.

>>Und er hat eine Menge Druck ausgehalten.

Enormen Druck. Auch auf seinen Partnern und Klienten. Das war keine leichte Sache. Es ist keine leichte Sache, alles aufzugeben, jeden Dollar.

>>Der echte Jan Schlichtmann muß ein ziemlich charismatischer Mensch sein. Haben Sie ihn getroffen?

Ja, direkt als das Script fertig war. Schlichtmann war der Leader in der Kanzlei. Darum sind sie ihm gefolgt. Was macht man mit seinen Leadern? Folgt man Ihnen auch auf dem Abstieg. Gibt man sie auf halbem Weg auf? Das war die Frage, die die sich stellen mußten. Schließlich entschieden sie sich, ihm ganz nach unten zu folgen. Vielleicht hatten sie tief im Innersten keine Wahl.
Heute ist der echte Jan Schlichtmann etwas anders. Er lebt ein eher einfaches Leben. Er glaubt nicht, daß er all das wirklich braucht, was er früher gebraucht hat.
Aber seine Persönlichkeit ist die gleiche: Er ist immer noch der Showman, er geht gern in Bars, mit Freunden, er redet immer noch am Lautesten. Er kauft sich zwar keine sauteuren Anzüge mehr, aber er kümmert sich immer noch darum, wie er aussieht, wie er wirkt. Er hört sich gern reden, und er hat viel zu sagen.
Aber wie er sein Leben führt, das ist anders. Er muß nicht mehr Partner in einer Kanzlei sein. Er hat's nicht mehr nötig, zu beweisen, daß er besser ist als diese Harvard-Jungs. Er sieht sich als Mittler. Er will die Parteien zusammenbringen.
Ich glaube nicht, daß ER noch dem Justiz-System vertraut. Er will nicht mehr spielen, nicht alles auf eine Karte setzen. Er sieht das als undurchschaubare Sache an und will lieber am runden Tisch sitzen und diskutieren.

>>Sie sind ein hochbezahlter Drehbuchautor. Würden Sie je einen Film drehen, zu dem sie nicht selbst das Script geschrieben haben?

Ich glaube, das könnte ich gar nicht. Es gab solche Angebote, ich habe sie abgelehnt. Wenn ich ein Script schreibe, dann lebe ich damit. Ich kenne es, ich habe es vor mir gesehen; auf gewisse Art habe ich den Film gemacht. Wenn ich ihn dann wirklich drehe, ändere ich vielleicht etwas. Aber in jedem Fall habe ich das Gefühl, ich hätte die Hauptarbeit gemacht. Wenn mich dann jemand fragt - wie etwas aussieht, wie etwas sein muß - weiß ich worum es geht.
Wenn ich's nicht selbst geschrieben hätte, wüßte ich es nicht. Ich überlege dann dauernd, was sich der Autor wohl gedacht haben mag.

>>In diesem Film hatten Sie drei Jobs: Producer, Regisseur, Autor. Wie funktioniert das?

Regisseur zu sein bedeutet für mich vor allem, den Film tatsächlich so gut zu machen, wie ich es mir beim Schreiben vorgestellt habe. Da zu jagen, was im Kopf schon existiert.
Und Produktion - das war nichts. Ich habe mich da draufschreiben lassen, damit ich mitreden kann. Ich wollte einfach dabeisein und mitreden können, wenn Fragen der Produktion eine Rolle spielen.

>>Was ist für Sie das Schönste am Regieführen?

Es gibt schlechte wie gute Seiten. Das Schönste am Regieführen ist das: Man kann sich alle seine Lieblingsschauspieler zusammensuchen.

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