NICHTS ALS DIE WAHRHEIT
ist der umstrittene neue Film von Roland Suso Richter (DIE
BUBI SCHOLZ STORY). Rüdiger Suchsland sprach
mit dem Regisseur über die fiktive Aufbereitung von deutscher
Geschichte.
Artechock: Worum geht es in "Nichts als
die Wahrheit"? Was ist das Thema?
Richter: Es geht um einen fiktiven
Mengele-Prozeß. Um die Rückkehr des alten Mengele aus Argentinien
und einen jungen Anwalt, gespielt von Kai Wiesinger, der sich schon
länger mit Mengele beschäftigt hat, und dann dessen Verteidigung
übernimmt. Aus dessen Sicht erleben wir den Prozeß, und seine
emotionale Zerrissenheit: Darf man so jemanden verteidigen? Er tut
es, und genau daraus zieht dieser Film seine Fallhöhe und
Spannung.
Wer steht für Sie im Mittelpunkt?
Für mich der Anwalt. Aber man kann es nicht leugnen: Es wird
immer "Der Mengele-Film" sein. Doch das Interessante ist für mich
nicht der Prozeß, denn hier ist das Urteil klar, sondern die Figur
Peter Rohm, die sich damit auseinandersetzen muß, ob man so
jemanden verteidigen kann.
 Steht der Film für eine junge
Generation?
Ja, mehr noch für meine Generation, für die der Krieg schon
Geschichte geworden ist, die Karriere machen und Erfolg haben will,
ihren Beruf ernst nimmt, aber die auch sensibel ist, und emotional
umkippen kann. Rohm wird hin- und hergeschleudert zwischen dem, was
er von den Eltern noch über diese Zeit weiß, was er als Deutscher
auch an Verantwortung für dieses Thema in sich trägt, und diesem
jungen modernen Ansatz: Ich habe meinen Job, und der ist, jemanden
zu verteidigen. Warum nicht auch er? Durch dieses
Spannungsverhältnis funktioniert der ganze Film.
 Was hat Sie an einer so ekelhaften Figur
wie Mengele interessiert? Kann man so jemanden, der nicht nur
Repräsentant des Nationalsozialismus als Ganzem ist, sondern
explizit seine schlimmsten Seiten verkörpert, überhaupt als
Einzelperson darstellen, vermenschlichen?
Da sind mehrere Momente für mich interessant. Auf der einen
Seite die Frage: Wie ist jemand so geworden? Das kann man in so
einem Film natürlich nur in Ansätzen erklären.
Auf der anderen Seite auch: Diese Figur als Repräsentant einer
alten Generation, die sich diese Zeit so hingebogen hat, daß
das für sie alles seine Richtigkeit hat, und gleichzeitig
so stur ist, daß sie davon keinen Zentimeter abweichen. Was
wir sicher auch richtig dargestellt haben, war, daß es Mengele
sein Leben lang geplagt hat, daß er in Deutschland nicht die
Anerkennung gefunden hat, die er doch gerne gehabt hätte,
daß er die Hoffnung gehegt hat, daß er zurück kann, und die
Anerkennung bekommt. Und interessant war auch, diesen Mythos
zu brechen. Letztendlich steckt da ein Mensch dahinter. Wie
verhält man sich, wenn so einer vor einem steht? Wie gehe
ich mit ihm um, was erfahre ich über ihn. Mich hat interessiert,
ob es da private Momente gibt, Momente, wo der Zuschauer verführt
wird, und sagt: Ja, da hat er ja vielleicht in diesem Punkt
auch recht. Mir ging es nie darum, Mengele in irgendeiner
Form zu entschuldigen und freizusprechen. Trotzdem gibt es
Momente, wo ich auch verstehen kann, wie es damals in so einer
Zeit dazu kommen konnte, daß so jemand wie Mengele –warum
er so grausame Dinge getan hat, das verstehe ich bis heute
nicht- in so eine Maschinerie hineinkam.
 Die Angriffe wird es ja sicher geben, daß
Sie ihn entschuldigen...
Natürlich. Aber da kann ich gelassen sein. Emotional weiß ich, wo
mein Herz steht, da gibt es überhaupt keine Frage... Aber
wenn man es falsch interpretieren will, kann man es falsch
interpretieren, das ist immer so, wenn einer nur in eine Richtung
guckt. Aber ich weiß, was ich davon halte und wie ich dazu
stehe, daher habe ich keine Angst. Wenn es natürlich mit zu
großer Wucht zurückkommt, dann muß ich sagen Uoops, dann habe
ich das vielleicht unterschätzt.
 Die Frage ist ja, ob man überhaupt "den
Mensch" von seinen Taten und in diesem Fall von dem schwarzen
Mythos lösen kann, von der Tatsache, dass die NS-Zeit rückblickend
als das absolut Böse erscheint? Anders gefragt: könnte man Adolf
Hitler auch als Mensch zeigen?
ch als Filmemacher denke: ja, natürlich kann man das, man
kann das machen. Es ist die Frage, ob ich so weit gehen darf,
aber ich interessiere mich schon dafür, ich interessiere mich
schon als Regisseur genau für diese Momente: was ist hinter
dem Abgrund? Ist da ein Mensch? Was denkt dieser Mensch. Ich
habe jetzt Tagebücher von Mengele gelesen, das ist schon der
Hammer, was der in Argentinien sich da zurechtgeschrieben
hat. Es war auch für mich sehr interessant zu sehen, daß das
auch ein sehr intelligenter Mensch ist, ein gebildeter Mensch
ist, ein musikalisch gebildeter, literarisch gebildeter Mensch
ist. Das finde ich schon sehr interessant, wie so jemand so
werden kann, wie er das vor sich verantworten kann; dieser
Mikrokosmos. Das andere ist der Makrokosmos, das Grauenvolle.
 War es für sie schwierig, den Film zu
finanzieren?
Es war natürlich sehr sehr schwierig. Weil es natürlich kein
Film ist, der einen netten Abend verspricht. All diese Momente
können wir nicht liefern. Und er ist natürlich politisch für
einige sehr sehr umstritten. Weil sie auch nicht wissen, was
wir erzählen, was gebau dahinter steckt. Der Mut fehlte doch
bei einigen Institutionen. Gerade beim Fernsehen entstand
eine sehr große Diskussion darüber. Im letzten Moment gab
es dann immer Rückzieher.
 Und wer hat sie dann gefördert?
Letztendlich haben uns die Bayern (der FernsehFilmFonds)
gefördert – sonst niemand. Aber auch das ist ein relativ kleiner
Betrag. Das Hauptrisiko trägt die Produktionsfirma Helkon.
 Wie kommt es, daß die Bayern das gefördert
haben?
Die Bayern überraschen mich ja doch immer wieder. Vielleicht
haben die genau wie Götz George einfach ein größeres
Selbstbewußtsein.
 Mengeles Anwalt im Film fordert
"Gerechtigkeit für Mengele". Was heißt "Gerechtigkeit für Mengele"
für Sie?
Das ist das Recht auf Verteidigung. Das kann man niemandem
absprechen. Der kleine Korridor zwischen der Übermacht an
Grauen und Schuld, die dieser Mann auf sich geladen hat. Aber
dieser kleine Korridor ist vielleicht interessant zu betrachten.
Das Ziel des Films ist ja nicht in irgendeiner Form Mengele
zu rehabilitieren. Das Ziel ist, eine Diskussion über viele
Themen –Euthanasie, und all diese Geschichten – anzustoßen.
Oder das die Leute sich so über bestimmte Punkte ärgern, dass
sie permanent weiterdiskutieren. Es gibt viel junge, die Mengele
gar nicht mehr kennen. Es geht darum, auch dieser Generation
von Kinogängern von der Figur zu erzählen. Es ist ein sehr
emotionaler Film, kein Film, der die Taten, die wir alle kennen
noch einmal reflektiiert.
 In welcher Tradition steht der Film?
Gott sei dank in keiner.

Sie haben gesagt, "Nichts als die Wahrheit" sei der Film
"einer neuen Generation". Was meinen Sie damit?
Es ist die Frage ob jetzt nicht ein Generationswechsel
stattfindet und der Punkt kommen kann, daß wir auch einmal mit so
einer Leichtigkeit mit diesen themen lernen umgehen zu können. Ich
denke, man muss auch ein bißchen freier damit werden. Es darf
natürlich nicht falsch interpretiert werden. Aber es wird sicher
welche geben. Man kann es nicht allen recht machen. Man wird es bei
so einem Film nie allen recht machen. Es gab auch Leute, die ganz
vehement sagten: Man darf so etwas nicht machen. Das waren Leute,
die sich mit diesem Thema viel beschäftigt haben, für die Auschwitz
ein Teil ihres Lebens geworden ist. Die empfinden den Film als zu
leicht und frech.
 Waren auch Junge unter den Kritikern?
Ja, es waren gar nicht 'mal die ältere Generation. Die haben
interessanterweise viel gelassener auf dieses Thema reagiert.
|