LONG HELLO AND SHORT GOODBYE, der neue Film von Rainer Kaufmann erzeugte beim diesjährigen
Münchner Filmfest die typischen Reaktionen auf den deutschen Film
der Gegenwart: die Kritiker schüttelten die Köpfe, doch der
Kinosaal war proppevoll. Rüdiger Suchsland sprach mit dem Regisseur.
Artechock: Ihre früheren Filme wurden oft als "zu
fernsehhaft" kritisiert. Manchen fehlten da die Bilder des "Grand
Cinema". Ist "Long Hello & Short Goodbye" jetzt die Reaktion
auf derartige Kritik?
Kaufmann: Zum einen ist "fernsehhaft" ja ein Vorwurf,
mit dem man etwas zu leichtfertig umgeht. Ich finde, daß DIE
APOTHEKERIN ein absolut waschechter Kinofilm ist, den
ich auch nur so machen konnte, weil ich ihn als Kinofilm geplant
habe. Da gehört eine Präzision dazu, eine gewisse Vorbereitungszeit
dazu, und auch ein finanzieller Rahmen - das hat man nicht
im Fernsehfilm. Dies ist das eine.
Das andere: "Long Hello & Short Goodbye" ist
ein Vorstoß in eine richtig reine Kinowelt. Dieser hat etwas damit
zu tun, daß ich mich jetzt auch für fähig hielt, das auszukosten,
auszuschöpfen, und ein Bild vom Photographischen her so zu
gestalten, daß man denkt, es könnte auch weiter sein. Daß es
wirklich voll ist. Das betrifft auch die Zusammenarbeit mit den
wichtigen Leuten, den Szenenbildnern und dem Kameramann. Ich
glaube schon, daß es jetzt ein richtiger Kinofilm geworden ist, der
auch seine Lebendigkeit und seine Kraft entfaltet im Kino. Aber es
ist keine Gegenreaktion. Es ist eher geboren auch der Idee des
Drehbuchs, und der Tatsache, daß man dieses Drehbuch nur in einer
sehr stilisierten, stark gestalteten Form realisieren konnte.
Die Reaktion der Kritiker auf Ihren neuen Film war
im Vorfeld sehr ambivalent. Es gab harsche Verrisse. Wie gehen Sie
mit solcher Kritik um?
Ich bin gegen Kritik überhaupt nicht gewappnet.
Dafür ist es mir viel zu wichtig, daß der Film ein Publikum hat.
Und Kritiker sind natürlich auch ein Publikum. Das sind die, deren
Profession das Kino ist, und von denen man auch annimmt, daß sie
eine gewisse Achtung haben und ein Begriff davon, was es bedeutet,
was einer macht. Wenn dann polemische Kritik kommt, dann verletzt
mich das, und ich bin beleidigt. Aber natürlich ist mein neuer Film
angreifbar. Der will nicht verdeckt, still und leise auf den Markt
gehen. Sondern er ist laut, und will auch laut beworben werden. Der
Film ist wie Pop-Musik, und will dementsprechend auch populär sein.
Trotzdem ist er mit einer großen Differenziertheit gemacht. Und ich
verlange auch von den Leuten, die sich damit befassen, daß sie
diese Differenziertheit wahrnehmen. Ich finde, man sollte, wenn man
über Filme nachdenkt und schreibt und sie beurteilt, sollte man
auch als Kritiker sich überlegen, daß ein Film immer
zusammengesetzt ist aus verschiedenen Bereichen und vielen
verschiedenen Arbeitsschritten. Daß er immer eine Komposition ist.
Man sollte eine Begrifflichkeit schaffen über die einzelnen,
unterschiedlichen Sachen, die darin vorkommen. Das Publikum ist da
schon sehr viel weiter, als manche Kritiker denken. So wie
Biolek über das Kochen eine Sendung macht, und dort alles relativ
differenziert darstellt, so differenziert könnte man auch über
Filme schreiben. Es gibt junge Leute, die sich dafür interessieren,
die den Deutschen Film lieben.
Bei mir gab es in Ihrem neuen Film eine
Irritation, weil ich mit Ähnlichem gerechnet habe, wie in Ihren
bisherigen Filmen. Die waren eher storylastig, haben sehr
differenzierte, ausgefeilte Dialoge. "Long Hello & Short
Goodbye" ist ganz anders, weil er völlig auf Bilder setzt, und
seine Geschichte auch ganz in Bildern erzählt. Warum haben Sie das
diesmal so gemacht? Oder kommt es Ihnen selbst gar nicht so vor,
daß Sie völlig neue Wege gegangen sind?
Nein, aus meiner Sicht gibt es da eine klare Linie.
Es gibt ja manche, die behaupten, ich würde alles machen, und hätte
keinen Stil. Und ich bin der letzte, der sagt: Ich habe den und den
Stil. Damit würde ich nur verarmen. Aber es gibt bestimmte Themen,
die mich interessieren. Und die verbinden einen frühen Film wie
"Einer meiner ältesten Freunde" mit dem neuesten: Lüge, Betrug,
Freundschaft und die Furcht davor, die Wahrheit zu erkennen. "Long
Hello" ist eine Geschichte, die sehr stilisiert ist: Es geht um
Gangster, Undercover-Agenten, Kommissare. Das sind Figuren, die man
aus der "Schwarzen Serie" kennt, aus dem französischen Polizeifilm
von Melville oder Godard. Und dann von David Lynch oder Tarantino.
Also Figuren, die sich als Ikonen weiterentwickelt haben. Mit denen
ich so umgehen, wie zuvor andere Regisseure. Und die in Ihrer
Stilisierung eine sehr viel stärkere Bilderwelt brauchen. Darauf
habe ich mich voll und ganz eingelassen. Ich wollte einen Film
machen, der so ist, wie eine Achterbahnfahrt. Als würde man sich in
eine Rakete setzen, um den Mond fliegen und wieder zurückkommen.
Und wenn man aus dem Kino kommt, dann braucht man erst einmal eine
halbe Stunde Besinnungszeit. Ich wollte daß der Film sehr suggestiv
ist.
Und doch hat er sehr anspruchsvolle Momente:
Verschiedene Erzählebenen, Figuren, die sich selber kommentieren.
Das könnte das Mainstream-Publikum überfordern.
Der Film soll schon fordern. Aber in erster Linie
ist es wie Pop-Musik. In der Art, wie der Film gebaut ist, und mit
alten und neuen Formen umgeht, das erinnert mich sehr stark an
Musik von Portishead oder Björk - anspruchsvoll, aber populär. So
will ich den Film auch rezipiert wissen. Ich hoffe, daß es unter
den jungen Leuten auch welche gibt, die das genießen können. Je
häufiger man den Film ansieht, um so schöner wird er.
Warum haben deutsche Filme neuerdings so oft
englische Titel - Ihrer auch?
Der Titel meines Films ist eine ganz starke
Anlehnung an den Chandler-Roman "The Long Goodbye", und ist damit
eine Hommage an alle "Schwarze Serie" - Filme. Trotzdem ist
die Entstehung dieses Filmtitels ein Zufall. Das amerikanische
Drehbuch hatte diesen Titel. Wir haben dann deutsche
Alternativtitel gesucht - ich fand sie alle entsetzlich. Und in
Tests stellte sich heraus: Das Publikum versteht was wir wollen.
Darum habe ich meine persönliche Scham einfach vergessen. Obwohl
mir ein Titel wie "Die Apothekerin" viel leichter runtergeht.
Wo geht der deutsche Film hin? Es gab da diese
Phase der Beziehungskomödien, die ist jetzt vorbei. Dann wollten
alle Krimis drehen. Jetzt bei Ihnen ist es zwar auch ein Thriller,
aber doch wieder etwas anderes...
In Deutschland ist es ja so, daß jeder Kinofilm
einerseits ein Prototyp für etwas Neues sein muß, andererseits muß
er dann schon das 24-Stunden-Rennen von Le Mans mitfahren - und
gewinnen. Ich wäre ja absolut glücklich, wenn es tatsächlich so
etwas gäbe, wie eine Gesellschaftskomödie. Denn erstens können in
diesem Genre viele aktuelle Themen behandelt werden. Zweitens: Es
gibt ein Vertrauen beim Publikum. Ansonsten aber gibt es hier
immer mal wieder irgendwas, und dann wieder nichts. Aber kein
Genre. Deswegen ist die Frage: "Wo fühle ich mich zugehörig"
schwer zu beantworten, denn ich habe die Filme immer nur so
gemacht, wie ich dachte, daß sie gemacht werden. "Die Apothekerin"
steht immer noch ganz für sich alleine. Es gibt nichts, das auch
nur annähernd so ist, wie dieser Film. Und trotzdem ist er mit 1,5
Millionen sehr erfolgreich gewesen.
Sie haben diesen Trend ausgelöst, Ingrid Noll zu
verfilmen. Jetzt kommt bald "Die Häupter meiner Lieben" ins Kino,
und Hermine Huntgeburth hat "Der Hahn ist tot" verfilmt...
Der ist toll. Super, ganz klasse. Ganz einfach und
gut gespielt.
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Wieder ein Kinofilm: "Kalt ist der Abendhauch".
Das ist eine Liebesgeschichte, die in den 30er, 40er Jahren spielt
und dann wieder in den 90er Jahren.
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