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02.10.2008
 
 
     

Eine Frau mit Erfahrungen

 

 


 
Thank you for smoking...
 
 
 
 
 

Der kleine Soldat: Eine Huldigung an Catherine Deneuve, heute unglaubliche 65

Soll ich vielleicht ein Gedicht aufsagen?" - Catherine Deneuve ist, anders kann man das gar nicht ausdrücken, einfach ziemlich cool. Man muss sie dafür noch nicht einmal in ihren neuesten Filmen betrachten, es genügt einfach, ihr einmal zugesehen zu haben, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegt, zum Beispiel - in diesem Jahr bei der Vorstellung eines neuen Films in Cannes, oder 2006 als Juryvorsitzende in Venedig, oder 1998, als sie bei der Berlinale mit einem "Ehrenbär" ausgezeichnet wurde - bei einer Pressekonferenz, wo sie vor Beginn die wartende Presseriege mit derartigen Bemerkungen amüsiert. Und man weiß: Die Deneuve hat Stil, Eleganz und vor allem eine wunderbare Lässigkeit. Es ist die souveräne Lässigkeit eines Kino-Routiniers, der schon ganz andere Dinge überstanden hat, der unangefochtenen Grand Dame des französischen Kinos, die weiß, was sie will und auch, dass sie mit jeder Situation im Zweifel besser umgehen kann als ihre Umgebung. Hätte sie diese Fähigkeit nicht, wäre sie nicht in diesem Geschäft, und man muss da gar nicht die französischen Kultur-Talkshows gesehen haben, in denen sie ebenso lässig und souverän über Bücher und Geschichte und zur Not sogar über ihr Facelifting parlieren kann, es genügt hinzugucken, ihren Blicken zu folgen und dem gelegentlichen Zucken der Mundwinkel, den Gesten, mit denen sie die ständig glühende Zigarette hält, in jedes entfernt verfügbare Gefäß hineinascht, ihre Augen zu betrachten, die schon alles gesehen haben, die alles zu wissen scheinen – man kann der Deneuve noch immer rettungslos verfallen.

Zum Rauchen noch eine Anmerkung, die auch für ihre Souveränität und ihren Willen spricht, und die Deneuve sympathisch macht: Wenn die Deneuve irgendwohin reist, auf ein Filmfestival zum Beispiel oder eben in diesem Jahr zur "Cinema for Peace"-Gala in Berlin, dann lässt sie sich in Vertrag hineinschreiben, "wann immer und wo immer" rauchen zu dürfen. Völlig egal, ob da ein Rauchverbot herrscht. Sonst kommt sie nicht. Denn Puritaner sind ihr ein Gräuel, und rauchen will sie.

Kalt sei sie, heißt es immer wieder in Texten, die über sie geschrieben wurden. Es ist das Klischee von der "kühlen Blonden", für das Catherine Deneuve hier vereinnahmt wird. Aber die Deneuve ist, man kann das an den Augenbrauen erkennen, von Natur aus dunkler, als sie sich gibt. Eine Blondine nur in bewußter Wahl. Hinter der Fassade, findet man auch Verletzliches, hinter dem Marmor die dunklen Seiten einer gequälten Seele. Da ist die Geschichte von ihrer maßlos bewunderten älteren Schwester Françoise Dorléac, die auch ein Filmstar war, nicht minder, wie Catherine, und mit der sie in Jacques Demys LES DEMOISELLES DE ROCHEFORT singt und tanzt. Kurz darauf verunglückte sie bei einem Autounfall tödlich - und manche sagen, Catherine, die ein Jahr Jüngere, sei dann nie wieder dieselbe gewesen. Nur ganz ein wenig hat sie davon in ihren 2003 veröffentlichten, sehr spannenden Tagebüchern preisgegeben, um so mehr in ihren Filmen, in denen sie vor allem in den 70ern und frühen 80ern die dunkle Seite ihres Wesens blosslegte: In ALLEIN MIT GIORGIO von Marco Ferreri spielt sie Liza, eine lebenslustige und liebeshungrige junge Frau, die einem ziellos durchs Leben trödelnden Comiczeichner – Marcello Mastroanni! – devot ergeben ist. Surreal, aber auch ein böser, zynischer Blick auch auf die Hauptdarstellerin, aber wahr in seiner klinischen Klarheit.

Die Deneuve ist fragil, immer umgeben von einer gewissen Nervosität, und vielleicht ist es das, was dem Betrachter, dem Kinopublikum suggeriert: Sie ist nicht fertig, nicht am Ende ihre Wegs. Da sei ein Rätsel. Viel Offenheit. Trauer. Bedürfnis nach Schutz. Die Deneuve hat einen patent-praktischen Zug und vielleicht ist es die typische Erfahrung ihrer Generation, die sie aufbewahrt und auf grundsätzliche Ebenen hebt, jenes Nachkriegsmädchenhafte, die Erfahrung von Menschen, die das Leid noch kennen, und deren Träume nach Ausbruch daher immer etwas sehr Präzises, Pragmatisches, gar nicht Träumerisches, sondern unangenehm Konkretes haben, denen die ganze Welt offen stand, die dem innerlich aber gar nicht gewachsen waren. Aber das ist nur die eine Seite der Deneuve. Sie ist keine Hausfrau, sondern eine Königin, die immer einen Hauch von Unglück, von Unerfülltheit, etwas Suchendes ausstrahlt. Vielleicht liegt dieses Unglück sogar nur in der Tatsache, dass sie alles haben kann, und viel gehabt hat. Filme, Regisseure, Männer. Erlebnisse.

Zwei Filme machten Catherine Deneuve Mitte der 60er Jahre zum Weltstar: REPULSION (DER EKEL) von 1965 von Roman Polanski und Luis Bunuels BELLE DE JOUR. Beide Filme ähneln sich darin, dass in ihnen die blonde, weißhäutige, reine Entrücktheit der Hauptdarstellerin offenbar die Phantasie weckt, sie ganz besonders zu besudeln, sie schmutzig erscheinen zu lassen. Bei Bunuel wird sie darum mit Dreck beworfen. Bei Polanski verschmutzt sie von selber. Das ist beides mehr, als die Ladenmädchenweisheit, dass wer schön sein will, auch leiden muss. DER EKEL ist überhaupt die große Ausnahme ihrer Filmkarriere. Denn da spielt sie nicht eine mehr oder weniger kultivierte Frau aus mehr oder weniger gutsituierten Verhältnissen. Die vielleicht tagsüber als Hure arbeitet, oder ihren Ehemann betrügt, aber doch nie ganz den weitgesteckten Rahmen des Bourgoisen verläßt. Bei Polanski ist die Deneuve eine Schlafwandlerin, eine fingernägelkauende Hypersensible, die schließlich ganz dem Wahnsinn verfällt. Fast unscheinbar wirkt sie da, verhuscht. Ein einziges Mal war sie nicht "die Deneuve". Danach immer.

Seitdem hat sie viele gute Filme gemacht, sich selten für Zweitklassiges hergegeben. Mit Gene Kelly spielte sie in LES DEMOISELLES DE ROCHEFORT, für Francois Truffaut, mit dem sie in den 70ern mal liiert war, unter anderem in DAS GEHEIMNIS DER FALSCHEN BRAUT, mit Jean-Pierre Melville UN FLIC.

I n bislang fünf Filmen (ein sechster ist gerade in Arbeit) von André Téchiné - vielleicht ihr heimlicher Seelenregisseur? - ist sie zu sehen: HOTEL DES AMÈRIQUES - da war sie gerade 38! - ist besonders sehenswert, eine erotisch-aggressive-obsessive Beziehung zwischen ihr und einem von Patrick Dewaere gespielten man - zwei gequälte Seelen, die hilflos, sinnlos versuchen, der eigenen Einsamkeit zu entrinnen. Wunderbar gelungen ist dann auch MA SAISON PRÉFÉRÉ ("Meine liebste Jahreszeit"). Und LES VOLEURS ("Diebe der Nacht"), in dem sie als distinguierte Philosophieprofessorin, die im midlife crisis–Alter einer großen Liebe begegnet, der die kühle Intellektuelle zuerst nachgibt, sie dann aber nicht zulässt. Es sind diese beiden Elemente, Kälte und Leidenschaft, oder deren einzigartige Mischung, die immer wieder hervorgehoben werden, wenn man Catherine Deneuve beschreibt. Die Chemie ihrer Wirkung ist bestimmt durch eine innere Gegensätzlichkeit, die immer spürbar bleibt, und den Eindruck erweckt: es ist mehr dahinter. Oder weniger.

Nach wie vor ist sie sehr gut im Geschäft, und immer zu Experimenten bereit: Sie hat mit Lars von Trier gedreht (DANCER IN THE DARK), mit Tony Scott (HUNGER), mit Philippe Garrel (LE VENT DE LA NUIT), Leos Carax (POLA X), Raoul Ruiz (LE TEMPS RETROUVEE), mit Manoel de Oliveira (UM FILME FALADO), mit François Ozon (8 FRAUEN) und im Animationsfilm PERSEPOLIS die Rolle der Großmutter gesprochen. Zuletzt war sie in André Desplechins herrlicher Familiengeschichte UN CONTE DE NOEL zu sehen, für den sie in Cannes den "Preis des Festivals" gewann.

Bis heute ist die Deneuve, die auf der Anrede "Mademoiselle" besteht - mit Roger Vadim und Marcello Mastroianni, den Vätern ihrer beiden Kinder, war sie nie verheiratet - eine sehr schöne Frau, so schön, dass es schwer zu sagen ist, worin genau ihre Wirkung als Schauspielerin besteht. Früher war es vielleicht das latent Verworfene, abgrundtief Amoralische, das hinter der allzuprächtigen Fassade zu lauern scheint. Heute, und das seit Francois Truffauts LA DERNIER METRO von 1980, ist sie eine Frau mit Erfahrungen, der Melancholie des Alterns und der Fähigkeit zum Mitleid. Einerseits ist sie sehr diszipliniert. Ein "kleiner Soldat", wie sie sich selbst in ihren Tagebüchern einmal bezeichnet hat. Andererseits ist da noch mehr. Nicht nur Kontrolle, auch Exzeß. Und ein Film mit ihr ist immer ein Deneuve-Film.

Es muss einfach ein Irrtum sein, wenn in den Lexika steht, dass Catherine Deneuve am 22.10., 65 Jahre alt geworden ist.

Herzlichen Dank für wertvolle Infos an Paula Doering, an der nicht nur ihre Begeisterung für die Deneuve sympathisch ist.

Rüdiger Suchsland

 

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