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12.01.2006
 
 
     
5. Mittelmeer-Filmtage
13.-29. Januar 2006, Gasteig, München


 
Das Mittelmeer - ein weiter Raum:
UN HOMME, UN VRAI von den Larrieus
 
 
 
 
 

Das Mittelmeer ist größer als man denkt - Zu den 5. Mittelmeer-Filmtagen in München

Mittelmeer-Filmtage, das klingt nach Sonne, Sommer, Strand, Cannes und Saint Tropez. Das Mittelmeer aber, das ist bekannt, ist jenes riesige Gewässer, das sich von Spanien über Frankreich, den Balkan bis hin zu Israel und Palästina erstreckt, also durchaus Länder als Anrainerstaaten enthält, die etwas anderes bereithalten als das Urlaubsgefühl.

Die 5. Mittelmeer-Filmtage, die vom 13.-29. Januar 2006 in München im Gasteig abgehalten werden, haben dieses Jahr erstmals ihren Horizont um die Gebiete der Adria erweitert. Und dass das alles nicht unbedingt mit einem sommerlichen Gefühl zu tun hat, verrät schon der Titel des preisgekrönten, serbisch-montenegrischen Eröffnungsfilms, A MIDWINTER NIGHT'S DREAM von Goran Paskaljevic (Fr., 20:00, Carl-Orff-Saal, Gasteig). Mit Krieg, Nachkriegszeit, Zeit der Heimkehr sind die Balkanländer in einem emotionalen Winter angekommen, der nichts mehr mit der geographischen, im südlichen Europa, gelegenen Situation zu tun hat, sondern in denen sich das Leben vor allem durch Politik und Geschichte bestimmt.

A MIDWINTER NIGHT'S DREAM ist der Traum, der inmitten der Nachkriegswehen in Serbien geträumt wird von einem Neuanfang, von einem Aufbruch in einen Zustand der Besserung, der Gesundung vom Trauma des Krieges, der auseinanderfallenden Strukturen, gesellschaftlichen, familiären, auch psychischen. Lazar ist Kriegsheimkehrer. Zehn Jahre, nachdem er sein Dorf verlassen hat, kehrt er in seine Heimat zurück und findet in seinem Haus eine Frau vor, die dort allein mit ihrer autistischen Tochter lebt. Lazar will für die bosnischen Flüchtlinge eine neue Heimat suchen, anfangs mehr, um sie loszuwerden, dann, um auch für sich ein neues Zuhause zu finden. Der Zustand des Autismus von Jovana führt ihn zurück an sein eigenes in sich gekehrtes Dasein und - metaphorisch - an den Zustand seines Landes. A MIDWINTER NIGHT'S DREAM ist ein Film, der seine Bilder dokumentarisch verankert, der zu einem Sprechen über den Balkan führt, das fernab der klischeehaften Landesverbrämungen eines Kusturica stattfinden darf. Ein stiller Film, poetisch und dennoch sehr real, konkret in den Bildern, die er findet. Vielleicht auch der Aufbruch zu einem neuen Balkan-Kino.

GRAVEHOPPING von dem Slowenen Jan Cvitkovic steht dem entgegen, verspricht vergnügliches Balkankino, mehr im Sinne Kusturicas, aber nicht ohne die morbiden Momente der Existenz auszulassen. Pero ist professioneller Begräbnisredner, dem sein eigener Vater mit einer Vielzahl von Selbstmordversuchen zusetzt. Er liebt Renata, die sich in anderweitigen, unschönen Verwicklungen befindet. Tragisch und komisch, mit einer Prise schwarzen Humors, stellt sich der Film dem Tod und dem Leben, der Existenz.

Dokumentarische Formen spielen immer mehr in die Welt des fiktionalen Films hinein, wo sich die Wirklichkeit nicht mehr als endgültig fiktionalisierbar erweist, wo, wenn Geschichten erzählt werden wollen, immer auch ein "wahrer" Zustand des Landes miterzählt wird. Der israelisch-palästinensische ATASH (dt. Durst) von Tawfik Abu Wael ist ein Beispiel, wo über die Geschichte einer palästinensischen Familie ganz viel von dem Zustand des Landes erzählt wird, ohne aber vordergründig den israelisch-palästinensischen Konflikt in den Fokus zu nehmen. Was potentielle westliche Geldgeber irritierte, die dem Film ihre finanzielle Unterstützung versagten. Die Geschichte von den Kohleflözern, die in einem verlassenen Truppenübungsplatz ihr Dasein fristen, geht aber weit über den familiär-politischen Plot hinaus.

Die älteste Tochter der Familie wurde vergewaltigt und hat nach palästinensischen Werten damit die Ehre der Familie verletzt. Die Tradition gebietet eigentlich ihren Tod, der Vater aber hat entschieden, mit seiner Familie ins Exil zu gehen, fernab einer sozialen Gemeinschaft. Brisant wird der Kampf ums Wasser an diesem verlassenen Ort. Weit von der Pipeline entfernt, wird die Frage nach dem Durst zum alltäglichen Kampf ums Dasein. Ein Existenzkampf, der zeigt, wie sehr die Frage nach dem Wasser zur eigentlichen Problematik geworden ist in den Ländern, in denen die Sonne immer scheint. Das Öl, das wird angesichts der wichtigen Wasser-Pipeline klar, ist mehr eine Frage der internationalen Verflechtungen als alltäglicher Garant für das Leben. Worum es in den östlichen mediterranen Ländern geht, ist der Durst. Und auch der Durst nach einem selbstbestimmten und freien Leben, jenseits der patriachalischen Werteordnung.

Wie unterschiedlich das Leben und die Fragestellungen der Existenz sein können, das zeigen die Mittelmeertage in ihrer eindrucksvollen Rundschau über Griechenland, Kroatien, Slowenien, Serbien und Montenegro, Türkei, und natürlich auch in dem Blick auf die heilere Welt von Frankreich. UN HOMME, UN VRAI von Arnaud und Jean-Marie Larrieu zeigt im Vergleich zu den östlichen Produktionen Leichtigkeit und Müßiggang, darüber die Neuerfindung von Wirklichkeit, die Selbstkreation. Boris und Marilyne waren schon einmal ein Paar, als sie fünf Jahre später zufällig wieder aufeinandertreffen. Sie beschließen, ganz existentialistisch, ihrer Liebe eine neue Chance zu geben und tun so, als würden sie sich eben erst kennenlernen.

Das Mittelmeer ist eben ein weiter Raum. Und schön ist es, dass die diesjährigen Mittelmeer-Filmtage den Blick weit halten. Übrigens wurde - zumindest in Deutschland - zuerst 1984 auf der Berlinale der Blick auf die Mittelmeerländer als Länder von Filmproduktionen gerichtet, die ganz eigene Themen haben, auch ganz eigene Weisen, diese zu erzählen. Damals wurde aus der "Info-Schau" das "Panorama", abgeleitet vom damaligen "Mittelmeer-Panorama". So sehen wir heute in München die "Mittelmeer-Filmtage" als ein Stück Panorama, Berlins und der Welt, am Mittelmeer.

Dunja Bialas

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