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01.12.2005
 
 
       
"Filmmusik ist die Seele des Films"
Eine Begegnung mit dem Filmkomponisten Peer Raben auf dem 54. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg
 
 
Peer Raben
   
 
 
 
 

Peer Raben ist ein Star unter den Komponisten für Filmmusik. Er machte die Musik zu den Filmen Fassbinders und hat zuletzt mit dem Hongkong-Regisseur Wong Kar-wai zusammengearbeitet. Der hatte ihn angerufen, weil er eine Filmmusik für „2046“ von Raben wollte. Zwei Auszeichnungen erhielt Peer Raben für die Komposition: In Taipeh 2004 den „Golden Horse Award“, eine Art asiatischen „Oscar“ und dieses Jahr auf dem Hong Kong Film Festival den Preis für die Beste Originalmusik.

Dass Raben dieses Jahr auf das Filmfestival Mannheim-Heidelberg eingeladen war, hatte mindestens zwei gute Gründe: Mit einer umfassenden Hommage an Rainer Werner Fassbinder, der dieses Jahr 60 Jahre alt geworden wäre, zelebrierte das „Newcomer“-Festival eine seiner wichtigsten Entdeckungen (Fassbinder hatte einst, wie Wim Wenders, in Mannheim seine ersten Filme gezeigt), und Peer Raben hatte schon mit Fassbinder zusammengearbeitet, als der noch Theaterstücke machte und die Filme seiner ersten Jahre produziert. Jetzt hat der 65-Jährige ein neues Projekt gegründet: die „Werkstatt Raben“, ein Atelier für Filmmusik, in die Raben einen weiteren, jungen Komponisten, Michael Bauer, geholt hat und den Musikarrangeur Florian Moser. Letzterer ist für Raben auch deshalb so wichtig, weil seine Musik meist eine akustische Collage ist, in der bestehende Musikelemente und eigene Kompositionen zusammenspielen. Die erste Arbeit aus der Werkstatt war beim Eröffnungsfilm, KONTAKT, zu hören, eine deutsch-mazedonische Koproduktion von Sergej Stanojkovski. Gründe also genug, Peer Raben nach Mannheim einzuladen und nach seiner Musik und seinem Arbeiten zu befragen.



Der erste Eindruck eine Überraschung: Peer Raben sitzt im Rollstuhl, wird auf das Podium gehievt. Dann sitzt er da, blickt kurz auf das Publikum, kramt dann mit der rechten Hand umständlich ein Notizbuch aus seinem Jackett, seine andere Hand hält er tief im Ärmel verborgen. Zwei Schlaganfälle haben ihn linksseitig gelähmt gemacht, so sitzt er leicht schief und eingesunken in seinem Rollstuhl. Jetzt hat er das Notizbuch auf den Schoß gelegt, blättert in den Unterlagen, sucht etwas. Dabei hält er einen Zettel im Mund, den er aus dem Buch herausgenommen hat, und der ihn beim Umblättern störte. Das schwarze Buch will ihm ständig vom Schoß rutschen. Raben blättert, bis er anscheinend gefunden hat, was er suchte, nimmt den Zettel wieder aus dem Mund. Ist jetzt bereit für das Gespräch, das kommen soll. Raben trägt einen schwarzen Hut. Unter der weiten Krempe sieht ein hageres Gesicht hervor. Den Mund leicht nach unten gezogen, mustert er das Publikum. Er sieht sehr alt aus, fast wie ein Greis, aber mit wachem Blick. Raben wartet darauf, dass sich seine Befrager, Josef Schnelle vom Mannheimer Festival und Rüdiger Suchsland, setzen, seine Mitarbeiter der „Werkstatt Raben“, Michael Bauer und Florian Moser, sitzen bereits neben ihm, und dann kann es losgehen.

Nachdem er von den Gesprächsmoderatoren dem Publikum vorgestellt wurde, legt Raben seinen Hut ab, hängt ihn an die vierfüßige Geh- und Stehhilfe, die ihm beigestellt ist. Und dann ergreift er gleich das Wort, mit leiser Stimme, bringt das Mikrofon nicht nah genug an seinen Mund heran, und gibt einen Hinweis darauf, wie die Musikbeispiele während des Gesprächs eingespielt werden sollen. Er hat Schwierigkeiten beim Sprechen, seine Worte kommen langsam hervor, aber das, was er sagt, ist sehr klar, seine Sprache ist gewählt und auch in der kurzen technischen Anweisung, die er gibt, eigentümlich altertümlich.

Schnelle und Suchsland eröffnen dann das Gespräch. Die Art, wie sie sprechen, das Tempo und die Direktheit ihrer Worte, bricht in die Situation hinein, die sich bislang wie in Zeitlupe zugetragen hat. Sie sprechen von den Auszeichnungen, die Raben jüngst in Asien erhalten hat und wollen jetzt gerne wissen, wie man sich die Arbeit in der „Werkstatt Raben“ vorstellen kann. Sie weisen auf den den Eröffnungsfilm des Festivals hin, der erst vor wenigen Wochen fertiggestellt wurde und fragen, wie in diesem jüngsten Beispiel die Zusammenarbeit mit Michael Bauer und Florian Moser ausgesehen hat. Raben sagt, dass man erst wissen müsse, was KONTAKT für ein Film sei, und fragt, ob das Publikum den Film kenne. Sagt, „die Musik fängt ganz am Anfang an“, mit dem Beginn des Films, in seinen ersten Bildern. Und dann erzählt er, was man da sieht. Den Garten einer Nervenheilanstalt, in dem sich Leute finden, die man als Verwirrte bezeichnen würde, „man würde sogar sagen Verrückte“. Und eine Frau mit einem ganz sanften Gesichtsausdruck trotz der offensichtlich brutalen Welt, die sie umgibt, und deshalb, auch deshalb muß sie wohl verrückt sein. Sagt Raben. Und dann sagt Raben: „Man muß durch die Musik auf sie hinweisen“, aber was für eine Musik könnte das sein? Der Regisseur wäre zu ihm mit einem konkreten Vorschlag gekommen, hatte eine Idee vorgegeben und im Schnitt versucht, die Musik zum Bild anzulegen, wollte unerwartete Heiterkeit im Zusammentreffen der Bilder mit der Musik. Gleich werde er erzählen, warum es bei der Musik nicht bleiben konnte: „Es war ein Ausschnitt aus Carmen“.

Raben entwickelt seine Gedanken langsam. Immer wieder macht er Pausen in seinem Sprechen, hält inne mitten im Satz, fast denkt man, er wisse nicht mehr weiter, oder auch, er könne nicht mehr weiter, da setzt er erneut an, führt sein Sprechen fort, Wort für Wort.

Warum es also bei der Musik nicht bleiben konnte. „Carmen“ ist eine Musik, die vom Publikum als Zitat erkannt wird, und es sei ein Trugschluß vom Regisseur zu meinen, die Hauptdarstellerin seines Films wäre eine Art mazedonische Carmen. Sie wären sich bald darüber einig gewesen, dass „da eine Musik hinmuss, die keiner kennt“. Wichtig für die Musik blieben dennoch die Elemente von Leichtigkeit und Heiterkeit. Dann gibt Raben die Anweisung an die Technik, die Musik einzuspielen, die zu Beginn des Films zu hören ist. Es ertönt eine Akkordeonmusik, sie ist leicht verträumt, melancholisch, dennoch beschwingt und erinnert stark an die „Amélie“-Musik von Yann Thiersen. Dann Raben weiter: Die Musik sollte nicht ganz fremd klingen. Der französische Einschlag war gewollt. Suchsland sagt sehr vorsichtig, dass ihn die Musik an „Amélie“ erinnert. Das ist Raben recht.

Die Moderatoren haken noch mal nach, so ganz wurde ihre Frage nicht beantwortet. Wollen es genauer wissen, wie man zusammen Musik machen kann, wie man sich die Arbeit in der „Werkstatt Raben“ vorstellen kann. Raben sagt, Bauer habe zuerst einen Musikvorschlag gemacht, er selbst dann die Änderungsvorschläge gebracht. So hätte sich die Musik einem optimalen Ergebnis angenähert.

Die Frage, wie sich Filmmusik entwickelt, in der gemeinsamen Arbeit, in der Zusammenarbeit mit ihm, Peer Raben, hakt er kurz ab. Raben erzählt anscheinend lieber aus sich heraus, will das Gespräch aus seinen Gedanken entwickeln und weniger auf Fragen antworten. Die Frage wird an Michael Bauer weitergegeben, seinem Mitarbeiter der „Werkstatt“.

„Wir haben die Musikdramaturgie zusammen mit dem Regisseur und den Produzenten entwickelt. Am Anfang stand die Frage: Welche Themen soll die Musik aufwerfen? An welchen Stellen soll Musik sein?“ Bei Mazedonien, so Bauer weiter, käme einem sofort Kusturica in den Sinn. Sie wären sich aber alle einig gewesen: Bloß keinen Kusturica! Der Film ist durchgängig im Pianissimo gedreht, deshalb passe der französische Touch.

Dann schaltet sich Raben wieder ein, angeregt durch das, was Bauer erzählt. „Die Klangatmosphäre entsteht durch die Instrumentation.“ Der Rhythmus wäre wichtig, im Fall von KONTAKT habe man zu tun mit einem volksmusikalischen Walzer mit französischem Musette-Touch. In der Komposition wird die Musik kreiert und den Personen zugeordnet. „Es gibt eine zweite Erzählung des Films über die Musik, die keine Nacherzählung ist, sondern eine Doppelerzählung. Sie erzählt zeitversetzt nochmal die Geschichte.“ Die Musik könne auch kontrapunktisch zur Geschichte gesetzt werden, und den Zuschauer dann nochmal zum Nachdenken anregen, über die Geschichte.

Nochmal wollen die Gesprächsmoderatoren wissen, wie man sich die Arbeit in der „Werkstatt Raben“ vorstellen könne. Suchsland vermutet ein Atelier im Stil der Alten Meister: die Gehilfen malen den Hintergrund, der Meister setzt die wichtigen Konturen und Motive. „Wir brauchen nicht die strenge Hierarchie wie in den alten Malwerkstätten“, sagt Raben. „Das kann man auch machen und wir werden es demnächst auch machen.“ Und dann erzählt er von einem Angebot, das er erhalten hat, aus den Motive von „Phantom der Oper“ ein neues Musical zu machen. Er findet es sehr reizvoll, sich davon abzusetzen, sich in verschiedenen Stilen zu probieren, was er seinen Mitarbeitern überlässt. Was in seiner Vorstellung dabei entstehen könne, nennt er gerne „Die Rückkehr des Phantoms der Oper“. In der Werkstatt will er seine Erfahrungen an jüngere Leute weitergeben. Die Erfahrung teile sich am besten mit anhand praktischer Beispiele, nicht durch Theorie. Bauer hakt ein und erzählt, dass er in der Zeit, als er Raben kennengelernt hat, jeden Sonntag zu ihm gekommen sei und dass Raben ihm ein Musikbeispiel nach dem anderen vorgespielt habe. Er hätte dabei, durch das Anhören und das Sprechen über die Beispiele, unendlich viel gelernt.

Und als wäre ihm das schon genug, als wäre schon zu viel gesprochen worden über die Zusammenarbeit unter den Komponisten, sagt Raben: „Den Werkstattcharakter hatten wir auch in dem Action-Theater.“ Raben erinnert sich an die Zeit, als Fassbinder seine ersten Versuche als Schauspieler machte, seine eigenen Stücke in Regie umsetzte. Fassbinder gelangte als Zuschauer zu dem Action-Theater, das Raben mitbegründet hatte. Nach den Aufführungen wäre er immer wieder auf die Gruppe zugekommen und hätte gemeint, dass sie das alles ganz anders inszenieren müssten, und dass er der richtige Mann für sie wäre. Sein erstes Stück war „Katzelmacher“, das er dann später, wie Raben sagt, „abgefilmt hat“. Er habe vermieden, daß man die Geschichte mit bewegter Kamera erzählt. Und Raben habe dafür „noch nicht mal eine neue Musik“ gemacht. Er hatte dazu eine Musik von Franz Schubert im Kopf gehabt, die fälschlicherweise „Sehnsuchtswalzer“ genannt wird, „und ich hab ihn dann auch als Sehnsuchtswalzer benutzt.“ Auch damals hätten sie schon eine Werkstatt gehabt, „es war eine Filmwerkstatt“.

In der Erinnerung lebt Raben auf. Und er beginnt eine Anekdote darüber, wie er sich selbst immer in den Schneideraum gesetzt hat und Filmschnitte gelegt hat, ohne es zu können. „In LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD, das war ich, der die Fehler gemacht hat. Bild und Ton liefen mir völlig auseinander, das waren schreckliche Momente im fertigen Film.“ Und dann fängt Raben an, von der Zeit zu erzählen, als er noch Theaterstudent war, schildert kurz seinen Weg vom Schauspielhaus Wuppertal zur Begründung des Action-Theater, aus dem, nachdem Fassbinder zu ihnen gestoßen war, das „antitheater“ hervorging. Er erzählt, wie sie dort die Brechtsche „Bettleroper“ neu vertont haben, wo auch Fassbinder „immer mit seiner Trompete dazwischen kam“, falsch dazwischen kam, in der falschen Tonlage. Und Raben macht den Trompetenton nach, presst Luft durch seine Lippen, trompetet kräftig. Und dann lacht er, freut sich über die Geschichte, die er soeben erzählt hat: „Das war die Kurzfassung der Bettleroper.“

Und er erzählt weiter: Bei BERLIN ALEXANDERPLATZ wäre Fassbinder auf ihn zugekommen und hätte zu ihm gesagt, was für eine Frechheit das sei, was er da mache. „Du erzählst über die Musik etwas ganz was anderes als die Bilder.“ Und dann kommt der wohl schönste Moment in der Begegnung mit Raben. Denn während er noch spricht, ein Portrait von Franz Biberkopf entwirft, seine äußere Grobschlächtigkeit schildert, der er eine sanfte Musik entgegengesetzt hat, beginnt schon die Filmmusik zu ertönen, bettet Rabens Worte mehr und mehr in den Klang. Raben spricht nicht sehr laut, die Musik legt sich immer stärker über seine Stimme, man kann immer weniger verstehen, was er sagt. Dann hört er auf zu sprechen, die Musik spielt, wie versunken in Musik sitzt er da.

Danach erzählt er noch, auf eine Frage aus dem Publikum hin, von seiner Kindheit, und wie es dazu kam, dass er Komponist wurde. „Ich bin ein Waldbauernbub“, aus Bayerischen Wald. Und als eines Tages der Volksschullehrer seinem Vater sagte, der „Bub“ müsse aufs Gymnasium, da war die Reaktion so, sagt Raben, als hätte man seinem Vater gesagt, sein Sohn hätte eine ganz schlimme Krankheit. Er hätte sich in der Volksschule immer sehr gelangweilt, sich nie am Unterricht beteiligt, weil die Fragen ihm zu läppisch erschienen. Er war wohl das, was man heute „hochbegabt“ nennen würde. Er sei dann auf ein Internat gekommen, aufs Gymnasium in Straubing. Es war ein musisches Gymnasium, und das sei sein großes Glück gewesen. Im Musikunterricht habe er die Harmonielehre über seine Fragen gelernt, wenn er wissen wollte, warum denn in der Notenfolge nicht eine andere Note gesetzt werden könne. Er habe einen sehr geduldigen Lehrer gehabt. Raben erzählt von seiner Kindheit und Jugendzeit, als würde er nicht mehr auf dem Podium sitzen, in seinem Rollstuhl, sondern als wäre er immer noch der „Waldbauernbub“, der alles über Musik erfahren möchte, der keine Antworten hat, aber viele Fragen.

Dann kommt Suchsland noch auf seine letzte große Arbeit zu sprechen, auf die Filmmusik zu 2046, für die Wong Kar-wai ihn beauftragt hatte. „Wong Kar-wai hat sich als Fassbinder-Spezialist bezeichnet. Er kannte meine Musik von der ersten bis zur letzten Note. Er konnte sehr genau beschreiben, was er haben wollte.“ Es gab in QUERELLE einen Song, den er für Jeanne Moreau geschrieben hatte. Den kannte Wong Kar-wai. Den wollte er haben, mit kleinen Modifikationen.

Dann erklingt die Musik aus 2046. Raben sitzt da, eingesunken auf seinem Rollstuhl und schaut mit strahlendem Blick ins Publikum. Und dann kommt noch die Frage, was Filmmusik für ihn sei. „Filmmusik ist die Seele des Films“, sagt Raben, „sie kommt immer aus der Geschichte heraus.“

Dunja Bialas

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