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03.11.2005
 
 
       

Saunas, Kinder, Klapsmühlen und das Recht auf Faulheit
Filme der 39. Hofer Filmtage

 
 
Dresens SOMMER VORM BALKON
   
 
 
 
 

Unter den Brücken ist es feucht, dreckig und oft kalt - auch wenn wir uns in Floridas Metropole Miami befinden. PARADISE ISLAND - allenfalls als bitteren Spott muss man den Namen dieses Ortes verstehen: Hier, zwischen Miami Beach und Downtown hat sich der Puertoricaner Willie zurückgezogen, die letzte, mit Härte und viel Bitterkeit verteidigte Zuflucht im reichen Norden in den auch er einst in der Hoffnung auf ein besseres Leben gezogen war. In nur 25 Minuten zeichnet die Münchner Filmstudentin Andrea Thiele in wenigen präzisen Strichen ihr eindrückliches Portrait dieses Obdachlosen im täglichen Überlebenskampf. Thiele erhascht Bilder, wie man sie zu selten sieht, erstaunliche Intimität stellt sich ein, dabei bleibt ihr Film immer angenehm lakonisch und kommt ohne Moralisieren aus. Ein Beispiel für die Tugend des Hinguckens ohne voreilige Kompromisse, ohne Schere im Kopf - und ein unerwarteter Höhepunkt bei den 39. Hofer Filmtagen.

Wer im Kino vor allem nach Intensität sucht, mehr nach berührenden Augenblicken und treffenden Bildern, als nach stimmig von A nach B heruntergespulten Geschichten wurde zuletzt oft von Dokumentarfilmen am Besten bedient. Auch in Hof war es diesmal kein schlechtes Auswahlkriterium, im Zweifel eine Dokumentation zu sehen. Und zwar nicht, weil an der Allerweltsweisheit, dass das Leben noch immer die besten Stoffe liefert, besonders viel dran wäre, sondern, weil der dokumentarische Blick offenbar zu größerer Genauigkeit und gleichzeitig filmischem Einfallsreichtum erzieht. Zwei "Essayfilme" ernteten zu recht viel Applaus in Hof, wo sich mit der deutschen Filmfamilie im ehemaligen Zonenrandgebiet seit jeher ein besonders dankbares, aber durch die Nähe zu den Machern auch kritisches Publikum versammelt. In ICH DICH AUCH nähern sich die Berliner Philosophin Christiane Voss und die Filmemacherin Katja Dingenberg den verschiedenen Facetten der Liebe: Sie portraitieren frisch verliebte Paare, langjährig Verheiratete, Geschiedene und kreuzen derlei Einblicke in die satte Empirie mit distanzierend-ironischen Kommentaren von Experten zu denen "Die Philosophin" genauso gehört, wie eine Scheidungsanwältin und ein Neurobiologe. Manchmal ein wenig zu bürgerlich in der Grundhaltung besticht der Film doch durch Originalität und eine frische Herangehensweise. Vor allem thematisch interessant ist Veit Helmers Dokumentation BEHIND THE COUCH.. Hier öffnet Helmer die bislang verschlossenen Pforten des gigantischen Casting-Systems von Hollywood. Zwar muss man der Hybris jener Agenten nicht auf den Leim gehen, die behaupten, "80 Prozent des Erfolges eines Films" hingen vom Casting ab - doch macht Helmer bewusst, wie sehr dieser bedeutende Bereich der Kino-Industrie bislang unterschätzt wird. Zugleich entzaubert er die Mythen einer Industrie, der Menschen zum reinen Material werden, die genau das aber gern verschleiert.

Viel dokumentarische Erfahrung hat auch Aelrun Goette. Nach dem Erfolg ihrer erschütternden Dokumentationen OHNE BEWÄHRUNG und DIE KINDER SIND TOT, in denen sie bewiesen hatte, dass sie mit schwierigen Stoffen umgehen kann, handelt auch Goettes erster Spielfilm UNTER DEM EIS von familiären Abgründen, konfrontiert eine Mutter und ihr Kind mit roher Gewalt, und zeigt den Einzug des Verbrechens in ein langweiliges Spießerdasein. Es beginnt recht gut mit einem bürgerlichen Tableau: eine pflichtbewusste, liebende Mutter, ein süßer Sohn, dem Polizisten-Vater und angenehmer Nachbarschaft - langweilige Verhältnisse. Doch eines Tages tötet der 6-jährige Tim aus Versehen die Nachbarstochter, als er ein beim Vater gefundenes Tatort-Foto nachspielt. Die Mutter vertuscht die Tat. Triftig beschreibt Goette das prekäre Bündnis zwischen Mutter und Sohn. Doch langsam implodiert der Alltag angesichts der Schuld. Und mit dem Gleichgewicht der Familie kippt auch der Film, denn die Regisseurin zeigt sich dem Problem, Trauer exakt zu beschreiben und Menschen in Extremsituationen zu zeigen, nicht gewachsen. Im Spielfilm ist Glaubwürdigkeit keine statistische oder dokumentarische Korrektheit, sondern subtile Überzeugungsarbeit. Unter dem Eis bürgerlicher Verhältnisse muss doch noch Hitze stecken, sonst lässt es den Zuschauer kalt. Weil die Darsteller - u.a. Bibiana Beglau - nicht gut geführt waren, und das schwache Drehbuch ihnen keine Hilfe bot, fiel der Film durch.

Was sich im Kino mit Schauspielern alles machen lässt, zeigte SOMMER VORM BALKON von Andreas Dresen, der nicht zuletzt von seinen ausgezeichneten Hauptdarstellern Nadja Uhl und Inka Friedrich lebt, die die Berliner Schnoddrigkeit des Drehbuchs glaubwürdig auf die Leinwand bringen. Gleiches gilt für Eoin Moores IM SCHWITZKASTEN. Der Titel ist zwar Name jener Sauna am Prenzlauer Berg, in der der größte Teil dieser Komödie spielt, doch ist er auch Metapher für die Lage der Deutschen im Zeichen der Krise. Denn bei diesem mit viel Humor erzählten Ensemblefilm, bei dem vor allem die ausgezeichnete Laura Tonke, und dann auch Esther Zimmering, Charly Hübner und Edgar Selge im Gedächtnis blieben, handelt es sich um die wohl erste deutsche Arbeitslosenkomödie. Neben ein paar sehr dichten Momenten, bei denen einem sogar Billy Wilder einfallen konnte, und manch losem Ende, bestach der Film durch seine Gegenwärtigkeit. Moore erzählt von alltäglicher Lebenslüge und dem Recht auf Faulheit. Wer hätte gedacht, dass Eoin Moore nach seinen zwei schwerblütigen letzten Filmen zur Leichtigkeit seiner Anfänge mit PLUS MINUS NULL zurückfindet?

In seiner sarkastischen Schoddrigkeit ähnelt IM SCHWITZKASTEN Dresens SOMMER VORM BALKON, der hier Deutschlandpremiere feierte - beide zusammen lassen Konturen eines speziell Berliner Kinos ahnen, Vignetten der Post-Schröder-Ära. Vielleicht werden Dresen und Moore die Frears und Loachs einer Maggie Merkel?

(to be continued…)
Rüdiger Suchsland

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