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19.08.2004
 
 
        Hotel

"... und alle dürsten nach Liebe!"

 
 
Großer Diagonale Preis:
"Hotel" von Jessica Hausner
   
 
 
 
 

Willkommen in der Wirklichkeit: Katerstimmung beim österreichischen Filmfestival "Diagonale"

Im Kräftemessen mit dem Wiener Kunststaatssekretär Franz Morak (ÖVP) hat sich die österreichische Filmszene im Vorjahr mit einhelliger Widerständigkeit durchgesetzt. Mit einem spontan aus dem Boden gestampften Gegen-Festival zwang man Morak, der die erfolgreiche Diagonale-Intendanz gefeuert hatte und dem Grazer Festival - am Höhepunkt des österreichischen Filmbooms (mit Preisen in Cannes und Venedig) - eine inhaltliche und kommerzielle Neuausrichtung verordnen wollte, in die Knie. Ein Jahr später ist jetzt der Rauch über den Grazer Kinos verzogen: Mit der "Diagonale 2005" konnte das neue Intendantenkollektiv erstmals wieder mit vollem Budget und ohne Hektik ans Werk und das Festival wieder in gewohnter Ruhe über die Bühne gehen.

Nach der Euphorie des Vorjahres hat sich jedoch auch allgemeine Ernüchterung breit gemacht. Die neue Festivalleitung hat ein schwieriges Erbe angetreten, und es war klar, dass die Rückkehr zur Normalität nicht ohne Reibungsverluste vor sich gehen würde. Dennoch geht die Kritik mit der Diagonale im Jahr eins nach dem "Ausnahmezustand" hart ins Gericht: Von "ästhetischer Aufweichung und politischer Entschärfung" ist da die Rede ("Die Presse") und davon, dass das Festival "programmatisch unübersehbar ausgedörrt" und "schon ziemlich zahnlos" geworden sei ("Der Standard").

Das Programmniveau ist in der Tat gegenüber früher merklich abgesackt. Den Mangel an Spielfilmen und Höhepunkten wollte man offenbar mit einem Überangebot an Kurzfilmprogrammen wettmachen und hat dabei leider so manchen Fehlgriff riskiert. In einer überschaubar kleinen Filmbranche wie der österreichischen lässt es sich nicht so leicht kaschieren, wenn unter den Produktionen des jüngsten Jahrgangs einmal keine große Namen aufscheinen. Zudem hat es das ehemalige Intendantenduo meisterhaft verstanden, im Spagat der verschiedenen Formate, der zur Visitenkarte des Festivals geworden ist, die Balance zu halten und Video und Avantgarde, Kurz- und Langfilm, Dokumentar- und Erzählkino unter einen Hut zu bringen; der neuen Leitung hingegen fehlt hier einfach noch die nötige Trittsicherheit.

Besonders schmerzt der Vorwurf, die Diagonale, die sich als regierungskritische Plattform an vorderster Front profiliert hatte, habe mittlerweile den politischen Rückzug angetreten. Mit der etwas unglücklichen Auswahl des Eröffnungsfilms ("Crash Test Dummies" von Jörg Kalt) hat man tatsächlich die Chance zu einem politisch akzentuierten Auftakt vertan und mit dem Festivalmotto "... und alle dürsten nach Liebe!" (scheinbar) die Parole zur Rundum-Entpolitisierung ausgegeben.

Dabei war die neue Intendanz spürbar bemüht, an ihre von Morak aus dem Amt gejagten Vorgänger anzuknüpfen. Nach wie vor bietet das Festival den Nachwehen des energischen Politisierungsschubs, der Österreichs Filmschaffende nach dem Rechtsruck Anfang 2000 erfasst hat, ein würdiges Podium (dass sich hier allmählich Ermattung einstellt, ist schließlich nicht der Diagonale-Leitung vorzuwerfen). Und der - durchaus politisch verstandene - Blick über die Grenzen, der diesmal, neben der bekannten Schlagseite Richtung Ost- und Südosteuropa (von Albanien und Bulgarien bis Polen und Litauen), sogar den Bosporus überquert, bewahrt das Festival davor, zum belanglosen Familientreffen der nationalen Filmszene zu verkommen, die ihre alljährliche Nabelschau betreibt.

Die Entscheidung, anstelle der bewährten Werkschauen internationaler Regiegrößen mit der Türkei einem Filmland Aufmerksamkeit zu schenken, das an der äußersten Peripherie der kinomatografischen Weltkarte liegt, mag zwar zweifelhafte Qualität auf die Leinwände gebracht haben, als Wagnis ist sie jedoch zu begrüßen. Der Großteil der hierfür ausgewählten Produktionen gewährt Einblicke in die Spannungen und Widersprüche der türkischen Gesellschaft: die Kluft zwischen Großstadt und ländlicher Traditionsverhaftung, die Landflucht, die Generationen und Familien auseinander reißt, den Konflikt in Kurdistan und Zypern und die staatliche Repression, die, wie in Tayfun Pirselimoglus "Hiçbiryerde", verzweifelte Mütter nach ihren verschwundenen Söhnen suchen lässt.

In auffallend vielen Filmen des regulären Programms wendet man sich den Lebensumständen der Roma und Sinti zu: in der Slowakei ("Romane Apsa"), in Rumänien ("Dallas Pashamende") und in Österreich ("Stefan Horwath - Zigeuner aus Oberwart"). Doch vor allem mit zwei Dokumentarfilmen wird die Diagonale dem Anspruch auf "schwierige, unbequeme Bilder", zumindest inhaltlich, gerecht: In "Artikel 7 - Unser Recht" zeigen Thomas Korschil und Eva Simmler das jahrzehntelange, vergebliche Tauziehen um die Durchsetzung der - eigentlich bereits im Staatsvertrag von 1955 verbrieften - Minderheitenrechte der Kärntner Slowenen. Und in "Operation Spring" breiten Angelika Schuster und Tristan Sindelgruber die Hintergründe eines österreichischen Justizskandals rund um die gleichnamige Polizeiaktion gegen afrikanische Asylwerber minutiös und mit voller Wucht vor einem aus: ein Film, der bei einer etwas mutigeren Auswahl für den angemessenen Knalleffekt am Eröffnungsabend hätte sorgen können.

Roman Urbaner

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