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03.02.2005
 
 
         

Abschied von Gestern - Max Ophüls Preis 2005
Hartz IV, Alt-Ökos und Neo-Nazis: Das Saarbrücker Festival taucht tief ein in den deutschen Alltag in Zeiten der Krise

 
       
 
 
 
 

Zum letzten Mal wurde das Saarbrücker "Festival Max Ophüls Preis" von Boris Penth geleitet. Jetzt verlässt er aus privaten Gründen seine Position - und hinterlässt seiner designierten Nachfolgerin ein Festival, dem der Neuanfang aus einer schwierigen Startsituation geglückt ist. In nur drei Jahren, nach spürbaren Anfangsproblemen, gelang es dem bei Filmemachern wie Produzenten schnell beliebten Penth, Saarbrücken wieder zu dem zu machen, was es sein muss, um zu überleben: Ein Ort, an dem möglichst viele wichtige deutschsprachige Filme, auch abseits der wenigen Prestigeproduktionen Premieren feiern, der auch für ausländische Fachbesucher attraktiv ist, weil nur hier die breite Produktion des kommenden (Halb-)Jahres früh zu sichten ist. Mit einem weitaus besseren Programm als zuletzt in Hof und München, scheint die Zukunft des kürzlich noch gefährdeten Festivals vorerst gesichert.

"Sicherheit ist jetzt absolut das große Thema der Zukunft." - das sagt genau der Richtige: Marcel, gespielt mit herrlicher Verve und Nervtöterei von Milan Peschel, ist das Musterexemplar jenes Typus' mittelalter ostdeutscher Männer, die, so scheint es, die großen Verlierer der Wende von 1989 sind. Schon Edgar Reitz portraitierte in HEIMAT 3 so einen Unglücksraben, jetzt steht er im Zentrum von Robert Thalheims Film NETTO. Irgendwann lief Marcel die Frau weg, natürlich mit einem reichen Wessi, von dem sie jetzt ein Kind erwartet; Arbeit hat Marcel schon lange keine, und so lebt er in seiner Wohnung am Prenzlauer Berg zwischen wenig Hoffnung und viel Verzweiflung so in den Tag hinein. Wenn er nicht seine Lieblingssongs von Peter Tschernig hört, dem "Ostberliner Johnny Cash", träumt er von einem Job als Personenschützer. Plötzlich steht Sebastian vor der Tür, sein Sohn, der so genau alt ist wie der Mauerfall, und will bei ihm wohnen. Bald fängt Sebastian an, den Loser-Papa zu drillen, ihn mit altklugem Gerede und Motivationstechniken aus dem Leistungskurs auf Bewerbungsgespräche vorzubereiten, und man begreift schnell, wie ähnlich sich beide im Grunde sind, in ihrer Art, immer wieder um den heißen Brei herumzureden. Irgendwie raufen sie sich aber schließlich zusammen, ohne dass der Film bei aller Menschenfreundlichkeit suggeriert, dass nun plötzlich alles gut wäre.
NETTO, gedreht ohne festes Drehbuch mit nur 4500 Euro in nur 12 Drehtagen - als Teil eines Filmschul-Experiments Rosa von Praunheims - lässt für die Zukunft seines Regisseurs Robert Thalheim sehr viel erhoffen: Eine herbe, stille, sehr gut beobachtete und stellenweise auch ungemein witzige Komödie über einen Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs, die immer ganz knapp an der Tragödie vorbeischrammt. Der Film zu "Hartz IV", denn bei der kleinsten Enttäuschung reißt das Sicherheitsnetz in Marcels Leben. Bei aller Melancholie, die am Ende spürbar wird, bleibt der Film doch irgendwie gut gelaunt. In Saarbrücken hatte NETTO jetzt Premiere und gewann immerhin den Förderpreis, obwohl allein schon seine herausragenden Darsteller mehr verdient hätten - neben Peschel auch Sebastian Butz, der den Sohn spielt und Stephanie Charlotta Koetz, als dessen Freundin Nora. Die beiden haben eine wunderbare Szene, als sie einander ihre Liebe gestehen wollen und es doch nicht wagen, und sich Schweigen und Schüchternheit immer weiter hochschaukeln, bis man es selbst als Zuschauer in seinem Sessel kaum noch aushält.

Unter den deutschen Filmfestivals ist das von Saarbrücken jenes mit der stärksten Konzentration auf den deutschen Film, und hier wieder auf den Nachwuchs, der im Wettbewerb um den angesehenen, mit 18.000 Euro dotierten "Max Ophüls Preis" antritt. Daher ist Saarbrücken auch wie kein zweites Festival abhängig vom jeweiligen Kino-Jahrgang. Diesmal hatte man Glück. Zwar gab es keine Riesenüberraschung, wie im Vorjahr MUXMÄUSCHENSTILL, dessen Erfolgsgeschichte mit dem Wettbewerbssieg begann, doch sah man eine ganze Reihe interessanter, guter Filme. Stärker, als noch vor wenigen Jahren, stellen sich die jungen Filmemacher der Gegenwart, beschäftigen sich mit der Welt, in der sie leben, und finden in ihr auch Dinge, die nicht zum Komödienstoff taugen. Es sind zwar immer wieder die Geschichten vom Erwachsenwerden, dem Verhältnis zu den Eltern, erster Liebe und Kameradschaft mit Gleichaltrigen - aber die Details der Stories, und die Form, die man ihnen gibt, verändern sich kaum merklich hin zu einem gebrocheneren Blick, der nicht mehr wegschaut, wo es wehtut.

Das gilt mit gewissen Abstrichen auch für Lars Jessens überraschenden Gewinnerfilm AM TAG, ALS BOBBY EWING STARB. Eine stilistisch anspruchslose, nostalgiegetränkte Zeitreise in die 80er, als "AKW nee"-Sticker auf dem Auto klebten und man vor Atomkraft und Waldsterben Angst hatte. Jessen verschmilzt private und öffentliche Geschichte, und erzählt von einer Mutter, die mit ihrem Sohn in eine Landkommune beim Kernkraftwerk Brockdorf zieht. Es ist lustig, Peter Lohmeyer zuzusehen, wie er mit schulterlangen Haaren in Ökoklamotten Windräder aufstellt und statt "imperialistischem" Bohnkaffee ein Getreidegebräu trinkt. Als Provinzportrait und Coming-of-age-Komödie mit überaus witzigem Set-Design funktioniert der Ensemblefilm auch sehr gut - so politisch, wie er gerne wäre, ist er aber nicht. Das inzwischen auch im Kino gern praktizierte 68er-bashing mündet in ein Plädoyer für das Unverbohrte, das am Ende etwas recht Diffuses hat - als ob die 68er auch noch daran schuld wären, dass heute alle unpolitisch sind.

Gelungener waren zwei andere Wettbewerbsfilme. Florian Schwarz gewann den ebenfalls hochdotierten Drehbuchpreis für seinen mit nur 80.000 Euro produzierten Noir-Thriller KATZE IM SACK. Dabei war das komplizierte Script noch der schwächste Teil an einem märchenhaften Film, der vor allem visuell, mit herausragender Kamera, sehr gutem Schnitt und Musik sowie ansprechenden Darstellern - der aus dem TV bekannte Walter Kreye endlich einmal im Kino - überzeugt. Der Film verknüpft unter ständigen Perspektivwechseln das Schicksal von drei Personen, die sich in einer Nacht in Leipzig begegnen. Am besten gelungen ist eine virtuos inszenierte Barszene, in der alle drei aufeinander treffen, bevor jeder seiner Wege zieht. Es geht um Einsamkeit, Grenzüberschreitung, vielleicht auch Sehnsucht. KATZE IM SACK macht sogar noch die richtigen Fehler, ist jederzeit wirkliches Kino, das sich von aller Fernsehästhetik gelöst hat, und schon durch seinen Mut, mit Konventionen zu brechen, Spaß macht. Im Einzelnen nicht ohne kleinere Schwächen ist das Ganze ein großer Wurf.
Das kann man auch von KOMBAT SECHZEHN von Mirko Borscht sagen, der zum kleinen Skandalfilm wurde, weil sich Jurymitglied (und Vorjahressieger) Markus Mittermeier daneben benahm und unter Protest vieler Zuschauer bereits im Kinosaal für alle hörbar über den Film echauffierte - ein peinliches Fehlverhalten, der inhaltlich absolut deplaziert war - "Faschistische Ästhetik" wetterte Mittermeier gegen den Film -, und im nachhinein noch all jenen recht gibt, die schon im letzten Jahr meinten, der Kopf hinter MUXMÄUSCHENSTILL sei in Wahrheit nicht der Regisseur, sondern Hauptdarsteller Henning Stahlberg. Als Mittermeier dann noch lauthals verkündete, er werde verhindern, dass der Film einen Preis bekomme, fragte man sich, ob denn am Ende nur einer entscheidet, und alle anderen nach Mittermeiers Pfeife tanzen. Die Entscheidung am Ende bestätigte diesen Eindruck.
Im Stil von AMERICAN HISTORY X taucht Borscht ein in die Jugendkultur ostdeutscher Neonazis. Der Film, dessen Drehbuch übrigens mit Jana Erdmann von einer Frau geschrieben wurde, zeigt - glücklicherweise ohne voreilige Distanzierung und moralischen Zeigefinger - Gewalt als Bestandteil heutiger Jugendkultur, und nimmt sich ernsthaft und durchaus differenziert der Frage an, warum ein 15jähriger zum Skinhead wird. Einige Taekwondo-Kampfszenen sind hervorragend und elegisch gefilmt. Dabei ist KOMBAT SECHZEHN ein Gegenstück zu einem Film wie "Napola", der allen visuell unschönen Seiten seines Themas ausweicht, oder sie durch Weichzeichner und Kitschmusik überspielt. Borscht macht sich nicht mit der Szene gemein, ist in seinem Urteil immer klar, aber er hat mehr Fragen als Antworten. Trotzdem ging KOMBAT SECHZEHN ohne Preis aus - wohl auch weil der vom ZDF mitfinanzierte Film zwar über weite Strecken sehr gelungen inszeniert ist, aber doch ein paar Kolportageelemente und überzeichnete Szenen den starken Gesamteindruck trüben.

Esther Gronenborn gelang einst mit ALASKA.DE ein bravouröses Debüt. In ADIL GEHT stehen wieder Jugendliche, ihr Lebensgefühl und ihre Musik im Zentrum. Diesmal sind es allerdings vor allem Moslems und Roma aus dem Kosovo, die im thüringischen Altenburg als geduldete Flüchtlinge leben. Der Alltag ist von der Spannung zwischen Familientradition und deutscher Wirklichkeit geprägt - auch Altenburg hat die Moderne, haben Krise und Hartz IV. längst erreicht. Einen keinen Fluchtpunkt bildet die HipHop-Musik, wo ein paar Jungs einen gemeinsamen Breakdance-Wettkampf vorbereiten. Da erreicht eine Familie der Abschiebungsbeschluß…
Mit viel Sensibilität spürt Gronenborn ihren Figuren, deren Sorgen und Träumen nach. Trotz unverhohlener Sympathie schaut sie auch dort nicht weg, wo es unangenehm wird, ohne aber ins Moralisieren zu verfallen. So zeigt sie, das zwiespältige Verhalten der Jungs gegenüber ihren deutschen Freundinnen - zwischen echtem Gefühl und Heuchelei, etwa wenn einer seiner Freundin verheimlicht, dass er von seiner Familie längst verheiratet wurde. Sehr nüchtern konstatiert Gronenborn auch die Folgen die deutsches Recht auch unter liberalisierten Bedingungen dort hat, wo seine Anwendung hautnah spürbar wird: Mag es auch Gründe für die Abschiebung geben, begreift der Zuschauer, das die betroffene Familie in ihrer "Heimat" keine gute Zukunft hat. Immer wieder taucht ADIL GEHT in das Lebensgefühl seiner Figuren ein, verliert sich in der Musik, beweist viel Gefühl für Jugendkultur - nur wirkt er Film insgesamt etwas illustrativer, weniger aus einem Guß, als Gronenborns Erstling. Fast erzählt sie zuviel auf einmal. Im Grunde will und muss man noch mehr sehen, damit ADIL GEHT perfekt funktionieren würde. Zudem ist die Tugend des Films - seine Nähe zu den Figuren - auch ein Problem: Etwas mehr Abstand zu manchen Mythen von Blut und Kameradschaft hätte gut getan, auch wenn jederzeit klar bleibt, das dies vor allem großmäuliges Jungs-Gerede ist, hinter dem sich - nur allzu berechtigte - Angst verbirgt.

Ein letztes Glanzlicht des Wettbewerbs kam aus Österreich. HOTEL von Jessica Hausner (LOVELY RITA) taucht in den dunklen Wald und, wie zuletzt manch anderer Film, in die Atmosphären klassischer Märchen ein, dekonstruiert sie, und entdeckt dabei den Horrorfilm neu als Sujet des Autorenkinos - was die Jury ganz offenkundig überforderte. Irene (glänzend gespielt von Franziska Weisz) kommt als Lehrling in ein Berghotel. Bald häufen sich die Merkwürdigkeiten, und sie beginnt dem Schicksal ihrer Vorgängerin nachzuspüren, die wie sich herausstellt, spurlos verschwand. Hausners sehr präzise Bilder rühren ans Unterbewusstsein des Zuschauers und sperren sich gewollt jeder schnellen Aktualisierung. Dafür erlebt man in Hotel ein Kino, das souverän mit mythischen Erfahrungen und existentiellen Abgründen spielt, und insofern über jede Gegenwärtigkeit hinaus und ohne Verklärungen versucht, sich der Condition Humaine zu stellen - ein Anliegen, dass der deutsche Film erst allmählich wieder für sich entdeckt.

Rüdiger Suchsland

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