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30.09.2004
 
 
       

The Immoral Mr. Meyer

 
 
Faster, Pussycat! Kill! Kill!"
   
 
 
 
 



Amerika hat einen seiner besten Söhne verloren, aber man muss befürchten, dass die USA derzeit nicht angemessen stolz sind auf Leute wie Russ Meyer. Er war ein Pionier, ein Business-Tycoon und, ja, ein Künstler. Er hat im Zweiten Weltkrieg für sein Land gekämpft, wobei er als Soldat zugleich seine Ausbildung und Feuertaufe als Kameramann erlebte - und wo er sein Weltbild prägte, Erfahrungen mit der Gewalt sammelte, die später in seinen Werken immer wieder ausbricht. Wäre es nur die Gewalt, die Meyers Filme prägt, dann hätte er bestimmt auch einen prominenteren Platz in amerikanischen Ruhmeshallen. Aber berühmt geworden ist er durch etwas anderes, im Land der Puritaner Verpönteres: Durch Sex. "King Leer", den König des lüsternen Grinsens, hat man ihn genannt. Und er wird unvergessen bleiben als Regisseur nicht irgendwelcher Tittenfilme. Sondern er war der, bei dem die Titten am allergrößten waren - und die Filme am allerbesten.

Dem Spielfilmdebut des einstigen Playboy-Fotografen, THE IMMORAL MR. TEAS von 1959, haftete noch der Herrenwitz-Geist der '50er an, das, was man so "frivol" nannte und wie es heute noch auf dem Level von "Neue Revue"-Cartoons weiterwest. Doch der Film - der erste "Nudie", der über $ 1 Mio. einspielte - hat längst nicht die Verklemmtheit vergleichbarer Zeitprodukte; schon in ihm macht sich Meyer über Doppelmoral mehr lustig, als dass er sie bedient.
Einer seiner Schwarzweiß-Filme (ich habe vergessen, welcher) wird später damit beginnen, dass die Kamera eine Landstraße entlangfährt - und von einem Priester gestoppt wird, der uns warnt, dass wir uns auf dem Weg der Sünde befinden. Schöner kann man kaum die Bedenkenträger und Moralschreier zufriedenstellen und zugleich der Lächerlichkeit preisgeben. Das wahre Motto lautet hier für Meyer natürlich: Drive on, baby!

Russ Meyer hat lustvoll und (im besten, direktesten Wortsinn) un-verschämt zelebriert, dass Kino zuallererst ein Ort der Wunscherfüllung ist. Er hat nicht groß verbrämt oder entschuldigt, dass er dort seine Obsessionen auslebte; hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass unser Blick auf die Leinwand üblicherweise ein lustvoller ist.
Er liebte Frauen mit Brüsten ab Melonengröße aufwärts, und die gab's dann auch reichlich zu sehen. Der narrative Überbau und das, was er mit den Filmen nebenher über die Gesellschaft sagen konnte (Meyer war stets auch Satiriker) waren ihm dabei nie egal - aber er hat sie nicht als Entschuldigung gebraucht für das, was er vor allem zeigen und sehen wollte.
Meyer war zudem einer der wenigen, dessen Werke man trotzdem auch dann mit Vergnügen genießen konnte, wenn man deren zentralen Fetisch nicht teilte. (Selbst '70er-Jahre Feministinnen, allem "Pornographischen" oft aus Prinzip abhold, fanden nicht selten an Meyers Werk Gefallen - weil bei ihm fast immer die Frauen die Zügel in der Hand hielten, die Power und Tatkraft hatten, während Männer meist eher armselige Wichte waren, den üppigen Damen verfallen und (buchstäblich) unterlegen.) Seine Freude an hypertrophen Milchdrüsen vermittelte Meyer so schwungvoll, dass man sich mitfreuen konnte, auch wenn man es selbst etliche BH-Größen kleiner deutlich sexier gefunden hätte - und seine Filme hatten in genug anderen Belangen XXXXL-Format, um allerlei sonstige Unterhaltung zu bieten.

Gerade das Quartett seiner wohl stärksten Werke, 1964/65 entstandenen Werke - LORNA; MUDHONEY; MOTORPSYCHO und FASTER, PUSSYCAT, KILL, KILL!, dessen Titel allein genialer ist als das Gesamtwerk manch anderer Regisseure - würde man heute ohnehin nur schwerlich als primär "erotische" Filme ansehen. Wobei sie GEILER sind als fast alles, was Hollywood je an vermeintlichen Sex-Szenen zustande gebracht hat.
Meyer gehört zu den knalligsten Regisseuren, die dem amerikanische Kino je gegönnt waren. Er war ein Meister des Schnitts ebenso wie der wuchtigen, holzschnittklaren Einstellungen. Er hat das Medium Film geliebt und mit ihm gespielt, wo er nur konnte. Es ist, mit ganz wenigen Ausnahmen, fast unmöglich, sich in einem Russ Meyer-Film zu langweilen.

Russ Meyers Werk ist das Produkt seiner privaten Fantasien im Zusammenwirken mit einer historischen Konstellation von Produktions- und Vertriebswegen, von Zensurbestimmungen und technischen Gegebenheiten. Sein Wirken fällt in jene Zeit, als die großen Studios die direkte Kontrolle über die Kinos verloren, sich der Film mit der Konkurrenz des Fernsehens auseinanderzusetzen hatten, die amerikanische Mainstream-Kultur nicht mehr so tun konnte, als sei sie monolithisch - als sich also plötzlich überall Lücken auftaten, die findigen Produzenten und Verleihern Chancen eröffneten. Meyer gehört zu jener Riege, die durch Autokinos, Double Features, Provinzkinos groß wurden und nicht durch die strahlenden Premieren-Paläste. "Exploitation" nennt man seine Art Film - ein Kino, dass mit Versprechungen an die "niederen Instinkte" lockt; das sein Geschäft allein durch den Titel oder ein Gimmick, durch (nicht selten falsche) Verführungen macht und bei dem die Qualität des Films selbst letztlich egal ist: Und zwar auch im Positiven - Leute wie Meyer konnten, sofern sie nur genug nackte Haut zeigten, auch immer einem unvorbereiteten Publikum allerhand Unerwartetes, Verrücktes, Subversives untermogeln.
Das hatte erst dann ein Ende, als zunächst Sexfilm-Kinos sich zu spezialisieren begannen und ihnen bloße prickelnde Erotik nicht mehr genügte als Attraktion - und später das Aufkommen von Heimvideo ganz dazu führte, dass der Sexfilm-Konsument lieber in häuslicher Abgeschiedenheit selbst Hand anlegte.

Echten Hardcore hat Meyer immer abgelehnt, aber in den '70ern haben seine Filme auf ihre Weise einiges von ihrer Unschuld eingebüßt. Sie wurden expliziter, die Brüste der Hauptdarstellerinnen nahmen immer groteskere Ausmaße an, die Gewalt wurde häufiger und härter. Was als muntere Knalligkeit begonnen hatte, steigerte sich immer mehr zum unerbittlichen Willen zum Exzess, und die Resultate waren noch immer einzigartig, aber oft mit unangenehmeren Beigeschmäcken behaftet. Es waren wohl nicht NUR die äußeren Gegebenheiten, die Meyer dazu brachten, als Kinoregisseur aufzuhören. Seine künstlerische Entwicklung war in dieser Hinsicht auch an einem Kulminationspunkt angekommen. Was, bitteschön, hätte nach dem atemberaubenden BENEATH THE VALLEY OF THE ULTRA-VIXENS von 1979 noch kommen sollen?
Außerdem kann man sich Meyer schwer vorstellen in der Ästhetik der 1980er und in der Ära Reagan. Sein Werk war stets - weil Meyer ein gutes Gespür für Zeitströmungen hatte und weil "Pornographie" das sowieso immer ist - ein Spiegel der kollektiven amerikanischen Geistesverfassung. Gerade auch darin, dass es in den '70ern düsterer, paranoider wurde. Dass Meyer nicht in die'80er passte, hatte mehr als geschäftliche Gründe. Wäre das nicht zu zynisch, wäre man versucht, es auch als Zeichen zu sehen, dass er gerade jetzt verstorben ist.

Der Tod von Russ Meyer macht traurig als Symbol des definitven Endes einer Ära - sein eigentliches Wirken als Künstler hatte ja schon länger weitgehend seinen Abschluss gefunden. Die IMDB verzeichnet nach BENEATH THE VALLEY OF THE ULTRA-VIXENS nur noch eine Direct-to-Video-Produktion von 2001, PANDORA'S PEAKS, von der allgemein aber offenbar kaum Notiz genommen wurde. (Nur in Deutschland konnte man Mitte der '80er nochmal einen "neuen" Russ Meyer entdecken: UP!, eigentlich 1976 gedreht, kam bei uns mit zehn Jahren Verspätung auf die Leinwand - und hätte eigentlich im Zuge der derzeitigen Führerbunker-Film-Begeisterung dringend eine Wiederaufführung verdient.) Hauptsächlich kümmerte sich Meyer als Geschäftsmann um die Auswertung seiner Filme auf Video und jüngst DVD, außerdem arbeitete er an autobiographischen Projekten. Ab und zu hörte man munkeln von einem letzten magnum opus, an dem er bastle, aber das scheint Mythos geblieben zu sein - wobei wir uns vom Nachlass gerne bald eines Besseren belehren ließen.

Wenn es denn ein Paradies geben sollte, dann hat Russ Meyer jedenfalls zum einen verdient, jetzt dort zu sitzen. Und zum anderen, dass dort nicht irgendwelchen doofen 20 Jungfrauen auf ihn warten, ihm die Füße zu salben oder so - sondern jede Menge echte, geile, starke Weiber mit wunderprallen Monstertitten.

Thomas Willmann

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