|
Amerika hat einen seiner besten Söhne verloren, aber man muss
befürchten, dass die USA derzeit nicht angemessen stolz sind
auf Leute wie Russ Meyer. Er war ein Pionier, ein Business-Tycoon
und, ja, ein Künstler. Er hat im Zweiten Weltkrieg für sein
Land gekämpft, wobei er als Soldat zugleich seine Ausbildung
und Feuertaufe als Kameramann erlebte - und wo er sein Weltbild
prägte, Erfahrungen mit der Gewalt sammelte, die später in
seinen Werken immer wieder ausbricht. Wäre es nur die Gewalt,
die Meyers Filme prägt, dann hätte er bestimmt auch einen
prominenteren Platz in amerikanischen Ruhmeshallen. Aber berühmt
geworden ist er durch etwas anderes, im Land der Puritaner
Verpönteres: Durch Sex. "King Leer", den König des lüsternen
Grinsens, hat man ihn genannt. Und er wird unvergessen bleiben
als Regisseur nicht irgendwelcher Tittenfilme. Sondern er
war der, bei dem die Titten am allergrößten waren - und die
Filme am allerbesten.
Dem Spielfilmdebut des einstigen Playboy-Fotografen, THE IMMORAL
MR. TEAS von 1959, haftete noch der Herrenwitz-Geist der '50er
an, das, was man so "frivol" nannte und wie es heute noch
auf dem Level von "Neue Revue"-Cartoons weiterwest. Doch der
Film - der erste "Nudie", der über $ 1 Mio. einspielte - hat
längst nicht die Verklemmtheit vergleichbarer Zeitprodukte;
schon in ihm macht sich Meyer über Doppelmoral mehr lustig,
als dass er sie bedient.
Einer seiner Schwarzweiß-Filme (ich habe vergessen, welcher)
wird später damit beginnen, dass die Kamera eine Landstraße
entlangfährt - und von einem Priester gestoppt wird, der uns
warnt, dass wir uns auf dem Weg der Sünde befinden. Schöner
kann man kaum die Bedenkenträger und Moralschreier zufriedenstellen
und zugleich der Lächerlichkeit preisgeben. Das wahre Motto
lautet hier für Meyer natürlich: Drive on, baby!
Russ Meyer hat lustvoll und (im besten, direktesten Wortsinn)
un-verschämt zelebriert, dass Kino zuallererst ein Ort der
Wunscherfüllung ist. Er hat nicht groß verbrämt oder entschuldigt,
dass er dort seine Obsessionen auslebte; hat nie einen Hehl
daraus gemacht, dass unser Blick auf die Leinwand üblicherweise
ein lustvoller ist.
Er liebte Frauen mit Brüsten ab Melonengröße aufwärts, und
die gab's dann auch reichlich zu sehen. Der narrative Überbau
und das, was er mit den Filmen nebenher über die Gesellschaft
sagen konnte (Meyer war stets auch Satiriker) waren ihm dabei
nie egal - aber er hat sie nicht als Entschuldigung gebraucht
für das, was er vor allem zeigen und sehen wollte.
Meyer war zudem einer der wenigen, dessen Werke man trotzdem
auch dann mit Vergnügen genießen konnte, wenn man deren zentralen
Fetisch nicht teilte. (Selbst '70er-Jahre Feministinnen, allem
"Pornographischen" oft aus Prinzip abhold, fanden nicht selten
an Meyers Werk Gefallen - weil bei ihm fast immer die Frauen
die Zügel in der Hand hielten, die Power und Tatkraft hatten,
während Männer meist eher armselige Wichte waren, den üppigen
Damen verfallen und (buchstäblich) unterlegen.) Seine Freude
an hypertrophen Milchdrüsen vermittelte Meyer so schwungvoll,
dass man sich mitfreuen konnte, auch wenn man es selbst etliche
BH-Größen kleiner deutlich sexier gefunden hätte - und seine
Filme hatten in genug anderen Belangen XXXXL-Format, um allerlei
sonstige Unterhaltung zu bieten.
Gerade das Quartett seiner wohl stärksten Werke, 1964/65
entstandenen Werke - LORNA; MUDHONEY; MOTORPSYCHO und FASTER,
PUSSYCAT, KILL, KILL!, dessen Titel allein genialer ist als
das Gesamtwerk manch anderer Regisseure - würde man heute
ohnehin nur schwerlich als primär "erotische" Filme ansehen.
Wobei sie GEILER sind als fast alles, was Hollywood je an
vermeintlichen Sex-Szenen zustande gebracht hat.
Meyer gehört zu den knalligsten Regisseuren, die dem amerikanische
Kino je gegönnt waren. Er war ein Meister des Schnitts ebenso
wie der wuchtigen, holzschnittklaren Einstellungen. Er hat
das Medium Film geliebt und mit ihm gespielt, wo er nur konnte.
Es ist, mit ganz wenigen Ausnahmen, fast unmöglich, sich in
einem Russ Meyer-Film zu langweilen.
Russ Meyers Werk ist das Produkt seiner privaten Fantasien
im Zusammenwirken mit einer historischen Konstellation von
Produktions- und Vertriebswegen, von Zensurbestimmungen und
technischen Gegebenheiten. Sein Wirken fällt in jene Zeit,
als die großen Studios die direkte Kontrolle über die Kinos
verloren, sich der Film mit der Konkurrenz des Fernsehens
auseinanderzusetzen hatten, die amerikanische Mainstream-Kultur
nicht mehr so tun konnte, als sei sie monolithisch - als sich
also plötzlich überall Lücken auftaten, die findigen Produzenten
und Verleihern Chancen eröffneten. Meyer gehört zu jener Riege,
die durch Autokinos, Double Features, Provinzkinos groß wurden
und nicht durch die strahlenden Premieren-Paläste. "Exploitation"
nennt man seine Art Film - ein Kino, dass mit Versprechungen
an die "niederen Instinkte" lockt; das sein Geschäft allein
durch den Titel oder ein Gimmick, durch (nicht selten falsche)
Verführungen macht und bei dem die Qualität des Films selbst
letztlich egal ist: Und zwar auch im Positiven - Leute wie
Meyer konnten, sofern sie nur genug nackte Haut zeigten, auch
immer einem unvorbereiteten Publikum allerhand Unerwartetes,
Verrücktes, Subversives untermogeln.
Das hatte erst dann ein Ende, als zunächst Sexfilm-Kinos sich
zu spezialisieren begannen und ihnen bloße prickelnde Erotik
nicht mehr genügte als Attraktion - und später das Aufkommen
von Heimvideo ganz dazu führte, dass der Sexfilm-Konsument
lieber in häuslicher Abgeschiedenheit selbst Hand anlegte.
Echten Hardcore hat Meyer immer abgelehnt, aber in den '70ern
haben seine Filme auf ihre Weise einiges von ihrer Unschuld
eingebüßt. Sie wurden expliziter, die Brüste der Hauptdarstellerinnen
nahmen immer groteskere Ausmaße an, die Gewalt wurde häufiger
und härter. Was als muntere Knalligkeit begonnen hatte, steigerte
sich immer mehr zum unerbittlichen Willen zum Exzess, und
die Resultate waren noch immer einzigartig, aber oft mit unangenehmeren
Beigeschmäcken behaftet. Es waren wohl nicht NUR die äußeren
Gegebenheiten, die Meyer dazu brachten, als Kinoregisseur
aufzuhören. Seine künstlerische Entwicklung war in dieser
Hinsicht auch an einem Kulminationspunkt angekommen. Was,
bitteschön, hätte nach dem atemberaubenden BENEATH THE VALLEY
OF THE ULTRA-VIXENS von 1979 noch kommen sollen?
Außerdem kann man sich Meyer schwer vorstellen in der Ästhetik
der 1980er und in der Ära Reagan. Sein Werk war stets - weil
Meyer ein gutes Gespür für Zeitströmungen hatte und weil "Pornographie"
das sowieso immer ist - ein Spiegel der kollektiven amerikanischen
Geistesverfassung. Gerade auch darin, dass es in den '70ern
düsterer, paranoider wurde. Dass Meyer nicht in die'80er passte,
hatte mehr als geschäftliche Gründe. Wäre das nicht zu zynisch,
wäre man versucht, es auch als Zeichen zu sehen, dass er gerade
jetzt verstorben ist.
Der Tod von Russ Meyer macht traurig als Symbol des definitven
Endes einer Ära - sein eigentliches Wirken als Künstler hatte
ja schon länger weitgehend seinen Abschluss gefunden. Die
IMDB verzeichnet nach BENEATH THE VALLEY OF THE ULTRA-VIXENS
nur noch eine Direct-to-Video-Produktion von 2001, PANDORA'S
PEAKS, von der allgemein aber offenbar kaum Notiz genommen
wurde. (Nur in Deutschland konnte man Mitte der '80er nochmal
einen "neuen" Russ Meyer entdecken: UP!, eigentlich 1976 gedreht,
kam bei uns mit zehn Jahren Verspätung auf die Leinwand -
und hätte eigentlich im Zuge der derzeitigen Führerbunker-Film-Begeisterung
dringend eine Wiederaufführung verdient.) Hauptsächlich kümmerte
sich Meyer als Geschäftsmann um die Auswertung seiner Filme
auf Video und jüngst DVD, außerdem arbeitete er an autobiographischen
Projekten. Ab und zu hörte man munkeln von einem letzten magnum
opus, an dem er bastle, aber das scheint Mythos geblieben
zu sein - wobei wir uns vom Nachlass gerne bald eines Besseren
belehren ließen.
Wenn es denn ein Paradies geben sollte, dann hat Russ Meyer
jedenfalls zum einen verdient, jetzt dort zu sitzen. Und zum
anderen, dass dort nicht irgendwelchen doofen 20 Jungfrauen
auf ihn warten, ihm die Füße zu salben oder so - sondern jede
Menge echte, geile, starke Weiber mit wunderprallen Monstertitten.
Thomas Willmann
|