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23.09.2004
 
 
       

Tragödie ist Komödie ist Tragödie ist...
Raw Deal: Emotionen, Reflexionen und Mann's men - erste Eindrücke auf dem Festival von San Sebastian

 
 
Woody Allens MELINDA AND MELINDA
   
 
 
 
 

"Every woman wants a man, who is funny." - "That's what they say in public." Fröhlich ging es schon los beim Festival in San Sebastian, wo sich dieser Dialog gleich auf der Eröffnungspressekonferenz entspann - zwischen Amanda Peet und ihrem Regisseur Woody Allen. Da saß Allen, über dessen private Charaktereigenschaften in der US-Presse gerade zuletzt wieder nicht wirklich nur Nettes zu lesen war, zwischen drei verführerischen Hollywoodschönheiten und versprühte Charme bis in die letzte Reihe.

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MELINDA AND MELINDA heißt sein neuer Film, der das Festival in der baskischen Hauptstadt eröffnete, und zugleich Auftakt war für die erste komplette Allen-Retrospektive auf europäischem Boden. Allen wird zum Jahresende 69, Zeit für erste Bilanzen. Der Festivalkatalog, gezwungen, seine Filme zu gliedern, scheint sich dabei vor allem an den Frauen in seinem Leben zu orientieren, unterscheidet also eine "frühe Phase", die Diane-Keaton-Phase, die Mia Farrow-Phase und die Zeit danach. Was die allerdings wirklich zusammenhält, bleibt offen.

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Der neue Film verrät da vielleicht schon mehr: MELINDA AND MELINDA erzählt von den Liebesleiden einer jungen Frau gleich zweimal - einmal als Tragödie und einmal als Komödie. Letztere wirkt allerdings, wie bei Allen nicht anders zu erwarten, oft tragischer, die Tragödie komischer als die jeweils andere Hälfte. Am Ende lautet das nicht wahnsinnig originelle Fazit, es liege alles "im Auge des Betrachters". MELINDA AND MELINDA ist der beste Film Allens seit langem. Nicht ganz so flach wie JADE SCORPION, nicht ganz so dialoglastig wie ANYTHING ELSE. Und mit guten Darstellern. Die Überraschung dabei ist Radha Mitchell in der Doppelrolle der Melinda. Sie muss den Film tragen und es gelingt ihr leicht. In einigen komischen Augenblicken wirkt sie wie eine Neuauflage von Michelle Pfeiffer.

Was bei alldem auch unübersehbar ist: Wie skeptisch und pessimistisch Allen hinter der Maske des Humoristen erscheint.

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Die Allen-Retrospektive müssen wir trotzdem links liegen lassen, denn das Festival von San Sebastian ist ja seit Jahren für seine Retros so berühmt, dass sie gleich drei auf einmal veranstalten, eine Attacke auf die Gesundheit jedes Filmfans, der sich in drei Teile teilen muss und gezwungen ist, das Kino gar nicht mehr zu verlassen.

Die zweite Retro gilt den "Incorrectos", wie der Spanier sagt, ist also Anlaß für ein wildes Sammelsurium von vermeintlich oder tatsächlich irgendwie anstößigen Filmen, von den Marx Brothers (DUCK SOUP) bis zu Solondz' HAPPINESS, von SID AND NANCY bis ROGER & ME. Hier kann man nachholen, wiedersehen - und weil man zumindest glaubt, vieles schon zu kennen, lassen wir diese Retro rechts liegen und konzentrieren uns auf die dritte, größte, in der allein man schon vier bis fünf Filme täglich sieht: Anthony Mann, nicht der Vater von Michael, wie in Venedig manch einer voreilig vermutete, aber genau wie der Regisseur von HEAT und dem wunderbaren COLLATERAL (ab 23.9. im Kino, unbedingt sehenswert!) ein men's man. Ein Regisseur, dessen Filme fast nur von Männern handeln, in vermeintlichen Männerwelten spielen. Dabei stehen in einigen seiner besten Filme Frauen zumindest gleichberechtigt im Zentrum. Zum Beispiel in RAW DEAL von 1948, meinem bisherigen Lieblingsfilm: ein Gangster zwischen zwei Frauen, die ihn lieben, und für ihn zwei verschiedene Lebensmöglichkeiten verkörpern. Zuerst wird er von ihnen im Gefängnis besucht. Weil er dort auch metaphorisch festsitzt, können sie, die alternde Gangsterbraut und die junge Anwältin, alle ihre eigenen Hoffnungen auf ihn projizieren.

Dann bricht der Gangster aus, und nach gut zehn Minuten sitzt er mit beiden Frauen gemeinsam (aber auch zwischen ihnen) im Fluchtwagen. Schnell ist klar, dass er (weil ein Held) zur Utopie tendiert, die hier, für ihn im Bürgerlichen liegt, also in der Anwältin. Aber die kriegt er nicht, und wie er sie nicht bekommt, das ist einer der schönsten, traurigsten films noirs, die ich kenne.

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Anthony Mann ist bei uns vor allem als Western-Regisseur bekannt. In Wim Wenders Buch "Emotion Pictures", auch nach 30 Jahren immer noch besser, jünger und frischer als die meisten Wenders-Filme, kann man nachlesen, welchen Eindruck Manns Western im Münchner Filmmuseum auf den jungen Wenders machten. Der amerikanische Traum, schon gebrochen. Bilder, die in ihren besten, leider etwas zu seltenen Momenten, auch von Antonioni stammen könnten. Landschaftsmalerei und Menschenzeichnung a l'americaine. Die andere unbekanntere Seite ist aber der Film-Noir-Regisseur Mann, den man in San Sebastian neu entdeckt.

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Die aktuellen Filme im Wettbewerb und in der Nebenreihe sind zumindest nicht schlechter, als die im Wettbewerb von Venedig; politisch sind sie relevanter. Zwar fehlen die großen Namen, und leider zeigt man hier traditionell nicht viele Asiaten, aber dafür Filme wie BROTHERS von der Dänin Susanne Bier. Dieser exzellente Film, kein Dogma-Werk, aber durchaus in der erzählerischen, auch stilistischen Tradition der Gruppe, handelt davon, was der Krieg mit Menschen macht.

Richtige Filmbilder (auch das konnte man nur von den wenigsten Venedig-Filmen sagen) und Kino der Leidenschaften, auch für den Zuschauer: Ein dänischer Soldat verabschiedet sich von seiner Familie, man sieht, dass hier ein festes, dabei unverklärtes Glück besteht. Am Morgen muss er nach Afghanistan, auf UNO-Mission. Er wirkt wie die Hauptperson, doch dann explodiert sein Hubschrauber, fällt wie ein Stein in einen See, und plötzlich sind wir bei der Witwe, gespielt von Connie Nielsen. Wir sehen eine Trauerfeier, die Folgen für die Kinder, den Zusammenbruch der Familie über diesem Tod. Denn der Tote war der Lieblingssohn des Vaters. Und dann, in der Hälfte des Films, als sich alle mühsam wieder berappeln, steht der Tote wieder auf. Durch Glück hat er überlebt, in einem afghanischen Gefangenenlager. Jetzt wurde er befreit. Doch als er zurück ist, wird trotzdem nichts, wie es war. Im Gegenteil: Im Lager zwang man ihn, einen Mitgefangenen zu töten, traumatisiert wird er zur Gefahr für seine Familie.

BROTHERS ist ein kühles Melodram, eindringlich, immer nahe an der Gegenwart. Man fragt sich traurig und etwas resigniert, warum solche Filme nie in Deutschland gemacht werden.

(to be continued)

Rüdiger Suchsland

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