"Every woman wants a man, who is funny." - "That's
what they say in public." Fröhlich ging es schon
los beim Festival in San Sebastian, wo sich dieser Dialog
gleich auf der Eröffnungspressekonferenz entspann - zwischen
Amanda Peet und ihrem Regisseur Woody Allen. Da saß
Allen, über dessen private Charaktereigenschaften in
der US-Presse gerade zuletzt wieder nicht wirklich nur Nettes
zu lesen war, zwischen drei verführerischen Hollywoodschönheiten
und versprühte Charme bis in die letzte Reihe.
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MELINDA AND MELINDA heißt sein neuer Film, der das
Festival in der baskischen Hauptstadt eröffnete, und
zugleich Auftakt war für die erste komplette Allen-Retrospektive
auf europäischem Boden. Allen wird zum Jahresende 69,
Zeit für erste Bilanzen. Der Festivalkatalog, gezwungen,
seine Filme zu gliedern, scheint sich dabei vor allem an den
Frauen in seinem Leben zu orientieren, unterscheidet also
eine "frühe Phase", die Diane-Keaton-Phase,
die Mia Farrow-Phase und die Zeit danach. Was die allerdings
wirklich zusammenhält, bleibt offen.
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Der neue Film verrät da vielleicht schon mehr: MELINDA
AND MELINDA erzählt von den Liebesleiden einer jungen
Frau gleich zweimal - einmal als Tragödie und einmal
als Komödie. Letztere wirkt allerdings, wie bei Allen
nicht anders zu erwarten, oft tragischer, die Tragödie
komischer als die jeweils andere Hälfte. Am Ende lautet
das nicht wahnsinnig originelle Fazit, es liege alles "im
Auge des Betrachters". MELINDA AND MELINDA ist der beste
Film Allens seit langem. Nicht ganz so flach wie JADE SCORPION,
nicht ganz so dialoglastig wie ANYTHING ELSE. Und mit guten
Darstellern. Die Überraschung dabei ist Radha Mitchell
in der Doppelrolle der Melinda. Sie muss den Film tragen und
es gelingt ihr leicht. In einigen komischen Augenblicken wirkt
sie wie eine Neuauflage von Michelle Pfeiffer.
Was bei alldem auch unübersehbar ist: Wie skeptisch
und pessimistisch Allen hinter der Maske des Humoristen erscheint.
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Die Allen-Retrospektive müssen wir trotzdem links liegen
lassen, denn das Festival von San Sebastian ist ja seit Jahren
für seine Retros so berühmt, dass sie gleich drei
auf einmal veranstalten, eine Attacke auf die Gesundheit jedes
Filmfans, der sich in drei Teile teilen muss und gezwungen
ist, das Kino gar nicht mehr zu verlassen.
Die zweite Retro gilt den "Incorrectos", wie der
Spanier sagt, ist also Anlaß für ein wildes Sammelsurium
von vermeintlich oder tatsächlich irgendwie anstößigen
Filmen, von den Marx Brothers (DUCK SOUP) bis zu Solondz'
HAPPINESS, von SID AND NANCY bis ROGER & ME. Hier kann
man nachholen, wiedersehen - und weil man zumindest glaubt,
vieles schon zu kennen, lassen wir diese Retro rechts liegen
und konzentrieren uns auf die dritte, größte, in
der allein man schon vier bis fünf Filme täglich
sieht: Anthony Mann, nicht der Vater von Michael, wie in Venedig
manch einer voreilig vermutete, aber genau wie der Regisseur
von HEAT und dem wunderbaren COLLATERAL (ab 23.9. im Kino,
unbedingt sehenswert!) ein men's man. Ein Regisseur, dessen
Filme fast nur von Männern handeln, in vermeintlichen
Männerwelten spielen. Dabei stehen in einigen seiner
besten Filme Frauen zumindest gleichberechtigt im Zentrum.
Zum Beispiel in RAW DEAL von 1948, meinem bisherigen Lieblingsfilm:
ein Gangster zwischen zwei Frauen, die ihn lieben, und für
ihn zwei verschiedene Lebensmöglichkeiten verkörpern.
Zuerst wird er von ihnen im Gefängnis besucht. Weil er
dort auch metaphorisch festsitzt, können sie, die alternde
Gangsterbraut und die junge Anwältin, alle ihre eigenen
Hoffnungen auf ihn projizieren.
Dann bricht der Gangster aus, und nach gut zehn Minuten sitzt
er mit beiden Frauen gemeinsam (aber auch zwischen ihnen)
im Fluchtwagen. Schnell ist klar, dass er (weil ein Held)
zur Utopie tendiert, die hier, für ihn im Bürgerlichen
liegt, also in der Anwältin. Aber die kriegt er nicht,
und wie er sie nicht bekommt, das ist einer der schönsten,
traurigsten films noirs, die ich kenne.
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Anthony Mann ist bei uns vor allem als Western-Regisseur
bekannt. In Wim Wenders Buch "Emotion Pictures",
auch nach 30 Jahren immer noch besser, jünger und frischer
als die meisten Wenders-Filme, kann man nachlesen, welchen
Eindruck Manns Western im Münchner Filmmuseum auf den
jungen Wenders machten. Der amerikanische Traum, schon gebrochen.
Bilder, die in ihren besten, leider etwas zu seltenen Momenten,
auch von Antonioni stammen könnten. Landschaftsmalerei
und Menschenzeichnung a l'americaine. Die andere unbekanntere
Seite ist aber der Film-Noir-Regisseur Mann, den man in San
Sebastian neu entdeckt.
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Die aktuellen Filme im Wettbewerb und in der Nebenreihe sind
zumindest nicht schlechter, als die im Wettbewerb von Venedig;
politisch sind sie relevanter. Zwar fehlen die großen
Namen, und leider zeigt man hier traditionell nicht viele
Asiaten, aber dafür Filme wie BROTHERS von der Dänin
Susanne Bier. Dieser exzellente Film, kein Dogma-Werk, aber
durchaus in der erzählerischen, auch stilistischen Tradition
der Gruppe, handelt davon, was der Krieg mit Menschen macht.
Richtige Filmbilder (auch das konnte man nur von den wenigsten
Venedig-Filmen sagen) und Kino der Leidenschaften, auch für
den Zuschauer: Ein dänischer Soldat verabschiedet sich
von seiner Familie, man sieht, dass hier ein festes, dabei
unverklärtes Glück besteht. Am Morgen muss er nach
Afghanistan, auf UNO-Mission. Er wirkt wie die Hauptperson,
doch dann explodiert sein Hubschrauber, fällt wie ein
Stein in einen See, und plötzlich sind wir bei der Witwe,
gespielt von Connie Nielsen. Wir sehen eine Trauerfeier, die
Folgen für die Kinder, den Zusammenbruch der Familie
über diesem Tod. Denn der Tote war der Lieblingssohn
des Vaters. Und dann, in der Hälfte des Films, als sich
alle mühsam wieder berappeln, steht der Tote wieder auf.
Durch Glück hat er überlebt, in einem afghanischen
Gefangenenlager. Jetzt wurde er befreit. Doch als er zurück
ist, wird trotzdem nichts, wie es war. Im Gegenteil: Im Lager
zwang man ihn, einen Mitgefangenen zu töten, traumatisiert
wird er zur Gefahr für seine Familie.
BROTHERS ist ein kühles Melodram, eindringlich, immer
nahe an der Gegenwart. Man fragt sich traurig und etwas resigniert,
warum solche Filme nie in Deutschland gemacht werden.
(to be continued)
Rüdiger Suchsland
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