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                    "Forschung und Gedächtnis", brauche das Kino 
                    selbst dort noch, wo es vor allem Industrie ist, sagte der 
                    Münchner Büchner-Preisträger und Filmregisseur 
                    Alexander Kluge erst neulich in einem Interview. Damit definierte 
                    Kluge genau die Aufgaben, die ein Filmmuseum übernehmen 
                    könnte, zumindest in einer idealen Welt, die nicht von 
                    ökonomischen Sparzwängen und kulturpolitischem Desinteresse 
                    bestimmt ist. 
                  Lange Zeit war das Münchner Filmmuseum, das am Donnerstag 
                    den 11.12.03 seinen 40. Geburtstag feiert, in geradezu idealtypischem 
                    Sinn ein solcher Ort: Eine Kinemathek, die zu den großen 
                    der Welt gehörte, wo Filme archiviert wurden, man das 
                    Filmerbe - besonders das einst verfemte Kino der Emigranten 
                    - aufwendig restaurierte und in neuen Kopien der Kinowelt 
                    zur Verfügung stellte, wo man in regelmäßigen 
                    Vorführungen dem Publikum filmhistorischen Nachhilfeunterricht 
                    gab und damit Aufgaben übernahm, für die sich andere 
                    Bildungsanstalten unzuständig fühlten, und wo in 
                    Retrospektiven Schwerpunkte gesetzt und neues Kinowissen erschlossen 
                    wurde.  
                  Das Filmmuseum war ein Tempel für Münchner Cineasten. 
                    Aber nicht nur für sie: Stefan Drößler seit 
                    fünf Jahren der vierte Leiter des Traditionshauses hat 
                    schon recht, wenn er darauf hinweist, das Filmmuseum sei "die 
                    erste kommunale Kinostätte überhaupt in Deutschland" 
                    gewesen. Aber vor allem war es ein Ort von Weltgeltung, lange 
                    Zeit auch international "ein Institut von höchster 
                    Bedeutung," wie es Enno Patalas, der legendäre zweite 
                    Chef des Hauses zu seinem Abschied 1994 zusammenfasste. 
                   
                    Haltung und Charme - Ära Patalas 
                  Angefangen hatte das alles Ende 1963. Da gründete Joseph 
                    S. Rudolph das Museum, holte Prominenz wie Sternberg und Fellini 
                    nach München. 1973 übernahm der Filmhistoriker Patalas 
                    die Leitung und baute bis Ende 1994 das Filmmuseum zu einer 
                    international vorbildlichen und anerkannten Institution aus. 
                    Ob Kaurismäki oder Eastwood - sogar solche Weltberühmten 
                    schätzten das Filmmuseum und sie schätzten es vor 
                    allem durch die Politik von Patalas. Gewiss: Dieser Vollblut-Cineast 
                    machte es seinen Mitmenschen nach allem, was man hört 
                    nicht immer leicht: Ein Grantler, der - nicht ohne Eitelkeit 
                    - seine Vorlieben pflegte, der seinem Nachfolger ein chaotisch, 
                    oder besser: egomanisch organisiertes Haus hinterließ, 
                    in dem man sich nur mühsam zurechtfand, wo hunderte von 
                    Kisten noch unausgepackt herumlagen.  
                  Aber unausgepackt sind sie bis heute. Auch Patalas' Nachfolgern 
                    gelang mit ihren ganz anders ausgerichteten Interessen und 
                    Verhaltensweisen weder ein Videoraum zum Sichten von Kassettenbeständen, 
                    noch ein Bibliotheksbetrieb (und sei es an einem kümmerlichen 
                    Tag pro Woche), oder nur das systematische Ordnen und Erfassen 
                    der Bibliothek des Museums, ihr öffentliches Zugänglichmachen. 
                    Auch einen zweiten Kino-Saal gibt es nicht, und wird es in 
                    absehbarer Zeit nicht geben. Alles dies waren Pläne, 
                    die schon Patalas gehabt hatte, und mangels Sponsoren und 
                    Unterstützung durch das konsequent filmignorante städtische 
                    Kulturreferat ebenfalls nicht verwirklichen konnte. 
                  Doch inzwischen haben auch die Felder, die Patalas' Stärke 
                    waren, erheblich gelitten: Denn berühmt wurde dieser 
                    durch seine Sammlungspolitik und seine Restaurierungen: Die 
                    Münchner Fassungen von METROPOLIS oder NOSFERATU sind 
                    Meilensteine der Filmrekonstruktion. Heute liegen auch diese 
                    Felder weitgehend brach. Und das liegt nicht am fehlenden 
                    Geld allein. Enno Patalas Stärke war, daran muss erinnert 
                    werden, neben einer Kombination aus Haltung, Charme und Bauernschläue 
                    vor allem große filmische Leidenschaft. Patalas sammelte 
                    nicht alles Mögliche, sondern konsequent in eine Richtung: 
                    Deutsches Kino, inklusive dem Kino der Emigranten. Das hatte 
                    Sinn und Konzept, war ein Pfund, mit dem das Filmmuseum wuchern 
                    konnte. Viele Sammlungen des deutschen Autorenfilms, etwa 
                    die Schnittfassungen des frühen Wim Wenders gingen nach 
                    München, weil die Regisseure wussten: Hier sind sie in 
                    guten Händen. 
                  Dies alles hinderte ihn nicht daran, auch einem Verleiher 
                    eine Kopie des neuesten James-Bond abzuschwatzen, bevor dieser 
                    sie einstampfte, oder sich Nachlässe schenken zu lassen, 
                    die ihn nicht interessierten. Aber der James Bond wanderte 
                    dann bei nächster Gelegenheit auf dunklen Wegen nach 
                    Moskau, und wurde dort gegen einen neuen Film-Schnipsel von 
                    Murnau oder Lang eingetauscht, der dann wieder die METROPOLIS-Fassung 
                    schmückte und dem Filmmuseum Weltruhm sicherte. 
                   
                    500 Jahre Filmmuseum - der Stadt fehlt das Herz fürs 
                    Kino 
                  Ob ein Patalas sich je für den Nachlass von Orson Welles 
                    interessiert hätte, der heute eines der wenigen neueren 
                    Top-Stücke in der Sammlung ist? Eher nicht, denn dieser 
                    bündelt die knappen Kapazitäten, die dann woanders 
                    fehlen. Oder nur, um ihn gegen anderes einzutauschen, oder 
                    durch Vermietung Geld zu verdienen, das dann woanders hilft. 
                    Umgekehrt hat der Welles-Nachlass dem Filmmuseum nicht soviel 
                    genutzt, das man den Nachlass von Stanley Kubrick im vergangenen 
                    Jahr überhaupt angeboten bekommen hätte. Der wird 
                    jetzt vom Frankfurter Filmmuseum ausgewertet, das eine eigene 
                    Stelle für den Nachlass geschaffen hat. Man sieht an 
                    diesem Beispiel: Es liegt auch am Geld, dass die Stadt München 
                    skandalöser Weise für Film nicht übrig hat. 
                    Der Etat des Filmmuseum liegt bei nur ca. 200.000 Euro im 
                    Jahr, allein der Umbau der Kammerspiele war der Stadt weit 
                    über 100 Millionen wert - also mehr als 500 Jahre Filmmuseum!!! 
                  In den Kämpfen mit der Stadt zermürbte sich Patalas. 
                    Seinem Nachfolger Jan Horak (1994-1998) ging es nicht anders 
                    - seit 20 Jahren reicht der Etat nur zum notdürftigen 
                    Erhalt des Bestehenden. Seitdem herrscht Krisenökonomie: 
                    Der heutige Etat für Ankäufe ist gegenüber 
                    1980 mehr als halbiert, die Preise für Vorführrechte 
                    und Lizenzen dagegen explodierten seitdem. Allein die Rechte 
                    kosten mitunter 1000 Euro pro Film. Die Folgen sind: statt 
                    einst 800 Veranstaltungen gibt es jetzt nur noch 700, montags 
                    ist das Museum ganz geschlossen, ebenso im August, und auch 
                    die von Drößler erst neu eingeführten Spätvorstellungen 
                    gibt es bereits nicht mehr.  
                  Die Kosten für den Umbau des Filmmuseums dienen jetzt 
                    allen Beteiligten als Feigenblatt für ihre übrige 
                    Untätigkeit. Dabei waren die Ausgaben nicht mehr als 
                    ein Tropfen auf den heißen Stein, eine dringende Notwendigkeit, 
                    damit die vorhandenen Archivbestände nicht noch weiter 
                    verrotten, als dies bereits der Fall war. Es ist offenkundig: 
                    München, das gerne mit dem selbstgewählten Titel 
                    "Filmstadt" hausieren geht, hat kein Herz für 
                    das Filmmuseum, hat den Filmbereich bisher finanziell immer 
                    stiefmütterlich behandelt. 
                  Dass sich das ändert, muss man zum Geburtstag wünschen: 
                    40 ist ein schwieriges Alter, doch die Midlife-Crisis könnte 
                    vielleicht schließlich doch noch eine neue Blüte 
                    gebären. Der Kulturetat muss zugunsten des Filmmuseums 
                    umgeschichtet werden, es ist genau genommen ein Skandal, dass 
                    die siebte Kunst gegenüber den anderen sechs so missachtet 
                    wird - in einer Zeit, in der alle Welt von Medienkunde redet 
                    und "Kino in die Schule" bringen will.  
                  Dringend sollte das Filmmuseum auch aus dem trägen Apparat 
                    des Stadtmuseums herausgelöst werden. Das hätte 
                    zumindest zwei Vorteile: Die Verantwortung wäre klar 
                    und ungeteilt, Ausreden fielen weg. Und man könnte Sponsoren 
                    viel gezielter ansprechen.  
                  Schließlich sollte die unselige Praxis ein Ende haben, 
                    nach der das Filmmuseum seine Einnahmen an die Stadt abgeben 
                    muss, sich Sparsamkeit und Gewinne also gar nicht direkt für 
                    das Museum lohnen. Klar ist, dass Drößler und sein 
                    Team viel besser wirtschaften könnten, wenn sie Verfügung 
                    über das von ihnen Eingenommene hätten.  
                  Vom Leiter des Filmmuseums wünscht man sich aber auch 
                    mehr Eigeninitiative. Er sollte, wie Patalas, den Kampf mit 
                    den trägen Entscheidern der Stadt suchen, sollte die 
                    Schwäche der Kulturreferentin für seine Zwecke instrumentalisieren 
                    und politisch Handeln. Dazu muss er das interne Gespräch 
                    mit Gremien und Parteien ebenso nutzen, wie öffentlichen 
                    Druck. Patalas hatte viele Freunde unter den Filmjournalisten. 
                    Und wo er auf Granit beißt, muss er weniger konfliktscheu 
                    sein. In München hat das Filmmuseum derzeit keinen Platz 
                    mehr. Zu wenige kennen es. Wer daran zweifelt, sollte einmal 
                    einen Taxifahrer fragen, wo das Filmmuseum steht. 
                  Der Zwang zum Sparen lähmt, vor allem die Köpfe. 
                    Wann wäre eine bessere Zeit für Forschung und Erinnerung? 
                   
                  
                  Rüdiger Suchsland 
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