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26.06.2003
 
 
       

Filme als Schaufenster zu fremden Welten
12. Internationales Filmfestival Innsbruck (18. - 22.06.2003)

 
 
DILHIROJ
   
 
 
 
 

Der Blick in die Ferne öffnet sich in der Alpenstadt Innsbruck kaum, eingeschränkt wird die Sicht durch die umliegenden Berge wie Serles, Patscherkofel und Nordkette und auch der vor jedem Film gezeigte Werbeclip des Tiroler Tourismusverbandes betont mit Flugaufnahmen von Schluchten, Wasserfällen, schneebedeckten Gipfeln und einem majestätisch dahingleitenden Adler die Schönheit des "Landes im Gebirg´".

In starkem Kontrast zu diesem Ambiente stehen - auch wenn den tadschikischen Regisseur Djamshed Usmonov Innsbruck an seine Heimat erinnert - die Festivalfilme. Karge Wüstenlandschaften und farbenprächtige Gewänder machen sofort deutlich, dass hier andere Welten im Mittelpunkt stehen.

Glücklich freilich sind die Menschen in diesen Filmen nur selten, meist streben sie wie im bestechend fotografierten "Heremakono" des Mauretaniers Abderrahmane Sissako nach einem Ausbruch aus ihrer Umwelt. Nicht nur der seiner Kultur schon entfremdete, sich auf seine endgültige Abreise nach Europa vorbereitende Abdallah, sondern auch der einheimische Makan, eine aus China immigrierte Karaoke-Sängerin oder der alte Elektriker Maat und sein jugendlicher Gehilfe sehnen sich nach einer Veränderung. Ihr Aufenthalt ist entsprechend der Übersetzung des Titels ein "Warten auf das Glück". Durchgehende Geschichte ergibt sich keine, aber wie bei einem Puzzle fügen sich die einzelnen Momentaufnahmen zu einem beschaulichen, aber intensiven Stimmungsbild, bei dem die Trennlinie zwischen Meer und Strand immer auch für die Grenze, an der sich die Figuren befinden, steht - die Grenze zwischen dem Hier und dem Dort.

Im Gegensatz zu diesem Wunsch nach Veränderung steht das Schicksal der Mädchen eines tunesischen Dorfes, die in Nouri Bouzids mit dem Filmpreis des Landes Tirol ausgezeichneten "Arais Al-Tein" ("Lehmpuppen") gegen ihren Willen aus ihrer Welt heraus gerissen werden. Ein besseres Leben möchten die Eltern ihren Kindern ermöglichen und übergeben sie deshalb dem ehemaligen Hausangestellten Omrane, der sie in der Metropole Tunis an die Oberschicht als Hilfskräfte vermittelt. Omrane erscheint dabei keineswegs als Ausbeuter, sondern ist ebenso wie die kleine Feddah, deren zu früher Verlust der Kindheit sich im Spiel mit Lehmpuppen äußert, und die schon vor Jahren von ihm nach Tunis gebrachte, inzwischen erwachsene Rebeh ein Opfer. Einfühlsam gelingt es Bouzid unterstützt von seinen drei großartigen Hauptdarstellern zu vermitteln, wie verloren diese entwurzelten Figuren in der anonymen Großstadt sind: Das Fehlen von sozialen Beziehungen scheint geradezu zwingend Verzweiflung und Einsamkeit nach sich zu ziehen.

Von sich aus den Aufbruch in eine fremde Welt wagt die algerischstämmige Französin Yasmine in Merzak Allouaches "L´Autre Monde". Auf der Suche nach ihrem verschollenen Verlobten begibt sich die junge Frau von Paris in das am Gegensatz von Moderne und Fundamentalismus schier zerbrechende Algerien. Je weiter Yasmine bei dieser Suche - dramaturgisch nicht unbedingt glaubwürdig - in Wüstenregionen vordringt, desto tiefer wird sie in die Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Truppen und Fundamentalisten hineingezogen, lernt die Gewalt und die Brutalität, mit der dieser Kampf geführt wird, am eigenen Leib kennen. Packend ist "L´Autre Monde" vor allem in der nüchternen und fast dokumentarischen Inszenierung der ersten Kontakte der Französin mit der fremden Welt. Spätestens wenn die Hauptfigur aber in einem einsamen Wüstenbordell ihren Verlobten findet, wendet sich Allouache von jedem Realismus ab und bedient sich einer überhöhten und metaphernreichen Erzählweise, die dem Sujet kaum angemessen ist und dem Film seine Kraft raubt.

Aus der heilen indischen Familienwelt in den Bürgerkrieg auf Sri Lanka werden wiederum die Protagonisten in Mani Ratnams "A Peck on the Cheek" hineingezogen, als sie beschließen mit ihrer adoptierten neunjährigen Tochter deren leibliche Mutter zu suchen. Kläglich gescheitert ist dieser Versuch ein politisch brisantes Thema mit den Mitteln des Bollywood-Kinos zu erzählen. Gegen populäres Kino der großen Emotionen gibt es nichts einzuwenden, fragwürdig ist es aber, eine aktuelle Problematik und bittere Kriegswirren schamlos für rührseliges und äußerst oberflächliches Entertainment zu missbrauchen.

Wesentlich überzeugender und einfühlsamer macht Rashid Masharawi in "Ticket to Jerusalem" den Zuschauer mit den schwierigen Lebensbedingungen in der von Israel besetzten Westbank vertraut. Mit einem klapprigen Jeep transportiert Jaber seinen Filmprojektor an Straßensperren vorbei durch die Region und organisiert Vorführungen für Kinder. In den Fahrten öffnet sich dabei einerseits ein ungeschminkter, dokumentarischer Einblick in das Alltagsleben der Palästinenser, andererseits ist Masharawi aber auch eine berührende Reflexion über die Funktion des Kinos gelungen, die Erinnerungen an Preston Sturges´ "Sullivan´s Travels" weckt. Jabers Filme bereiten gerade in dem von politischer Unsicherheit und Spannungen sowie von Arbeitslosigkeit bestimmten Alltag der Palästinenser nicht nur den Kindern wenigstens einige glückliche und unbeschwerte Stunden.

Solche Glücksmomente vermochten in Innsbruck den Zuschauern auch drei kleine, ganz private Filme zu bescheren. Gar keine Geschichte erzählen will beispielsweise der 23jährige Argentinier Luis Ortega in "Caja Negra". Mit dokumentarischem Blick beobachtet er die junge Dorotea, die sich einerseits um ihre 100jährige Großmutter, andererseits auch um ihren ebenso zerbrechlichen wie zerbrochenen und eingefallenen, soeben aus dem Gefängnis entlassenen Vater kümmert. Alle drei Personen begegnen sich erst am Ende des Films, dazwischen ist Dorotea das einzige Bindeglied. Auf jede Dramatisierung verzichtet der Argentinier und auch gesprochen wird nicht viel. Ortega zeigt nur alltägliche Verrichtungen, kleine Gesten und gemeinsame Mahlzeiten, doch im genauen und zärtlichen Blick auf diese Menschen gewinnen die liebevollen zwischenmenschlichen Zuwendungen Gewicht, erscheinen als einzige Freuden in einem von Beziehungslosigkeit und Kälte gekennzeichneten trostlosen Alltag.

Einfach, aber wunderbar geschlossen ist auch die Geschichte von Yusup Razykovs "Dilhiroj" ("Men´s Dance"). Am Beginn prophezeit die Großmutter ihrer kleinen Enkelin Sanam die Hochzeit und am Ende wird dieses Fest gefeiert. Razykov erzählt diese usbekische Dorfgeschichte nicht nur einfalls- und wendungsreich, sondern bettet sie auch geschickt in die Schilderung des Alltagslebens ein. Spürbar und ansteckend ist dabei in jeder Szene das Vergnügen, das die Produktion dieses Films allen Beteiligten bereitet haben muss.

Prächtig gezeichnete Typen und die genaue Schilderung des dörflichen Lebens zeichnen auch Djamshed Usmonovs "Farishtay Kifti Rost" ("Angel on the Right") aus. Nur um seine scheinbar todkranke Mutter zu bestatten und mit dem Erbe seine Schulden zu tilgen, kehrt Khamro nach 10 Jahren Abwesenheit in sein Heimatdorf zurück. Doch die Dinge verlaufen in dieser mit trockenem Humor erzählten Komödie anders als sich Khamro das vorstellte: Die Mutter stirbt nicht, dafür beauftragen ihn die Dorfbewohner sich endlich um seinen Sohn, von dessen Existenz er bisher nichts wusste, zu kümmern. - Der Schock sitzt tief und Khamro muss erst langsam lernen Verantwortung zu übernehmen.

Walter Gasperi

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