Anfang der 90er lebte in Deutschland plötzlich ein
alter Traum wieder auf: Der Mythos der Metropole, die Symphonie
vom Großstadtleben als der prototypischen Existenz der
Moderne. Bereits in den nicht für alle ganz so goldenen
"Goldenen Zwanzigern" der Weimarer Republik schien
er in der deutschen Hauptstadt Wirklichkeit geworden zu sein.
Jetzt, im unverhofft wiedervereinigten Berlin des ausgehenden
Jahrhunderts glaubte man, ihn wiederfinden zu können.
Musik und Literatur, aber eben auch das Kino feierten das
wilde Metropolendasein, berauschten sich an Bildern einer
neonbeleuchteten, taghellen, immerjungen Nacht.
Ein paar Filme, die die andere Seite zeigen, die hinter den
Mythos gucken, und ihn nicht bedienen, ohne ihn aber umgekehrt
zu verachten, sind jetzt in der Reihe "BerlinBilder"
im Werkstattkino zu sehen. Zum Teil in Erstaufführungen
zeigt man dort richtig gutes junges deutsches Kino abseits
der HARTEN JUNGS und MÄDCHEN, MÄDCHEN - viel besser,
präziser, näher am Leben und an der Wirklichkeit.
Am meisten Phantasie ist noch FANDANGO von Matthias Glasner.
Ein Wagnis und finanzielles Fiasko, das zigmal angekündigt
und wieder verschoben wurde, und aufgrund einer irrwitzigen
Produktionsgeschichte nie richtig ins Kino kam. Ein Film über
das Leben als Rave, ein Weiterstricken des 20er-Jahre-Mythos
vom Glück in der ewigen Party und eine Erinnerung an
das, was einmal, vor der Krise, "Spaßgesellschaft"
hieß - sehenswert schon wegen der bezaubernden Nicolette
Krebitz. Dass das Flanieren in der großen Stadt auch
damals schon anders aussehen konnte, als es die vergilbten
Werbeprospekte der 90er zeigen mochten, beschreibt PLUS-MINUS
NULL, für den Eoin Moore 1998 den HypoPreis beim Filmfest
gewann: Harte Realität dreier einsamer Looser, deren
Träume schon gescheitert sind. ALASKA.DE
von Esther Gronenborn und Valeska Griesebachs MEIN STERN beobachten
zunächst Gruppen Jugendlicher, um sich dann immer mehr
auf eine bestimmte Hauptfigur zu konzentrieren. Zwei grundverschiedene,
gleichermaßende treffende Portraits jugendlichen Lebensgefühls,
das die die ganz normale Krise wiederspiegelt, die wir Alltag
nennen, und vom 20 Jahre alten "No Future" weit
weniger entfernt ist, als man meinen möchte. Überhaupt
sind es oft Frauen, die diese Filme machen: Angela Schanelec
(DAS GLÜCK MEINER SCHWESTER), Maren-Kea Freese (ZOE),
vor allem aber Maria Speth in ihrem wunderbaren IN DEN TAG
HINEIN gelingt ein jeweils ganz eigener Ton, der nahe dran
ist, an der konkreten Erfahrung.
Die Großstadt in diesen Filmen ist weder glänzend,
noch schnell. Aber sie ist wahr. Und gerade in Beiläufigkeit
und Präzision erstrahlt wie nebenbei eine stille Aura.
Rüdiger Suchsland
Bis zum 15.08.02, Zeiten und Reservierungen vor Ort oder
unter 089-2607250
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